Protokoll der Sitzung vom 26.01.2017

Meine Kolleginnen und Kollegen! Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung liegt vor, und ich gebe es Ihnen selbstverständlich sofort bekannt.

Ihre Stimme abgegeben haben 221 Abgeordnete. Mit Ja stimmten 85 Abgeordnete, mit Nein 135 Abgeordnete. Ein Kollege hat sich der Stimme enthalten.

Damit ist der Antrag Drucksache 16/13945 abgelehnt.

Ich lasse zweitens abstimmen über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/14089. Ich darf fragen, wer dem Antrag der Koalitionsfraktionen zustimmen möchte. – SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der fraktionslose Kollege Schulz. Wer stimmt dagegen? – Die CDU-Fraktion und die Piratenfraktion. Wer enthält sich der Stimme? – Die FDP-Fraktion und der fraktionslose Kollege Schwerd. Ich glaube, Herr Kollege Stüttgen, Sie hatten mit den Koalitionsfraktionen gestimmt. Dann darf ich bitten, das auch noch so zu Protokoll zu nehmen.

Damit, meine Damen und Herren, ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/14089 angenommen.

Drittens lasse ich abstimmen über den Antrag der FDP-Fraktion Drucksache 16/13946 – Neudruck. Die antragstellende FDP-Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Dann verfahren wir auch so. Wer ist für den Antrag der FDP-Fraktion? – FDP und CDU. Wer ist dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die Piratenfraktion, die fraktionslosen Abgeordneten Stüttgen und Schwerd. Wer enthält sich der Stimme? – Es enthält sich Herr Kollege Schulz. Dann kann ich feststellen, dass der Antrag Drucksache 16/13946 – Neudruck – abgelehnt ist.

Ich schließe die Beratung zu Tagesordnungspunkt 3 und rufe auf:

4 Bürgerinnen und Bürger besser schützen: Ta

schendiebstahl schärfer sanktionieren

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/14011

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende FDP-Fraktion Herrn Kollegen Lürbke das Wort.

(Unruhe)

Ich darf, meine Kolleginnen und Kollegen, wiederum bitten: Wenn Sie jetzt den Saal unbedingt verlassen müssen, tun Sie das zügig und geräuscharm, damit wir uns voll und ganz dem nächsten Redner widmen können. – Vielen Dank. Herr Kollege Lürbke, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Sie herzlich einladen, auch der Debatte beizuwohnen. Es handelt sich um ein wichtiges Thema. Ich glaube, man sollte nicht den Raum verlassen, denn

es geht um Taschendiebstahl, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Die Zahl der Taschendiebstähle in Nordrhein-Westfalen hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Waren es 2009 noch 34.000 Fälle, so lag die Zahl im Jahr 2015 schon bei erschreckenden 54.600 Taschendiebstählen in Nordrhein-Westfalen. Allein in Köln hat sich die Zahl von 7.000 auf 14.000 Fälle sogar verdoppelt. In Düsseldorf ist die Zahl um 50 % gestiegen. Die Aufklärungsquote liegt landesweit bei niedrigen 6,5 %. – Das allein macht schon Sorge.

