Sven Wolf
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Herr Präsident, vielen herzlichen Dank! – Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die Aussprache gerne mit den Worten beginnen, die ich auch in der konstituierenden Sitzung an die Öffentlichkeit gerichtet habe und die ich vorab den Sprecherinnen und Sprechern zur Kenntnis gegeben habe.
„Am vergangenen Mittwoch hat das Plenum einen weiteren Untersuchungsausschuss eingesetzt und uns Abgeordnete in unsere Funktionen berufen. Ein Untersuchungsausschuss kurz vor Ende einer Wahlperiode ist eine große Herausforderung für uns Abgeordnete, aber auch für die Referentinnen und Referenten und die Landtagsverwaltung. Wir Abgeordnete stellen unsere Erfahrung und unsere Zeit, die so kurz vor einer Wahl besonders knapp ist, in den Dienst der Sache, der vornehmlichen Pflicht des Parlaments,
dem Recht der Kontrolle, der Kontrolle für uns alle, den Souverän, das Volk.
Ich darf Ihnen versichern, dass meine Kolleginnen und Kollegen und ich mit aller Kraft versuchen werden, dem Auftrag soweit wie möglich gerecht zu werden. Die antragstellenden Fraktionen gehen selbst davon aus, dass bis zum Ende der Wahlperiode nicht alle Bereiche untersucht werden können. Als Vorsitzender stelle ich dabei gerne meine Erfahrung aus der Leitung zweier solcher Gremien in dieser Wahlperiode zur Verfügung.
Wir werden uns nun in den kommenden Tagen und im Anschluss im nichtöffentlichen Teil unserer Sitzung über den weiteren Gang des Verfahrens beraten und absprechen. Ich bitte daher um Verständnis, dass ich heute selbstverständlich noch keine genauen Angaben zu Sitzungsterminen des Ausschusses oder möglichen Zeugen machen kann. Wir werden aber vermutlich gleich die ersten Beschlüsse zur Anforderung von Akten und Unterlagen fassen.
Ich lade die Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses gerne ein, gemeinsam und ernsthaft an der Beantwortung der offenen Fragen rund um den feigen Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt zu arbeiten.“
Ich habe dann weiter ausgeführt:
„Wir sollten dabei nicht vergessen, dass dieser Anschlag kurz vor Weihnachten zwölf Menschen aus ihrem Leben riss. Es hätte jeden von uns treffen können. Die deutsche und die internationale Öffentlichkeit haben daher mit so großer Trauer und Betroffenheit reagiert.
Wir hier im Landtag Nordrhein-Westfalen sind das erste Parlament, das mit der Aufarbeitung in einem Untersuchungsausschuss beginnen wird. Ich bin mir sicher, dass wir alle gemeinsam uns unserer besonderen Verantwortung bewusst sind. In der Plenardebatte wurde auch betont, dass wir gegenüber den Angehörigen keine falschen und zu hohen Erwartungen wecken sollten darüber, was möglich und machbar ist.
Den Untersuchungsausschuss für einen reinen parteipolitischen Schlagabtausch – von beiden Seiten – zu nutzen, wäre aus meiner Sicht völlig unangemessen. Das sind wir den Menschen schuldig, die kurz vor Weihnachten Angehörige, Freunde und geliebte Menschen verloren haben.“
Das waren damals meine einleitenden Worte an diesen Untersuchungsausschuss.
Unser gemeinsames Ansinnen muss daher eine Antwort auf die quälende Frage nach dem „Warum“ sein. Warum mussten so viele Menschen Weihnachten
um ihre Angehörigen trauern, anstatt gemeinsam mit ihnen dieses besinnliche Fest feiern zu können?
Ich halte diese Frage nach dem „Warum“ für eine zutiefst menschliche Frage, die uns, glaube ich, alle umtreibt. Es ist eine Frage, die wir uns immer wieder stellen, wenn wir von Anschlägen hören, von Katastrophen lesen oder wenn uns ein persönlicher Schicksalsschlag ereilt: Warum ist das passiert? – Es ist eine Frage, die sich sicherlich auch der junge Mann aus Neuss stellt, der gemeinsam mit seiner Mutter den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz besuchte. Amri riss die Mutter dieses jungen Mannes aus dem Leben.
Eines ist wichtig, klarzustellen: Die Aufgabe des Untersuchungsausschusses ist es, mögliche Versäumnisse, Unterlassungen, Fehleinschätzungen, etwaiges Fehlverhalten zu prüfen – nicht aber die Schuldfrage. Schuld an diesem Anschlag, an dem Tod von zwölf unschuldigen Menschen ist nicht die Politik und sind nicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden, sondern der Täter Anis Amri.
Wir wollen weitere Fragen erörtern: Warum können sich Personen vor unseren Augen radikalisieren? Warum konnte der Anschlag nicht verhindert werden? Auf diese Fragen müssen wir gemeinsam Antworten finden. Diese Antworten müssen wir ohne politischen Schlagabtausch und ohne ein Hin- und Herschieben der politischen Verantwortung geben.
Der Chef des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen Uwe Jakob sagte bei uns im Ausschuss – ich zitiere hier aus der Presseberichterstattung – über die Reaktion seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: „Hoffentlich war’s nicht der Amri.“
Sie sehen also, die Frage nach dem Warum oder nach den Konsequenzen stellen sich auch die Polizisten, Staatsanwälte, Verfassungsschützer oder politisch Verantwortlichen, die mit dem Fall Amri befasst waren. Deren gute Arbeit, die in vielen Fällen zur Verhinderung von Anschlägen beigetragen hat, darf durch die Arbeit des Ausschusses nicht insgesamt schlechtgeredet werden.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Sicherheitsbehörden haben daher eine besonders schwere Aufgabe. Sie müssen einen Menschen bewerten und eine Prognose treffen, wie er sich künftig verhalten wird. Das fällt uns persönlich schon bei uns nahestehenden Personen sehr schwer. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden müssen Personen einschätzen, die sie teilweise kaum kennen.
Hier ist die Politik gefragt. Hier muss sie gesetzliche Regelungen, technische Ausstattungen und eine behördliche Infrastruktur bereitstellen, um diese Arbeit zu unterstützen. Es gilt, im Ausschuss gemeinsam zu erarbeiten, an welchen Stellen entsprechender Handlungsbedarf besteht.
Es gibt, so finde ich, aber auch Fragen, die wir nicht stellen sollten: Wie können wir den Anschlag im Wahlkampf einem politischen Lager zuschieben? Oder die Gegenfrage: Wie können wir im Wahlkampf Antworten von einem politischen Lager fernhalten? Das wäre pietätlos und unanständig. Als Vorsitzender des Ausschusses werde ich das nicht zulassen!
Denn so verstehe ich meine überparteiliche Rolle als Vorsitzender dieses Ausschusses.
In einer Hinsicht habe ich an die Mitglieder des Ausschusses appelliert: Wir werden uns nach der Wahl wiedersehen. Manche von uns werden dann auch weiterhin miteinander arbeiten. Deshalb habe ich, was die Arbeit des Ausschusses anbelangt, jetzt ein bisschen Sorgen, dass wir uns so tiefe persönliche Verletzungen zufügen, dass dann eine Zusammenarbeit zwar nicht gänzlich unmöglich, aber doch erschwert wird. Ich habe für eine gemeinsame Aufklärungsarbeit geworben, und ich werde das auch weiterhin tun. Des Weiteren möchte ich dem großen Interesse der Öffentlichkeit an der Arbeit des Ausschusses und seinen Ergebnissen gerecht werden.
Eines vorab: Bei all den sehr unterschiedlichen Positionen, die es im Ausschuss gab, waren wir uns in einem einig: Die Ermittlungen dauern an. Wir stehen erst am Anfang unserer Arbeit, und eine Beweiswürdigung vonseiten des Ausschusses wird es daher heute nicht geben. Ich gebe Ihnen daher folgenden kurzen Überblick über die bisherige Arbeit unseres Ausschusses:
Am 15. Februar dieses Jahres haben Sie uns beauftragt.
Am 17. Februar haben wir dann unsere 1. Sitzung durchgeführt. Dabei haben wir Beweisbeschlüsse zu Akten gefasst. Am gleichen Tag haben wir die Akten angefordert.
Am 3. März sind die ersten Akten bei uns im Ausschusssekretariat eingetroffen.
Am 7. März haben wir in unserer 2. Sitzung Beweisbeschlüsse zur Vernehmung von acht Zeugen gefasst.
Am 13. März haben wir in unserer 3. Sitzung mit der Vernehmung von zwei Zeugen begonnen, und wir haben Beweisbeschlüsse zu 15 weiteren Zeugen gefasst.
Am 14. März haben wir in unserer 4. Sitzung die Vernehmung eines Zeugen durchgeführt.
Am 16. März haben wir in der 5. Sitzung vier Beweisbeschlüsse zu neun Zeugen gefasst.
Am 21. März haben wir in unserer 6. Sitzung die Vernehmung von zwei Zeugen durchgeführt und vier Beweisbeschlüsse gefasst.
Am 24. März haben wir in der 7. Sitzung die Vernehmung von drei Zeugen vorgenommen und Beschlüsse zu weiteren Zeugen gefasst.
