Rainer Bovermann
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich bei diesem Punkt relativ kurz fassen, Herr Marsching.
Das hat nichts mit der Wertigkeit zu tun, sondern wir haben auch diesen Punkt ausführlich in der Verfassungskommission diskutiert. Ich erinnere mich noch an die Anhörung im September 2014 – es ist schon etwas länger her –, bei der sich die Befürworter und die Kritiker einer Absenkung des Eingangsquorums bei Volksbegehren die Waage hielten. Ich erspare uns die Wiederholung der Argumentationslinien. Diese sind in den Protokollen der Verfassungskommission, die ja öffentlich sind, nachlesbar.
Letztendlich landete auch dieser Punkt zusammen mit der Wahlalter- und Wahlrechtsfrage, den Parlamentsquoren, der Individualverfassungsbeschwerde und der Schuldenbremse in dem heute schon häufig zitierten politischen Korb. In den verschiedenen Spitzengesprächen zwischen den Fraktionsvorsitzenden und den Obleuten wurde immer wieder versucht, nach Kompromissen zu suchen. Hier wurde am Ende ein Papier von SPD und Grünen vorgelegt – übrigens der einzige konstruktive schriftliche Vorschlag, der in dieser Verhandlungsphase vorgelegt wurde. Trotzdem war allen Beteiligten klar, dass es nur eine Gesamtlösung geben könne.
Insofern kann man also nicht, liebe Piraten, wie in eurem Gesetzentwurf davon sprechen, es habe einen Kompromiss in der Frage der Absenkung der Eingangsquoren gegeben, mit dem alle Fraktionen einverstanden waren. Die Piraten selbst hatten zeitweilig auch für eine Absenkung oder sogar komplette Streichung der Quoren votiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gerade bei Tagesordnungspunkt 7 erlebt, dass auch der letzte Versuch einer Lösung für den gesamten politischen Korb an der Frage des Wahlalters gescheitert ist. CDU und FDP mochten – die einen aus wahltaktischen Gründen, die anderen aus koalitionspolitischen Gründen – nicht einmal ihrem eigenen Angebot zustimmen, das Wahlalter aus der Verfassung herauszunehmen und in der neuen Wahlperiode einfachgesetzlich zu regeln.
Damit gibt es leider auch keine verfassungsändernden Mehrheiten für die anderen Punkte aus dem politischen Korb. Wir werden daher dem isoliert gestellten Gesetzentwurf der Piraten wie schon im Hauptausschuss nicht zustimmen. Das ändert natürlich nichts daran, dass sich die SPD weiter dafür einsetzen wird, mehr repräsentative und mehr direkte Demokratie zu wagen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Unterschied zu dem vorhergehenden Tagesordnungspunkt ist die Frage der Erleichterung von Volksbegehren in der Verfassungskommission nur am Rande behandelt worden. In der schon angeführten Anhörung von 2014 waren die Sachverständigen gebeten worden, sonstige Hürden für die Durchführung direktdemokratischer Verfahren zu benennen. Nur ein Sachverständiger hat damals eine Verlängerung der Eintragungsfristen gefordert. Auch in den nachfolgenden Verhandlungen war dieser Punkt kein Thema mehr.
Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der Piraten hat der Hauptausschuss ein schriftliches Anhörungsverfahren durchgeführt. Dabei wurde von den Sachverständigen und den kommunalen Spitzenverbänden insbesondere auf den hohen Verwaltungsaufwand für die Kommunen hingewiesen. Die Kommunen
müssten zusätzlich Räumlichkeiten und Personal bereitstellen, wenn die Frist für die amtliche Listenauslegung auf zwölf Monate verlängert wird.
Insgesamt wurde kein Handlungsbedarf für eine Gesetzesänderung gesehen. Selbst der Verein Mehr Demokratie – sonst immer glühender Befürworter direkter Demokratie – hat in seiner Stellungnahme keine weiteren Proargumente angeführt und sieht andere Erleichterungen für wichtiger an.
Außerdem gibt es keine empirischen Belege für die These, dass es sich bei der bisherigen Frist für die amtliche Listenauslegung um eine Hürde für das Zustandekommen eines Volksbegehrens handelt. Vielmehr spricht vieles dafür, dass interessierte Bürger eher am Anfang der Unterschriftensammlung unterschreiben, wenn das Thema aktuell ist.
Zudem ist die freie Unterschriftensammlung, die ja erst mit dem Ersten Gesetz zur Erleichterung von Volksbegehren 2011 eingeführt wurde, das mobilisierende Instrument, das auch dem Grundgedanken direkter Demokratie entspricht. Auf Marktplätzen und in Fußgängerzonen dürften die Bürger eher anzusprechen sein, während der Gang zum Rathaus schon einen gewissen Aufwand erfordert.
Um weitere Erfahrungen zu sammeln, sollte das aktuelle Volksbegehren abgewartet und ausgewertet werden. Das von den Piraten gewünschte sofortige Inkrafttreten der neuen Fristen würde ohnehin in ein laufendes Volksbegehren eingreifen, und die Stelle müsste im Gesetzentwurf entsprechend geändert werden.
Schließlich zeigt auch der vergleichende Blick auf andere Bundesländer, dass die Regelung in NordrheinWestfalen ausreicht und eine Änderung nicht notwendig ist. In den meisten Ländern gibt es entweder eine freie Unterschriftensammlung oder eine amtliche Listenauslegung. Nur wenige Länder sehen beide Möglichkeiten mit gleicher Dauer vor. Ein statistischer Zusammenhang von Fristen und dem Zustandekommen von Volksbegehren ist nicht erkennbar.
Nordrhein-Westfalen hat mit zwölf Monaten die längste Frist für die freie Unterschriftensammlung. Das ist demokratie- und bürgerfreundlich.
Zusammenfassend zitiere ich den Sachverständigen Prof. Morlok aus seiner Stellungnahme:
„Insgesamt scheint somit die vorgeschlagene Gesetzesänderung nicht erforderlich.“
Zitat Ende.
Dem ist nichts hinzuzufügen – außer der Aussage, dass die SPD diesem Gesetzentwurf wie schon im Hauptausschuss nicht zustimmen wird. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haben Sie auch manchmal den Eindruck, dass Ihnen ein Gesetzentwurf oder ein Antrag irgendwie bekannt vorkommt? Dann geht es Ihnen wie mir mit dem Gesetzentwurf der Piraten. Am 26. Januar haben wir hier im Landtag einen Antrag der Piraten zum Thema Funktionszulagen mit breiter Mehrheit abgelehnt. Ich hatte in meiner Rede kritisiert, dass die Piraten nicht beschließen lassen können, dass andere Fraktionen einen Gesetzentwurf einbringen. Nun bringen die Piraten diesen Gesetzentwurf selber ein. Gut so!
