Meine Damen und Herren, wir könnten uns hier lange miteinander austauschen und streiten. Am 14. Mai werden die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes entscheiden, wie sie das Land sehen. Ich sage voraus: Die SPD wird gar nicht so viel verlieren. Deshalb sind Sie ja auch so ruhig. Sie werden aber Ihren grünen Koalitionspartner an der Wahlurne ausweiden, und am Ende wird es keine rot-grüne Mehrheit mehr geben.
Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Piratenfraktion spricht ihr Fraktionsvorsitzender Herr Kollege Marsching.
Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause!
Herr Lindner, ich bin mir sicher, dass die Ministerpräsidentin bei meiner Rede auch zuhören wird und dass meine Rede nicht so unwichtig ist, dass die Ministerpräsidentin …
Okay. Dann streichen wir jetzt den nächsten Satz, den ich aufgeschrieben habe. Der wäre dann auch nicht so gemeint gewesen.
Die CDU möchte also Bilanz ziehen. Dann machen wir das doch mal! Das ist ein bisschen Wiederholung von Reden, die wir schon hatten, vor allen Dingen immer bei den Regierungserklärungen; aber so ist das nun einmal, wenn man hier so einen WahlkampfSlot öffnet und eine Schlusslichtbilanz ziehen möchte.
Wir reden über hohe Kinderarmut. Wir reden über hohe Arbeitslosigkeit, kaum Wirtschaftswachstum, bröckelnde Brücken, zerfallende Straßen, Kitakollaps, Verkehrskollaps, ein schlechtes Bildungssystem und kaum Mitwirkungs- und Aufstiegschancen. Das Gleiche haben wir hier schon einmal vor fünf Monaten gesagt.
Ich wiederhole mich weiter: Verwalten statt gestalten, zuschauen statt machen und zurücklassen statt mitnehmen, Abschiebekultur statt Willkommenskultur – das ist die Schlussbilanz der Regierung Kraft/Löhrmann im Jahr 2017.
Was aber viel wichtiger wäre, ist die Frage: Wo wollen wir denn eigentlich hin? Wie wollen wir denn in 20 Jahren leben, und was müssen wir heute dafür tun? Das sind die entscheidenden Fragen, die wir hier beantworten müssen. Wir Piraten haben in dieser Legislaturperiode dazu viele Antworten geliefert – nur zuhören wollte leider fast niemand.
Und wenn ich jetzt lese, dass die CDU eine rot-grüne Schlusslicht-Bilanz zur Debatte stellt, dann darf doch wohl bezweifelt werden, ob eine schwarz-gelbe Schlussbilanz wesentlich besser ausfallen würde. Ich gebe ein paar Beispiele.
Beispiel Innenpolitik: Sie fordern mehr Polizisten auf die Straße, aber Sie sagen nicht, wie Sie das bezahlen wollen – im Gegenteil. Sie sind vehement für die Einhaltung der Schuldenbremse. Damit bremsen Sie
Stattdessen wollen Sie moderne Instrumente nutzen. Gut, nicht jeder kann „predictive“ von „preventive“ unterscheiden. Deswegen wollen Sie Predictive Policing. Wo das endet, wissen wir alle: Menschen in so glibberigen Wassertanks und „Entschuldigen Sie, ich muss Sie festnehmen, Sie würden nächste Woche einen Mord begehen“. – Schutzhaft und lebenslänglich präventiv. Dazu sage ich: Nein, das brauchen wir nicht, einfach nein!
Was wir brauchen, ist tatsächlich mehr Manpower auf der Straße, und zwar ansprechbar, schnell am Geschehen, und wir brauchen noch Manpower, die frei ist, um letztlich die Taten, die begangen wurden, auch aufzuklären, damit die Rate wesentlich besser wird.
Beispiel Wirtschaft: Sie wollen – Zitat – „Unternehmen Freiräume zurückgeben“, was eigentlich doch nichts anderes heißt als Abbau bei Arbeitnehmerrechten und Abbau von Standards, zum Beispiel beim Umweltschutz. Ich sage: Nein, einfach nein. Das brauchen wir auch nicht.
Was wir brauchen, ist der Glasfaserausbau. Und wir brauchen die notwendige Infrastruktur, damit es in 20 Jahren den Mittelstand auf dem Land überhaupt noch geben kann.
Beispiel Mobilität: Sie schreiben in Ihren Antrag von mehr und mehr Straßen, Straßenneubau und Straßensanierung. Radwege, der ÖPNV, die Schiene allgemein oder Wasserwege kommen in Ihrem Antrag überhaupt nicht vor, nicht mit einem Wort. Bei Ihnen steht man lieber freudestrahlend fünfspurig im Stau. Und auch dazu sage ich: Nein, einfach nein.
Was wir brauchen, wäre: Güter runter von der Straße. Wir brauchen einen fahrscheinfreien ÖPNV, der Spaß macht, wir brauchen schnelle Genehmigungsverfahren für Tests mit selbstfahrenden PKW, Bussen und LKW.
Beispiel Kinderarmut: Sie wollen einfach mehr Arbeitsplätze. Seit 2012 hören wir hier immer wieder: Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze. Dabei werden die Arbeitsplätze qualitativ und quantitativ nachgewiesenermaßen immer weniger. Bessere Wirtschaftspolitik bekämpft Ihrer Meinung nach Kinderarmut. Ich sage: Nö, einfach nein.
Was wir bräuchten, wäre, dass Kinderarmut endlich vom Kind aus gedacht wird. Wir brauchen eine Kindergrundsicherung in NRW, denn nur damit bekommen wir echte Chancengleichheit, und zwar für alle Familien, auch die wirtschaftlich ärmeren.
