Protokoll der Sitzung vom 16.03.2017

Die Impfstoffe sind bekannterweise sicher und verträglich. Die STIKO am Robert-Koch-Institut, die eben schon erwähnt wurde, also die Ständige Impfkommission Berlin, spricht sich für die Impfung von Mädchen vor dem ersten Geschlechtsverkehr aus. Es gibt nun unter Fachleuten wie dem Bundesverband der Urologen und der Deutschen Gesellschaft für Urologie eine wichtige Entwicklung dahin gehend, wegen des umfassenden Schutzes auch die Impfung von Jungen und jungen Männern zu empfehlen. Denn die Häufigkeit von genitalen HPV-Infektionen ist bei Männern genauso groß wie bei Frauen.

Interessant ist, dass das Bundesland Sachsen, wie eben schon erwähnt, die Impfung für junge Männer bereits seit vier Jahren befürwortet. Unstreitig ist, dass mit der Impfung die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Krebsvorsorge steigt. Davon gehen die Wissenschaftler heute aus. Allerdings ist festzuhalten, dass Häufigkeit und Krankheitsverlauf von HPVInfektionen bei Männern nicht so gründlich erforscht sind wie bei Frauen.

Unter Experten gibt es jedoch eine interessante Debatte. Ich erlaube mir, einige Positionen darzustellen:

Harald zur Hausen, deutscher Nobelpreisträger, empfiehlt, bei Jungen zwischen neun und 14 Jahren zu impfen.

Für den Kinderarzt Dr. Martin Hirte ist die Impfung allerdings zu teuer. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten:

„Die HPV-Impfung verursacht immense Kosten für unser Gesundheitssystem, die an anderer Stelle eingespart werden müssen, zum Beispiel beim Krankenhauspersonal.“

Hirte, der ein Buch über HPV-Impfung geschrieben hat, spricht davon, dass Impfungen zu teuer und ineffektiv sind.

Die STIKO am Robert-Koch-Institut hält die Forschung noch nicht für abgeschlossen. Wir sollten auf jeden Fall abwarten, was ihre Kompetenz erbringt.

Hingegen kann zum Beispiel die britische Forscherin Margaret Stanley nicht verstehen, weshalb Jungen nicht systematisch geimpft werden. Damit verstärkt sie eigentlich das Thema.

Dagegen wirft Rolf Rosenstock, Professor für Gesundheitspolitik an der TU Berlin und Mitglied des Sachverständigenrates im Gesundheitswesen, die Frage auf, wo und wann mit rund 200 Millionen € – das wäre der Kostenfaktor – die für die Krebsprävention größte gesundheitliche Wirkung zu erzielen wäre. Dann hätte – so heißt es bei ihm wörtlich – „die HPV-Impfung wahrscheinlich keinen guten Stand“.

Prof. Dr. Heinz-Harald Abholz, Leiter der Allgemeinmedizin der Universität Düsseldorf, geht noch weiter. Er schreibt: Also scheint es hier – bei HPVImpfungen – um etwas ganz anderes zu gehen, was trotz der extrem schlechten und komplizierten Studienlage zu der ungewöhnlich schnellen Zulassung der neuen Medikamente geführt hat. Es ist offensichtlich, dass es auch um den Verkauf eines sehr teuren Impfstoffes geht. Hier werden also offen Pharmainteressen angesprochen.

Abschließend möchte ich eine Bewertung der im Antrag der FDP vorgeschlagenen Beschlüsse machen. Ich komme zum ersten Vorschlag der FDP, die Information über die HPV-Impfung zu stärken und die Motivation zum Impfen zu steigern. – Das macht Sinn.

Zweitens wird vorgeschlagen, über die gültigen Empfehlungen der STIKO hinaus die HPV-Impfung für Jungen bzw. junge Männer in den Runderlass „Öffentliche Empfehlungen für Schutzimpfungen“ aufzunehmen. – Hier bedarf es nach unserer Ansicht weiterer Arbeit und des Abwartens, wie sich die STIKO, die sich ja sehr seriös mit diesem Thema beschäftigt, entscheiden wird.

Drittens wird verlangt, die Bundesebene aufzufordern, die HPV-Impfung für Jungen und junge Männer in die Empfehlungen der STIKO aufzunehmen. Dies kann unseres Erachtens erst nach dem Heranziehen externer Kompetenz empfohlen werden. Hier ist Gründlichkeit angesagt.

Zum vierten Vorschlag stelle ich fest: Ob Schule und der öffentliche Gesundheitsdienst mit koordinierten Aktionen zur HPV-Impfung beauftragt werden können, kann man diskutieren. Das bedarf aber ebenfalls einer breiten systematischen Fachdiskussion in den zuständigen Ausschüssen. – Ich sage dazu: Was soll Schule noch alles machen?