Am 27. März gab es bereits die 8. Sitzung mit der Vernehmung von fünf Zeugen.
Am Tag darauf, am 28. März, folgte die 9. Sitzung mit der Vernehmung eines Zeugen.
Am 29. März, einen Tag darauf, gab es in der 10. Sitzung die Vernehmung von drei Zeugen.
Am 31. März hatten wir schließlich unsere 11. Sitzung mit der Vernehmung von zwei Zeugen.
In den gut sieben Wochen seit der Einsetzung hat der Ausschuss Beweisbeschlüsse zur Vernehmung von 74 Zeuginnen und Zeugen gefasst und in acht öffentlichen Beweisaufnahmen 37 Stunden lang 19 Zeuginnen und Zeugen vernommen.
Wir haben jeweils sehr zeitnah die Protokolle dieser Sitzungen erhalten. Daher ist es mir ein besonderes Bedürfnis, dem Sitzungsdokumentarischen Dienst unseres Hauses für diese hervorragende Arbeit zu danken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Vernehmung von mehr als vier bis fünf Zeugen pro Tag – da gilt es, eine Fürsorgepflicht zu beachten – war auch mit Rücksicht auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kaum möglich. Schon die Sitzungen, die wir von 10 Uhr morgens bis 22 Uhr abends durchgeführt haben, haben uns, glaube ich, alle sehr gefordert.
Das Ganze – ich räume es ein – entspricht nicht dem Idealbild der Arbeit im PUA. Es ist aber das, was wir in der gedrängten Zeit gemeinsam erfüllen konnten. Anders hätte ich es sicherlich gehalten – die Kolleginnen und Kollegen in anderen Untersuchungsausschüssen wissen, dass ich das im Normalfall so mache –, wenn wir noch Monate Zeit gehabt hätten. Dann hätten wir zunächst einmal die Akten angefordert. Wir hätten sie gelesen, und wir hätten lange und ausführlich über Zeitpläne diskutiert.
Dann hätten wir Abschnitte gebildet, und dann hätten wir dazu die entsprechenden Zeugen geladen. Das war aber leider nicht möglich – ich habe das gerade ausgeführt –, und wird es auch künftig in der Kürze der Zeit nicht möglich sein.
Nach § 4a des Untersuchungsausschussgesetzes obliegt es mir, für den Ausschuss die verfahrensleitenden Verfügungen zu treffen. Eine anderslautende Vorgabe hat mir der Ausschuss nicht gemacht, und er hat auch nicht darüber diskutiert.
Dabei habe ich Anträge und auch Zeugenbenennungen von Mitgliedern aller Fraktionen berücksichtigt. Ich habe dem Ausschuss zunächst Termine vorgeschlagen, aber auch Rücksicht auf Anregungen der
Mitglieder genommen. Die Mitglieder des Ausschusses brauchen sich nicht zu sorgen: Ich werde – das habe ich Ihnen zugesagt – hier keine einzelnen Mitglieder bloßstellen. Da gilt mein Wort.
Anschließend haben wir die ersten Zeugen – etwas anderes blieb uns eigentlich gar nicht übrig – nach deren Terminmöglichkeiten geladen. Die bisher von uns angefragten und geladenen Zeugen – einschließlich des Bundesinnenministers, des Landesinnenministers und des Generalbundesanwalts – haben dies alle sehr kurzfristig möglich gemacht. Dafür darf ich den Zeuginnen und Zeugen im Namen des Ausschusses an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich danken.
Darüber hinaus habe ich das von Ihnen im Plenum mehrheitlich festgestellte öffentliche Interesse am Vorlegen eines Zwischenberichts am heutigen Tag – sieben Wochen nach Beginn unserer Arbeit – einfließen lassen. Danach habe ich die immer länger werdende Liste der Zeuginnen und Zeugen abgearbeitet. Hier habe ich aber auch Rücksicht auf das sehr hohe mediale Interesse an unserer Arbeit genommen.
Was wäre denn gewesen, wenn ich in diesem Fall zunächst die kleinsten Sachbearbeiter in die Öffentlichkeit gezerrt hätte? Dann hätte der Ausschuss vielleicht einzelnen Mitarbeitern in den Ausländerbehörden oder bei der Polizei Fehler zugeschoben, die aber in den Gesamtzusammenhang der politischen Verantwortlichen im Bund und in den Ländern eingeordnet gehören. Davon habe ich aus Fürsorge gegenüber den Zeugen abgesehen.
Bundes- oder Landesminister, der Generalbundesanwalt und Behörden- oder Abteilungsleiter können in der Öffentlichkeit stehen und halten den Druck aus. Das ist nämlich ihr Job. Die ersten Zeugen sollten uns daher aus meiner Sicht helfen, die Abläufe einzuordnen. Dabei habe ich durchaus auch einzelne konkrete Wünsche von Mitglieder des Ausschusses berücksichtigt – Herr Dr. Stamp, zum Beispiel Ihren Wunsch, Herrn Abteilungsleiter Schnieder sehr kurzfristig zu hören.
Zudem hat der Ausschuss in dieser Zeit einen Zwischenbericht erstellt und beraten. Sie wissen aus der Presseberichterstattung, dass es am 3. April hier eine Diskussion gegeben hat, in der unterschiedliche Rechtsansichten geäußert wurden. Ich möchte mit Blick auf das laufende verwaltungsgerichtliche Verfahren hier keine Einzelheiten ausführen. Ich denke, es entspricht einem guten Brauch, dass wir das dem Prozessbevollmächtigten des Ausschusses überlassen. Ich will jetzt auch nicht unzulässigerweise aus irgendeiner nichtöffentlichen Sitzung berichten.
Aber eines will ich sagen: Es war eine sachliche Diskussion, und dafür möchte ich mich bei dem Kollegen
Dirk Wedel ganz herzlich bedanken. Sie haben das nämlich in Ihrer unnachahmlichen, klaren und höflichen Art gemacht. Sie haben Ihre Rechtsansicht formuliert, und ich habe, glaube ich, in dem gleichen fairen Ton meine Rechtsansicht dargestellt. Deswegen dafür noch einmal herzlichen Dank!
Auch die Klage der Kolleginnen und Kollegen von der FDP – das gestatten Sie mir als leidenschaftlichem Juristen – sehe ich nicht als Angriff auf meine Person. Wir haben hier eine Rechtsfrage, zu der es, zumindest nach meiner Kenntnis, bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt. Es gibt wenige Aufsätze – genau gesagt: Ich habe in der Literatur eigentlich gar nichts dazu gefunden. Das heißt, wir betreten tatsächlich gemeinsam Neuland. Deswegen lassen Sie uns doch einfach gemeinsam abwarten, wie die angerufenen Gerichte entscheiden.
Meine Damen und Herren, ich überreiche Ihnen hiermit den Zwischenbericht zum PUA V zum Fall Amri. Wir werden die Beweisaufnahme fortsetzen. Wir enthalten uns heute als Ausschuss jeglicher Wertung; denn ob ein Zeuge tatsächlich glaubwürdig oder ob eine Aussage glaubhaft war – das ist, wie Sie wissen, guter Brauch –, können wir erst am Ende der Beweisaufnahme erörtern. Ich gehe davon aus, dass der Ausschuss, sofern wir die Beweisaufnahme in dieser Wahlperiode nicht mehr abschließen, sicherlich eine sehr weise Entscheidung dazu treffen wird, wie er mit unseren bisherigen Erkenntnissen, die sich alle in den Protokollen wiederfinden, umgehen wird.
Von den Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses wünsche ich mir, dass wir auch weiterhin hart in der Sache, aber fair im Umgang an unserem Auftrag arbeiten; denn – das habe ich Ihnen schon einmal gesagt – wir werden uns nach dem Ende der Ausschussarbeit für diese Legislaturperiode wiedersehen, und wir wollen uns auch künftig in die Augen schauen können und uns freundlich und kollegial grüßen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwischen 2000 und 2006 wurden in Köln und in Dortmund die drei feigen Taten verübt, die im Mittelpunkt unseres Untersuchungsauftrags standen. Kurz vor Weihnachten im Jahr 2000 ließ ein Täter unter einem Vorwand einen Präsentkorb mit einer Stollendose in einem Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse zurück. Dieses Lebensmittelgeschäft gehörte einer iranisch-stämmigen Familie. Am Morgen des 19. Januar 2001 hob die damals 19-jährige Tochter des Ladeninhabers den Deckel der Stollendose an und löste damit die Sprengfalle aus. Durch die Detonation erlitt die junge Frau hochgradige Verbrennungen sowie Schnittverletzungen am Oberkörper.
Am 9. Juni 2004 detonierte in der Keupstraße in Köln direkt vor einem Friseurgeschäft ein Metallbehälter, der an einem Fahrrad angebracht war und der mit mehr als 700 10 cm langen Zimmermannsnägeln befüllt war. Durch die Detonation wurden 22 unschuldige Menschen teilweise schwer verletzt. Weitere Personen erlitten leichte Verletzungen. Diese Tat war ein gezielter und feiger Anschlag auf die als interkulturelles Zentrum Kölns bekannte Keupstraße.