Beispiel Kitas: Sie wollen – Zitat – passgenaue Angebote für Eltern schaffen. Das steht in Ihrem Antrag. Sie wollen mehr U3- und Ü3-Betreuungsplätze. Damit sollen die Eltern wahrscheinlich schön ihrem Arbeitsplatz und damit der Wirtschaft zur Verfügung stehen. Auch da sage ich: Nein, einfach nein.
Was wir brauchen, ist keine Betreuung, sondern wir brauchen qualitativ hochwertige Bildung, und zwar vom ersten Schritt in die Kita an. Kostenfreie Kitas sind keine Verwahrstationen mehr. Das sind keine Halbtagskitas wie damals in den 60er-Jahren oder Ähnliches. Wir brauchen keine passgenauen Angebote für Eltern, sondern wir brauchen passgenaue Angebote für Kinder.
Jedes Jahr verlieren wir die Chance, ungefähr 150.000 Schulanfängern vernünftige Rahmenbedingungen zu geben, und damit verbauen wir ihre Zukunftschancen.
Beispiel Schule: Sie wollen eine bessere Ausstattung an Schulen, mehr Personal, zum Beispiel Schulverwaltungsassistenten oder Schulsozialarbeiter. Aber Sie wollen auch mehr Ausstattung zur – Zitat – Nutzung von digitalen Medien.
Und hier gebe ich Ihnen das erste Mal recht: Das ist ein Teilbereich und ein Baustein für eine bessere Bildung. Aber Sie haben eben auch G8 eingeführt, und Sie wollen Lehrer entlassen bei der Inklusion. Ich übersetze das mal kurz: Das bedeutet Verlangsamung oder Rücknahme der Inklusion. Und auch da sage ich einfach nur: Nein.
Was wir brauchen, ist die Möglichkeit zur Rückkehr zu G9. Wir brauchen ein ganzheitliches Konzept zur Digitalisierung und nicht einfach nur eine bessere Ausstattung. Wir brauchen das Pflichtfach Informatik. Wir müssen offene Lehrmittel fördern. Wir müssen die Inklusion stärken, statt sie zu schwächen. Außerdem muss Bildung endlich mal als Investition in die Zukunft angesehen werden; denn jeden Cent, den wir heute in vernünftige Bildung stecken, bekommen wir in der Zukunft vielfach zurück – in Euro, aber auch in freieren, selbstdenkenden und am Ende glücklicheren Menschen.
Und was wir noch bräuchten, um die Bilanz der Landesregierung ins Positive zu drehen: Wir brauchen eine schnellere Wende in der Energiepolitik: endlich verbindlich raus aus der Braunkohle mit einem Braunkohleausstiegsgesetz! Das Energieland Nummer eins muss auch Erneuerbare-Energien-Land Nummer eins werden.
Aber wir müssen auch andere Sektoren einbeziehen, zum Beispiel die Elektromobilität. Hier kann die Landespolitik sofort fördern, zum Beispiel bei der Infra
struktur. Auf jedes landeseigene Gebäude gehört Fotovoltaik, und vor jedes landeseigene Gebäude gehören Parkplätze mit entsprechenden Ladestationen, und nicht nur hier am Landtag als Placebo. Die Teststrecken habe ich schon erwähnt. Dann könnte das Land die eigene Flotte und auch die Flotte der Kommunen konkret beeinflussen. Über den Ankauf wollten Sie beim letzten Mal nicht reden.
Langfristig müssen wir darüber reden – damit komme ich zum Ende –, ob die Digitale Revolution nicht eine soziale Revolution ist. Wir müssen darüber nachdenken, wie unser Sozialsystem in 20 Jahren auszusehen hat, wenn die Maschinen immer mehr unsere Arbeit übernehmen. Diese sozial-digitale Revolution müssen wir mit den Menschen und für die Menschen gestalten.
Fangen Sie an, eine Politik für morgen zu machen und nicht nur bis zur nächsten Wahl, dann wird aus der Schlusslicht-Bilanz auch eine vernünftige
Vielen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Drei Minuten sind fast zu knapp, um sich seriös mit diesem Antrag auseinandersetzen zu können.
Im Prinzip gehört der Antrag in einen Ausschuss, aber der Ausschuss wird hier wahrscheinlich durch eine Wahlurne ersetzt werden. Sei es drum.
Der Antrag der CDU behandelt in 13 Politikfeldern anhand von Zahlen die Schlussbilanz der rot-grünen Regierungsjahre ab 2010, um darzulegen, was im Land schiefgelaufen ist, nicht gut gelaufen ist und besser gemacht werden könnte – wie auch immer.
Wissen Sie was? Ich hege keinen Zweifel daran, dass die Zahlen, die unter Ziffer I genannt sind, zum großen Teil stimmen. Daran ist nichts postfaktisch, sondern das muss man einfach mal so sehen. Nur wenn man das erkennt als die Grundlage dessen, was in Zukunft geändert werden muss, ist man auf einem richtigen Weg. Davon habe heute leider zu wenig gehört.
Ich glaube auch, es ist vonseiten der SPD und auch der Grünen zu kurz gesprungen, lediglich die Regierungsjahre unter Schwarz-Gelb, von 2005 bis 2010, heranzuziehen, um darzulegen, warum das Land
Nordrhein-Westfalen heute so dasteht, wie es dasteht. Man müsste vielleicht mal die letzten 30 bis 40 Jahre beleuchten, um zu erkennen – möglicherweise auch im Rahmen von Strukturwandeldebatten –, was hier alles falsch gelaufen ist.