Schlimmer aber noch sind die Folgen dieser Vielzahl von Taten auch für das Sicherheitsgefühl im Land. Denn Taschendiebstahl ist ja neben dem Wohnungseinbruchsdiebstahl ein Delikt, welches gerade das Sicherheitsgefühl der Menschen im Land besonders massiv beeinflusst. Das ist gar nicht ausschließlich wegen des Schadens so, sondern vor allen Dingen, weil ja unmittelbar in die direkte Privatsphäre, in die Intimsphäre eingegriffen wird und dann vielfach höchstpersönliche Gegenstände berührt und gestohlen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus unserer Sicht sollte es grundsätzlich keinen schutzwürdigeren Ort geben als die intime Distanzzone um den eigenen Körper herum. Darauf zielt unser Antrag ab. Es darf aus diesen Gründen eben nicht länger so sein, dass Taschendiebstahl strafrechtlich als Bagatelle und Kleinkriminalität behandelt wird. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger hier besser geschützt werden.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, wie ist denn die Situation? Die Menschen im Land haben im Grunde ja gar keine Möglichkeiten, ihre im alltäglichen Leben benötigten und genutzten Gegenstände besser zu schützen, als sie am Körper bzw. in den Taschen zu tragen. Auf dem Weg zur Arbeit, auf Reisen und beim Einkaufen kann man Alltagsgegenstände eben nicht nur mal einfach ins Bankschließfach packen bzw. zu Hause oder im Auto lassen. Die Polizei empfiehlt doch sogar, Wertgegenstände nicht in den Fahrzeugen zu lassen. Dort sind sie aber heute absurderweise strafrechtlich gesehen sogar besser geschützt als am eigenen Körper.

Aber nicht nur das: Nach gegenwärtiger Rechtslage sind selbst abgeschlossene Fahrräder und werthaltige Gegenstände in einer Ausstellungsvitrine oder in einem eingefriedeten Obstgarten durch das Strafrecht grundsätzlich besser geschützt als im persönlichen Tabubereich getragene Gegenstände.

Das wollen wir ändern. Wir wollen genau diesen Umstand den Realitäten im Land anpassen, meine Damen und Herren.

Denn die Bürger erwarten doch zu Recht, dass ihr Portemonnaie und ihr Smartphone – das, was man bei sich trägt – besonders geschützt werden. Dabei geht es um weit mehr als um finanzielle Gegenwerte. Schauen Sie einmal, was sie alles in Ihrem Portemonnaie haben: neben Bargeld vermutlich auch den Personalausweis, den Führerschein, die Fahrzeugzulassung, Bankkarten usw. Oft befinden sich aber auch berufliche Dienstausweise, der Schlüssel für das Auto, für das eigene Zuhause oder die Arbeitsstätte darin.

Wer selbst einmal erlebt hat, welcher Aufwand für Sperrmaßnahmen und die Beschaffung von Ersatz samt damit verbundener Kosten anfällt, der weiß, wovon ich rede.

Meine Damen und Herren, auf so einem begehrten, teuren Beutegut wie dem Smartphone befinden sich viele persönliche, ja privateste Daten, oft auch dienstliche, vertrauliche Daten. Wir tragen heute – als Dokumentation unseres Privat- und Arbeitslebens – im Prinzip Tagebuch, Bewegungsprofil und Schreibtischinhalt am Körper mit uns. Insofern haben sich in den letzten Jahren tatsächliche Veränderungen ergeben, auf die man dann auch reagieren muss.

Gerät das alles in die Hände von Tätern, so hat man gleich die nötigen Personendaten praktisch zusammen, womöglich mit Schlüsseln in einer Tasche, und kann dann ohne Weiteres in die heimische Wohnung eindringen oder ein Fahrzeug entwenden. Darauf muss man auch reagieren.

Ich will noch einen anderen Punkt anführen, meine Damen und Herren; denn Polizeiexperten sind sich doch im Grunde einig. Wenn man fragt – wir haben das auch mehrfach in den Ausschüssen zu hören bekommen –, sagen uns Polizeiexperten, dass Taschendiebstähle mittlerweile nahezu ausschließlich durch Täter und Gruppierungen begangen werden, die geschult sind und arbeitsteilig zusammenwirken. Als Opfer hat man da kaum eine Chance.

Deswegen bewirkt die Aufnahme des Taschendiebstahls in den Regelbeispielkatalog des besonders schweren Falls des Diebstahls unserem Vorschlag nach zugleich auch die Aufstufung dieser in der Praxis dominierenden bandenmäßigen Begehung des Taschendiebstahls zum Verbrechen nach § 244a StGB samt entsprechender Handhabe. Ich wiederhole mich: Auch hier gilt es dann, die Realitäten des Taschendiebstahls ausreichend im Strafgesetzbuch abzubilden.

Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren, wir halten diesen Vorschlag für einen sinnvollen, für einen abgewogenen und auch für einen durchdachten Weg, unsere Bürgerinnen und Bürger besser zu schützen. Deshalb kann ich Sie nur einladen, sich

dem Antrag anzuschließen, damit wir hier gemeinsam eine Bundesratsinitiative auf den Weg bringen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Wolf das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Sie bringen heute in die Debatte wieder einmal ein bundespolitisches Thema ein. Das ist auch in Ordnung. Strafrecht, das wissen Sie, ist eine Regelungskompetenz des Bundes. Sie haben momentan, das sehe ich ein, keine andere Möglichkeit, das Thema im Deutschen Bundestag anzusprechen.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben durchaus ein sensibles Thema zur Diskussion gestellt. Da teile ich grundsätzlich Ihre Einschätzung: Taschendiebstahl ist unangenehm. Jeder, der schon einmal Opfer von Taschendieben geworden ist, weiß das. Es ist unangenehm, es ist verstörend. Dieser trickreiche Griff in die Innentasche oder in die Handtasche ist belastend. Sie haben, Herr Kollege Lürbke, die Folgen für die Opfer sehr ausdrücklich dargestellt.

Wie hat die Polizei Nordrhein-Westfalen hierauf reagiert? – Meine Damen und Herren, Sie können zum Beispiel einen Blick in die heutige Presseschau werfen. Dort ist sehr umfassend ausgeführt, was beispielsweise die Polizei in Köln gegen Taschendiebstahl unternimmt. Dort heißt es unter anderem: Die Polizei hat ein ausgeklügeltes Konzept. Insbesondere die massive Präsenz zeigt gerade auch in Köln Wirkung, dass dort die Taschendiebstähle zurückgehen.

Was gibt es außerdem? – Seit Jahren gibt es bei Polizei und Staatsanwaltschaften besondere Ermittlungskommissionen, die gemeinsam an diesem Thema arbeiten. Da geht es insbesondere darum, dass man diese Banden – das haben Sie gerade ja auch dargestellt – verfolgt und aufdeckt. Sie haben, wie in Ihrem Antrag bereits dargelegt, hier wiederholt, dass im Wesentlichen gut geschulte Täter – da muss man ja schon ziemlich trickreich sein, um das zu können – arbeitsteilig vorgehen.

Wenn das aber so ist, Herr Kollege Lürbke, dann besteht dafür doch auch ein sehr harter Strafrahmen, den die Justiz in Nordrhein-Westfalen momentan nutzen kann, zur Verfügung. Es gibt die Regelbeispiele des § 243 Nr. 3, nämlich des gewerbsmäßigen Diebstahls, oder gegebenenfalls sogar § 244 „Bandendiebstahl“ – mit Mindeststrafen von sechs Monaten.

Es gibt außerdem zahlreiche große Aufklärungskampagnen. Sie kennen zum Beispiel die großen Hinweisschilder an Flughäfen, an Bahnhöfen, auf Weihnachtsmärkten, überall da, wo viele Menschen zusammenkommen, durch die daran erinnert werden soll, selber ein bisschen mehr darauf zu achten, wer sich einem nähert, um eventuell auch diesen schnellen Griff in die Tasche zu verhindern.

Sie haben dann – das will ich anerkennen – sehr akribisch die Regelbeispiele aufgearbeitet. Ich vermute, dass auch die juristischen Kollegen Ihrer Fraktion intensiv daran mitgewirkt haben, Herr Kollege Wedel. Sie haben das sehr detailliert gemacht und erklären wunderbar, quasi wie im Repetitorium für Studierende, wie das Regel-Ausnahme-Prinzip zu verstehen ist; das ist lesenswert. Das machen Sie sehr genau.

