Protokoll der Sitzung vom 25.01.2017

Behörden hätten ihn einfach mal in Abschiebungshaft nehmen müssen? Die Behörden können doch nicht willkürlich Haft anordnen, wenn sie berechtigterweise insbesondere mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs davon ausgehen müssen, dass sie von keinem Haftrichter genehmigt wird geschweige denn vor einem Gericht Bestand hat. Da finde ich Ihre Aussagen wirklich ungeheuerlich.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wer wirklich Aufklärung will, der muss dann auch diese Fragen stellen: Warum hat eigentlich der Generalbundesanwalt das Verfahren an die Generalstaatsanwaltschaft Berlin abgegeben? Lag es an fehlender personeller Ausstattung bei Generalstaatsanwaltschaft und BKA? Warum haben die Verfassungsschutzämter von Berlin und vom Bund Amri nicht beobachtet zu dem Zeitpunkt, als es die Polizei nicht mehr durfte und der Verfassungsschutz, der aber eine Vorfeldbeobachtung machen darf, es offensichtlich in Berlin und im Bund nicht getan hat? Stimmt es – das geht aus der Chronologie des Bundesinnenministeriums ja hervor –, dass der ehemalige CDU-Innenminister Henkel die Polizei offenbar so schlecht ausgestattet hat, dass Amri von den Behörden nicht observiert werden konnte?

Ich finde, das sind doch Fragen. Da wäre es schön, wenn ein Herr Laschet nicht nur hier im Landtag Aufklärung fordern würde, sondern wenn Ihre Kollegen im Bund und in Berlin genau diese Fragen stellen würden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das wäre dann echte Aufklärung seitens der CDU. Das findet aber nicht statt.

Ihnen, Herr Laschet, aber auch Herrn Dr. Stamp geht es jetzt doch eigentlich nur darum, den Innenminister hier in Nordrhein-Westfalen für verantwortlich zu erklären, bevor überhaupt irgendwelche Fehler geklärt sind. Sie widersprechen sich doch auch selbst. Wenn Sie sagen, man hätte die Gesetze einfach nur anwenden müssen, dann frage ich mich, warum Sie jetzt die Gesetze ändern wollen. Das ist doch ein Widerspruch.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der Widerspruch macht deutlich, dass es Ihnen nur um eine einzige Sache geht: Sie wollen endlich einmal wieder Ihre „innenpolitische Weihnachtswunschliste“ der Gesetzesverschärfung hier auf den Tisch legen, egal, ob die Forderung, die Sie erheben, etwas mit dem Thema Terrorismusbekämpfung zu tun hat oder nicht. Ob Videobeobachtung, Schleierfahndung, sichere Herkunftsländer und Unterbindungsgewahrsam – das alles sind doch Forderungen, die mit diesem Thema überhaupt gar nichts zu tun haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Laschet hat sie gerade aufgelistet.

Videobeobachtung: Wie, bitte schön, soll eine Videokamera auf einem öffentlichen Platz einen Anschlag verhindern? Das ist reine Symbolpolitik, was Sie hier betreiben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zum Thema Schleierfahndung: ein völlig ineffektives Mittel, das hohe Personalkapazitäten bei der Polizei bindet, aber völlig unverhältnismäßig ist im Vergleich zu dem Erfolg, der zu erwarten wäre. In Ihrem Antrag schreiben Sie, Schleierfahndung würde einen hohen Fahndungsdruck auf die islamistische Szene ausüben. Das ist völliger Blödsinn.

(Beifall von den GRÜNEN)

Statt ineffektive und breit angelegte Kontrollen zu machen, brauchen wir doch eine zielgerichtete Fokussierung auf die Gefährder, auf die Personen, die gefährlich sind, und keine Kontrolle der gesamten Bevölkerung. Das wäre wirksam. Das ist eine wirksame Forderung, die wir aufstellen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zur Abfrage von Kontodaten und Bankdaten und zum Thema Fußfesseln: Es stimmt einfach nicht, Herr Laschet, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, dass diese Regelungen in anderen Landespolizeigesetzen schon längst stehen würden. Weder die Abfrage von Konto- und Bankdaten steht in den Landespolizeigesetzen – das ist bisher die Kompetenz der Verfassungsschutzämter und natürlich im Bereich des Strafrechts, aber nicht im Bereich des Gefahrenabwehrrechts – noch die Fußfessel steht in den Landespolizeigesetzen. Das sind doch die alternativen Fakten eines Herrn Laschet, aber nicht das, was wir wirklich auf dem Tisch liegen haben, nicht die Realität.

