Protokoll der Sitzung vom 26.01.2017

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, 134. Sitzung des Landtags NordrheinWestfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich bisher zehn Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir haben auch heute jemanden unter uns, der seinen Geburtstag feiert; er ist jetzt in den Plenarsaal gekommen. Herr Kollege Gordan Dudas von der SPD-Fraktion, herzlichen Glückwunsch! Alles Gute zum Geburtstag, viel Glück, Gesundheit, Erfolg und einen wunderbaren Plenartag mit uns gemeinsam!

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Weitere Vorbemerkungen vor Eintritt in die Tagesordnung sind heute nicht notwendig.

Damit treten wir in die Bearbeitung unserer Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Starke Forschung, starkes Land – For

schungsland NRW

Unterrichtung durch die Landesregierung

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 17. Januar dieses Jahres mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, zu dem genannten Thema zu unterrichten. – Die Unterrichtung erfolgt durch Frau Ministerin Schulze, der ich damit das Wort gebe.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Klimawandel, globale Migrationsbewegungen, Digitalisierung fast aller Lebensbereiche, alternde Gesellschaft, knappe Ressourcen, dramatische soziale Spaltung, politischer Populismus und Extremismus in vielen Staaten – wer jemals an die These des Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama vom Ende der Geschichte nach dem Zerfall der Sowjetunion geglaubt hat, wird spätestens angesichts der aktuellen Entwicklungen auf der Welt einsehen, dass das Gegenteil der Fall ist. Die Welt ist in einem Wandel. Die Menschheit hat mehr Fragen als Antworten.

Auf all die eingangs genannten und viele weitere Entwicklungen müssen wir politische Antworten finden.

Wir müssen sie politisch gestalten. Zu all diesen und vielen weiteren Entwicklungen brauchen wir aber auch die Expertise, den Sachverstand und die Lösungsvorschläge aus der Wissenschaft. Sie ist für die Zukunft unserer Gesellschaft, unseres Landes, ja der gesamten Menschheit von existenzieller Bedeutung.

Zugleich müssen wir leider auch festhalten, dass es das rationale, das faktenbasierte Argument zurzeit wirklich schwer hat und offen infrage gestellt wird. Dass es schon immer Subkulturen und Strömungen gegeben hat, die wissenschaftliche Erkenntnisse vom Tisch gewischt haben, die nicht in ihr eigenes Weltbild passen, ist sicherlich unbestritten.

Die aktuellen Entwicklungen in vielen Teilen der Welt sind in ihrem Ausmaß jedoch neu, und ich halte sie für wirklich dramatisch. Wenn Wissenschaftsfeindlichkeit selbst im Weißen Haus salonfähig ist, kann man das nicht mehr ignorieren oder schulterzuckend hinnehmen. Es heißt, rauszugehen und für das zu kämpfen, für das zu werben, was uns wichtig ist: freie, relevante, gesellschaftlich akzeptierte und geförderte Wissenschaft für die Zukunft des Landes und des gesamten Planeten.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ja, es geht heute um eine Unterrichtung der Landesregierung zum Forschungsstandort Nordrhein-Westfalen. Dennoch dürfen wir das, was im Rest der Welt passiert, nicht ignorieren, nicht zuletzt auch, weil es uns unmittelbar betrifft und Rückschlüsse auf die Forschung und die Forschungspolitik hier bei uns in NRW zulässt.

Dass Wissenschaftsfeindlichkeit bei uns keinen Platz hat, wird wohl niemand bestreiten. Das kann man zum Beispiel an dem Budget ablesen, welches das Land für Wissenschaft und Forschung bereitstellt. In den vergangenen sechs Jahren haben wir die Investitionen des Landes hier um 45 % erhöht. Mehr als 8,4 Milliarden € sind im Haushalt 2017 für diesen Bereich vorgesehen – so viel wie noch nie zuvor in der Geschichte unseres Landes.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ver- einzelt Beifall von den PIRATEN)

Doch auch über die reinen Zahlen und Fakten hinaus spielt das Thema „Forschung“ für die Landesregierung eine ganz besondere Rolle. Gleich nach Amtsantritt haben wir uns auf den Weg gemacht und nach intensiven Diskussionen unsere Forschungsstrategie „Fortschritt NRW“ beschlossen, die heute die Eckpfeiler der Forschungspolitik des Landes beschreibt.

Wir haben die Forschungspolitik in NRW grundlegend neu ausgerichtet. Wir haben das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft neu definiert, die Suche nach Lösungen für die großen gesellschaftlichen

Herausforderungen der Zeit in den Mittelpunkt gestellt und die Zusammenarbeit über fachliche Grenzen hinaus intensiv gefördert.

Wir haben diesen Weg trotz damals zum Teil recht schriller Kritik sehr früh beschritten und können heute sagen: Wir sind mittlerweile in sehr guter Gesellschaft. Der Wissenschaftsrat, die Bundesregierung, aber auch schon lange die Europäische Union gehen in die gleiche Richtung.