Aber ein Gedanke, meine ich, fehlt. In diesem Punkt haben Sie meines Erachtens nicht weit genug gedacht. Wenn wir jetzt nur den Taschendiebstahl herausnehmen würden – das werden wir ja im Rechtsausschuss noch diskutieren –, dann entsteht aus meiner Sicht ein Wertungswiderspruch. Und diesen Wertungswiderspruch im Gesamtsystem des Strafrechts lösen Sie hier nicht auf.

Ich will Ihnen einen kurzen Fall schildern: Ich komme vom Einkaufen. In meiner Einkaufstüte ist ein Joghurt, der 39 Cent kostet. Der Täter greift in die Tüte und klaut mir den Joghurt. Dann möchten Sie, dass das ein Taschendiebstahl ist, Mindeststrafe drei Monate.

Anderer Fall: Ich gehe abends in Düsseldorf durch die Altstadt, ein Täter kommt auf mich zu, schlägt mir ins Gesicht – Körperverletzung, keine schlimmen Folgen. Da gibt es aber keine Mindeststrafe, es bleibt bei einer Geldstrafe. Diesen Wertungswiderspruch im Gesamtsystem unseres Strafrechts, dass der Diebstahl des Joghurts aus meiner Tüte stärker bestraft wird als der Schlag in mein Gesicht, den müssen wir vielleicht noch einmal intensiv diskutieren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat es sich in den letzten Jahren sehr bewährt, dass Veränderungen im Strafrecht in Deutschland immer im Ganzen gedacht worden sind. Das heißt, in der Regel haben die Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag nicht einzelne Paragrafen herausgegriffen und verändert, sondern immer darauf geachtet, dass die Taten, die besonders strafwürdig sind, auch in einem entsprechend ausgeglichenen Gesamtgefüge stehen. Dazu rate ich auch bei dieser Debatte. Das wäre aus meiner Sicht hilfreich. Dazu haben wir im Rechtsausschuss auch noch genügend Zeit. Die SPD-Fraktion wird der Überweisung gerne zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Wolf. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Haardt das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Lürbke. Sie haben hier mit diesem Antrag ein Thema auf die Tagesordnung gebracht, das in der Tat wichtig ist, das ein bundespolitisches Thema ist, das man – jedenfalls in der Bundespolitik – gelegentlich auf die Agenda setzen sollte, nämlich die grundsätzliche Überprüfung, ob die Regelungen in unserem Strafrecht noch zeitgemäß sind. Das betrifft sowohl die Straftatbestände als solche – da wollen Sie jetzt ja etwas ändern – als auch das Strafmaß als auch vielleicht auch andere Regelungen wie Nebenstrafen, die auch regelmäßig diskutiert werden.

Wenn man das Thema diskutiert – da bin ich ganz beim Kollegen Wolf –, muss man es in der Tat ein bisschen umfassender diskutieren. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen: Mit dem, was Sie jetzt beantragen, würden Sie erreichen, dass Taschendiebstahl härter als sexuelle Belästigung bestraft wird. Ich habe nur ein einziges Beispiel herausgegriffen. Man muss sich etwas umfassender mit dem Gesamtkatalog beschäftigen und darf nicht ein Einzelbeispiel herauspicken.

Mich stört, ehrlich gesagt, an Ihrem Antrag nicht das, was Sie konkret beantragt haben – das ist, wie schon erwähnt, ein interessanter Ansatz, den man im Rechtsausschuss inhaltlich gut diskutieren kann, was wir auch tun werden –, sondern ein etwas anderer Aspekt Ihrer Ausführungen, Herr Kollege. Sie haben nämlich gesagt: Wenn wir das Strafmaß erhöhen, vergrößern wir das Sicherheitsgefühl bei den Leuten.

Da muss ich Ihnen entschieden widersprechen. Ihrem eigenen Antrag können Sie entnehmen, dass wir in Nordrhein-Westfalen eine Aufklärungsquote von 6,5 % bei Taschendiebstahl haben. Das ist ein Desaster! Das, Herr Kollege Wolf, haben Sie hier schön zu vertuschen versucht,