Protokoll der Sitzung vom 15.02.2017

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Schmeltzer.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! In der Zusammenfassung dessen, was gewesen ist und was gelaufen ist, mit all den Erfahrungen aus den letzten Jahrzehnten, finde ich bei all den Debatten doch eine recht große Übereinstimmung.

Trotzdem schauen wir doch einmal kurz zurück. Wir schauen sicherlich seit einiger Zeit mit Sorge und mit sehr starken Irritationen auf die Entwicklung der Türkei. Der zum Glück vereitelte Putschversuch, die Vielzahl terroristischer Akte, die bewaffneten Konflikte im Osten der Türkei, die massiven Eingriffe in die Pressefreiheit, die Entlassungen vieler Menschen aus öffentlichen Einrichtungen, das lässt uns um die innere Sicherheit und um die Demokratie in dem Land fürchten, in dem die Wurzeln von rund einer Million nordrhein-westfälischer Männer, Frauen und Kinder liegen.

So sehr wir der Republik Türkei inneren Frieden und demokratische Stabilität wünschen, so wenig können wir es akzeptieren, dass innertürkische Konflikte in Nordrhein-Westfalen ausgetragen werden. Das gilt für alle beteiligten Seiten – egal, ob es um parteipolitische, ethnische oder innerislamische Konflikte geht.

(Beifall von der SPD)

Für die Landesregierung ist deshalb klar, dass die Spitzelaktionen gegen tatsächliche oder auch vermeintliche Anhänger des Predigers Gülen nicht hingenommen werden können. Die Opfer der Denunziationen und Nachstellungen können unseren uneingeschränkten Schutz beanspruchen. Deshalb, Herr Dr. Stamp, hat die Landesregierung kurzfristig bzw. sofort und umsichtig Vorkehrungen getroffen, um die von den Spitzelaktionen betroffenen Personen zu informieren und ihnen die entsprechende Unterstützung anzubieten.

Welche Konsequenzen gegenüber der DİTİB – dem Bundesverband, der auch seinen Sitz hier in Nordrhein-Westfalen hat, aber auch dem Landesverband Nordrhein-Westfalen und den dazugehörigen Moscheegemeinden – zu ziehen sein werden, ist natürlich zum einen von den Ergebnissen der bundesanwaltlichen Ermittlungen abhängig. Das ist schon angesprochen worden. Ich freue mich darüber, zur Kenntnis nehmen zu können, dass die Durchsuchungen am heutigen Tag ein deutliches Signal geben, dass der Generalbundesanwalt hier auch tätig ist. Wir sind auf die Erkenntnisse gespannt. Zum anderen ist das aber natürlich auch vom weiteren Verhalten der DİTİB, und zwar auf allen Ebenen, abhängig.

Die betroffenen Ministerien, die in Kooperationsverhältnissen mit der DİTİB und anderen muslimischen Verbänden stehen, stimmen sich bezüglich des Umgangs mit der DİTİB kontinuierlich eng ab. Auch ich führe immer entsprechende Gespräche, Herr Dr. Stamp – aber sicherlich nicht immer vor der Landespressekonferenz.

Aktuell ist gewährleistet, dass die DİTİB bis auf Weiteres an keiner Beschlussfassung und verbindlichen Vereinbarung mit der Landesregierung beteiligt ist. Das gilt auch für die Arbeit des Beirats für den Islamischen Religionsunterricht in NRW, in dem die DİTİB ihren Sitz ruhen lässt. Das gilt ebenfalls für den Prozess der Statusfeststellung unter Leitung der Staatskanzlei.

Derzeit werden hier die Ergebnisse des erweiterten Gutachtens, das wir im August letzten Jahres in Auftrag gegeben haben, über die Staatsnähe der DİTİB und natürlich auch der anderen islamischen Verbände sowie über die Folgen der türkischen Entwicklungen für den Statusprozess abgewartet. Wir wollen wissen: Wie gibt es definitive Einflussmöglichkeiten, und wie ist die Abhängigkeit tatsächlich vor Ort verankert?

Damit ist insgesamt gewährleistet, dass die Einführung und Gestaltung des islamischen Religionsunterrichts gesetzeskonform und auch in Umsetzung der Integrationsoffensive Nordrhein-Westfalen ge

schieht. Dies ist ein Gebot der Religionsfreiheit, aber auch ein Baustein für gelingende Integration.

Spätestens jetzt erweist es sich als gut und richtig, dass der Prozess der Statusfeststellung nicht übers Knie gebrochen worden ist, sondern der juristischen und religionswissenschaftlichen Begutachtung aller Verbände angemessener Raum gegeben worden ist.

Ebenso gut und richtig ist es, dass alle Fraktionen des Landtages in diesem Prozess mitwirken. Sie sind ja im August letzten Jahres auch direkt über das erweiterte Gutachten informiert worden. Für Ihre Fraktion, die CDU, sitzen Herr Prof. Sternberg und Frau Güler sowie für die FDP Sie selber, Herr Dr. Stamp, in diesem Kreis.