In dieser Hinsicht haben sie sich also als lernfähig erwiesen.
Allerdings endet die Lernbereitschaft an dieser Stelle auch schon wieder. Der größte Teil des Gesetzentwurfs ist mit der Kopierfunktion erstellt worden.
Auf meine Argumente, die zur Ablehnung des Antrages geführt haben, wird leider gar nicht eingegangen. Daher nutze ich gerne hier noch einmal die Gelegenheit, um im Namen von SPD, CDU, Grünen und FDP zu dem Gesetzentwurf Stellung zu nehmen.
Zunächst zu der Frage, ob das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2000 Bindungswirkung für den Bund und die Länder hat! Das damalige Verfahren wurde von ehemaligen Abgeordneten des Thüringer Landtags angestrengt. Streitgegenstand war die Regelung von Zulagen aus Mitteln des Landtagshaushalts. Das Bundesverfassungsgericht urteilte subsidiär als Landesverfassungsgericht, und als Prüfmaßstab diente die thüringische Verfassung bzw. das Abgeordnetengesetz.
Aus alldem folgt, was beispielweise Prof. Udo Steiner, Bundesverfassungsrichter a. D., in dem Rechtsgutachten schreibt, das er für den Bayerischen Landtag erstellt hat. Dort heißt es – ich zitiere –:
„Das Urteil des BVerfG vom 21. Juli 2000 zur Verfassungsmäßigkeit der Gewährung von Funktionszulagen an Abgeordnete entfaltet keine Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG im Verfassungsraum des Freistaates Bayern.“
Und was für Bayern gilt, gilt in diesem Falle auch für Nordrhein-Westfalen.
Ich komme zur zweiten Frage, ob Fraktionen das Recht haben, Vergütungen aus Fraktionsmitteln an Abgeordnete zu zahlen, die besondere Funktionen übernehmen. Als notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens haben Fraktionen das Recht zur Selbstorganisation. Dem steht die Freiheit des Mandats nicht entgegen. Vielmehr folgt die Fraktionsautonomie aus der Mandatsfreiheit.
Auch ein Verstoß gegen die formale Abgeordnetengleichheit liegt nicht vor. Abgeordnete, die besondere Aufgaben für ihre Fraktionen wahrnehmen, werden durch die Fraktionsmitglieder gewählt – und nicht durch das Parlament. Sie erhalten folgerichtig eine Vergütung aus Mitteln der Fraktionen und eben keine weiteren Abgeordnetenbezüge.
Ich darf hier noch einmal aus dem Bericht und den Empfehlungen der Unabhängigen Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts – Deutscher Bundestag, Drucksache 17/12500 – zitieren –:
„Durch die Funktionsvergütungen wird weder die Freiheit noch die formale Gleichheit der Abgeordneten unzulässig beschränkt.“
Drittens habe ich mir dann die Frage gestellt, welches Parlamentarismus-Verständnis – oder sollte ich besser sagen: Unverständnis – hinter der Position der Piraten steht – von Ausnahmen abgesehen, lieber Torsten Sommer.
Ein Hinweis findet sich in der Begründung zum Gesetzentwurf. Dort wird Bezug genommen auf den Verfassungsrechtler Prof. Hans Herbert von Arnim. Dieser ist bekannt als selbsternannter Gralshüter eines Parlamentarismus aus dem 19. Jahrhundert. Er kommt ohne Fraktionen, ohne Berufspolitiker und ohne öffentliche Finanzierung aus, lebt also noch in dieser rückwärtsgewandten Welt.
Einen weiteren Hinweis liefert die Werbung der Piraten für den Livestream zur heutigen Debatte.
Unter der Überschrift „Keine Boni für Abgeordnete“ werden die Funktionszulagen an den Pranger gestellt. Daneben sind vier Geldsäcke – von SPD, CDU, Grünen und FDP – dargestellt: Politik als
Selbstbedienungsladen. Politiker, die sich die Taschen vollmachen. – Das, meine Damen und Herren, ist ein Zerrbild, das die Piraten hier entwerfen.
Die Fakten sprechen eine ganz andere Sprache. Ich habe die Argumente hier noch einmal genannt. Funktionsvergütungen sind Teil eines modernen Parlamentsbetriebs und der notwendigen Binnenorganisation von Fraktionen, die je nach Größe oder Rolle der jeweiligen Fraktion – ob regierungstragend oder oppositionell – unterschiedlich ausgestaltet ist. Auch ich freue mich auf die noch fortzusetzende Diskussion im Hauptausschuss. – Danke schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Art. 30 Abs. 5 der Landesverfassung in der aktuellen Fassung, Herr Marsching, heißt es – ich zitiere –:
„Abgeordnete können sich zu Fraktionen zusammenschließen. Die Fraktionen wirken mit eigenen Rechten und Pflichten an der Erfüllung der Aufgaben des Landtags mit. Zu Ihren Aufgaben gehören die Koordination der parlamentarischen Tätigkeit und die Information der Öffentlichkeit. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen. Zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben ist den Fraktionen eine angemessene Ausstattung zu gewährleisten. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung des Landtags oder ein Gesetz.“
Auf Vorschlag der Verfassungskommission, deren Vorsitzender ich war, hat der Landtag in der Sitzung am 5. Oktober 2016 diesen Absatz in die Verfassung aufgenommen. Weder haben die Piraten seinerzeit zugestimmt noch scheint die Bedeutung dieser verfassungsrechtlichen Verankerung im Bewusstsein aller Piraten angekommen zu sein.
Fraktionen sind ein tragendes Element der parlamentarischen Willensbildung, und zwar sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch aus der Sicht der Politikwissenschaft, die von Fraktionsparlamenten spricht.
Zur besonderen Rolle der Fraktionen gehört auch ihr Recht zur Selbstorganisation. Sie erhalten nach dem
Fraktionsgesetz Geldleistungen zur eigenen Bewirtschaftung, und nach dem Abgeordnetengesetz dürfen sie besondere parlamentarische Aufgaben, die Abgeordnete für ihre Fraktion wahrnehmen, vergüten.
Ich komme jetzt zum Antrag der Piraten. Die Piraten berufen sich – Herr Marsching hat das gerade auch getan – in der Begründung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2000 und leiten daraus die Forderung ab, zukünftig keine Funktionszulagen mehr an Mitglieder des Landtags zu zahlen.
Hier hätte ein Blick auf die Verfahrensbeteiligten und auf das Streitobjekt weitergeholfen. Das Verfahren bezog sich nämlich auf das Thüringer Abgeordnetengesetz, das Zulagen aus Mitteln des Landtagshaushaltes vorsah. Das Bundesverfassungsgericht war hierbei als Ersatz für das noch nicht existente Landesverfassungsgericht tätig. Das Urteil hat mithin weder Bindungskraft für den Bund noch für andere Länder. Diese Rechtsposition wird auch von der Kommission des Deutschen Bundestages vertreten, der Unabhängigen Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts.