Die allermeisten Akteure in der Wissenschaft teilen im Übrigen den Ansatz, dass Politik und Gesellschaft nicht in zwei verschiedenen Welten zu Hause sind, sondern letztlich in einem Boot sitzen – eine Feststellung, die vor wenigen Jahren im politischen Diskurs noch von einigen als Angriff auf die Forschungsfreiheit gewertet wurde. Zum Glück gehören diese schrillen und unserem Politikbereich fremden Töne der Vergangenheit an, was ich mir auch von der heutigen Debatte erhoffe.

Am Wochenende habe ich das Leitbild zur Hochschul- und Forschungslandschaft der CDU-Bundestagsfraktion gelesen. Ich durfte feststellen, dass auch dort inzwischen von einem Fortschrittsverständnis ausgegangen wird, das über technologische Innovationen hinausgeht und soziale Innovationen favorisiert oder das die Steigerung des Frauenanteils in der Wissenschaft nach dem Kaskadenmodell als richtige Schritte für die Zukunft von Wissenschaft und Forschung wertet. Selbst die vorsichtige Öffnung der Forschung hin zur Gesellschaft wird nicht mehr tabuisiert. Ganz ohne Ironie: Das nenne ich einen Erkenntnisgewinn, und darüber freue ich mich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, umso mehr wird Herr Prof. Dr. Jörg Hacker, Präsident der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, zum Mentor, wenn er in seiner Weihnachtspost an die Mitglieder, die Freunde und Mitarbeiter der Leopoldina nach einigen sorgenvollen Worten zur Polarisierung der politischen Debatte eine zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit beschreibt. Ich will ihn zitieren. Er hat gesagt:

Dennoch bin ich nicht pessimistisch. Wir können für die Kraft des wissenschaftlich gestützten Argumentes werben, indem wir uns mit Forschungsthemen auseinandersetzen, die für die Entwicklung unseres Landes und der globalen Staatengemeinschaft von besonderer Bedeutung sind. Gleichzeitig müssen wir uns fragen, ob die Wissenschaft in der Form, wie sie sich Öffentlichkeit und Politik als Informationsquelle und Ratgeberin präsentiert hat, unbeabsichtigt die von mir genannten Tendenzen befördert hat.

Meine Damen und Herren, die Grundsätze der Forschungsstrategie „Fortschritt NRW“ sind die Leitplan

ken aller Förderprogramme des Landes. Ganz besonders deutlich wird das, was mit „Fortschritt NRW“ gemeint ist, in den von uns ins Leben gerufenen Fortschrittskollegs und den Regionalen Innovationsnetzwerken.

In den insgesamt zwölf Fortschrittskollegs, in denen Promovierende bereits sehr früh die Zusammenarbeit von Forscherinnen und Forschern verschiedener Disziplinen und zivilgesellschaftlichen Akteuren lernen, haben wir erstmals systematisch inter- und transdisziplinäre Elemente in die Promovierendenausbildung integriert. Damit sind wir heute bundesweit Vorreiter. Insgesamt stehen hierfür Fördergelder in Höhe von 16 Millionen € zur Verfügung – wirklich gut investiertes Geld.

Die Regionalen Innovationsnetzwerke schaffen eine dauerhafte Plattform für Expertinnen und Experten ganz unterschiedlicher Bereiche: für technisch Versierte und gesellschaftlich Engagierte, für Unternehmerinnen und Unternehmer, für lokale Entscheidungsträger aus Verwaltung und Vereinen und vor allem für Forschende. Partner aus allen Bereichen arbeiten dabei gemeinsam an konkreten Fragestellungen, die dann von der Wissenschaft aufgegriffen werden. Sie bringen geeignete Expertinnen und Experten in Workshops und Arbeitsgruppen zusammen, stellen dauerhafte Kooperationen sicher und schaffen, wo nötig, Vertrauen.

Das Land unterstützt derzeit neun Regionale Innovationsnetzwerke mit einem Gesamtfördervolumen von insgesamt gut 7 Millionen €.

Meine Damen und Herren, eine klare Strategie ist ein Pfeiler eines erfolgreichen Forschungsstandortes, die Finanzierung ist ein weiterer. Ich habe die entscheidenden Zahlen bereits vorhin genannt: mehr als 8,4 Milliarden € im Jahr 2017 für Wissenschaft und Forschung, rund 45 % mehr als noch 2010. Das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Das ist ein klares Bekenntnis zu Wissenschaft und Forschung hier in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD)

Die zentralen Akteure sind dabei unsere 70 Hochschulen. Rund 44 Milliarden € haben wir hier seit 2010 investiert. Sie legen das Fundament, und zwar mindestens aus zwei Blickwinkeln, die aus dem Grundauftrag der Hochschulen herzuleiten sind: aus Forschung und aus Lehre.

