Protokoll der Sitzung vom 16.02.2017

16/14255. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen

bitten. – Das sind die CDU-Fraktion und der fraktionslose Kollege Schulz. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die Piratenfraktion sowie die fraktionslosen Abgeordneten Schwerd und Stüttgen. Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die FDP-Fraktion. – Ich muss das Abstimmungsergebnis korrigieren: Die Piratenfraktion hat mit Ausnahme eines Kollegen gegen den Antrag votiert. Bei den Enthaltungen haben wir jetzt also auch eine Enthaltung aufseiten der Piratenfraktion. Ich hoffe, wir haben jetzt alles klar protokolliert. Damit darf ich festhalten, dass der Entschließungsantrag Drucksache 16/14255 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt ist.

Ich schließe die Beratung zu Tagesordnungspunkt 4 und rufe auf:

5 Gesetz zur Stärkung des freien Mandats und

der Abgeordnetengleichheit

Gesetzentwurf der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/14165

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Piratenfraktion Herrn Kollegen Sommer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne und im Livestream! Worum geht es heute? Es geht um Zulagen für Mitglieder des Landtags aus Fraktionszuweisungen – ein Thema, das es eigentlich seit 16 1/2 Jahren nicht mehr geben dürfte, denn bereits am 21. Juli 2000 hat das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich geurteilt, dass zusätzliche Vergütungen für Abgeordnete verfassungswidrig sind.

Insofern steht § 16 unseres Abgeordnetengesetzes in NRW im Widerspruch zur Bundesgesetzgebung. An der Stelle gilt Art. 31 unseres Grundgesetzes: Bundesrecht bricht Landesrecht. Dementsprechend dürfte es diese selbst gewährten Zulagen aus Fraktionszuweisungen hier gar nicht mehr geben. Ausgenommen sind nur Fraktionsvorsitzende, hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt.

Allerdings machen sowohl SPD wie auch Grüne wie auch CDU wie auch FDP weiter fleißig davon Gebrauch, Zulagen zu zahlen – wahrscheinlich an Vorstände und an Ausschussvorsitzende. Ganz genau kann man es nicht sagen, denn es wird nur die Summe der Zahlungen veröffentlicht, nicht, an wen und vor allen Dingen für welche Funktion es im Einzelnen gezahlt wird.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wir veröffentlichen das! – Zuruf von der SPD: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil! – Zuruf von der CDU: Sie kön- nen ja gleich dazu reden!)

Genau, Sie können gleich dazu reden. Leider habe ich Ihre Namen bis jetzt nicht auf der Rednerliste gesehen. Das finde ich ein bisschen schade.

Das Bundesverfassungsgericht sagt ganz eindeutig: Abgeordnete sind gleich zu behandeln und deshalb auch gleich zu entschädigen. Es bestehe ein zusätzliches Risiko aus Vergütungen von Abgeordnetenlaufbahnen und Einkommenshierarchien, und

dadurch sei die Unabhängigkeit und Gleichheit des Abgeordnetenstatus gefährdet. Wenn das Bundesverfassungsgericht dies sagt, gilt das selbstverständlich für alle deutschen Parlamente.

Interessanterweise schließt sich auch der Landesrechnungshof dieser Rechtsauffassung an, der seit Jahren bemängelt, dass das hier nicht erfolgt. Es ist ein wenig schade, dass hier auch der eigene Rechnungshof seit Jahren ignoriert wird.

Schauen wir uns jetzt einmal genau an, um welche Zahlen es hier geht. Bei einem Volumen von 111,25 Millionen € im Jahr 2012 bis 126,171 Millionen € im Jahr 2015 sind es jeweils knapp 1 % der Summe, die dem Landtag nur für Zulagen und Boni zur Verfügung stehen, und das auch noch rechtswidrig. Das ist unserer Meinung nach nicht richtig.

(Beifall von den PIRATEN)

Sie behandeln also die Abgeordneten im Landtag von NRW ungleich und gefährden damit die Unabhängigkeit des Abgeordnetenmandats.

(Zuruf von der CDU: Das ist doch lächerlich!)

Das zu ändern müsste eigentlich Ihre Pflicht sein: Sie tun es aber nicht. Das verfestigt, nach außen gerichtet, den Eindruck einer Selbstbedienungsmentalität von Politik, und das dürfen wir heute gar nicht mehr so leben. Das hätte nie so gelebt werden dürfen, aber gerade heutzutage ergibt das so überhaupt keinen Sinn.

Wir fordern Sie dementsprechend auf, dieses verfassungswidrige Verfahren einzustellen, denn das würde wieder Vertrauen in die Politik schaffen.

Übrigens hatten wir diese Diskussion im Januar schon einmal: Die Ausrede damals war – die kommt bestimmt gleich wieder –: Der Landtag und die Abgeordneten waren bei der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht nicht Beteiligte des Verfahrens. Jetzt ist es aber beim Bundesverfassungsgericht so: Man muss gar nicht Beteiligter des Verfahrens sein und unterliegt der Rechtsprechung trotzdem.

(Beifall von den PIRATEN)

Dementsprechend fordere ich Sie noch einmal auf: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! Ich freue mich auf jeden Fall auf die Diskussion im Ausschuss.

Ich hoffe, dass ich die letzten paar Sekunden meiner Redezeit anschließend nicht nutzen muss. Wenn doch, haben wir immerhin noch ein bisschen Zeit. – Vielen Dank, bis gleich.