Eine Übertragbarkeit auf NRW ist auch deshalb nicht gegeben, weil es sich im Unterschied zu Thüringen bei uns um Funktionszulagen aus eigenen Mitteln der Fraktionen handelt.
Kommen wir nun zu dem Beschlussvorschlag des Antrags: Die Piraten wollen alle Fraktionen verpflichten, in der Februarsitzung einen gemeinsamen Gesetzentwurf einzubringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre mir völlig neu, dass eine Fraktion die anderen Fraktionen verpflichten kann, einen Gesetzentwurf einzubringen.
Es besteht zwar das Recht der Fraktionen, aber keine Verpflichtung, so etwas zu tun.
Ein solcher Gesetzentwurf hätte auch kaum Aussicht auf Erfolg. Die Fraktionen von SPD, CDU, Grünen und FDP haben bereits in der Stellungnahme gegenüber dem Landesrechnungshof erklärt, dass sie keinen Ergänzungs- oder Änderungsbedarf sehen – mit einer Ausnahme. Wir sollten in der nächsten Legislaturperiode noch einmal über das Thema „Transparenz und Offenlegung der Zulagen“ sprechen. Am besten tun wir das im Rahmen der Überarbeitung von Fraktions- und Abgeordnetengesetz.
Kurz zusammengefasst: Der Antrag der Piraten ist abzulehnen, weil er erstens die Fraktionsautonomie verletzt, zweitens ein nichtbindendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugrunde legt und drittens in seinem Beschlussteil ein zumindest fragwürdiges
Verständnis von den parlamentarischen Abläufen enthüllt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von der Piratenfraktion!
„Politikberatung hat die Aufgabe, einerseits Forschungsergebnisse aus dem Horizont leitender Interessen … zu interpretieren, und andererseits Projekte zu bewerten, und solche Programme anzuregen und zu wählen, die den Forschungsprozess in die Richtung praktischer Fragen lenken.“
Dieses Zitat – Herr Dr. Paul wird es wahrscheinlich wissen – stammt von Jürgen Habermas, der sich schon in den 60er-Jahren in seinem Aufsatz mit dem Verhältnis von verwissenschaftlichter Politik und öffentlicher Meinung beschäftigt hat. Seitdem ist das Thema „Politikberatung“ immer wieder Gegenstand von Debatten gewesen.
Nachdem in diesem Parlament bislang nur Herr Witzel mit einer Reihe von Kleinen Anfragen zur Rolle von Gutachten versucht hat, auf sich aufmerksam zu machen, greifen nun auch die Piraten mit ihrer Großen Anfrage das Thema auf. Dafür ist Ihnen erst einmal zu danken, ebenso der Landesregierung für die Beantwortung der Großen Anfrage 21.
Nun hätte ich allerdings von den Piraten erwartet, dass man sich in Anknüpfung an den wissenschaftlichen Diskurs und nicht nur oberflächlich mit dem Thema auseinandersetzt.
Habermas selbst hatte während seiner Zeit für ein pragmatisches Beratungsmodell plädiert, in dem Wissenschaft und Politik in einem kritischen Wechselverhältnis zueinander stehen sollten. Natürlich spielte bei ihm die Öffentlichkeit als dritter Akteur in
diesem Kommunikationsprozess eine ganz zentrale Rolle.
Auch wenn klar ist, dass dieses Modell die Wirklichkeit nur unzureichend abbildet, hätte sich meines Erachtens eine Reihe von interessanten Anknüpfungspunkten ergeben, um die heutige Beratungslandschaft zu betrachten. So wäre sicherlich die Frage nach den unterschiedlichen Vermittlungsfunktionen zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sinnvoll gewesen. Auch hätten die verschiedenen Angebote auf dem Beratungsmarkt in Form von kommerziellen Anbietern, parteinahen und scheinbar unabhängigen Stiftungen und dem kleinen Kreis wissenschaftlicher Politikberatungseinrichtungen betrachtet werden können. Schließlich wäre auch die Frage zu beantworten gewesen: Was ist eigentlich gute und was ist schlechte Politikberatung?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, leider haben die Piraten mit ihrer Großen Anfrage diese interessanten Themen verfehlt. Von vornherein konzentrieren sie sich auf eine Denkfabrik, die Bertelsmann Stiftungsgruppe bzw. Unternehmensgruppe.
Auch verfolgen sie mit ihren Fragen nicht wirklich das Ziel der Erkenntnisgewinnung, sondern vielmehr die Bestätigung ihrer Vorurteile. Das kann man an der Vorbemerkung zu ihrer Großen Anfrage erkennen. Diese sagt eigentlich mehr über die Fragesteller aus als über den Gegenstand der Befragung.
So wird die Bertelsmann Stiftung von vornherein als wirtschaftsliberal etikettiert, was man zumindest einmal diskutieren müsste. Der Wettbewerb als Steuerungsinstrument und das bürgerschaftliche Engagement würden gegenüber der demokratischen Gestaltung und dem Sozialstaat dominieren, heißt es. Dass die Stiftung die Mission ihres Stifters verfolgt, eigene Projekte fördert und versucht, Einfluss auf die öffentliche Meinung und die Politikentscheider auszuüben, kann eigentlich nicht überraschen, sondern ist für diese Form der Politikberatung gerade konstitutiv. Und der Vorwurf, die Bertelsmann Stiftung schließe wissenschaftlichen Pluralismus durch ihre Satzung von vornherein aus, läuft ins Leere, denn bei der Stiftung handelt es sich gerade nicht um wissenschaftliche Politikberatung.
Meine Damen und Herren, in der Beantwortung der Großen Anfrage listet die Landesregierung die Beratungsleistungen, Gutachten, Stellungnahmen, Veranstaltungen und Kontakte auf, die im Verhältnis von Exekutive und Stiftung eine Rolle spielen. Einen Schwerpunkt bilden dabei die Kooperationsprojekte insbesondere mit den drei Bildungsministerien.
Übrigens haben alle Landesregierungen unabhängig von der politischen Farbe auf die Expertise der Stiftung zurückgegriffen, wenn auch interessanterweise in ganz unterschiedlicher Form – das ist gerade schon erwähnt worden –, beispielsweise die
schwarz-gelbe Landesregierung beim Hochschulfreiheitsgesetz, die rot-grüne Landesregierung im Bereich der Prävention.
Die Relevanz mancher Daten, die von den Piraten erfragt wurden, erschließt sich mir allerdings nicht. Ebenso, im Unterschied zu Herrn Dr. Paul, finde ich keine Belege für die von ihnen in der Vorbemerkung vorgetragenen Thesen.
