Protokoll der Sitzung vom 16.02.2017

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will gleich bei dem letzten Satz von Frau Dr. Bunse anschließen, weil wir ja aus dem Trotzalter heraus sind und eine sachgerechte Debatte führen. Sie haben einen Teilstandort. Also haben Sie vor Ort eine Förderschule. Da gibt es kein flächendeckendes Schließen von Förderschulen, so wie es der Kollege Feuß eben schon gesagt hat. Wir haben dafür gesorgt, dass die Kommunen, dass die Kreise ihre Strukturierung neu aufsetzen können. Das heißt, dass man auch mit Verbundmodellen und Teilstandorten das Angebot in der Fläche und in den Kommunen sicherstellt. Sie haben ja gerade einen Beleg dafür geliefert, dass Sie genau einen solchen Standort haben. – Das war das Erste.

Das Zweite: Ich bedanke mich für die Worte von Yvonne Gebauer, die noch einmal sehr deutlich gemacht hat, dass auch sie es für einen unhaltbaren Zustand hält, dass Eltern von Kindern mit Behinderungen für jeden Schritt haben kämpfen müssen. Das ist wirklich wichtig. Das war der Unterschied zu dem, was Frau Bunse gerade gesagt hat, nämlich: Im Gemeinsamen Lernen gelingt ja kein Alltagslernen von Kindern mit Behinderungen. – Das ist so paradox in Anbetracht der Erfahrungen mit Gemeinsamem Lernen.

Meine Kinder sind bis zum Ende der Klasse 10 gemeinsam mit Kindern mit Behinderungen beschult worden. Das war für die Eltern wirklich der entscheidende Punkt. Auch die Kinder sagen: Das hätte ich alles an der Förderschule nicht gelernt.

Ich meine, dass wir noch einmal einen Diskurs zum Thema „Förderschulen“ führen müssen, und zwar nicht darüber, dass dort nicht engagiert gearbeitet wird, dass dort mit den Kindern gut gearbeitet wird. Aber wir wissen – das wussten offensichtlich die Eltern auch schon, bevor der Bericht des Landesrechnungshofes vorgelegt wurde –, dass wir gerade an den Förderschulen im Bereich „Lernen“ eine Komposition in den Klassen haben – um den wissenschaftlichen Begriff herauszunehmen –, die vor allen Dingen, Frau Dr. Bunse, aus Kindern der Armen, der Migrantinnen und einem überproportional hohen Anteil an Jungen besteht. Da kommen ganz bestimmte

Problemlagen zusammen, die mit kognitiven Fähigkeiten nicht unbedingt etwas zu tun haben. Wenn Sie das in Abrede stellen wollen, dann sind wir, glaube ich, doch deutlich unterschiedlicher Meinung.

Frau Kollegin Beer.

Die CDU hat den Schulkonsens und den Antrag 2010, dass wir uns auf der Grundlage der UN-Konvention auf den Weg machen, ein inklusives Bildungssystem zu entwickeln, damals mitgetragen. Ich habe den Eindruck, da waren wir auf einem anderen Erkenntnisstand, …

Frau Kollegin.

… auch was diese Komposition von Schülern und Schülerinnen im Rahmen der Förderschule wirklich zu bedeuten hat.

Deswegen steht auch im Schulkonsens – vorgeschlagen von der CDU –: Förderschulen gehören natürlich – wir stehen da zu jedem Buchstaben – zum Angebot des Schulwesens in Nordrhein-Westfalen, soweit sie trotz Inklusion erforderlich sind. – Das hat Herr Dr. Röttgen unterschrieben. Das hat Herr Laumann unterschrieben, ein ausgewiesener Sozialpolitiker. Das haben wir gemeinsam hier festgestellt. Danach handeln wir auch. Jetzt erzählen Sie uns bitte hier nicht etwas anderes.

Frau Kollegin Beer, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Frau Dr. Bunse würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Herzlich gerne.

Das ist sehr nett, Frau Kollegin Beer. Erstens möchte ich mich noch einmal dagegen verwahren: Ich bin schon an der Seite derjenigen, die benachteiligt sind. Ich habe es sehr wertgeschätzt, dass meine Kinder gut durch ihre Schulzeit gingen und nehme für mich in Anspruch, dass ich auch immer einen Blick auf andere Kinder gehabt habe. Diesen Unterton, den Sie da gerade hineinbringen wollen, finde ich sehr verletzend. Lassen Sie das bitte!

Dann habe ich einfach noch die Frage: Finden Sie nicht auch, dass es in dem Antrag der FDP nur um die Aufrechterhaltung einer Wahlmöglichkeit geht? Das, was der Landesrechnungshof festgestellt hat, ist kein Gesetz gewesen oder gab keine Veranlassung, von jetzt auf gleich zu 100 % so zu handeln. Darauf möchte ich gerne eine Antwort haben: Wer

hat die Entscheidung für seine Kinder zu treffen, die Eltern oder wir?