Am 4. April 2006 wurde in der Mallinckrodtstraße in Dortmund der Inhaber eines Kiosks in seinem Geschäft kaltblütig erschossen. Seine Ermordung stellte damit den achten Fall einer bis dato ungeklärten Mordserie an Kleinunternehmern dar, die eines gemeinsam hatten: Sie hatten einen Migrationshintergrund.
Die Namen der Täter bzw. der vermeintlichen Täter dieser Taten und der weiteren Tätergruppierungen kennen Sie alle. Aber die Namen der Opfer? – Die Namen der Opfer sind nicht so präsent. Ich glaube, dass das ein sehr schweres Missverhältnis ist.
Deshalb möchte ich die Namen der Opfer in den Mittelpunkt rücken und das gemeinsame Geleitwort des Ausschusses zitieren.
„Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michele Kiesewetter. Wir gedenken in tiefer Trauer der Menschen, die durch den NSU ermordet wurden. Unsere Gedanken sind bei den durch die Anschläge in der Probsteigasse und in der Keupstraße körperlich und seelisch Verletzten und den Angehörigen aller Opfer in der
unbedingten Hoffnung, dass sie einen Weg finden, mit den schrecklichen Taten und ihren Folgen leben zu können.
Unsere Verbundenheit gilt den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten Nicole Hartmann, Thomas Goretzky, Ivonne Hachtkemper, Matthias Larisch von Woitowitz und ihren Angehörigen.
Den durch die Anschläge am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn Verletzten gilt unser ganzes Mitgefühl.“
Sie merken, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es ist für uns alle ein sehr beklemmender Moment. Das haben wir in der Arbeit unseres Ausschusses immer wieder erlebt. Deshalb standen für uns gemeinsam während der gesamten Arbeit die Belange der Opfer besonders im Mittelpunkt.
Es handelt sich um Opfer, die unter anderem durch die fehlende Gewissheit über die Täter oder auch die Motive bis zur Selbstenttarnung des NSU bzw. bis zur Festnahme des letzten Tatverdächtigen zur Sprengfalle in Düsseldorf gelitten haben, weil sie nicht wussten, wer diese Taten begangen hat.
Unser gemeinsamer Auftrag war es, Licht in dieses Dunkel, in den Verlust eines geliebten Menschen zu bringen. Der Ausschuss hat sich daher bewusst dazu entschieden, sich bei den Besuchen in der Mallinckrodtstraße, in der Probsteigasse und in der Keupstraße ein eigenes Bild von den Tatorten zu machen.
Wir haben uns, als wir in der Keupstraße in Köln waren, mit der IG Keupstraße getroffen. Wir haben die Gelegenheit genutzt, uns mit den Kölnerinnen und Kölnern, die in der Keupstraße leben, auszutauschen und insbesondere viel zuzuhören.
Wir haben den Geschädigten des Anschlags in der Keupstraße sowie den Angehörigen von Mehmet Kubaşık aber auch die Möglichkeit gegeben, uns als Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss Ihre Eindrücke mitzugeben. Sie sollten uns schildern, was sie damals während der Ermittlungen erlebt haben; sie sollten uns aber auch ihre Erwartungen und Wünsche an unsere Arbeit mitteilen. Wir haben es aber auch akzeptiert, wenn Angehörige vor dem Untersuchungsausschuss nicht als Zeugen vernommen werden wollten.
Nach über zwei Jahren gemeinsamer und – das darf ich feststellen – sehr kollegialer Zusammenarbeit darf ich Ihnen heute den Abschlussbericht des PUA III präsentieren. In insgesamt über 42 öffentlichen und nichtöffentlichen Sitzungen, durch Vernehmungen von 75 Zeuginnen und Zeugen, bei der Anhörung eines Sachverständigen, bei den Inaugenscheinnahmen der Tatorte, in weiteren über 42 nichtöffentlichen Sitzungen haben wir über die Struktur des Verfahrens und die Beweisaufnahme beraten.
Wir haben viel über die Fragen des Geheimschutzes gesprochen. Wir haben über die Aktenanforderungen der Landesregierung und auch anderer Behörden gesprochen. Wir haben die Inaugenscheinnahmen beschlossen. Wir haben Sachverständige beauftragt. Und wir haben insgesamt 153 Beweisbeschlüsse gefasst. Was ich sehr bemerkenswert finde: Alle Beweisbeschlüsse waren gemeinsame Anträge aller Fraktionen.
Zur Vorbereitung der Beweisaufnahme hat der Ausschuss an sechs Sitzungsterminen in Hearings Sachverständige gehört.
Wir haben uns einen Überblick geben lassen zu den Themen Aufbau und Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden, der Justiz.
Wir haben uns über die rechte Szene informieren lassen. Wir wollten verstehen: Wie hat sich diese rechte Szene in Nordrhein-Westfalen entwickelt?
Wir haben uns damit beschäftigt, wie die Neonaziszene in den 1990er- und 2000er-Jahren organisiert war, wie gewaltbereit sie gewesen ist, wie militant auch teilweise ihre Strukturen waren.
Wir haben uns mit einem Sachverständigen intensiv damit befasst, wie die Strukturen rund um „Blood & Honour“ waren, wie die Strukturen rund um „Combat 18“ waren, welchen Einfluss rechtsradikale Musikbands haben wie „Oidoxie“ oder die „Weissen Wölfe“.
Wir haben auch einen Zeugen, der nicht erscheinen wollte, vorführen lassen. Dafür darf ich mich an dieser Stelle noch einmal für die Amtshilfe beim Innenminister und auch beim Justizminister bedanken, dass sie uns freundlicherweise diesen Zeugen hier in den Landtag gebracht haben.
Wir haben auch gemeinsam und sehr öffentlich deutlich gemacht, dass wir darauf bestehen, dass uns Unterlagen übersandt werden.
Immer dann, wenn wir zumindest rechtlich so ein bisschen an unseren Grenzen waren, haben wir uns gemeinsam öffentlich positioniert und haben zum Beispiel auf das Bundesamt für Verfassungsschutz gemeinsam Druck ausgeübt. Das hat dazu beigetragen, dass wir viele Aktenstücke beiziehen konnten.
Wir haben fast 4.800 Aktenstücke beigezogen. Wir haben einen Ermittlungsbeauftragten beauftragt, Akten zu sichten.
Wir haben insgesamt in zahlreichen Sitzungen, auch eingestuften Sitzungen, Zeugen vernommen und eingestufte Akten vorgehalten.
Wir hatten besondere Anforderungen an den Geheimschutz. Das sind bauliche Maßnahmen, die hier im Landtag getroffen worden sind. Wir haben uns intensiv mit den Fragen von Geheimhaltung, von Einstufung von Akten beschäftigt.
Wir haben auch manchmal darüber gestritten: Wie viel kann man dann in einen Abschlussbericht hineinschreiben? Aber dieser Öffentlichkeitsgrundsatz war uns, glaube ich, allen gemeinsam immer wichtig. Wir wollten Ihnen nie einen geheimen Abschlussbericht präsentieren, sondern wir haben gesagt: Wir müssen das, was wir ermittelt haben, auch an die Öffentlichkeit bringen und Ihnen präsentieren.
Wir haben uns darüber hinaus intensiv ausgetauscht, ausgetauscht mit den Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag und auch in den anderen Parlamenten, die parallel in Untersuchungsausschüssen an diesem Thema arbeiten. Immer dann, wenn wir an einer Grenze waren, einer verfassungsrechtlichen Grenze der Fragen, haben wir unsere Fragen in den Deutschen Bundestag weitergegeben, und die Kolleginnen und Kollegen haben teilweise sehr unmittelbar die Fragen, die wir aus Nordrhein-Westfalen dorthin gegeben haben, den Zeuginnen und Zeugen gestellt.
Ich habe Ihnen schon ein bisschen was zum Auftrag erzählt. Wir haben diese drei schweren Verbrechen untersucht. Ich will in ganz kurzen Stichworten zu den einzelnen Taten unsere Ergebnisse zusammenfassen.
Zur Probsteigasse wissen wir auch heute noch nicht, wie die Täter dazu gekommen sind, diese kleine, unscheinbare Straße in Köln auszuwählen.
Wir haben uns intensiv mit der sogenannten Spur Johann Helfer beschäftigt. Die Frage, die im Raum stand, war: War es dieser Johann Helfer, der eventuell diese Keksdose dort abgelegt hat? – Wir waren gemeinsam der Überzeugung: Er war es nicht. – Die Frage, wer es war, kann ich Ihnen leider für den Ausschuss nicht beantworten.
Wir haben uns intensiv bei der Keupstraße mit den Ermittlungen beschäftigt. Wir haben gemerkt: Am Anfang wurde nur im Umfeld der Keupstraße ermittelt. Die Idee, dass gerade dieses interkulturelle Zentrum ein Tatort sein kann, den sich Rechtsradikale herausgesucht haben, ist der Polizei nicht gekommen.
Wir haben festgestellt, dass es aber damals schon Informationen gab, Informationen zur Art und Weise, wie Rechtsradikale Taten begehen. Wir haben Dokumente gefunden beim Verfassungsschutz, beim Bundesamt für Verfassungsschutz, die teilweise nicht an die Kölner Polizei weitergegeben wurden.