(Beifall von den PIRATEN) )

So weit Herr Kollege Sommer. Vielen Dank. – Nächster Redner ist Herr Kollege Prof. Dr. Bovermann von der SPDFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haben Sie auch manchmal den Eindruck, dass Ihnen ein Gesetzentwurf oder ein Antrag irgendwie bekannt vorkommt? Dann geht es Ihnen wie mir mit dem Gesetzentwurf der Piraten. Am 26. Januar haben wir hier im Landtag einen Antrag der Piraten zum Thema Funktionszulagen mit breiter Mehrheit abgelehnt. Ich hatte in meiner Rede kritisiert, dass die Piraten nicht beschließen lassen können, dass andere Fraktionen einen Gesetzentwurf einbringen. Nun bringen die Piraten diesen Gesetzentwurf selber ein. Gut so!

(Beifall von den PIRATEN)

In dieser Hinsicht haben sie sich also als lernfähig erwiesen.

(Zuruf von der SPD: Ausnahmsweise!)

Allerdings endet die Lernbereitschaft an dieser Stelle auch schon wieder. Der größte Teil des Gesetzentwurfs ist mit der Kopierfunktion erstellt worden.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das kennt ihr ja gar nicht!)

Auf meine Argumente, die zur Ablehnung des Antrages geführt haben, wird leider gar nicht eingegangen. Daher nutze ich gerne hier noch einmal die Gelegenheit, um im Namen von SPD, CDU, Grünen und FDP zu dem Gesetzentwurf Stellung zu nehmen.

Zunächst zu der Frage, ob das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2000 Bindungswirkung für den Bund und die Länder hat! Das damalige Verfahren wurde von ehemaligen Abgeordneten des Thüringer Landtags angestrengt. Streitgegenstand war die Regelung von Zulagen aus Mitteln des Landtagshaushalts. Das Bundesverfassungsgericht urteilte subsidiär als Landesverfassungsgericht, und als Prüfmaßstab diente die thüringische Verfassung bzw. das Abgeordnetengesetz.

Aus alldem folgt, was beispielweise Prof. Udo Steiner, Bundesverfassungsrichter a. D., in dem Rechtsgutachten schreibt, das er für den Bayerischen Landtag erstellt hat. Dort heißt es – ich zitiere –:

„Das Urteil des BVerfG vom 21. Juli 2000 zur Verfassungsmäßigkeit der Gewährung von Funktionszulagen an Abgeordnete entfaltet keine Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG im Verfassungsraum des Freistaates Bayern.“

Und was für Bayern gilt, gilt in diesem Falle auch für Nordrhein-Westfalen.

Ich komme zur zweiten Frage, ob Fraktionen das Recht haben, Vergütungen aus Fraktionsmitteln an Abgeordnete zu zahlen, die besondere Funktionen übernehmen. Als notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens haben Fraktionen das Recht zur Selbstorganisation. Dem steht die Freiheit des Mandats nicht entgegen. Vielmehr folgt die Fraktionsautonomie aus der Mandatsfreiheit.

Auch ein Verstoß gegen die formale Abgeordnetengleichheit liegt nicht vor. Abgeordnete, die besondere Aufgaben für ihre Fraktionen wahrnehmen, werden durch die Fraktionsmitglieder gewählt – und nicht durch das Parlament. Sie erhalten folgerichtig eine Vergütung aus Mitteln der Fraktionen und eben keine weiteren Abgeordnetenbezüge.

Ich darf hier noch einmal aus dem Bericht und den Empfehlungen der Unabhängigen Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts – Deutscher Bundestag, Drucksache 17/12500 – zitieren –:

„Durch die Funktionsvergütungen wird weder die Freiheit noch die formale Gleichheit der Abgeordneten unzulässig beschränkt.“

Drittens habe ich mir dann die Frage gestellt, welches Parlamentarismus-Verständnis – oder sollte ich besser sagen: Unverständnis – hinter der Position der Piraten steht – von Ausnahmen abgesehen, lieber Torsten Sommer.

Ein Hinweis findet sich in der Begründung zum Gesetzentwurf. Dort wird Bezug genommen auf den Verfassungsrechtler Prof. Hans Herbert von Arnim. Dieser ist bekannt als selbsternannter Gralshüter eines Parlamentarismus aus dem 19. Jahrhundert. Er kommt ohne Fraktionen, ohne Berufspolitiker und ohne öffentliche Finanzierung aus, lebt also noch in dieser rückwärtsgewandten Welt.

Einen weiteren Hinweis liefert die Werbung der Piraten für den Livestream zur heutigen Debatte.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Na, na, na!)

Unter der Überschrift „Keine Boni für Abgeordnete“ werden die Funktionszulagen an den Pranger gestellt. Daneben sind vier Geldsäcke – von SPD, CDU, Grünen und FDP – dargestellt: Politik als

Selbstbedienungsladen. Politiker, die sich die Taschen vollmachen. – Das, meine Damen und Herren, ist ein Zerrbild, das die Piraten hier entwerfen.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Die Fakten sprechen eine ganz andere Sprache. Ich habe die Argumente hier noch einmal genannt. Funktionsvergütungen sind Teil eines modernen Parlamentsbetriebs und der notwendigen Binnenorganisation von Fraktionen, die je nach Größe oder Rolle der jeweiligen Fraktion – ob regierungstragend oder oppositionell – unterschiedlich ausgestaltet ist. Auch ich freue mich auf die noch fortzusetzende Diskussion im Hauptausschuss. – Danke schön.