Bemerkenswert scheint mir die Beantwortung der Frage zur demokratietheoretischen Einschätzung. Hier verweist die Landesregierung meines Erachtens zu Recht auf die Trennung zwischen den demokratisch legitimierten politischen Entscheidungsträgern und den Institutionen der Politikberatung. Der Pluralismus wird dadurch gewährleistet, dass die Landesregierung nicht nur mit der Bertelsmann Stiftung, sondern mit vielen unterschiedlichen Beratungseinrichtungen zusammenarbeitet. Auch die Kontrolle ist durch die Fachlichkeit in den Ministerien und im wissenschaftlichen Diskurs gegeben. Schließlich hatte sich die Landesregierung selbst den Regeln der Good Governance unterworfen.
Meine Damen und Herren, das heißt nun nicht, dass man alles gut finden muss, was die Bertelsmann Stiftung an Ratschlägen erteilt. Kritik ist notwendig und berechtigt, zum Beispiel bezüglich des Reform- oder Hochschulrankings. Allerdings sollte man sich vor Pauschalurteilen hüten. Erst die konkrete Untersuchung anhand von Fallbeispielen kann hier Aufschluss über die Funktionen von Politikberatung geben. Meines Erachtens ist die Kooperation bei dem Projekt „Kein Kind zurücklassen“ zwischen Landesregierung und der Bertelsmann Stiftung unter Einbeziehung der Wissenschaft ein gutes Beispiel dafür, welche Möglichkeiten Politikberatung auch bieten kann. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es schon gehört: Neben der Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre hat sich die Verfassungskommission auch mit der Frage der Einführung eines Wahlrechts für Nicht-EU-Bürger auf kommunaler Ebene befasst. Dieser Punkt gehörte zu dem schon oft angesprochenen politischen Korb, für den dann letztlich keine Zweidrittelmehrheit zustande kam.
Bei der Diskussion um ein Wahlrecht für alle spielten sowohl politische als auch verfassungsrechtliche Argumente eine Rolle. Ich beginne einmal mit der politischen Argumentation und einem Zitat meines Kollegen Prof. Korte aus der Anhörung der Verfassungskommission:
„Wer nur Beteiligung anbietet, ohne dass dies am Ende in ein Wahlrecht mündet, wird oft dabei erwischt, lediglich eine Beteiligungssimulation aufzubauen.“
Meine Damen und Herren, Integration ist nur mit echter Partizipation möglich.
Diesem Gedanken widerspricht, dass Menschen aus Drittstaaten mit uns zusammenleben und ebenso wie wir von kommunalpolitischen Entscheidungen betroffen sind, aber ihre kommunalen Vertreterinnen und Vertreter nicht selbst wählen dürfen. Hinzu kommt, dass sie gegenüber den EU-Bürgern, die über das kommunale Wahlrecht verfügen, ungleich behandelt werden. Das verstärkt die Spaltung unserer Gesellschaft – mit Folgen für die demokratische Legitimation.
Die Forderung nach einem Kommunalwahlrecht für Drittstaatenangehörige ist in der Gesellschaft breit
verankert. Zu keinem anderen Thema hat die Verfassungskommission so viele Eingaben erhalten.
Darunter waren zahlreiche Beschlüsse von Räten und Integrationsräten aus Kommunen mit ganz unterschiedlicher politischer Couleur. Der Landesintegrationsrat hat in mehreren Kampagnen auf das Thema aufmerksam gemacht. Die Initiative „Kommunales Wahlrecht für alle“, in der mehr als 90 Migrantenorganisationen zusammengeschlossen sind, hat eine umfangreiche Unterschriftenliste eingereicht.
Es gibt sogar eine repräsentative Umfrage von infratest dimap aus dem Jahr 2015, nach der in Nordrhein-Westfalen 62 % der Befragten für ein Kommunalwahlrecht für Ausländer waren. Dabei bestand selbst bei CDU-Anhängern mit 52 % zu 41 % eine Mehrheit dafür. Während sich die FDP in Programmen und Statements schon einmal grundlegend positiv zu einer Ausweitung des Wahlrechts geäußert hat, versteckt sich die CDU bisher hinter dem Verweis auf das Einbürgerungsrecht.
Meine Damen und Herren, wir können festhalten, dass es mehrheitlich den politischen Wunsch nach einem kommunalen Wahlrecht für alle gibt. Warum wird dieser Wille nicht umgesetzt?
Es gibt verfassungsrechtliche Bedenken. Sie stützen sich auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts aus den 90er-Jahren. Dabei wird eine scheinbar lückenlose Argumentationskette aufgebaut. Sie reicht vom Demokratiegebot über die Definition des deutschen Volkes als Staatsvolk und die Homogenitätsklausel bis hin zu den Wahlrechtsgrundsätzen. Am Ende bleibt angeblich kein Entscheidungsspielraum.
Prof. Löwer hat in der Aussprache zur Anhörung über die Entscheidung des Verfassungsgerichts von vor 20 Jahren gesagt:
„Aber es besteht natürlich kein Versteinerungsgebot. Die Bindungswirkung trägt auch ihre Überwindbarkeit latent in sich.“
Eine Weiterentwicklung des Verfassungsrechts ist also möglich. Wir wissen nicht, wie das Gericht heute urteilen würde.
Unter dem Staatsvolk können alle Menschen verstanden werden, die einer konkreten Staatsgewalt unterworfen sind.
Dem kommt entgegen, dass auch der Begriff des deutschen Volkes im Art. 28 GG ohne Erwähnung bleibt. Auch von einer Homogenität des Wahlrechts kann angesichts der sehr unterschiedlichen Wahlsysteme in 16 Ländern kaum mehr die Rede sein. Schließlich gibt es bereits eine Ausnahmeklausel für
die EU-Bürger, und damit eine erste Erweiterung des Allgemeinen Wahlrechts.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seien wir also mutig. Nutzen wir die Spielräume. SPD, Grüne und Piraten schlagen dazu eine Änderung der Verfassung vor. Prüfen Sie sehr sorgfältig, ob Sie dem folgen können, und setzen Sie nach Möglichkeit ein Zeichen für mehr Integration durch mehr Partizipation. – Danke schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Innenminister Willi Weyer leitete 1964 die Einbringung eines Gesetzentwurfs zur Verfassungsänderung mit folgenden Worten ein – ich zitiere –:
„Wenn man die Urschrift der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen in einem gläsernen Schrein auf Samt gebettet in der Eingangshalle dieses Hohen Hauses öffentlich zur Schau stellen würde, so würden neben den zahlreichen Schulklassen nur wenige Aktivbürger dieses Landes an diesem Schrein vorbeidefilieren, und kaum einer von ihnen würde den ehrwürdigen Schauer empfinden, der heute noch die Besucherströme kennzeichnet, die in Washington an der 175-jährigen Verfassungsurkunde der Vereinigten Staaten von Amerika täglich vorüberziehen.