Wir haben auch festgestellt, dass Scotland Yard zu ähnlichen Anschlägen, die der Täter David Copeland in London verübt hat, Informationen an die Kölner Polizei weitergab. Die Antwort der Kölner Polizei war erschütternd. Die Antwort war: David Copeland kann es ja nicht gewesen sein. Der sitzt ja im Gefängnis. Und Englisch können wir auch nicht.
Wir haben gerade bei der Tat an Herrn Kubaşık insbesondere die Ermittlungen im Umfeld des Opfers und seiner Familie kritisch begutachtet. Diese hatten zu einer unglaublichen Stigmatisierung der Familie geführt. Sie müssen sich das vorstellen: Da ist die Polizei durch die Dortmunder Nordstadt gegangen und hat gefragt: Hat Herr Kubaşık mal mit Drogen gehandelt? – Hinterher stellte sich heraus: Da war nichts dran. Aber dieser Eindruck, der vermittelt worden ist, ist geblieben.
Gut war an der Tataufarbeitung in Dortmund, dass man schnell den Zusammenhang zu der CeskaMordserie herstellen konnte.
Aber dann gab es noch einen weiteren Hinweis, nämlich einen Zusammenhang zwischen den Kölner Taten in der Keupstraße, Kassel und Dortmund. Diese Idee ist später von der Polizei leider wieder verworfen worden. Vielleicht hätte diese Idee dazu führen können, den NSU schneller zu finden.
Unsere weiteren Aufträge waren, uns mit dem Tod des ehemaligen V-Manns Corelli in Nordrhein-Westfalen zu beschäftigen. Herr Corelli war V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz, war aufgeflogen und war dann in Nordrhein-Westfalen, in Paderborn, versteckt worden. Eines Morgens ist er dort tot aufgefunden worden, und die Frage stand im Raum: Ist er ermordet worden oder ist er an einer natürlichen Todesursache gestorben?
Wir haben uns sehr intensiv mit dem Todesermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Paderborn beschäftigt und haben aufgrund unserer Vernehmungen im Ausschuss dazu beigetragen, dass das Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen worden ist und weitere medizinische, technische und chemische Untersuchungen durchgeführt wurden. Im Ergebnis hat die Staatsanwaltschaft Paderborn nun festgestellt, dass es tatsächlich eine natürliche Todesursache bei Herrn Corelli war, ein sogenannter hyperglykämischer Schock, der dazu geführt hat, dass Herr Corelli verstarb.
Wir haben uns intensiv mit den Polizistenmorden des Michael Berger in Dortmund beschäftigt, dem schwärzesten Tag in der Geschichte der Dortmunder Polizei. Am 14. Juni 2000 erschoss dieser Rechtsextremist in Dortmund und Waltrop drei Polizeibeamte und verletzte eine Polizeibeamtin schwer. Die rechte Szene hat darauf menschenverachtend positiv reagiert. Wir haben uns intensiv mit dem Tatmotiv befasst.
Wir haben uns auch mit der Tat beschäftigt, die am 27. Juli 2000 Düsseldorf erschüttert und erschrocken hat. Gegen 15:03 Uhr explodierte am S-Bahnhof Wehrhahn ein Sprengsatz, nachdem eine Gruppe von zwölf Personen aus dem überdachten Eingang am Zugang des Bahnhofs getreten war. Durch diese Explosion wurden zehn Menschen verletzt, zum Teil lebensbedrohlich. Eine Frau, die im fünften Monat
schwanger war, verlor ihren ungeborenen Sohn. Alle Opfer stammten aus der ehemaligen Sowjetunion, sechs von ihnen waren jüdischen Glaubens.
Wir haben uns intensiv mit der Frage befasst, wie die Motivlage damals war, wie die Ermittlungen waren. Wir haben aber auch festgestellt, dass Informationen des Verfassungsschutzes erst 2004 und dann 2012 weitergegeben wurden. Das war für die Ermittler mit Sicherheit nicht leicht, aber im Ergebnis waren das auch Informationen und Spuren, die nicht dazu geführt haben, dass der Tatverdächtige vor einigen Wochen verhaftet werden konnte.
Wir haben uns intensiv mit der rechten Szene in Nordrhein-Westfalen beschäftigt; wir haben sie seit 1990 genau in den Blick genommen. Und wir haben insbesondere festgestellt, wie gefährlich diese rechte Szene auch heute noch ist und wie einfach es Rechtsradikalen gelingt – insbesondere durch die Instrumente der rechten Musik –, junge Menschen in ihren Bann zu ziehen.
Deswegen mein leidenschaftlicher Appell an Sie: Wir müssen alle gemeinsam wachsam bleiben, denn diese rechte Szene in Nordrhein-Westfalen ist und bleibt gefährlich. Wir müssen unsere Demokratie dagegen wachsam verteidigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in den Vermittlungen und Beweisaufnahmen Licht und Schatten erlebt. Wir haben empathische Staatsanwälte, aber auch unempathische Polizeibeamte erlebt. Wir haben Erinnerungslücken erlebt. Wir haben engagierte Beamte erlebt. Wir haben aber auch Polizisten erlebt, die nur Dienst nach Vorschrift gemacht haben. Wir sind daher der Überzeugung, dass gerade der Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden deutlich verbessert werden
muss. Wir müssen in anderer Art und Weise mit den Opfern umgehen. Wir müssen gerade auch die Opfer in die Ermittlungen im Umfeld einbinden.
Wir wissen heute, dass der wissenschaftliche Austausch auch beim Verfassungsschutz in NordrheinWestfalen verbessert werden muss. Ich will einmal ein Beispiel nennen: Wenn ein neues Phänomen entsteht und Extremisten dieses Phänomen wahrnehmen, dann muss diese Information aus unserer Zivilgesellschaft in die Sicherheitsbehörden getragen werden und umgekehrt. Der Verfassungsschutz muss also mehr denn je zu einem Dienstleister für eine wehrhafte Demokratie werden und nicht nur derjenige sein, der die Informationen einsammelt und in seinen Stahlschränken aufhebt.
Wir müssen diese Informationen dann so aufarbeiten, dass der einfache Polizeibeamte auf der Straße mit diesen Phänomenen, mit diesen Informationen arbeiten kann und bei seinen Tatermittlungen darauf Bezug nehmen kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen werden, wenn Sie die 1.200 Seiten und die Anlagen lesen, wahrscheinlich noch viele andere Aspekte einfallen, die ich mangels Zeit jetzt nicht vortragen konnte.
Bevor nun die Kolleginnen und Kolleginnen die Möglichkeit haben – das wissen sie; so habe ich das im Ausschuss auch immer gemacht –, nicht Fragen zu stellen, sondern ihre Anmerkungen zum Bericht vorzutragen, will ich mich ganz herzlich für die kollegiale und sehr leidenschaftliche Arbeit im Untersuchungsausschuss bei allen bedanken, die daran mitgewirkt haben, bei den Ausschussmitgliedern und insbesondere bei den Referentinnen und Referenten. Vielen herzlichen Dank dafür!
Namentlich will ich mich natürlich bei den Sprecherinnen und Sprechern bedanken, bei Andreas Kossiski, bei Heiko Hendriks, bei Verena Schäffer, bei Joachim Stamp und Yvonne Gebauer, bei Birgit Rydlewski, der ich – und ich hoffe, wir alle gemeinsam – gute Besserung wünsche, und bei Dirk Schatz, der eingesprungen ist. Ich danke aber auch den Fraktionen für die gute Auswahl und Referentinnen und Referenten und für die Benennung so engagierter und leidenschaftlicher Kolleginnen und Kollegen für diesen Ausschuss. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe schon viele Aktuelle Stunden hier erlebt. Ich muss zugeben, es gab hier sehr herbe Kritik und sehr deutlich formulierte Kritik, aber nicht am Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen, sondern an dem unsäglichen Antrag der CDUKollegen,
und zwar – das macht es mir jetzt doch ein bisschen leichter, hierauf zu erwidern – nicht nur von dem Redner meiner eigenen Fraktion oder von Frau Kollegin Hanses, sondern einhellig auch von den weiteren Rednern der Oppositionsfraktionen. Das würde mir, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ein bisschen zu denken geben.
Sie haben sehr deutlich gemerkt, dass der offene Vollzug in Nordrhein-Westfalen über Parteigrenzen hinweg eine hohe Bedeutung hat. Das haben die Kolleginnen und Kollegen hier sehr klar herausgestellt. Es geht insbesondere darum – Frau Kollegin Hanses hat es ausgeführt –, etwas zu erlernen, die Menschen, die bei uns in Gefängnissen untergebracht sind, fit zu machen für die Zeit nach dem Gefängnis.
Arbeit und Wohnung sind zwei Stichworte, die ich nennen will. Das sind zwei wesentliche Ankerpunkte dafür, dass es uns gemeinsam gelingt, dass Menschen in unserer Gesellschaft nicht wieder straffällig werden, wenn sie aus dem Vollzug kommen. Deswegen muss man den Menschen auch im Vollzug die Möglichkeit, die Zeit geben, sich einen Arbeitsplatz und eine Wohnung zu suchen.