Auch Rheinland-Pfalz und Hessen lassen derzeit die Frage des Einflusses türkisch-staatlicher Stellen auf die DİTİB in besonderen Gutachten untersuchen.

Hessen – es ist gerade schon angesprochen worden – hat allerdings anders als Nordrhein-Westfalen die DİTİB bereits als Religionsgemeinschaft anerkannt. Hier möchte ich – da ergänze ich den Kollegen Mostofizadeh – an Folgendes erinnern: Es war der FDP-Justiz- und -Integrationsminister Hahn, der damals die Anerkennung der DİTİB dort vorangetrieben hat. Er hat meinen Vorgänger, Herrn Kollegen Schneider, für das Vorgehen beschimpft, das wir in Nordrhein-Westfalen gewählt haben. – Auch das müssen Sie bei Ihren Einlassungen hier berücksichtigen, Herr Dr. Stamp.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, auch in Niedersachsen ruhen derzeit die Gespräche zwischen der Landesregierung und dem DİTİB-Landesverband. Auch dort wird die Unabhängigkeit eingefordert.

Ebenso unumstritten ist aber, dass die DİTİB in den vergangenen Jahrzehnten gute und wichtige Dienste für Hunderttausende nordrhein-westfälische Musliminnen und Muslime erbracht hat und wiederholt auch als Brückenbauerin zwischen dem Staat und den Muslimen agiert hat. Das darf bei allen weiteren Diskussionen und Planungen, aber auch bei anstehenden Entscheidungen nicht vergessen werden.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich habe in den letzten Wochen bei vielen meiner Besuche vor Ort auch Angehörige von örtlichen DİTİBGemeinden getroffen, die sich deutlich und auch glaubhaft von den Spitzelaktionen distanziert haben und die sich unmissverständlich als deutsche Muslime verstehen.

In Würdigung all dieser Aspekte ist es kein Widerspruch, von der DİTİB einerseits klare Konsequenzen aus dem Vorgefallenen zu erwarten, andererseits aber weiterhin mit ihr im Gespräch zu bleiben.

Frau Kollegin Güler, es gibt definitiv keinen Generalverdacht gegen alle DİTİB-Gemeinden. Zumindest an dieser Stelle teile ich Ihre Meinung ausdrücklich. Sie sind im Interesse der vielen Menschen, die in den Moscheegemeinden der DİTİB Seelsorge erfahren, Gebetsräume Moscheen besuchen, Beerdigungsdienste in Anspruch nehmen und viele soziale Dienstleistungen nutzen. Das ist ein Fakt, den wir auch zur Kenntnis nehmen müssen und gerne zur Kenntnis nehmen.

Der Bundesverband, aber auch der Landesverband der DİTİB haben sich in den letzten Wochen mehrfach zu den Vorfällen und zur öffentlichen Debatte geäußert. Das nehmen wir wahr. Wir nehmen aber auch wahr, dass Diskussionen innerhalb der DİTİB stattfinden. Auch das erkennen wir durchaus an.

Um verloren gegangenes Vertrauen wiederzugewinnen, bedarf es aber mehr. Ich erwarte von der DİTİB, in erster Linie vom Landesverband in NordrheinWestfalen, den ernsthaften Willen zur Loslösung vom direkten Einfluss türkisch-staatlicher Institutionen. Entsprechende Signale müssen erfolgen, und zwar direkt uns gegenüber, nicht gegenüber den Medien. Ich bin für DİTİB jederzeit erreichbar, meine Damen und Herren.

Die Redezeit.

Richtig ist: Die Umsetzung jeglicher Form der Verselbstständigung hingegen benötigt Zeit und nachhaltige Konzepte.

Wir wissen uns als Landesregierung von NordrheinWestfalen im Ziel mit der Bundesregierung und anderen Landesregierungen einig. Auch die Bundeskanzlerin hat gut daran getan, das in den Türkei-Gesprächen zur Sprache zu bringen.

(Zuruf von der CDU: Sie ist auch eine gute Frau!)

Es ist gut und richtig, wenn wir populistische Schnellschüsse vermeiden, jeglicher Form der Spionage entschieden Einhalt gebieten und den rund 1,5 Millionen Muslimen und Aleviten in unserem Land deutlich machen, dass sie zu uns gehören und bei uns das Grundrecht auf freie Religionsausübung uneingeschränkt wahrnehmen können.

Die Landesregierung hat großenteils in enger Abstimmung mit dem Landtag in der zu Ende gehenden Legislaturperiode den Dialog und die Kooperation mit Muslimen und ihren Organisationen verstetigt und ausgebaut. Sie hat damit eine gute Grundlage für die weitere Konsolidierung des Verhältnisses zwischen Staat und Muslimen geschaffen.