(Beifall von den GRÜNEN)

Frau Kollegin Schäffer, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Das ist sehr schade, weil ich gerne noch etwas zu den Konsequenzen gesagt hätte. Wir listen sie in unserem Entschließungsantrag auf. Da die Landesregierung sehr lange gesprochen hat, müsste es eigentlich noch Redezeit geben.

(Unruhe)

Ja, aber wir stoppen hier. Wir haben jetzt schon eine Überziehung von ca. 20 Sekunden. Ich würde bitten, dass Sie zum Schluss kommen, ja.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das kann nicht stim- men!)

Das kann dann vielleicht an anderer Stelle geklärt werden. – Ich komme zu meinem letzten Satz.

Wir haben uns hingesetzt und überlegt: Was sind die Konsequenzen aus dem Fall Amri, die wirklich Erfolg haben? Die stehen in unserem Entschließungsantrag: Wir müssen Gefährder in den Blick nehmen. Wir brauchen eine einheitliche Definition des Gefährderbegriffes. Wir müssen über das Thema Fußfessel reden. Wir müssen über das Thema Abschiebungshaft reden. Das legen wir vor. In wenigen Wochen wird es ein Handlungskonzept gegen Salafismus von der Landesregierung geben. Das sind unsere Antworten, die wirklich wirksam sind, die effektiv sind. Ich würde mich freuen, wenn diese Debatte in diese Richtung gehen würde. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Der nächste Redner ist von der Piratenfraktion Herr Kollege Herrmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und zu Hause! Aus der Debatte habe ich bisher mitgenommen, dass es keinen 100%igen Schutz vor Terror gibt. Das ist richtig. Das wird auch so bleiben, denn Sie können den Menschen nicht in die Köpfe gucken.

Aber bitte keine alternativen Fakten hier im Fall Anis Amri! Die Landesregierung hat eben nicht alles getan, um eine Gefahr von den Menschen hier im Land abzuwenden oder abzuwehren. Es wurde nicht alles getan. Im Gegenteil, vieles wurde nicht getan. Diese Landesregierung hat es zugelassen, dass sich eine Person mit 14 Identitäten in ganz Deutschland bewegen kann.

(Zuruf von der SPD: Eine Unverschämtheit!)

Ob oder wann er als Gefährder angesehen wurde, ist für mich unerheblich. Fakt ist: Ausländerrechtlich haben wir ein abgestuftes System, das ein solches Handeln sanktioniert. Das wurde nicht genutzt. Amri musste den Eindruck bekommen, er könnte hier in Deutschland tun und lassen, was er wollte.

Da muss ich mich fragen: Sollen so Terroristen hier herangezogen werden? Unsere Devise war immer und ist immer: Früher eingreifen, Taten verhindern; verhindern, dass sich jemand zum Terroristen entwickelt, verhindern, dass sich Terroristen frei bewegen können. Das sind die Aufgaben, die auch ein Innenminister hier im Land zu erfüllen hat.

Das tut er aber nicht bzw. er ist besonders gut, wenn er andere kritisieren kann. Ich zitiere einmal vom 22.03.2016: „Terror in Brüssel – Jäger kritisiert belgische Behörden“ Zitat: „Und man hätte möglicherweise eher eingreifen müssen.“ – Ich frage mich: Warum haben Sie es nicht getan? Warum haben Sie es hier zu Hause nicht gemacht?

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Weiterhin wurde nicht gehandelt, als Amri mit dem abgelehnten Asylgesuch ab dem 30. Juni 2016 vollziehbar ausreisepflichtig war. Der Anschlag ist am 19. Dezember passiert. Dazwischen liegt viel Zeit.

Nein, ich meine jetzt nicht wegsperren – das wird CDU und Sachverständige interessieren –, sondern: auf ihn zugehen mit Meldeauflagen, so wie es das Gesetz für solche Fälle vorsieht. Da muss nichts geändert werden. Es ist alles da. Es muss nur angewendet werden.