Das alles sind Behandlungsmaßnahmen. Das ist auch der Grund, Herr Kollege Haardt, warum in Nordrhein-Westfalen – ob es jetzt 22 oder 28 % sind, das spielt aus meiner Sicht keine große Rolle – etwa ein Drittel der Gefangenen die Möglichkeit hat, im offenen Vollzug resozialisiert zu werden. Das ist, so habe ich zumindest die Vorredner verstanden, das erklärte politische Ziel hier im Landtag.
Herr Kollege Haardt, Sie haben gerade Herrn Brock vom Bund der Strafvollzugsbediensteten zitiert. Ich würde Sie bitten, ihn auch komplett zu zitieren, dann würde das Bild etwas runder. Er hat sehr deutlich gesagt, dass er nichts von einer Diskreditierung des offenen Vollzugs hält, nämlich einer Vollzugsform, wie er sagt, die sich bewährt hat. Dann sagt er weiter, aus Angst vor öffentlicher Meinung sollte man diese Vollzugsform auch nicht reduzieren.
Das haben Sie in Ihrem Zitat unterschlagen, Herr Haardt.
Sie haben hier auch ein vollkommenes Zerrbild vom offenen Vollzug geliefert. Der offene Vollzug ist keine bloße Vergünstigung. Der offene Vollzug ist auch nicht nur die Maßnahme, Personal einzusparen, Herr Haardt. Der offene Vollzug ist der wesentliche Eckpfeiler im Behandlungsvollzug und bei den ganzen Resozialisierungsbemühungen, die wir hier in Nordrhein-Westfalen gemeinsam auf den Weg bringen.
Sie haben auch unterschlagen, wie es denn zu der Entscheidung kommt, ob ein Gefangener geeignet ist, im offenen Vollzug auf die Freiheit vorbereitet zu werden. Die Kolleginnen und Kollegen haben versucht, das hier noch einmal ausführlicher darzustellen. Das ist eine Risikoabschätzung. Der Minister hat es gesagt. Die Kolleginnen und Kollegen haben es sehr ausführlich gesagt. Es müssen natürlich Flucht- und sonstige Missbrauchsgefahren abgewogen werden: Besteht da eine Gefahr, oder besteht da keine?
Wenn wir schon über die Einschätzung der Gefangenen reden, dann wissen Sie, dass gerade bei Gewalt- und Sexualstraftätern, die eine Strafhaft von über 36 Monaten verbüßen, sogar ein mehrstufiges Prüfverfahren vorgeschrieben wurde. Erst dann wird endgültig die Entscheidung getroffen, ob ein Gefangener tatsächlich geeignet ist, im offenen Vollzug untergebracht zu werden oder nicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer trifft diese Entscheidungen? Dazu haben Sie gar nichts gesagt, Herr Kollege Haardt, lieber Kollege Kamieth. Diese schwierige Entscheidung treffen die Beschäftigten im Vollzug. Das sind auch diejenigen, die jeden Tag hart mit den Gefangenen in unseren 36 Haftanstalten arbeiten. Das verdient Respekt. Sie halten nämlich die Knochen für die Sicherheit in unserem Land hin.
Was haben wir für diese Beschäftigten gemacht? Wir haben für eine bessere Bezahlung gesorgt. Wir haben über 450 neue Kolleginnen und Kollegen zur Entlastung eingestellt. Wir haben der Bitte von Gewerkschaften und Personalvertretungen entsprochen, und wir haben gemeinsam für mehr Respekt im Allgemeinen Vollzugsdienst geworben. Wir haben einen Justizminister, der den Vollzug nicht im Regen stehen lässt. Wenn schwierige Ereignisse im Vollzug entstehen, ist der Justizminister vor Ort, stellt sich gemeinsam mit den Beschäftigten und steht Rede und Antwort. Wir modernisieren die Haftanstalten. Wir haben ein modernes Strafvollzugsgesetz beschlossen.
All diese Punkte haben Sie hier in der Debatte vollkommen außer Acht gelassen. Das ist auch deutlich geworden. Frau Kollegin Hanses hat Sie eben schon
gefragt und der Minister hat es sehr deutlich angesprochen: Was ist eigentlich Ihre größte Sorge? – Wenn ich momentan die Zeitung aufschlage, ist das doch gar nicht die Frage, wie die Sicherheit in Nordrhein-Westfalen ist. Die Antwort auf die Frage, was Ihre größte Sorge ist, können Sie sich wahrscheinlich geben. Dann greifen Sie zu einem Trick. Sie versuchen hier im Wahlkampf, den Ball in das gegnerische Feld zu spielen. Sie wollen dabei aber auch den Gegner faulen. Wenn man auf dem Platz steht, muss man ertragen können, dass auch einmal unfair gespielt wird. Wir sollten aber gemeinsam nicht ertragen, dass Sie versuchen, Unbeteiligte hineinzuziehen. Dass Sie versuchen, diesen Wahlkampf auf dem Rücken der Beschäftigten des Strafvollzuges zu betreiben, das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
Wir werden gemeinsam an der Seite der Beschäftigten im Strafvollzug stehen. Wir werden weiterhin dafür sorgen, dass man mit den Beschäftigten, die diese schwierige Aufgabe in Nordrhein-Westfalen erfüllen, mit Respekt umgeht, Herr Kollege Haardt. Dazu gehört aus unserer Sicht auch weiterhin die gute Vorbereitung der Gefangenen auf die Zeit in der Freiheit. Das ist die beste Garantie für die Sicherheit in unserem Land. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie sich wundern, warum ich als erster Redner einen CDU-Antrag einbringe, dann sage ich: Das hat etwas mit dem umgekehrten Verfahren zu tun, auf das wir uns verständigt haben. Deswegen möchte ich Ihnen zunächst kurz schildern, worüber wir im Rechtsausschuss gesprochen haben.
Es ging thematisch darum, wie man Wohnungseinbrüche verhindern kann. Die Anregung der Kolleginnen und Kollegen der CDU sieht vor, dass sich das Land Nordrhein-Westfalen in eine Arbeitsgruppe auf Bundesebene einbringt, um dort eventuelle Änderungen im Strafgesetzbuch zu diskutieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben darüber eine sehr sachliche Debatte im Rechtsausschuss geführt. Minister Kutschaty hat dazu einen Bericht vorgelegt. Diesem Bericht folgend haben wir festgestellt, dass es tatsächlich Überlegungen auf Bundesebene gibt, im Strafgesetzbuch Veränderungen bei den Einbruchstatbeständen vorzunehmen. Dazu soll eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden. Diese gibt es aber noch gar nicht.
Der Minister hat auch sehr deutlich gesagt, dass er für die Landesregierung die Vorschläge – die man jetzt noch nicht kennt – konstruktiv begleiten wird. Das ist im Ergebnis das, worüber wir im Rechtsausschuss diskutiert haben.
Aus Sicht der SPD kann man andere Punkte aber viel effektiver und sinnvoller diskutieren, wenn wir über die Frage sprechen: Wie kann man die Menschen in Nordrhein-Westfalen vor Wohnungseinbrüchen schützen? – Ich habe in der Debatte einige Punkte genannt. Diese möchte ich Ihnen hier nicht vorenthalten.
Die Polizei und die Justiz in Nordrhein-Westfalen haben auf die Frage, wie man Opfer vor Wohnungseinbrüchen schützt, reagiert. Das Programm zur Sicherung von Wohnungen ist ausgebaut worden; Sie kennen „Riegel vor!“. Wir sensibilisieren die Öffentlichkeit gemeinsam dafür, dass wir in unseren Nachbarschaften mehr aufeinander achtgeben, dass man ein bisschen aufmerksamer dafür ist, was im Haus des Nachbarn passiert, und dass man gegebenenfalls auch schnell die Polizei ruft. Wir haben zusätzliche Polizeibeamte und Staatsanwälte in NordrheinWestfalen eingestellt, um die Verfolgung zu beschleunigen.
Wir haben es häufig mit reisenden Tätergruppen zu tun, die nicht nur in Nordrhein-Westfalen Einbrüche begehen, sondern auch in andere Bundesländer weiterreisen, dann aber auch ganz schnell Deutschland wieder verlassen. Daher war es eine gute Maßnahme, dass die Innenminister – zuletzt die Innenminister aus Belgien, den Niederlanden, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz gemeinsam mit NordrheinWestfalen – eine intensive Kontrolle durchgeführt und mehr als 25.000 Autos im Grenzverkehr kontrolliert haben. Dabei sind über 200 Personen festgestellt und aus unterschiedlichen Gründen verhaftet worden. Teilweise konnte auch Diebesgut sichergestellt werden.
Sie sehen also, die Justiz greift durch. Es gibt auch eine Mär, mit der ich gerne aufräumen möchte. Es
gibt immer das Vorurteil, die Justiz lasse jeden Einbrecher laufen. Das stimmt nicht. Die Justiz greift bei Wohnungseinbrüchen besonders hart durch. Wenn man sich die Statistik ansieht, dann stellt man fest, dass 92 % der erwachsenen Einbrecher in Nordrhein-Westfalen zu Freiheitsstrafen verurteilt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich habe am Anfang schon gesagt, es gibt Überlegungen auf der Bundesebene, an der einen oder anderen Stelle Veränderungen im Strafgesetzbuch vorzunehmen. Es gibt Überlegungen, eventuell minder schwere Fälle anders einzustufen, Wohnungseinbrüche als Verbrechen etc. Das sind Diskussionen, die geführt werden. Die Erhebung von Verkehrsdaten wäre eine Möglichkeit, um die Strafverfolgung effektiver zu machen.