Zu den wesentlichen Aufgaben der nächsten Landesregierung wird es gehören, gemeinsam mit den Muslimen und ihren Organisationen daran zu arbeiten, dass die organisatorische Unabhängigkeit von anderen Staaten realisiert werden kann. Unverzichtbar ist, dass sich DİTİB und die anderen Verbände alsbald zum Ziel der Unabhängigkeit bekennen.

Meine Damen und Herren, gehandelt haben wir an vielen Stellen, insbesondere seit August 2016 durch die Erweiterung des Gutachtens. Alle beteiligten Ressorts haben immer zeitnah reagiert – ich auch, Herr Dr. Stamp. Wenn Ihnen das diesmal zu leise war: Geschenkt! Sonst bin ich Ihnen immer zu laut. Sie müssen sich irgendwann entscheiden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Schmeltzer. – Herr Minister Schmeltzer hat die Redezeit um gut zwei Minuten überzogen. Das heißt, dass jetzt auch die Fraktionen, wenn sie möchten, entsprechend länger reden können. – Frau Kollegin Güler für die CDU-Fraktion ist die nächste Rednerin.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Schmeltzer, „schnell und konsequent“ habe die Landesregierung gehandelt, haben Sie gesagt. Ich habe wirklich eine andere Vorstellung von „schnell und konsequent“.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wie die Landesregierung hier gehandelt hat, war alles andere als schnell und konsequent. Im Gegenteil: Frau Löhrmann wollte erst nichts sagen, Sie genauso wenig. Dann haben Sie sich geäußert. Frau Löhrmann musste nachlegen. Insgesamt war das Bild, das die Landesregierung bei diesem Thema abgegeben hat, alles andere als schnell und vor allem alles andere als konsequent.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Schnell, Herr Schmeltzer – um es vielleicht mal mit dem Wort „Schnellschuss“ zu untermauern –, war die Aussetzung des „dialog forum islam“ von Ihrer Seite. Sie haben angekündigt, dass Sie als Konsequenz aus dieser Spitzelaffäre das „dialog forum islam“ aussetzen, dass es keine Zusammentreffen des „dialog forum islam“ mehr geben wird, bis die Ergänzungen des von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Gutachtens zur Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, sprich DİTİB, vorliegen. Das teilten Sie letzte Woche mit.

Da stelle ich Ihnen an dieser Stelle die Frage: Hat das „dialog forum islam“ Ihrer Ansicht nach wirklich die selbst auferlegten Aufgaben bisher erfüllt, die unter anderem sind: die Verbesserung der Information über Musliminnen und Muslime in Nordrhein-Westfalen oder aber auch die Analyse von Zwangsbarrieren für Musliminnen und Muslime und deren Abbau zur Verbesserung von Bildungs- und Teilhabechancen?

Ich bin nicht der Meinung, dass diese Aufgaben schon erfüllt sind. Deshalb kann ich nicht verstehen, dass Sie aufgrund dieses Ereignisses, was nur die DİTİB betrifft, alle anderen muslimischen Verbände in diesem Beirat mit bestrafen, indem Sie die Sitzungen komplett aussetzen möchten. Es gibt ein deutsches Sprichwort hierfür: Man soll das Kinde nicht mit dem Bade ausschütten – Ich kann das an dieser Stelle auch gerne auf Türkisch sagen: Bir pire için ev yakilmaz. – Das machen Sie gerade. Das ist alles andere als angemessen

(Beifall von der CDU)

und auch nicht das, was Sie hier gerade uns einzureden versucht haben, nämlich dass Sie den Dialog mit den Muslimen intensiv fortführen werden. Das tun Sie eben mit der Aussetzung des Forums nicht.

Richtig ist: Diese Affäre muss Konsequenzen haben. Das haben hier alle Redner auch sehr deutlich gesagt. DİTİB kann auch die Schuld nicht vollständig nach Ankara delegieren. Da bin ich bei Ihnen, Herr Sommer. Ich glaube, das ist gerade nicht ganz deutlich gewesen. Schließlich gehören auch die Religionsattachés eben zu der Struktur der DİTİB. Deshalb kann sie nicht sagen: Das alles war die Diyanet; das hat mit uns nichts zu tun.

Ja, sie muss unabhängig werden. Allerdings wird das – das habe ich gerade schon gesagt – kein Prozess von wenigen Wochen. Was sie allerdings sofort tun muss, ist: aufzuhören, die Interessen der türkischen Regierung auf deutschem Boden auszutragen. Das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich.

(Beifall von der CDU)

Das Organisieren von Demonstrationen für ausländische Politiker gehört ganz deutlich nicht zu den Aufgaben eines Religionsverbandes.

Herr Mostofizadeh, ich weiß nicht, welchen Film Sie hier gerade abgespielt haben. Ich weiß auch nicht, wieso man unbedingt immer die Kollegen anschreien muss, wenn man hier vorne steht und redet.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU und der FDP)