Erstens unterstellt ja der FDP-Antrag, Frau Dr. Bunse – darauf gehe ich gerne ein –, dass eine Schließungswelle da ist und dass es flächendeckend kein Förderschulangebot mehr gibt. Das ist schlichtweg falsch.

(Zuruf von Yvonne Gebauer [FDP])

Es ist schlichtweg falsch, dass man das erst wieder herstellen muss.

Zweitens hat die Kollegin Gebauer eben selbst gesagt: Mindestgrößen muss es geben. – Wir sind sehr wohl dem gefolgt, was Sie eben sagten, den pädagogischen Grundsätzen auch bei der Reflexion dessen, was der Landesrechnungshof vorgegeben hat. Der hat nämlich erklärt: Es muss auch für Inklusionsprozesse keine zusätzlichen Ressourcen geben. – Das haben wir ausdrücklich nicht gesagt, sondern wir haben diese Ressourcen obendrauf gegeben und sie nicht eingespart.

Der Landesrechnungshof hat dargestellt, dass contra legem seit geraumer Zeit Förderschulen aufrechterhalten worden sind und eine Ausnahmegenehmigung zur Regel geworden ist. Um flächendeckend ein pädagogisches und qualitatives Angebot herstellen zu können, haben wir das in der Tat auch zu steuern. Denn wir hatten Förderschulen im Bereich „Lernen“ mit nur noch 18 Kindern und einem entsprechenden Kollegium. Da können Sie weder die pädagogische Qualität aufrechterhalten noch ist das im Sinne der gerechten Lehrerausstattung und Steuerung überhaupt zu verantworten.

Nach den Grundsätzen haben wir gehandelt und nach den Grundsätzen, dass wir durch Teilstandorte und Verbundmöglichkeiten das Angebot in der Fläche schaffen.

In dem FDP-Antrag wird unterstellt, die Förderschulen würden mutwillig geschlossen, es gebe eine Schließungswelle. Und Sie unterstellen, dass es keine Wahlangebote mehr gibt. Das schreiben Sie doch dort. Das behaupten Sie, das ist faktisch aber nicht richtig.

Ich nehme im Gegenteil wahr – stellen Sie das auch in Bezug auf die Wohnortnähe in Abrede? –, dass Förderschulen noch nie im Zentrum der Schullandschaft gestanden haben, dass die Wege dorthin immer schon weiter waren. Die Förderschulstandorte, die ich kenne, liegen alle weiter draußen, egal, ob G oder KM. Daran hat sich nichts geändert. Durch das Angebot im Regelunterricht ist eine wohnortnähere sonderpädagogische Beschulung sehr viel stärker möglich. Es gibt also die Angebote in der Fläche.

Es hat auch eine Umstrukturierung auf der Kreisebene durch die Schulträger gegeben – das ist richtig –, um im Hinblick auf Wahlmöglichkeiten für Eltern das entsprechende Angebot vorzuhalten. Daher sind die Grundannahmen in dem Antrag der FDP leider nicht zutreffend – ich muss es noch einmal sagen.

Es war ein sehr pragmatischer Ansatz – um das auch noch einmal zu sagen –, gerade mit Teilstandorten und Verbundstandorten zu arbeiten; denn in der Tat haben die Gutachter uns damals geraten, alle Förderungsschwerpunkte in den Bereichen „Lernen“, „Lesen“ und „Sprache“ sofort zu schließen. Genau das haben wir nicht gemacht.

Das Elternwahlverhalten nehmen wir jedoch sehr wohl zur Kenntnis. Das drückt sich vor allen Dingen in der Wahl des Förderschwerpunkts „Lernen“ aus. Das hat auch die Kollegin Gebauer ganz genau registriert, und das ist so zur Kenntnis zu nehmen. Deswegen wird es sicherlich auch weiterhin zu entsprechenden Schülerströmen kommen, weil die Eltern genauso wählen. Das fordern Sie ja ein, und das werden wir mit den Plätzen im allgemeinen Unterricht dann auch entsprechend ermöglichen. Die Landschaft ist unter pädagogischen Grundsätzen so gestaltet worden, dass das Wahlangebot in der Fläche vorhanden ist.

Ich will vielleicht noch eine Erfahrung mitgeben. Die Elternvereine sprechen das im Augenblick sehr deutlich aus. Auch sie sagen, dass wir weiterhin den Dialog über die weitere Gestaltung führen müssen. Inklusion ist ein Prozess, aber die Katastrophenrhetorik und die alternativfaktische Darstellung wollen sie nicht.

Die Redezeit.

Wir brauchen einen gemeinsamen Prozess, den wir entsprechend begleiten und gestalten. Dazu sind wir bereit und stehen zur Verfügung. Wir sollten dies im Sinne der Kinder gemeinsam tun.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die Piratenfraktion spricht Frau Kollegin Pieper.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Es ist wie so oft im Leben: Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Die Zahl der Förderschulen sinkt, aber ich nehme nicht wahr, dass es sich – wie es aus den Reihen der FDP kommt – um einen Kahlschlag handelt. Die meisten Kommunen waren sehr viel schlauer und haben einen Teil der Förderschulen

behalten. Sie sind heute froh darüber, dass sie es getan haben; denn so, wie sich die Situation im Moment darstellt, ist dies das Beste, was sie tun konnten. Die Kommunen, die das nicht getan haben, stehen im Moment vor großen Problemen.

