Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten – das ist ein stetiger, nie endender Prozess – weltweit an der Beantwortung der vier großen Fragen des Aufklärers Immanuel Kant – ich habe mir die Freiheit herausgenommen, dabei das „ich“ durch ein „wir“ zu ersetzen –: Was können wir wissen? Was können wir tun? Was dürfen wir hoffen? Was ist der Mensch?
Das geschieht zur Vermehrung des Wissens und Verstehens der Welt und von uns selbst. Diese oft sehr anstrengende und grenzenverschiebende Arbeit sollte im Dienste von uns allen geschehen, im Dienst der Gesellschaften und im Dienst aller Menschen. Dafür ist die individuelle Freiheit der wissenschaftlich Tätigen unabdingbar – im Denken und Handeln, im Erkennen und Wollen. Dazu gehört auch die Freiheit der Kommunikation. Denn Wissenschaft ist Kommunikation – einerseits innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaften und andererseits zwischen diesen Gemeinschaften und den Gesellschaften auf dieser Welt.
Dieser Freiheit und der Kommunikation sind jüngst Feinde und Bedrohungen erwachsen. In der Türkei sitzen Hochschullehrer im Gefängnis. In den USA soll die Wissenschaft auf einmal zur Regierungsmeinung passend gemacht werden. In Großbritannien ist durch den Brexit die gesamte akademische Landschaft gefährdet. Denn unter den Mitgliedern der EU war die britische Wissenschaft wie keine andere von Fördermitteln aus Brüssel abhängig.
Das ist längst nicht alles. In vielen anderen Ländern der Welt gibt es ebenfalls Bedrohungen und Gängelungen für wissenschaftlich Tätige, für die Wissenschaftsfreiheit insgesamt – und das zu einer Zeit, in der sich Probleme global zu Bergen aufgetürmt haben und in der wir zur Bewältigung vielleicht auf nichts so sehr angewiesen sein werden wie auf unsere wissenschaftliche Rationalität.
So diagnostiziert der Soziologe Hans-Jürgen Krysmanski in einem Werk zur Kritik der globalen Vermögensverteilung am Rande einen Wandel unseres Weltbildes, der – so sagt er – die Ausmaße der Kopernikanischen Wende erreiche. Mit dem Apollo-17Foto des Blauen Planeten aus dem Jahr 1972 sei im kollektiven Bewusstsein ein anderes Bild von Globalität entstanden, sagt er. Und zu dem Blick ins Universum, den das Hubble-Teleskop eröffnet habe, bemerkt der Soziologe, dass er noch kaum verarbeitet sei. Er spricht hier generell eine Überforderung durch die Maschine an – hier in diesem Fall die Maschine Weltraumteleskop –, die die Reichweite unserer optischen Wahrnehmung quasi ins Unendliche ausgedehnt hat. Das führt zunächst zu einer mentalen Schockstarre, zum Schreck einer Einsamkeit kosmischen Ausmaßes, regt aber auf der anderen Seite auch positiv unsere Phantasie an.
Als Ausweg, als Weiterentwicklung, gewissermaßen als Update der Aufklärung gelangt der in England geborene US-Philosoph Stephen Toulmin zu dem Schluss, dass es einer neuen Humanisierung der Moderne bedarf. Die gegenwärtige Aufgabe bestehe darin, Wege zu finden, die von der herkömmlichen Auffassung der Moderne, die die exakten Naturwissenschaften – die scheinbar exakten – und die Geisteswissenschaften voneinander trennt, zu einer gewandelten Auffassung führen, die Philosophie und Wissenschaften befreit, indem sie wieder mit der humanistischen Hälfte der Moderne in Verbindung gesetzt wird.
Die Zukunft, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine Damen und Herren, ist unbestimmt, aber sie ist voller Hausforderungen und Chancen. Schützen wir unsere Wissenschaft, entwickeln wir sie weiter – gemeinsam und demokratisch!
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Paul. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Berger das Wort.
Sie legen heute einen Antrag vor, in dem Sie die Wissenschaftsfreiheit global diskutieren wollen, und dazu greifen Sie in Ihrem Antrag drei Länder heraus: die Türkei, die USA und Großbritannien. Und nach Lektüre Ihres Antrags muss dem Leser wohl die Idee kommen, dass Sie die Auswahl gerade dieser Länder nach stundenlangem Zusammensitzen an irgendeinem rot-grünen Stammtisch getroffen haben müssen.
Sie führen diese Staaten nämlich auf, weil sie nach Ihrem Verständnis aktuell die größten politischen Sünder sind. Vielleicht hätten Sie die Liste noch um China, Russland und Nordkorea erweitern können – allerdings hätte das Ihren Antrag auch nicht verbessert.
Also greifen wir einmal die Türkei auf: Sie sagen, dass die Wissenschaftsfreiheit in der Türkei bedroht ist.
Das denke ich explizit auch. Es verwundert aber, dass Sie gerade dieses Thema heute aufwerfen. Es war die SPD – vor allen Dingen Günter Verheugen –, die den EU-Beitritt der Türkei vorbereitet hat. Ihr Bundeskanzlerkandidat hat den Prozess des EU-Beitritts der Türkei befördert. Und gestern wollten Sie noch türkische Staatsbürger ohne deutsche Staatsangehörigkeit dazu einladen, sich in Kommunalparlamente wählen zu lassen oder Bürgermeisterkandidaten zu stellen.