Argumente gibt es genug: Urkundenfälschung mit zwei Pässen, vielfache Verstöße gegen das Ausländerrecht und Aufenthaltsrecht. Sechs Monate Zeit war da. Nichts ist passiert. Wie wir schon im Innenausschuss hören mussten, sollte Amri in Sicherheit gewogen werden. Das war falsch, Herr Minister. Wir – die Bevölkerung – müssen in Sicherheit leben können.

Jetzt komme ich zu Ihren Vorschlägen für die Zukunft in Ihrem Entschließungsantrag, liebe Kollegen von Rot-Grün, die ich allesamt für untauglich und populistisch halte oder aber die es schon längst geben sollte beziehungsweise die es längst gibt: mehr europäische Vernetzung. Auch die Ministerpräsidentin hat es heute Morgen angemerkt. Aber die gibt es schon längst,

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

zum Beispiel das Schengen Information System. Es ist eine Kleinigkeit, aber Italien hat im Juni 2015 einen Eintrag vorgenommen, dass Amri die Einreise in andere Schengen-Staaten zu verweigern ist. Jetzt kann man natürlich sagen: Er war ja schon hier, also brauchten wir das nicht mehr. – Fakt ist aber, dass niemand dort hineingeschaut hat.

Dies hätte als eines von vielen weiteren Argumenten – ich habe eben schon die Urkundenfälschung erwähnt – verwendet werden können, um Meldeauflagen zu verhängen, möglicherweise auch, um eine Abschiebehaft zu begründen. Die Forderung nach Vernetzung ist sowieso ein hilfloser Versuch, denn wir wissen doch alle: Alle Informationen lagen vor. – Wenn man innerhalb einer Behörde der gleichen Person zweimal eine BüMA ausstellt, eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender, dann scheint in der Behörde das Chaos zu herrschen. Es handelt sich um die Bezirksregierung Arnsberg, und das liegt in der Verantwortung des Herrn Innenministers.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das BAMF!)

Da scheint es drunter und drüber zu gehen. Dass es passieren konnte, ist das eine. Dass nicht aufgeklärt und nicht gehandelt wurde, ist das andere. Ich habe eben schon gesagt: In Bezug auf die verschiedenen Identitäten wurde nichts unternommen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Ein Minimum an Be- schäftigung mit den Ereignissen wäre hilfreich gewesen!)

Richtig wütend macht mich aber, dass Sie in dem Antrag schreiben, es käme bald „ein ganzheitliches Handlungskonzept gegen den gewaltbereiten verfassungsfeindlichen Salafismus“; Kollegin Schäffer hat auch darauf hingewiesen. Der Landtag hat die Landesregierung bereits vor fast zwei Jahren, nämlich im März 2015, damit beauftragt, genau ein solches Konzept vorzulegen. Die Landesregierung hat dies bis heute nicht getan. Weil es schon so lange dringend notwendig ist, haben wir im Juli 2016 einen Antrag dazu eingebracht, um an die erforderliche Prävention, die Vorsorge, zu erinnern.

Im November 2016 haben wir eine Anhörung mit Sachverständigen aus der Gewaltforschung durchgeführt. Der Tenor war: Ja, so etwas brauchen wir. Wir müssen auf die Leute zugehen, wir müssen uns frühzeitig mit ihnen beschäftigen. – In der letzten Woche haben wir im Innenausschuss abschließend über diese Anhörung und unseren Antrag gesprochen. Oh Wunder, er wurde natürlich abgelehnt, und zwar mit der Begründung, das alles gäbe es schon. – Was denn nun, liebe Kollegin Schäffer? Gibt es das, oder gibt es das nicht? Warum schreiben Sie das erneut in Ihren Antrag, und warum hat die Landesregierung bis heute nicht gehandelt?

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

Sie vernebeln nur. Es geht darum, keine Verantwortung zu übernehmen.

Herr Minister, Sie nannten den Entschließungsantrag eben den einzig sachlichen Beitrag in der Debatte. Ich finde, dass der Antrag Ihr Offenbarungseid in der Sicherheitspolitik ist. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)