Aber wir haben alle gemeinsam im Rechtsausschuss – insbesondere die Kollegen der Piraten und der FDP – etwas davor gewarnt, vorschnell Veränderungen im Strafrecht vorzunehmen. Wenn wir einzelne Tatbestände verändern, muss das Gesamtgefüge – was wollen wir härter bestrafen, und was wollen wir nicht so hart bestrafen? – ausgewogen bleiben. Das sage ich an anderer Stelle auch immer wieder. Wenn man die ersten Ideen und Äußerungen der CDU nimmt und sagt: „Wir wollen den Einbruch gern stärker bestrafen“, dann dürfen wir nicht das Risiko eingehen, dass zum Beispiel Delikte gegen die Gesundheit wie Körperverletzung oder Raub geringer bestraft werden. Das alles muss bedacht werden.
Ich glaube, unsere Antwort in Nordrhein-Westfalen ist richtig. Wir müssen den Verfolgungsdruck erhöhen. Wir müssen mehr in Prävention investieren. Dann werden wir die Sicherheit in Nordrhein-Westfalen auch weiterhin hochhalten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, zunächst: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bereits im Jahr 2010 haben wir uns hier für unsere Städte und Gemeinden im Land stark gemacht. Wir haben alle gemeinsam an den Bund appelliert, die steigenden Kosten für die vielfältigen sozialen Aufgaben zu übernehmen. Wir haben uns fraktionsübergreifend geeinigt, dass sich der Bund künftig dynamisch an den Soziallasten der Kommunen beteiligen muss.
Ich will noch einmal daran erinnern, wie die Situation 2010 gewesen ist. Von den fast 400 Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen waren 138 im Nothaushalt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erinnere mich sehr gut an die vielen Debatten, die wir im Ausschuss für Kommunalpolitik geführt haben, etwa zu der Frage: Kann die Situation eintreten, dass Kommunen oder Kämmerer irgendwann keine neuen Kredite bekommen? – Sie kennen die Situation vor Ort. Die Räte waren in der Regel entmündigt. Entscheidungen über wichtige kommunale Projekte waren im Rat nicht möglich, ob es die Renovierung von Schulen, der Bau von Kitas, die Beteiligung an Förderprogrammen, die Einrichtung neuer Projekte oder manchmal auch der Kauf des Büromaterials war. Diese Entscheidungen oblagen den Kommunalaufsichten.
Seitdem hat sich viel verändert. Wie ist die Situation heute? – Mit dem „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ haben wir seit 2011 die Kommunen vor dem Abrutschen bewahrt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das GFG ist massiv gestiegen. Es liegt jetzt bei etwa 10,5 Milliarden Mitteln, die den Kommunen unmittelbar zufließen. Heute befinden sich noch neun Kommunen im Nothaushalt. Der Schuldenaufwuchs der Kommunen ist gebremst. Die Frage nach der Kreditvergabe an Städte und Gemeinden stellt sich nicht mehr. Überall läuft die Schuldenuhr rückwärts. Und die Kommunen haben auch Handlungsfreiheit zurückbekommen.
Ich will Ihnen einmal ein Beispiel aus meiner eigenen Heimatstadt nennen: Anfang des Jahres konnte unser Kämmerer mitteilen, dass zum ersten Mal seit über 25 Jahren weniger Kommunalkredite vorhanden sind als noch zu Anfang des vorherigen Jahres. Ich bin jetzt seit 18 Jahren Mitglied des Rats meiner Heimatstadt. Ich kannte bisher keine Debatte über den Haushalt, in dem es nicht um Einsparungen oder um Nothaushalte ging. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist der größte Erfolg dieser Regierung seit 2010. Das merken alle Menschen in diesem Land.
Auch der Bund hat sich bewegt – keine Frage –; besonders seit der Beteiligung der SPD an der Bundesregierung ist Bewegung dort hineingekommen. Ich will einige Stichworte nennen: mehr Kostenbeteiligung bei der Grundsicherung im Alter, mehr Einsatz beim Ausbau der U3-Betreuung, mehr Einsatz bei den Kosten der Unterkunft, mehr Hilfe bei der Her
ausforderung, geflüchtete Menschen in Not unterzubringen. Auch das ist ein Thema in Ihrem Entschließungsantrag.
Ich will es noch einmal deutlich machen: Der Bund beteiligt sich mit rund 17 % an den Kosten. Die restlichen Kosten trägt das Land und hilft damit den Kommunen. Das ist die Wahrheit, und die können Sie auch nicht leugnen.
Sie haben noch einen weiteren Vorschlag eingebracht: Wir sollen die Schulpauschale erhöhen. Was haben wir gemacht? Wir haben das Programm „Gute Schule 2020“ auf den Weg gebracht. Das bringt 2 Milliarden € an konkreter Hilfe für die Kommunen zur Investition in Schulen.
Ihre Forderung nach Erhöhung der Schulpauschale hätte nur rund 750 Millionen € gebracht. Das ist auch die Wahrheit.
Lassen Sie mich noch grundsätzlich die Frage stellen, warum wir uns denn alle gemeinsam so für die Kommunen anstrengen. Das, glaube ich, liegt nicht daran, dass wir hier im Haus fast alle unsere politischen Wurzeln in Stadträten und Bezirksvertretungen haben und dort unsere ersten politischen Schritte gegangen sind. Nein, die Städte und Gemeinden unseres Landes – das ist unsere direkte Nachbarschaft. Läuft es dort schlecht, weil Geld fehlt, dann merken wir das alle sehr direkt. Wir werden überall auf diese Probleme angesprochen – egal, ob in der Großstadt oder im ländlichen Raum.
Martin Schulz hat es sehr treffend formuliert: Jedes Problem landet am Ende in den Rathäusern und Gemeindevertretungen, also auf der kommunalen Ebene. Er lobt ausdrücklich die vielen, die sich auf der kommunalen Ebene engagieren. Er sagt: Das sind die, die in unserem Staat den Alltag organisieren. – In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Sie bringen heute in die Debatte wieder einmal ein bundespolitisches Thema ein. Das ist auch in Ordnung. Strafrecht, das wissen Sie, ist eine Regelungskompetenz des Bundes. Sie haben momentan, das sehe ich ein, keine andere Möglichkeit, das Thema im Deutschen Bundestag anzusprechen.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben durchaus ein sensibles Thema zur Diskussion gestellt. Da teile ich grundsätzlich Ihre Einschätzung: Taschendiebstahl ist unangenehm. Jeder, der schon einmal Opfer von Taschendieben geworden ist, weiß das. Es ist unangenehm, es ist verstörend. Dieser trickreiche Griff in die Innentasche oder in die Handtasche ist belastend. Sie haben, Herr Kollege Lürbke, die Folgen für die Opfer sehr ausdrücklich dargestellt.
Wie hat die Polizei Nordrhein-Westfalen hierauf reagiert? – Meine Damen und Herren, Sie können zum Beispiel einen Blick in die heutige Presseschau werfen. Dort ist sehr umfassend ausgeführt, was beispielsweise die Polizei in Köln gegen Taschendiebstahl unternimmt. Dort heißt es unter anderem: Die Polizei hat ein ausgeklügeltes Konzept. Insbesondere die massive Präsenz zeigt gerade auch in Köln Wirkung, dass dort die Taschendiebstähle zurückgehen.
Was gibt es außerdem? – Seit Jahren gibt es bei Polizei und Staatsanwaltschaften besondere Ermittlungskommissionen, die gemeinsam an diesem Thema arbeiten. Da geht es insbesondere darum, dass man diese Banden – das haben Sie gerade ja auch dargestellt – verfolgt und aufdeckt. Sie haben, wie in Ihrem Antrag bereits dargelegt, hier wiederholt, dass im Wesentlichen gut geschulte Täter – da muss man ja schon ziemlich trickreich sein, um das zu können – arbeitsteilig vorgehen.
Wenn das aber so ist, Herr Kollege Lürbke, dann besteht dafür doch auch ein sehr harter Strafrahmen, den die Justiz in Nordrhein-Westfalen momentan nutzen kann, zur Verfügung. Es gibt die Regelbeispiele des § 243 Nr. 3, nämlich des gewerbsmäßigen Diebstahls, oder gegebenenfalls sogar § 244 „Bandendiebstahl“ – mit Mindeststrafen von sechs Monaten.
Es gibt außerdem zahlreiche große Aufklärungskampagnen. Sie kennen zum Beispiel die großen Hinweisschilder an Flughäfen, an Bahnhöfen, auf Weihnachtsmärkten, überall da, wo viele Menschen zusammenkommen, durch die daran erinnert werden soll, selber ein bisschen mehr darauf zu achten, wer sich einem nähert, um eventuell auch diesen schnellen Griff in die Tasche zu verhindern.