Wenn Sie also die Freiheit in der Türkei kritisieren, dann vermisse ich gerade von Ihnen ein entschiedenes Auftreten und wirksame politische Maßnahmen gegen Herrn Erdogan und seine Unterstützer hier in der Bundesrepublik.
(Dietmar Bell [SPD]: Ist das peinlich, Herr Dr. Berger! Das ist eine Unverschämtheit, was Sie da abliefern! – Norwich Rüße [GRÜNE]: Du hast jetzt aber einen schlechten Einstieg gefunden!)
Und das zweite Beispiel, das Sie heranziehen, sind die USA. Hier glauben Sie, dass es eine politische Einflussnahme auf Forschungsergebnisse geben soll.
Welche Entwicklungen sich in den USA vollziehen, ist bis heute nicht klar und noch nicht genau abzusehen.
Und von einem Exodus amerikanischer Wissenschaftler nach Nordrhein-Westfalen ist bisher nichts bekannt.
Zu Ihrem dritten Beispiel – Großbritannien: Der Brexit – das ist auch klar – wird tiefgreifende Veränderungen in der europäischen Finanzarchitektur und damit auch in der finanziellen Wissenschaftsförderung bewirken.
(Dietmar Bell [SPD]: Sie stellen sich gegen die Hochschulrektorenkonferenz und gegen die Wissenschaftscommunity in ganz Deutsch- land!)
Diese Veränderungen durch den Brexit gilt es zu begleiten. Und allein die Tatsache, dass ein Staat nicht mehr Mitglied der EU ist, heißt noch lange nicht, dass Wissenschaftler aus diesem Staat jetzt zu uns wollen. Schließlich arbeiten wir auch mit der Schweiz zusammen, und Schweizer Wissenschaftler wollen ja jetzt auch nicht in Massen nach Deutschland kommen.
Sie fordern also in Ihrem Antrag, Nordrhein-Westfalen solle jetzt alles tun, um gerade Wissenschaftler aus diesen drei Staaten hier anzusiedeln.
Warum – das ist die nächste Frage – sollen diese Wissenschaftler eigentlich nach Nordrhein-Westfalen kommen?
Platz 14, bei den Universitäten auf dem letzten Platz. Bei der Pro-Kopf-Finanzierung liegen wir mit 5.300 € unter dem Bundesdurchschnitt von 6.900 €.
Ein Drittel der Studierenden bricht das Studium ab. Diese Fakten allein führen doch dazu, dass Nordrhein-Westfalen nicht die allererste Wahl für internationale Wissenschaftler ist. Das belegen leider auch
internationale Rankings. Das ist ein Ergebnis von sieben Jahren rot-grüner Wissenschaftspolitik hier in diesem Land.
(Beifall von der CDU – Lachen von der SPD – Dietmar Bell [SPD]: Das ist so peinlich! – Britta Altenkamp [SPD]: Schämen Sie sich! – Karl Schultheis [SPD]: Klatschen Sie sich ruhig mutig! Schämen sollten Sie sich!)
Als Krönung des Ganzen hätten Sie sich ja selbst als Nordrhein-Westfalen auf diese Liste setzen können, denn in keinem anderen Land wurde die Hochschulfreiheit so stark beschnitten wie in Nordrhein-Westfalen. In keinem Bundesland hat sich die Regierung so viele Eingriffsrechte genehmigt, wie dies in Nordrhein-Westfalen der Fall ist.
In keinem anderen Bundesland ist das Drohpotenzial mit Rahmenvorgaben so groß wie in NordrheinWestfalen. In keinem anderen Bundesland gibt es eine Wissenschaftsministerin, die Wissenschaft und Forschung mit gesellschaftlichen Fragestellungen verbinden will.
(Dietmar Bell [SPD]: Das steht sogar in Ihrem Parteiprogramm, Herr Dr. Berger! Lesen Sie es doch einmal! In Ihrem eigenen Pro- gramm! – Karl Schultheis [SPD]: Das muss doch wehtun! Sie sind der „unwissenschaftli- che Sprecher“ der CDU! – Dietmar Bell [SPD]: Den Auftritt, das Video, schicke ich der Hoch- schulrektorenkonferenz!)
Deswegen empfehle ich Ihnen: Wenn Sie Menschen aus der gesamten Welt dazu ermuntern wollen, nach Nordrhein-Westfalen zu kommen – die wir hier brauchen, um unsere Wissenschaftslandschaft positiv entwickeln zu können –, dann führen Sie die Hochschulfreiheit wieder ein. Dann kommen die Wissenschaftler, die Sie wollen, von ganz allein. Das wird am Ende auch die Strategie sein, mit der sich Nordrhein-Westfalen Schritt für Schritt wieder von den letzten Plätzen entfernt.
(Beifall von der CDU – Karl Schultheis [SPD]: Ich habe Ihnen viel zugetraut, aber das ist doch das Letzte, das Allerletzte!)