Ich möchte dafür werben, über diese Dinge sehr sachlich zu reden, denn das haben alle Kinder – nicht nur die behinderten Kinder – durchaus verdient. Ich möchte sagen: Was ich von Herrn Lindner in Talkshows gesehen habe, fand ich einfach nicht angemessen.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Da wird ein Bild gezeichnet, das so nicht ist. Es gibt ganz viel zu tun, wir müssen intensiv weiterarbeiten, aber es hilft uns nicht, eine Katastrophe heraufzubeschwören, anstatt damit konstruktiv umzugehen.

Zur Mindestgrößenverordnung: Ich habe immer schon gesagt, dass die Mindestgrößenverordnung gar nicht stimmt, weil von Klasse 1 bis 10 gerechnet wird. Die Klassen 1 bis 3 gibt es aber an der Förderschule gar nicht. Im Grunde müsste man die Zahl heruntersetzen, um sagen zu können: Das ist eine realistische Zahl. – Es wird im Moment so getan, als seien es 14 Kinder pro Klasse. Die Klassen 1 bis 3 gibt es aber faktisch an einer Förderschule nicht, weil es in den Klassen 1 bis 3 keine AO-SF gibt. Im Normalfall muss man das durch sieben teilen und ist dann im Schnitt bei über 20 Kindern pro Klasse. Das wird an dieser Stelle häufig einfach unter den Tisch gekehrt.

Herr Feuß, Sie sagen, die Landesregierung sei dafür nicht verantwortlich. Natürlich ist sie aber verantwortlich; denn wer die Rahmenbedingungen festlegt, die dann die Kommunen umsetzen müssen, trägt natürlich auch die Verantwortung. Das kann man nicht einfach wegdiskutieren.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich sehe auch nicht die Entwicklung, dass die Förderschulen weiter zurückgehen. Das Gegenteil ist der Fall. Ganz viele Förderschulen können die Schüler im Moment gar nicht aufnehmen, weil sie so viele Anmeldungen haben, dass sie gar nicht wissen, wohin mit ihnen. Das liegt an den schlechten Rahmenbedingungen, die im Moment an der inklusiven Schule vorherrschen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das wird sich mittelfristig auch nicht ändern lassen. Zum Teil ist es verschuldet, zum Teil unverschuldet – das wissen wir auch –, weil die Kollegen fehlen. Ich sehe aber keinerlei Bereitschaft der Landesregierung, sich damit tatsächlich auseinanderzusetzen.

Schauen wir uns den Entschließungsantrag an. Was steht denn darin? Da steht: Hier ist alles töfte, es

kann alles so bleiben, es besteht kein Handlungsbedarf. Ich muss sagen: Das ist an der Stelle einfach viel zu wenig.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: So ist es! – Beifall von der CDU und von Simone Brand [PIRATEN])

Dann möchte ich das Missverständnis in Bezug auf die Schwerpunktschulen ausräumen. Die Kollegen der FDP fordern Schwerpunktschulen. Frau Hendricks sagt, die gebe es doch. Sie meinen völlig unterschiedliche Dinge. Wir haben Schwerpunktschulen in den Bereichen „Hören“, „Körperliche Entwicklung“ und „Kommunikation“. Das meinen Sie mit Schwerpunktschulen. Sie haben aber immer gesagt, die Entwicklungsstörungen sollten an allen Schulen thematisiert werden.

(Zuruf von Renate Hendricks [SPD])

Sie meinen also ganz andere Schwerpunktschulen.

Wenn wir Schwerpunktschulen im Bereich „Emotionale und soziale Entwicklung“ haben wollen, müssen Sie, liebe Frau Gebauer, uns auch sagen, wie das funktionieren soll. Ohne AO-SF sitzen diese Kinder in jeder Schule, ohne dass deren Förderbedarf überhaupt identifiziert ist. Dann muss man sich überlegen, nach welchem Instrument denn diese Schwerpunktschulen gestaltet werden sollen. Man muss dann schauen, welche Kinder dorthin gehen, was zur Folge hätte, dass wir wieder eine AO-SF benötigen.

An die Landesregierung: Ich verstehe, dass Sie keine Etikettierung wollen. Aber seit ich hier bin, wird darüber geredet, dass wir ein Diagnostikinstrumentarium brauchen und dass dies kommt. Ich habe davon nichts gesehen – gar nichts. Das muss sich die Landesregierung auf die Fahne schreiben. Man braucht dann Alternativen zur AO-SF, und man muss schauen, wie Lehrer ein Förderinstrumentarium aufgrund einer zielgerichteten Diagnostik entwickeln können.

Ich bin bei Ihnen, Frau Gebauer, dass die Verschlechterung an den Förderschulen beendet werden muss.