Sie haben dann – das will ich anerkennen – sehr akribisch die Regelbeispiele aufgearbeitet. Ich vermute, dass auch die juristischen Kollegen Ihrer Fraktion intensiv daran mitgewirkt haben, Herr Kollege Wedel. Sie haben das sehr detailliert gemacht und erklären wunderbar, quasi wie im Repetitorium für Studierende, wie das Regel-Ausnahme-Prinzip zu verstehen ist; das ist lesenswert. Das machen Sie sehr genau.
Aber ein Gedanke, meine ich, fehlt. In diesem Punkt haben Sie meines Erachtens nicht weit genug gedacht. Wenn wir jetzt nur den Taschendiebstahl herausnehmen würden – das werden wir ja im Rechtsausschuss noch diskutieren –, dann entsteht aus meiner Sicht ein Wertungswiderspruch. Und diesen Wertungswiderspruch im Gesamtsystem des Strafrechts lösen Sie hier nicht auf.
Ich will Ihnen einen kurzen Fall schildern: Ich komme vom Einkaufen. In meiner Einkaufstüte ist ein Joghurt, der 39 Cent kostet. Der Täter greift in die Tüte und klaut mir den Joghurt. Dann möchten Sie, dass das ein Taschendiebstahl ist, Mindeststrafe drei Monate.
Anderer Fall: Ich gehe abends in Düsseldorf durch die Altstadt, ein Täter kommt auf mich zu, schlägt mir ins Gesicht – Körperverletzung, keine schlimmen Folgen. Da gibt es aber keine Mindeststrafe, es bleibt bei einer Geldstrafe. Diesen Wertungswiderspruch im Gesamtsystem unseres Strafrechts, dass der Diebstahl des Joghurts aus meiner Tüte stärker bestraft wird als der Schlag in mein Gesicht, den müssen wir vielleicht noch einmal intensiv diskutieren.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat es sich in den letzten Jahren sehr bewährt, dass Veränderungen im Strafrecht in Deutschland immer im Ganzen gedacht worden sind. Das heißt, in der Regel haben die Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag nicht einzelne Paragrafen herausgegriffen und verändert, sondern immer darauf geachtet, dass die Taten, die besonders strafwürdig sind, auch in einem entsprechend ausgeglichenen Gesamtgefüge stehen. Dazu rate ich auch bei dieser Debatte. Das wäre aus meiner Sicht hilfreich. Dazu haben wir im Rechtsausschuss auch noch genügend Zeit. Die SPD-Fraktion wird der Überweisung gerne zustimmen. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Redner der CDU-Fraktion hatte ich zwischendurch den Eindruck, er liest uns hier die Überschriften von Tagesordnungspunkten vor, die Sie im Rechtsausschuss beantragt haben. Aber bei der Debatte, lieber Jens Kamieth, bist du dann immer rausgegangen. Etwas anderes kann man aus dieser Rede nicht schließen.
Natürlich gibt eine Haushaltsdebatte immer die Möglichkeit, ein bisschen etwas Grundsätzliches zur Rechtspolitik zu sagen. Das ist auch richtig. Ich glaube, CDU und FDP haben ganz viel Glück, dass ich jetzt hier stehe und zwischen den beiden rede; denn das wäre hier ein Schlagabtausch von ehemaligen Koalitionspartnern geworden, der nicht schön gewesen wäre.
Ich habe hier sehr deutlich wahrgenommen: Wir geben mehr Geld für die Justiz aus, und das ist der größte Fehler in der Rechtspolitik in Nordrhein-Westfalen. – Lieber Jens Kamieth, dann geh bitte mal in die Gerichte. Dann geh auch mal in die Justizvollzugsanstalten und frage danach, was wir in den letzten Jahren gemacht haben. Ich kann es nur deutlich wiederholen: Wir haben seit 2010 1.648 zusätzliche Stellen geschaffen. Diese Stellen helfen, dass wir das, was wir uns als Ziel gesetzt haben, auch umsetzen. Wir haben eine effektivere Justiz und einen deutlich humaneren Strafvollzug.
Heute Morgen war ich auch sehr erschrocken, als es hier um die grundsätzliche Debatte zum Haushalt ging. Da gab es insbesondere von den Kollegen von der CDU sehr viel Applaus für die Forderung, dass man doch einmal 10 % der Stellen pauschal streicht. Genau mit dieser Einstellung freue ich mich auf die Diskussion über die Rechtspolitik. Dann können wir – ich gehe davon aus, dass Herr Kollege Wedel noch darauf eingehen wird – noch einmal über die Belastungszahlen sprechen. Das passt alles überhaupt nicht zusammen. Wir werden auch mit dem Haushalt 2017 zusätzliche Stellen in der Justiz einrichten, um die Belastung bei den ordentlichen Gerichten zu senken. Wir kümmern uns um die Sozialgerichtsbarkeit und werden dort auch der steigenden Belastung gerecht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es besteht eine große Herausforderung; das wissen Sie: die Digitalisierung in der Justiz. Nordrhein-Westfalen wird auch hier Vorreiter bleiben. Ich will es einmal so sagen: Wir legen noch einmal einen Zahn zu: 30 Millionen zusätzliche Sachmittel und für die Übergangszeit auch noch 50 zusätzliche Beschäftigte, die helfen, den größten Wandel in der Justiz oder in der Justizverwaltung der letzten Jahre erfolgreich zu meistern.
Zum Vollzug hat der Kollege Jens Kamieth hier ja schon einige Dinge erzählt. Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir das größte Justizvollzugsmodernisierungsprojekt auf den Weg gebracht haben, um die alten Anstalten zu modernisieren, um moderne Haftplätze zu schaffen.
Dann, lieber Jens Kamieth, hast du hier die JVA Münster angesprochen. Es ist natürlich gefährlich, wenn man als CDU-Politiker die Standortsuche in Münster anspricht. Alle Kolleginnen und Kollegen im Rechtsausschuss wissen sehr genau, woran es scheiterte, dass das Justizministerium und der Bau- und Liegenschaftsbetrieb keinen Platz gefunden haben. Das lag an der Verweigerungshaltung der CDU im Bundesministerium für Verteidigung. Das ist das Problem.
Das werden wir auch in der Anhörung, die für die nächste Sitzung des Rechtsausschusses beantragt ist, sehr deutlich sagen. Aber soweit ich das gesehen
habe, weigert sich euer Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, hier im Landtag Rede und Antwort zu stehen. Diese Frage muss die CDU beantworten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will aber kurz noch auf den Punkt eingehen, dessen wir, SPD und Grüne, uns als Änderungsantrag angenommen haben. Wir werden das Zwei-Säulen-Modell für die Nachsorge in Nordrhein-Westfalen stärken. Wir haben auf der einen Seite den allgemeinen Sozialdienst der Justiz, das, was früher die Bewährungshelfer waren. Wir haben auf der anderen Seite die freiwillige Straffälligenhilfe. Wir haben in sehr intensiven Gesprächen darüber gesprochen: Wie viele Fälle werden da bearbeitet? Wie sieht die finanzielle Deckung dort aus? – Wir haben festgestellt, den freien Trägern müssen wir helfen. Wir haben im letzten Haushalt 700.000 € beantragt, und wir werden in diesem Haushalt noch einmal zusätzlich 1 Million € beantragen und hoffentlich gleich auch gemeinsam beschließen, um den freien Trägern hier unter die Arme zu greifen.
Im Rechtsausschuss gab es ja auch die Diskussion: Wie sind wir eigentlich auf die Zahl gekommen? Ich will dem Kollegen Wedel, der vielleicht gleich etwas dazu sagen wird, eine kleine Antwort geben. Wir haben uns hier sehr umfangreiches Zahlenmaterial geben lassen und haben sehr intensiv und transparent mit den freien Trägern darüber gesprochen. Das sind also keine erfundenen Zahlen, sondern sehr belastbare Zahlen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lade Sie alle ganz herzlich ein, so wie die SPDFraktion dem Einzelplan zuzustimmen. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, Sie wissen, der Wolf ist zurück in Nordrhein-Westfalen; das ist ja häufig zu lesen.
Herr Kollege Dr. Wolf, Sie haben sehr schön eingeleitet, dass sich die nächsten Tagesordnungspunkte alle mit Themen beschäftigen, die ihren Ursprung in der Verfassungskommission haben. Ich finde es auch legitim und nachvollziehbar, dass die Fraktionen nach und nach die Ideen, die dort eingebracht worden sind, noch mal auf den Tisch bringen.
Das hat auch etwas damit zu tun – Sie haben es gerade ausgeführt –, dass es in der Verfassungskommission keine Einzelabstimmung gegeben hat. Daher kommen nun einzelne Vorschläge aus den Fraktionen – nicht aus allen Fraktionen. Ich gebe zu, ich habe keinen Vorschlag von der CDU-Fraktion vernommen. Aber es kann ja sein, dass sich die Kolleginnen und Kollegen noch beraten und gegebenenfalls auch einen Vorschlag machen, wie die Verfassung in Nordrhein-Westfalen ergänzt werden soll.
Meine Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf der FDP diskutieren wir heute nicht nur die Individualverfassungsbeschwerde, sondern es geht auch um einen weiteren Vorschlag: Sollen Verfassungsrichter in Nordrhein-Westfalen künftig die Möglichkeit erhalten, ein individuelles Sondervotum bei den Urteilen abzugeben? – Auch das ist in der Verfassungskommission diskutiert worden. Hier sprechen ebenfalls Gründe dafür und dagegen.