Die direkte Abstimmung ist also für dieses Thema heute nicht geeignet. Deshalb können wir dem Antrag nicht zustimmen.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Und nun spricht für die Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen Herr Ünal.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Ständige Impfkommission empfiehlt – wie meine Vorrednerinnen und Vorredner bereits gesagt haben –, HPV-Impfungen nur für Mädchen, und zwar möglichst vor dem ersten Geschlechtsverkehr, vorzunehmen. Es gibt natürlich gute Gründe, warum diese Empfehlung ausgesprochen wird.

Ich kann meine Rede sehr kurz halten, weil meine Vorrednerinnen und Vorredner fast alle wichtigen Informationen dazu ausgetauscht haben. Bevor wir über solch ein Thema diskutieren, würde ich natürlich gerne vorher im Ausschuss eine Anhörung durchführen und darüber diskutieren. Man kann also nicht pauschal eine politische Entscheidung darüber treffen. Deswegen war Ihre Ahnung richtig: Auch wir lehnen den FDP-Antrag ab; denn wir sind der Meinung, dass der Landtag nicht das richtige Gremium ist, um über diese Impfempfehlungen politisch zu entscheiden.

Sie wissen ja, meine Damen und Herren, dass wir die unabhängige Ständige Impfkommission haben. Diese Ständige Impfkommission spricht auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse Impfempfehlungen aus. Dafür ist – das hat auch gute Gründe – eine wissenschaftliche Bearbeitung notwendig. Das ist bewusst so festgelegt, um eine Einflussnahme vonseiten der Politik, der Pharmaindustrie und anderer Interessengruppen – sprich: Lobbygruppen aus der Wirtschaft – gänzlich auszuschließen. Das ist auch gut so. Deswegen dürfen wir nicht politisch vorgreifen und diese Impfungen jetzt empfehlen.

Die Ständige Impfkommission hat nach meiner Kenntnis auch die Aufgabe erhalten, systematische

Literaturanalysen durchzuführen und die wissenschaftlichen Diskussionen in dem Bereich zusammenzufügen, um darüber entscheiden zu können, ob man eine solche Empfehlung aussprechen kann. Wir müssen diese Empfehlung abwarten und danach eventuell eine Entscheidung treffen. So gesehen hat dieses Plenum eigentlich keine Kompetenz, diese Entscheidung zu treffen.

Was Informationen angeht: Herr Kern hat hier ja sehr viele Veröffentlichungen angesprochen. Wenn man ins Internet geht, findet man viele Institutionen, die zu dem Thema Stellung nehmen, angefangen bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bis hin zur Deutschen Krebsgesellschaft. Und so weiter, und so fort. Es gibt so viele Fachgremien und Institutionen, die sehr viele Informationen herausgeben, sodass wir, glaube ich, nicht zusätzlich irgendein Informationsportal gründen sollten.

Insofern werden wir diesen Antrag heute ablehnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Ünal. – Und nun spricht für die Piratenfraktion Herr Düngel.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Fraktion hat heute wieder einmal das Thema „Impfen“ auf die Tagesordnung setzen lassen. Das ist – Walter Kern hat es vorhin schon gesagt – selbstverständlich ein wichtiges Thema.

Wir haben uns im Plenum und auch im zuständigen Fachausschuss bereits mehrfach in dieser Legislaturperiode mit dem Impfthema insgesamt beschäftigt. Dazu haben wir Expertenanhörungen durchgeführt, in denen jeweils auf die Wichtigkeit entsprechender Durchimpfungen hingewiesen wurde. Die Experten haben jeweils auch darauf hingewiesen, dass es an der Zeit sei, sich zu überlegen, welche neuartigen Möglichkeiten und Chancen es gibt, die uns zum Beispiel Veranstaltungen oder das Internet bieten. Auch die sollten bei Aufklärungskampagnen genutzt werden.

All das ist nach wie vor nicht zufriedenstellend umgesetzt. Diese Ausführungen betreffen die generelle Impfsituation in Nordrhein-Westfalen. Hier ist nach wie vor noch eine ganze Menge zu tun. Ich tue mich ein bisschen schwer mit dem FDP-Antrag, weil er letzten Endes wieder nur einen kleinen Teilbereich herausgreift.

(Susanne Schneider [FDP]: Männergesund- heit!)

Das verstehe ich schon. Trotz alledem hätte ich mir da einen noch größeren Aufschlag gewünscht. Dass

es nicht dazu kam, ist vielleicht auch der fortgeschrittenen Zeit in dieser Legislaturperiode geschuldet. Dann wäre sicherlich eine erneute Anhörung sinnvoll gewesen.

Wir haben bei den bisherigen Beratungen Lösungsvorschläge gemacht, zum Beispiel dass man den Impfstatus beim Eintritt in die Kita überprüfen könnte, und zwar ohne Impfpflicht oder dergleichen.

In den Anhörungen war ein Ergebnis – ich habe es gerade schon angedeutet –, dass man Großveranstaltungen für die jeweilige Zielgruppe für Impfkampagnen und die Aufklärung über das Impfen nutzen könnte.