Gleichwohl oder gerade deshalb ist es ein außergewöhnlicher, ja sogar besonderer Tag, an dem der Landtag sich daran begibt, die Verfassung des Landes zu ändern, und damit das Podium des Verfassungsgebers betritt. Dies gilt zunächst einmal ohne Rücksicht auf Rang und Umfang der in Betracht gezogenen Verfassungsänderung; dies gilt mit Rücksicht auf den Rang, der der Lex fundamentalis dieses Landes gebührt.“
Meine Damen und Herren, Herr Weyer spricht nicht nur die geringe Bekanntheit der Landesverfassung an, die im Schatten des Grundgesetzes existiert, sondern auch den Ausnahmecharakter von Verfassungsänderungen in Nordrhein-Westfalen.
In der Tat sind Verfassungsänderungen hier eher selten. Insgesamt ist die Verfassung bisher nur in 20 Fällen geändert worden. Das liegt sicher auch daran, dass man Bewährtes nicht verändern muss; denn – darin sind wir uns doch alle hier in diesem Hohen Hause einig, meine Damen und Herren – NordrheinWestfalen hat eine gute Verfassung.
Gleichwohl sind Verfassungen nicht auf Ewigkeit und in Stein gemeißelt. Nach heutigem Verständnis stehen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit in einem Spannungsverhältnis, das von Zeit zu Zeit Anpassungen erforderlich macht.
Bisher sind stets einzelne Änderungen vorgenommen worden – entweder solche, die durch die Regierung oder durch regierungstragende Fraktionen eingebracht wurden, oder solche, die durch die Opposition eingebracht wurden.
Nun hat der Landtag nach 60 Jahren einen neuen Weg beschritten. Die Kommission zur Reform der Nordrhein-Westfälischen Verfassung wurde von allen Fraktionen beauftragt, einen kompletten Teil der Verfassung – ca. 60 Artikel – zu überprüfen. Es wird noch zu zeigen sein, inwieweit diese Besonderheit auch die Arbeit der Kommission geprägt hat.
Meine Damen und Herren, die Verfassungskommission ist im Juli 2013 eingesetzt worden. Nun, nach drei Jahren Beratungen, liegt Ihnen der Abschlussbericht vor, der in der letzten Sitzung am 27. Juni dieses Jahres mit den Stimmen von SPD, CDU, Grünen und FDP verabschiedet worden ist.
Der Bericht dokumentiert erstens den Arbeitsprozess. Er präsentiert zweitens die Ergebnisse in Form von Änderungsvorschlägen. Der Bericht enthält drittens auch die Punkte, bei denen kein Konsens gefunden werden konnte.
Auf alle drei Aspekte möchte ich im Folgenden gerne eingehen, vorher aber noch einmal kurz den Einsetzungsbeschluss in Erinnerung rufen.
Die Verfassungskommission hatte den Auftrag, den dritten Teil der Landesverfassung zu überprüfen und dem Landtag Ergänzungs- und/oder Streichungsvorschläge für eine moderne, zukunftsfähige Verfassung zu unterbreiten.
Ähnlich wie bei Enquetekommissionen gehörten dem Gremium neben den Abgeordneten je ein Sachverständiger pro Fraktion als beratende Mitglieder an. Auch die Landesregierung und die kommunalen Spitzenverbände waren beratend vertreten.
Die Kommission sollte überparteilich, konsensual, transparent und ergebnisoffen arbeiten.
Die konsensuale Ausrichtung wurde dadurch verstärkt, dass Entscheidungen nur mit einer Zweidrittelmehrheit zu treffen waren.
Um die Transparenz zu gewährleisten, waren alle Sitzungen der Kommission öffentlich und wurden im Internet übertragen. Außerdem waren alle Dokumente frei einsehbar.
Schließlich sah der Einsetzungsbeschluss nicht nur die Information der Öffentlichkeit vor, sondern auch deren effektive und umfassende Mitwirkung. Die Bürgerinnen und Bürger konnten sich sowohl auf klassischem Weg als auch durch E-Mails und Blogeinträge direkt an die Kommission wenden.
Ich komme nun zum eigentlichen Arbeitsprozess der Kommission. In einem ersten Schritt mussten die im Einsetzungsbeschluss aufgelisteten Punkte in einen
sinnvollen Zusammenhang und eine zeitliche Abfolge gestellt werden. Dazu wurden vier Themenkomplexe gebildet:
1. Parlamentarismus und Landesregierung
2. Partizipation
3. Schuldenbremse
4. Kommunen und Verfassungsgerichtshof
Für den weiteren Verlauf der Kommissionsarbeit war entscheidend, die aufgeworfenen Fragen nicht Punkt für Punkt abzuhandeln, sondern nach dem Motto „Alles hängt mit allem zusammen“ in einem Gesamtzusammenhang zu verhandeln.
Das erforderte die Suche nach Kompromissen sowohl innerhalb der Themenkomplexe als auch übergreifend. Ein solches Verfahren birgt sowohl die Chance der großen Lösung als auch das Risiko eines Minimalkonsenses.
Die weitere Arbeit vollzog sich dann in drei Phasen.
In der Informationsphase fanden zu jedem Themenkomplex Anhörungen statt, die anschließend ausgewertet wurden. Darüber hinaus wurden zwei Gutachten zur Schuldenbremse in Auftrag gegeben.
Im Herbst 2015 schloss sich daran die Verhandlungsphase an, in der unter Beteiligung der Sprecher der Fraktionen, der Sachverständigen und teilweise auch der Fraktionsvorsitzenden die mehr als 30 Einzelpunkte beraten wurden.
In den meisten Fällen konnten ein Konsens erzielt und entsprechende Texte ausformuliert werden. Übrig blieb der sogenannte politische Korb mit den Punkten, für die keine Einigung gefunden wurde.
Schließlich umfasste die Entscheidungsphase die beiden letzten Sitzungen, in denen der Öffentlichkeit die Vorschläge der Verfassungskommission präsentiert wurden und abschließend beraten wurden.
Die Arbeit der Verfassungskommission wurde von einer Vielzahl von Zuschriften, E-Mails und Blogeinträgen begleitet, die vor allem den Themenkomplex „Partizipation“ betrafen. Ratsversammlungen und Integrationsräte forderten die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für alle. Eine Unterschriftenkampagne unterstützte die Forderung nach mehr direkter Demokratie.