Ich glaube, Sie waren sich aber in der Verfassungskommission einig, dass man das tatsächlich einfachgesetzlich regeln kann. Wenn ich meine Kolleginnen und Kollegen, die Mitglieder der Verfassungskommission sind, frage und ihre Antwort nachvollziehe, kann man darüber wohl noch mal sprechen.
Was die Individualverfassungsbeschwerde selber angeht, gibt es gute Gründe, die dafür sprechen. Aber ich finde, es gibt genauso gute Gründe, die dagegen sprechen. Einige Punkte hatten Sie schon angesprochen. Ich will sie noch ergänzen.
Nach der Föderalismusreform haben die Länder deutlich mehr Kompetenzen. Durch Entscheidungen, die wir hier treffen, können auch Grundrechtsverletzungen hier eintreten. Das ist mit Sicherheit ein Argument, das dafür spricht.
Wir haben außerdem in Nordrhein-Westfalen eigene Landesgrundrechte. Auch da sollten wir selbstbewusst dafür sorgen, dass diese Grundrechte im Konzert der Grundrechte Gehör finden.
Eine Formulierung – sie stammt von Professor Sachs – finde ich sehr schön: Das ist so etwas wie die Subsidiarität umgekehrt.
Die Verfassung – das wäre auch ein schönes Signal – springt damit dem Bürger bei. Das kann auch dazu beitragen, bei den Bürgern eine größere Verankerung für das Verständnis, was hier in NordrheinWestfalen passiert, zu erzeugen.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt natürlich auch Gründe, die dagegen sprechen. Ich sehe momentan keine Rechtsschutzlücke. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land haben die Möglichkeit, sich bei einer eventuellen Grundrechtsverletzung an Karlsruhe zu wenden. Sie haben die Möglichkeit, sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu wenden. Und natürlich sind auch alle Richterinnen und Richter des Landes bei uns aufgerufen, Grundrechte zu überprüfen. Auch bei fachgerichtlichen Entscheidungen sind Grundrechtsfragen mit einzubeziehen.
Unser Rechtsstaat in Nordrhein-Westfalen, Deutschland und Europa bietet den Bürgerinnen und Bürgern mit vielen Gerichten ausreichend Möglichkeiten, unsere gemeinsamen Grund- und Menschenrechte zu verteidigen.
Das waren übrigens auch genau die Argumente der Kolleginnen und Kollegen der FDP in Baden-Württemberg, die sie dort vorgetragen haben, zu sagen: Sie wollen dort keine Individualverfassungsbeschwerde einführen.
Die vielen Rechtswege, die ich eben aufgezeigt habe, können aber auch zu einem zusätzlichen Problem führen. Es wird mit Sicherheit die eine oder andere Diskussion zwischen den jeweiligen Verfassungsgerichten geben. Es kann durchaus zu Konflikten kommen, zum Beispiel bei der Wahrung und bei der Reichweite von Grundrechten. Wir sollten, wenn wir darüber diskutieren, uns auch die Frage stellen: Wollen wir Doppelstrukturen einrichten? Müssen Bürger dann nach Karlsruhe und nach Münster gehen, oder schließt sich das gegenseitig aus, oder werden Rechtswege dadurch unnötig verlängert?
Ich will noch kurz eine rechtliche Frage ansprechen: die Rechtswegerschöpfung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erwartet, dass jemand sämtliche Rechtswege ausschöpft. Dann wäre auch die Frage zu klären, die in der Literatur nicht einheitlich beantwortet wird: Gehört dann eine Individualverfassungsbeschwerde in Nordrhein-Westfalen dazu? Muss man die erheben, bevor man sich an Straßburg wenden kann oder nicht?
Egal, zu wessen Gunsten die Abwägung ausfällt – Herr Dr. Wolf, Sie haben das eben schon zitiert und gesagt, das hätte etwas mit der Ästhetik zu tun; ich meine, das hat etwas mit der Bedeutung zu tun –: Die Entscheidung sollte auch in der Verfassung verankert sein. Daher empfehle ich Ihnen – Sie haben gerade von Einigungsangeboten und Paketlösungen gesprochen –, vielleicht im folgenden Tagesordnungspunkt noch mal den Vorschlag von SPD und Grünen zur Änderung der Verfassung genau anzusehen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Haardt, die CDU-Fraktion hat jetzt aus dem breiten Themenspektrum „Digitaler Wandel in unserer Gesellschaft“ ein Thema herausgegriffen. Lieber Christian Haardt, du hast ja gerade hier erläutert, wir ihr das gemacht habt. Ihr habt das gegoogelt. Ich hoffe, dass die politische Gewichtung nicht immer nach Treffern in Suchmaschinen hier von der CDU vorgetragen wird.
Das Thema „Digitaler Wandel in unserer Gesellschaft“ war auch ein zentrales Thema beim diesjährigen Deutschen Juristentag. Es ist dort sehr vielfältig diskutiert worden. Es gab im Vorfeld auch die eine oder andere sehr spannende Diskussion dazu. Ich erinnere mich an einen Vortrag hier beim Oberlandesgericht in Düsseldorf von Prof. Peifer, der dazu sehr viele Ideen geliefert hat. Es gibt nämlich ganz viele weitere Fragen über den digitalen Nachlass hinaus, die wir gemeinsam diskutieren sollten.
Ich will ein paar nennen: Braucht das BGB zum Beispiel einen neuen Vertragstyp, der besser auf die digitale Welt passt?
Sie kennen das alle. Sie kaufen einen Film in einem Onlinedienst. Dann haben Sie ihn allerdings nicht tatsächlich zu Hause wie mit einer körperlichen DVD. Die Frage stellt sich natürlich: Darf ich den Film dann weiterverleihen? Darf ich ihn verschenken? Kann ich
den vielleicht auch weiterverkaufen? All diese Fragen müssen geklärt werden.
Dann gibt es zum Beispiel die Frage der Rechtsqualität von digitalen Daten. Was sind denn eigentlich digitale Daten? Stehen die sachenrechtlich im Eigentum desjenigen, der sie erworben hat? Kann man daran Sicherheiten bestellen? Kann man die pfänden? Oder was passiert zum Beispiel im Falle einer Insolvenz?
Wenn ich zum Beispiel eine Maschine zur Verfügung stelle und das Unternehmen geht in die Insolvenz, dann wende ich mich an den Insolvenzverwalter und verlange die Aussonderung, die Herausgabe. Wie funktioniert das mit digitalen Daten? Kann es so ähnlich funktionieren?
Dann gibt es noch einmal die zentrale Frage: Gibt es so etwas wie eine digitale Persönlichkeit im Netz? Sie kennen das, es ist eine Binsenweisheit: Das Internet vergisst nichts. Daten, die wir eingeben, Blogeinträge, die dort erscheinen, sogar verwendete Kombinationen in Suchmaschinen bleiben erhalten.
Es gibt inzwischen auch schon sehr einschlägige Prozesse zum Beispiel zu diesem Thema. Es gibt sehr unverfängliche Kombinationen. Wenn ich jetzt bei einer Suchmaschine den Namen Christian Haardt eingebe und dort würde als Ergänzungsvorschlag „CDU“ kommen oder bei meinem eigenen Namen die Ergänzung „SPD“, wäre das sicherlich unverfänglich. Aber Ihnen fallen mit Sicherheit die doch deutlich schwerwiegenderen Kombinationen, die dann vorgeschlagen werden, auf.
Das sind meines Erachtens Fragen, die wir gemeinsam diskutieren sollten. Diese Diskussion sollten wir auch nicht nur den Gerichten überlassen, sondern die Bürgerinnen und Bürger dürfen zu Recht von uns erwarten, dass wir als Gesetzgeber hier auch eine Antwort geben.
Noch kurz zum Thema „Digitaler Nachlass“: Es ist tatsächlich umstritten unter den Fachleuten, ob die Gesamtrechtsnachfolge, die wir im deutschen Erbrecht kennen, ausreicht oder ob es zum Beispiel für bestimmte Plattformen spezielle individuelle Regelungen geben muss. Es gibt Beispiele, da reicht die Vorlage eines Erbscheins. Andere weigern sich partout, Daten, die dort hinterlegt sind, oder Accounts, zum Beispiel in dem von Ihnen geschilderten Fall bei Facebook, freizugeben.
Daneben gibt es ein neues Geschäftsmodell, das ich als sehr dubios ansehe. Das sind die sogenannten digitalen Nachlassverwalter. Die Verbraucherschutzzentralen warnen sehr eindringlich davor, dass man dort für teures Geld angeblich Leistungen bekommt, die einen dann im Falle eines Todes helfen, die digitale Welt für die Erblasser aufzuräumen.
Der von Ihnen im Antrag geschilderte Fall ist sehr tragisch, wenn man sich den Sachverhalt durchliest –
die Entscheidung des Landgerichts, das junge Mädchen, das ums Leben kam. Die Eltern haben eindringlich versucht, bei Facebook irgendeinen Zugang zu diesem Account zu bekommen. Am Ende ist das erst durch Entscheidung des Landgerichts Berlin gelungen. Facebook musste dazu gezwungen werden, die Daten zu übertragen.