Bei durchaus vorhandener Kritik muss ich allerdings feststellen, dass die Piratenfraktion im Gegensatz zu den drei Vorrednerinnen und Vorrednern dennoch zu dem Schluss kommt, dem Antrag zuzustimmen, Frau Kollegin Schneider, weil er ein wichtiges Thema aufgreift.

Eigentlich ist wissenschaftlich zumindest hinlänglich bewiesen, dass eine Impfung auch bei Jungen und Männern hilfreich und wichtig ist. Wir haben noch nicht die Empfehlung der Ständigen Impfkommission, aber als größtes Bundesland können wir auch mit einem guten Zeichen vorangehen und Vorreiter in der Gesundheitspolitik, in der Impfpolitik sein.

Wir sprechen uns also durchaus dafür aus, diesen Weg mit Ihnen gemeinsam zu gehen. Wir werden dem zustimmen. Weil es allerdings nur eine Teillösung ist, werden wir damit am Ende nicht die Welt retten, Frau Schneider. Aber immerhin ist das besser, als nichts zu tun oder sich in den Sessel fallen zu lassen. Deswegen stimmen wir dem Antrag zu. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Düngel. – Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Steffens das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Klar ist auf jeden Fall: Wir haben in Deutschland eine relativ niedrige Impfquote bei HPV, im Durchschnitt 42,5 %. NRW liegt mit 44,9 % darüber.

In den letzten Jahren haben wir uns immer wieder dafür eingesetzt, dass es gerade für Eltern und Kinder umfassendes Infomaterial gibt. Denn wir haben gemeinsam in vielen Diskussionen, auch hier, festgestellt: Das Selbstbestimmungsrecht der Eltern und der Kinder muss bei einer solchen gesundheitlichen Entscheidung im Vordergrund stehen. Entscheiden kann man nur dann, wenn man

gut aufgeklärt in eine solche Auseinandersetzung geht.

Es war uns auch immer wichtig, dass klar ist: Die HPV-Impfung ist kein Allheilmittel. Erstens schützt sie nicht vor allen HPV-Varianten. Zweitens schützt sie nicht vor jedem Unterleibskrebs. Drittens besteht bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr natürlich trotzdem die Gefahr der Übertragung anderer STIs, anderer Erkrankungen.

Die umfassenden Informationsmaterialien vom

Krebsinformationsdienst, von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, vom Robert-Koch-Institut, vom Nationalen Netzwerk Frauen und Gesundheit, vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen liegen vor. Sie sind allen zugänglich, genauso wie Materialien von den Krankenkassen. Das Wesentliche daran ist: Sie sind unabhängig und nicht an irgendwelche Hersteller oder Produkte gebunden. Das ist wichtig für eine eigenständige Entscheidung.

In Nordrhein-Westfalen – da muss ich Ihnen widersprechen, Frau Schneider – übernehmen wir in sämtlichen Impfbereichen eins zu eins die Empfehlungen der STIKO. Ich halte es für richtig und wichtig, dass die Entscheidung darüber, was der Stand der Wissenschaft ist und was medizinisch indiziert ist, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen treffen und nicht Politiker und Politikerinnen. Es ist eine andere Ebene. Ob eine Impfung medizinisch angeraten ist und hilft, kann man nicht politisch entscheiden. Das wäre eine Anmaßung.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Wir legen großen Wert darauf, dass das wissenschaftliche Know-how wirklich genutzt wird. Im Moment setzt sich die STIKO mit dem Thema auseinander, und zwar auf Basis wissenschaftlicher Daten. Sie arbeitet unabhängig. Das wird hier immer ein bisschen durcheinandergebracht. In dem Redebeitrag der Piraten hieß es gerade, wissenschaftlich sei das hinlänglich bewiesen. Das wirkt ja gerade so, als ob die STIKO diese Entscheidung nicht verantwortungsbewusst träfe. Das ist eine Unterstellung, die man nicht stehen lassen kann.

Klar ist: Die STIKO entscheidet nur über das, was wissenschaftlich empfohlen wird, und zwar unabhängig davon, wie die Finanzierung am Ende aussieht. Da gibt es keine Vermengung. Denn wenn etwas laut STIKO wissenschaftlich empfohlen ist, heißt das noch nicht, dass es von den Krankenkassen übernommen wird. Die Finanzierungsentscheidung wird unabhängig davon im G-BA getroffen. Die Entscheidung der STIKO ist frei und unabhängig, sie ist überhaupt keinen Einflüssen ausgesetzt. Das ist die Hauptsache. Die Entscheidung können wir ihr nicht abnehmen, sie muss im Rahmen einer solchen Auseinandersetzung getroffen

werden; denn es gibt hier und da auch Wissenschaftler, die auf Zuruf sagen: Das muss jetzt umgesetzt werden.