Besonders zu würdigen sind die Vorschläge von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern. Nicht alle bezogen sich auf den Aufgabenbereich der Kommission, zum Beispiel die Forderung nach Errichtung eines Freistaates Nordrhein-Westfalen. Aber alle wurden zur Kenntnis genommen und geprüft. Der Vorschlag zur Einführung des Amtes eines Alterspräsidenten wurde auf Anregung eines Bürgers in unseren Änderungskatalog aufgenommen.
Insgesamt kann ich feststellen: Die Kommission hat intensiv und konstruktiv zusammengearbeitet und ihre komplexe Aufgabe bewältigt.
Die Ergebnisse umfassen einen Katalog von 16 Änderungsvorschlägen, die zugleich Gegenstand des von den Fraktionen eingebrachten Gesetzentwurfes sind.
Ein erster Teil der vorgeschlagenen Änderungen dient dazu, den Landesparlamentarismus zu stärken. Hintergrund sind der Funktionswandel der Landtage und die Kompetenzverschiebungen zugunsten des Bundes und des europäischen Mehrebenensystems.
Um dem entgegenzuwirken, sollen Parlamentsinformationsrechte Verfassungsrang erhalten und Beteiligungsrechte des Parlaments in EU-Angelegenheiten eingeführt werden, womit endlich auch Europa Eingang in die Landesverfassung findet. Auch die Wahl aller Verfassungsrichter durch den Landtag stärkt dessen Position und schafft eine einheitliche Legitimation für das dritte Verfassungsorgan.
Eine zweite Gruppe von Änderungen soll dazu beitragen, die Verfassung und das politische System für die Bürger verständlicher zu machen. Hierzu gab es in der Kommission unterschiedliche Meinungen. Während ein Teil der Sachverständigen keine Verfassung als „Volkslesebuch“ wollte, hob ein anderer die Integrationsfunktion der Landesverfassung hervor. Im Sinne der zuletzt genannten Position sollen in Zukunft die Funktionen des Landtags, die Rechte der Abgeordneten, die Rolle der Landtagsausschüsse und die Aufgaben der Fraktionen jeweils kurz benannt werden.
Der dritte Teil der Vorschläge zielt auf die Anpassung des Verfassungstextes an die Wirklichkeit und die Förderung eines modernen Verfassungsverständnisses. Hierzu gehören die begrifflichen Änderungsvorschläge zur Abgeordnetenentschädigung und zur Eidesformel der Landesregierung sowie Streichungen der Ministeranklage, des Gegenvorstellungsrechts der Landesregierung und des von der Landesregierung eingeleiteten Volksentscheids.
Dahinter steht der Gedanke eines modernen Parlamentarismus, der im Unterschied zur Verfassungslehre des 19. Jahrhunderts durch einen Dualismus von Regierung und regierungstragenden Fraktionen einerseits und Opposition andererseits geprägt wird.
Schließlich wird von der Kommission vorgeschlagen, verfassungsrechtliche Abläufe effizienter zu gestalten. Zu diesem Zweck werden die parlamentslose Zeit nach einer Landtagsauflösung abgeschafft und das Amt des Alterspräsidenten eingeführt.
Der strittig gestellte politische Korb umfasste die Themen „Parlamentsquoren“, „Wahlalter und Wahlrecht“, „direkte Demokratie“, „Schuldenbremse“ und „Individualverfassungsbeschwerde“. Alle Punkte
wurden inhaltlich weitgehend ausverhandelt. Nur im Gesamtzusammenhang konnte kein Konsens erreicht werden.
Bis zum Schluss war umstritten, ob nach einer konsensual möglichen Herausnahme des Wahlalters aus der Verfassung bereits der 16. oder erst der 17. Landtag die Entscheidung über eine einfachgesetzliche Regelung treffen soll.
Ebenso ungelöst blieben die Fragen zur kommunalen Selbstverwaltung. Sie betrafen die Konnexität und die Stellung der Kommunen im Gesetzgebungsverfahren sowie die Kommunalverfassungsbe
schwerde.
Meine Damen und Herren, an diesen Beispielen werden die Grenzen der Kommissionsarbeit deutlich. Die Einrichtung einer Verfassungskommission und der breit angelegte Prüfauftrag sind als Versuch zu verstehen, Konsens herzustellen und Verhandlungslösungen herbeizuführen. Das ist in diesem Fall nur teilweise gelungen. Denn Verfassungspolitik findet in einem Spannungsfeld von Konsens und Konkurrenz in der Demokratie statt. An die Stelle einer Win-winSituation, von der alle Akteure profitieren, kann aufgrund tages- und parteipolitischer Einflüsse, wie wir lernen mussten, auch schnell eine Verhandlungsblockade treten.
Zum Schluss möchte ich als Vorsitzender allen danken, mit denen ich in der Kommission zusammenarbeiten durfte.
Für die Mitglieder, die Zeit und Arbeit investiert haben, hoffe ich, dass es eine gute Investition war.
Den Sprechern der Fraktionen, den Kollegen Körfges, Lienenkämper, Engstfeld, Dr. Wolf und Sommer, danke ich für die konstruktive Zusammenarbeit.
Die Diskussionen mit den juristischen Sachverständigen, den Professoren Dieckmann, Löwer, Gusy, Wißmann und Pieroth, waren für mich als Politikwissenschaftler eine Bereicherung.
Dank gebührt auch den Referenten für die Arbeit im Hintergrund.
Last, but not least bedanke ich mich bei meiner Assistenz, Frau Hielscher und Herrn Dr. Ost, für das stets vertrauensvolle Teamwork.
Erlauben Sie mir noch eine persönliche Bemerkung. Die Medien haben in den letzten Wochen das Bild vom Scheitern der Verfassungskommission gezeichnet. Ich denke, dass das der Arbeit und den Ergebnissen nicht gerecht wird. Gerade noch rechtzeitig zum 70. Jubiläum des Landes wird die umfangreichste Reform seit Inkrafttreten der Verfassung 1950 auf den Weg gebracht.
Ja, auch ich hätte mir mehr gewünscht, vor allem im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Die Botschaft,
dass die Zusammenarbeit der demokratischen Kräfte im Landtag über Fraktions- und Parteigrenzen hinweg möglich ist, hätte noch stärker ausfallen können. Ebenso wäre es wünschenswert gewesen, die Landesverfassung würde aus dem Schatten des Grundgesetzes heraustreten und mehr Beachtung finden.
Insgesamt jedoch sind die Ergebnisse vor dem Hintergrund einer bewährten Verfassung zu beurteilen. Eine Stärkung der parlamentarischen Demokratie und ein modernes Verfassungsverständnis sind in Zeiten, in denen der Populismus zunimmt, ein nicht zu unterschätzendes Ergebnis der Verfassungskommission. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von Ernst Fraenkel, einem der Gründungsväter der Politikwissenschaft nach 1945, stammen die Worte, das Kritikwürdigste am bundesdeutschen Parlamentarismus sei die an ihm geübte Kritik.