Die hervorragende Forschung, die an Universitäten und Fachhochschulen geleistet wird, beeindruckt mich immer wieder aufs Neue. Um ein objektives Kriterium heranzuziehen: Diese Arbeit wird auch im bundesweiten Vergleich hoch geschätzt, was beispielsweise im Rahmen der Exzellenzinitiative deutlich wird. Mit aktuell zwei Exzellenzhochschulen, zehn Exzellenzclustern, fünf Graduiertenschulen hat sich das Fördervolumen für Nordrhein-Westfalen in

der zweiten Runde auf rund eine halbe Milliarde Euro verdoppelt. Ich bin mir sicher, dass unsere Hochschulen auch in der jetzt anstehenden dritten Runde erfolgreich sein werden.

Führend ist Nordrhein-Westfalen auch bei den Sonderforschungsbereichen der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 54 davon gibt es in Nordrhein-Westfalen – so viele wie in keinem anderen Bundesland. Gleiches gilt übrigens auch für die Graduiertenkollegs der DFG. Hiervon gibt es 38 in Nordrhein-Westfalen. Zum Vergleich: An zweiter Stelle steht Niedersachsen mit 26 Graduiertenkollegs.

Meine Damen und Herren, diese Forschungsstärke unserer Hochschulen kostet natürlich Geld, zum Beispiel mit Blick auf die Infrastruktur. Knapp 390 Millionen € haben wir seit 2010 in Forschungsbauten investiert. Großgeräte haben wir im selben Zeitraum mit noch einmal rund 345 Millionen € finanziert. 1,2 Milliarden € investieren wir über das HochschulbauKonsolidierungsprogramm an den Hochschulen, und insgesamt 2,2 Milliarden € fließen über das Medizinische Modernisierungsprogramm in die Infrastruktur unserer Universitätskliniken.

Insgesamt zeigt der Blick in den Bundesbericht Forschung und Innovation von 2016 – das sind die aktuellsten Zahlen –: NRW gibt mit Abstand die meisten Grundmittel für die Wissenschaft aus, nämlich 5,6 Milliarden €. Bayern und Baden-Württemberg folgen auf den Plätzen mit jeweils weniger als 3,5 Milliarden €. Auch in relativen Zahlen gilt: In keinem anderen Bundesland wird ein größerer Anteil des Haushalts für die Grundmittel der Hochschulen ausgegeben als in Nordrhein-Westfalen. Ich finde, das ist etwas, auf das wir sehr stolz sein können.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ein zweiter Blickwinkel betrifft die Lehre als Fundament für den Erfolg des Forschungsstandorts Nordrhein-Westfalen. In Nordrhein-Westfalen wird heute rund ein Viertel des wissenschaftlichen Nachwuchses der Bundesrepublik ausgebildet, mehr als 750.000 Studierende. Innovationskraft funktioniert über Köpfe, und hier investieren wir massiv. Nordrhein-Westfalen hat mit 19,5 Milliarden € und rund 45 % des Landeshaushalts insgesamt die höchsten Bildungsausgaben aller Flächenländer. Im Sinne der Zukunft unseres Landes ist das eine absolut sinnvolle Investition, auch im Sinne jedes einzelnen jungen Menschen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir sind darauf angewiesen, jedes Talent zu entdecken und ihm die Chance zu geben, seine Fähigkeiten zu entwickeln und einzubringen. Dafür müssen wir Hürden abbauen und nicht aufbauen. Wir werden in den nächsten Wochen ja noch genug Gelegenheit haben, über das Thema „Studiengebühren“ zu diskutieren. Es gibt viele Gründe, warum dieses tote Pferd,

das CDU und FDP jetzt wieder satteln wollen, besser in der Versenkung verbleiben sollte, dort, wo die Wählerinnen und Wähler es bundesweit hinbefördert haben.

Auch wenn man einen so zentralen Aspekt wie die Bildungsgerechtigkeit ausnahmsweise außen vor lässt, zeigt sich: Schon mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit unseres Landes ist es Irrsinn, Hürden auf dem Weg zur besten Bildung aufzubauen. Das werden wir hier in Nordrhein-Westfalen nicht zulassen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Neben den Hochschulen sind natürlich auch die außeruniversitären Forschungseinrichtungen echte

Aushängeschilder, wenn es um Spitzenforschung in Nordrhein-Westfalen geht. An 14 Fraunhofer-Instituten, drei Fraunhofer-Anwendungszentren, zwölf Max-Planck-Instituten, elf Instituten der Leibniz-Gemeinschaft, drei Helmholtz-Zentren, einem Helmholtz-Institut, dem Center of Advanced European Studies und Research, caesar, und 15 JohannesRau-Forschungsinstituten entstehen Innovationen, die unser Leben verbessern und die Wirtschaft unseres Landes stärken. Seit 2010 ist deren Zahl von 52 auf mittlerweile 60 Einrichtungen gewachsen. Fast 2 Milliarden € Landesgeld haben wir hier investiert.