Der Antrag der Piraten liefert einen erneuten Beweis für diese Aussage. Dabei ist das Thema an sich wichtig. Ich bin den Piraten durchaus dankbar, dass wir
heute über das Thema „Debattenkultur“ im engeren Sinne und „Parlamentskultur“ im weiteren Sinn diskutieren. Allerdings ist der Inhalt Ihres vorgelegten Antrages nicht geeignet, hierzu einen konstruktiven Beitrag zu leisten.
Im ersten Teil des Piratenantrages geht es um die direkte Ansprache der Zuhörerinnen und Zuhörer durch Abgeordnete in Plenardebatten. Zunächst könnte man die Frage stellen, ob Abgeordnete die Besucher auf der Tribüne begrüßen oder anreden dürfen, ob das nicht eine Nebensächlichkeit sei. Dahinter steht aber die grundsätzliche Frage nach der Öffentlichkeitsfunktion des Landtages im Rahmen einer parlamentarischen Demokratie: Wer ist der Adressat von Plenarreden? Welchen Zweck verfolgen Plenarreden?
Dazu hat das Präsidium das gerade schon angesprochene Gutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Ergebnis kommt – ich zitiere –:
„Das Plenum bietet das Forum, um die Gründe für die jeweilige Entscheidung öffentlichkeitswirksam darzustellen. … Die Debatte dient so der Legitimation und stellt Verantwortung her.“
Damit ist die Funktionslogik der Plenardebatte in einer parlamentarischen Demokratie korrekt beschrieben. Die Öffentlichkeit ist zwar Adressat; aber es findet kein öffentlicher Diskurs zwischen Publikum und Parlament statt.
Unter juristischen Aspekten ist die Regel der Nichtansprache der Zuhörerinnen und Zuhörer Teil des Gewohnheitsrechtes. Wird sie nicht eingehalten und ist damit sogar ein Angriff auf die parlamentarische Demokratie verbunden – wie in der Endphase der Weimarer Republik durch Mitglieder der NSDAP oder auch heute noch durch Vertreter ihrer Nachfolgeparteien –, so liegen eine Verletzung der Würde des Parlaments und ein Verstoß gegen die parlamentarische Ordnung vor.
Die Piraten weisen zu Recht in ihrem Antrag darauf hin, dass diese Regel dem Wandel unterliegt. In der Tat hält sich inzwischen ein Teil der Abgeordneten aus unterschiedlichen Fraktionen nicht mehr an diese Regel und grüßt die Besucher auf der Tribüne und im weltweiten Netz. Dieses kann ein kleiner Schritt zur Verbesserung der Debattenkultur sein.
So weit, so gut. Hier hätte der Antrag der Fraktion der Piraten enden können. Das wäre auch besser gewesen. Er tut es aber nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der zweiten Seite mit Zeile 18 beginnt ein neuer Teil des Antrags. Statt um die Debattenkultur geht es nun um die Parlamentskultur insgesamt. Wer sich die Mühe einer semantischen Analyse macht, stößt auf folgende Topoi: Showdebatten, weder ergebnisoffen noch transparent; an Sachfragen vorbei
gehende Parteipolitik; Fraktionszwang, nichtöffentliche und inoffizielle Treffen; Entscheidungen, die von Regierungsfraktionen lediglich exekutiert werden; Kultur der Mittelmäßigkeit; elitäre Positionen; singuläre Partikularinteressen; usw.
Hierbei, liebe Piratinnen und Piraten, handelt sich um die bekannten Standardformen der Parlamentarismuskritik, die in vielfacher Form, mal von rechts, mal von links vorgetragen, den modernen Parlamentarismus seit seiner Entstehung begleiten. Sie sagen wenig über die Realität des politischen Systems aus, dafür umso mehr über das Parlamentsverständnis derjenigen, die diesen Antrag geschrieben haben.
Die Pauschalkritik basiert auf einem rückwärtsgewandten, romantisch-idealistischen Verständnis. In der angeblich goldenen Zeit des Frühparlamentarismus waren die Abgeordneten zumeist Honoratioren, die für die Politik, nicht von der Politik lebten. Parteien und Fraktionen gab es noch nicht. Das Parlament war ein Redeparlament, das gegenüber dem Monarchen wenig zu entscheiden hatte. Es ist doch ganz offensichtlich, dass diese Merkmale mit der gegenwärtigen Form der parlamentarischen Demokratie nichts mehr zu tun haben.
Nun berufen sich die Piraten in ihrem Antrag zur Rechtfertigung ihrer Kritik immer wieder auf die sogenannten Erwartungen der Gesellschaft und die gesellschaftlichen Entwicklungen.
Doch was sind nun diese Erwartungen der Gesellschaft an den Parlamentarismus? Dank der empirischen Untersuchung des Dresdner Politikwissenschaftlers Werner Patzelt wissen wir, dass der Kenntnisstand der Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich der Funktionsprinzipien der parlamentarischen Demokratie relativ gering ist. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass die Abgeordneten unabhängig und ohne Fraktionsbindung in rhetorisch brillanter Form und lebendiger Debatte nach sachgerechten Lösungen suchen.
Dem widerspricht die parlamentarische Alltagswirklichkeit eines Arbeitsparlaments mit notwendiger Reglementierung und Formalisierung der Entscheidungsabläufe. Hier ist das Plenum nicht Ort der Diskussion, sondern der Proklamation.
Halten wir also fest: Die Praxis entspricht der Funktionsweise einer parlamentarischen Demokratie. Doch diese Funktionslogik entspricht nicht den Vorstellungen vieler Bürgerinnen und Bürger und offensichtlich auch nicht denen der Piratenfraktion. Wir haben es also nicht mit Funktionsmängeln des Systems zu tun, sondern mit Defiziten im Verständnis der Funktionen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist zu tun? Werner Patzelt sprach von einem latenten Verfassungskonflikt zwischen Verfassungsstruktur und populärem Verständnis, das es aufzulösen gilt. Hier hätte ich mir im dritten Teil Ihres Antrages, liebe Piratinnen und Piraten, mehr gewünscht als die dort vorzufindenden Schlagworte Offenheit, Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Ehrlichkeit. Überhaupt: Ehrlichkeit? Was soll damit gemeint sein?
Wollen Sie unterstellen, dass das gegenwärtige System ein unehrliches System sei? Hier hätte ich mir gerade von den Piraten gewünscht, dass sie die Chancen, aber auch die Risiken der digitalen Demokratie intensiver ausleuchten. Der Hinweis auf die Kremser Erklärung der deutschen und österreichischen Landtagspräsidentinnen und Landtagspräsidenten hätte ein Ansatzpunkt sein können.
Allerdings plädiere ich aufgrund der gerade vorgenommenen Analyse weniger für einen Wechsel des Betriebssystems in Richtung Demokratie 2.0 als für die Beseitigung der Defizite im Verfassungsverständnis und für die Weiterentwicklung eines vorhandenen parlamentarischen Systems.
Zum einen bedarf es einer Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit des Parlaments unter Einbeziehung der Einrichtungen der politischen Bildung und der Medien, um das Verständnis für die Funktionslogik des Parlamentarismus zu fördern.
Bei der Präsentation des Parlaments und der Parlamentsarbeit steht meines Erachtens immer noch zu sehr das Plenum im Vordergrund. Die Öffentlichkeitsfunktion des Landtages lässt sich jedoch nicht auf Plenardebatten verkürzen. Die vorangehenden Entscheidungsprozesse in Ausschüssen, Fraktionen und Arbeitskreisen, aber auch in informellen Gruppen müssen dargelegt werden.
Zum anderen muss die institutionelle Parlamentsreform weitergeführt werden. Sie muss innerhalb des Systems erfolgen, und zwar mit dem Ziel einer Stärkung des Parlamentarismus und nicht einer Schwächung. Hier hoffe ich – auch als Vorsitzender der Verfassungskommission –, dass wir hierzu bald entsprechende Vorschläge unterbreiten können.
Eine Pauschalkritik am Parlamentarismus oder sogar eine Diffamierung als krankes System weist die SPD entschieden zurück.
Der Überweisung des Antrags in den Hauptausschuss stimmen wir zu und freuen uns dort auf die Fortsetzung der Debatte auf gewohnt hohem Niveau. – Danke schön für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auch noch am Freitagnachmittag! In seinem Vortrag „Politik als Beruf“ aus dem Jahr 1919 unterscheidet Max Weber, der Vater der modernen Sozialwissenschaft, zwischen zwei Typen von Politikern: denen, die „für“ die Politik leben, und denen, die „von“ der Politik leben. Weiter heißt es bei Weber – nun zitiere ich auch einmal –:
„Der v o n der Politik lebende Berufspolitiker kann sein: reiner ,Pfründner‘ oder besoldeter ,Beamter‘.“
In unserer heutigen Debatte geht es um den Übergang von Politikern als besoldete Beamte in Funktionen und Positionen der Wirtschaft, die ihren Unterhalt sichern sollen. Auch fast 100 Jahre später tun wir uns dabei in Deutschland immer noch schwer mit dem Typus des Berufspolitikers. Sei es bei Diätenerhöhungen, Nebentätigkeiten oder, so wie heute, den Aktivitäten nach dem Ausscheiden aus der Politik – stets droht die Zunahme der Politikerverdrossenheit.
Daher ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass die Piraten sich um die – jetzt zitiere ich aus dem Antrag – „Glaubwürdigkeit des Parlamentarismus als Ganzem“ sorgen. Das hat man, lieber Herr Marsching, nicht von Ihnen, aber von anderen Mitgliedern Ihrer Fraktion auch schon anders gehört.
Um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Der Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft ist durchaus erwünscht. Doch es gibt Bedenken, die die Piraten in ihrem Antrag am Beispiel des Falles Pofalla aufgreifen. Unabhängig davon, ob es sich um einen Wechsel zu einem Unternehmen des Bundes oder in die freie Wirtschaft handelt, muss die Mitnahme von Insiderwissen und die Verwendung dieses Wissens gegen staatliche Interessen und zum persönlichen Vorteil unterbunden werden.
Nein, ich möchte keine Frage zulassen.
Als weiteres Problem kommt bei einem Wechsel während der Wahlperiode der Vertrauensverlust an der Wählerbasis hinzu. In diesem Fall, dem Fall Pofalla, fehlte es wohl an der notwendigen Verantwortungsethik, die stets die Folgen des Tuns einbezieht. Oder, um es wieder mit Max Weber zu formulieren: Nicht jeder Berufspolitiker hat auch den „Beruf zur Politik“.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir nun zu den Forderungen der Piraten. Sie präsentieren uns in Ihrem Antrag eine bunte Mischung von Indikatoren, ohne sich klar festzulegen. Zum einen sollen sich die Aufgabengebiete oder Ressorts von früherer und neuer Tätigkeit nicht überschneiden. Zum anderen dienen Interessenverflechtungen und Konflikte als Kriterium. Schließlich soll der Zusammenhang zwischen im Amt getroffenen Entschei
dungen und einer nach dem Ausscheiden aufgenommenen Tätigkeit vermieden werden.
Gefordert werden eine dreijährige Karenzzeit und die Einrichtung einer Ethikkommission. Letzteres dürfte angesichts der vorhin angedeuteten ethischen Fragen besonders problematisch sein.
Was ich überhaupt nicht verstehen kann, liebe Piraten, ist die Behauptung, dass es in Nordrhein-Westfalen keine diesbezüglichen Regelungen gebe. Ein Blick in das Korruptionsbekämpfungsgesetz und das Beamtenstatusgesetz hätte Sie eines Besseren belehrt. Dort finden sich eindeutige Bestimmungen, die für ausgeschiedene Regierungsmitglieder gelten, wenn durch ihre Tätigkeit dienstliche Interessen beeinträchtigt sind. Auch ein Karenzzeitraum ist klar definiert.
Was wollen die Piraten uns also mit ihrem Antrag sagen? Vielleicht erfahren wir es nach der Überweisung in den Hauptausschuss, der wir zustimmen. Dort können wir auch über die Überlegungen auf Bundesebene diskutieren und abwarten, ob dort überzeugende Lösungen gefunden werden. Für Nordrhein-Westfalen jedenfalls sehen wir zurzeit keinen Handlungsbedarf. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich beziehe mich hier auf Aussagen, die aus Ihrer Fraktion gekommen sind und das System des Parlamentarismus als ein krankes System bezeichnen.
Das halte ich für eine Formulierung, bei der es nicht nur um sicherlich immer wichtige Verbesserungen unseres parlamentarischen Systems geht, sondern um eine fundamentale Kritik. Daher habe ich mich gewundert, dass Sie sich jetzt in diesem Fall der Karenzzeiten zum Retter oder zur Retterin des Parlamentarismus aufschwingen. Ich begrüße es aber, wenn es einen entsprechenden Gesinnungswandel gibt. Ich habe ja auch deutlich gemacht, dass das nicht auf Ihre Fraktion insgesamt zutrifft
und dass es bei Ihnen ganz unterschiedliche Positionen dazu gibt. Wir freuen uns immer darüber, wenn jemand dafür eintritt, den Parlamentarismus im Detail zu verbessern. Allerdings kann ich die dort gefallenen Äußerungen nur mit großem Unverständnis zurückweisen. – Danke schön.