Christian Lindner

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU hat die verdienstvolle Aufgabe übernommen, mit dem hier vorliegenden Antrag noch mal eine Vielzahl von statistischen Größen zur Bilanzierung der Politik der Landesregierung vorzulegen. Dabei hätte es das gar nicht gebraucht. Es hätte schon allein ein schlanker Antrag gereicht, der zum Beispiel Herrn Mostofizadeh Gelegenheit gegeben hätte, hier die Rede zu halten, die er gerade gehalten hat. Denn alles, was man über diese Regierung wissen muss, konnte man seiner Rede entnehmen.
Was ist das für eine Regierungsfraktion, die sich im Jahr 2017 allen Ernstes noch an den Vorgängern aus dem Jahr 2010 abarbeiten muss?
Was für ein Armutszeugnis! Wenn man sieben Jahre Zeit hat, kommt man mit den alten Zahlen, und dann macht man den Vergleich noch nicht mal seriös. Dann kommen Sie allen Ernstes mit der Schuldenentwicklung und der Konsolidierung 2005 bis 2010 und wollen hier darlegen, damals sei bei der Stabilisierung der Finanzen weniger gemacht worden als jetzt.
Sind Sie noch zu retten? Wir hatten damals eine Weltfinanzkrise, und wenn Sie allein nur die Zinsentwicklung sehen: Würde Nordrhein-Westfalen heute so viel Zinsen zahlen, wie das im Jahr 2007 der Fall gewesen ist, wären die jährlichen Ausgaben allein für
die Zinsen 2 Milliarden € höher als jetzt. Das kehren Sie einfach unter den Teppich, weil es Ihnen nicht um eine ehrliche Bilanz, sondern um Schönfärberei geht.
Auch ein Blick in die Zeitungen der letzten Tage hätte schon enthüllt, wie die Landesregierung sich selbst sieht und was von ihrer Politik zu halten ist. Jetzt haben wir Wachstumszahlen bekommen, und Nordrhein-Westfalen hat wieder Wachstum. Darüber freuen wir uns auch. Im industriellen Bereich sind es allerdings nur 0,8%, verehrter Kollege Römer.
Wenn man die Preisentwicklung sieht, muss man sagen, dass es einen realen Verlust von Wirtschaftskraft gibt.
Der entscheidende Punkt aber, auf den ich hinaus will, ist ein anderer: 1,8 Prozent Wachstum …
… sind unterdurchschnittlich! Verehrte Damen und Herren der Regierung, wenn Sie bereits ein unterdurchschnittliches Wachstum bejubeln, dann haben Sie weniger Ambitionen, als dieses Land NordrheinWestfalen verdient hat.
Jetzt will ich mal zwei oder drei Punkte in Bezug auf die Sache anführen.
Frau Kraft, vielleicht schenken Sie mir Ihre Aufmerksamkeit auch noch bei diesem Punkt. Der Finanzminister kann gleich noch soufflieren, und die Piraten gehen ja auch noch ans Pult.
Mir geht es nämlich um einen wichtigen Punkt: In Bielefeld und auch auf Ihrem jetzt durchgeführten Parteitag haben Sie ja Herrn Schulz zugejubelt. Herr Schulz spricht immer von dem 50 Jahre alten Industriearbeiter, der Angst davor hat, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Überall sonst in Westdeutschland muss der Mann gar nicht so viel Angst haben. In NordrheinWestfalen aber ist die Angst durchaus berechtigt; denn von allen westdeutschen Ländern haben wir die zweitschlechteste Arbeitsmarktentwicklung. Selbst Länder wie Thüringen sind besser als NordrheinWestfalen.
Das ist doch das reale Problem! Dem Mann aus Bielefeld, von dem Herr Schulz spricht, ist doch nicht mit einem fünf Monate längeren Bezug von Arbeitslosengeld I geholfen. Der braucht einen Arbeitsplatz! Und damit Arbeitsplätze entstehen können, braucht man eine andere Wirtschaftspolitik.
Der Präsident der IHK NRW – übrigens hat auch der Kollege Duin selbst darauf hingewiesen, dass der Koalitionsvertrag anders geschlossen worden wäre, wenn er an den Koalitionsgesprächen mit den Grünen teilgenommen hätte – sagt doch: Immer, wenn es ein Gesetz aus Berlin oder Brüssel gibt, dann fällt der Landesregierung noch etwas ein, wie man es verschärfen kann. Und wenn es nichts aus Brüssel oder Berlin gibt, dann erfinden wir selber noch die Hygieneampel. – Das ist doch der Grund! Wenn man sieben Jahre lang eine solche Politik macht und dem Herrn Remmel jeder Wunsch von den Augen abgelesen und ins Gesetzblatt gebracht wird, dann gibt es irgendwann Schleifspuren am Arbeitsmarkt zu sehen. Und das muss enden!
Wenn Sie es mir nicht glauben, dann rufen Sie doch einmal bei Michael Vassiliadis an, der ist IG BCEVorsitzender und Ihr Genosse. Fragen Sie ihn doch mal, was er von Ihrer Energie- bzw. Klimapolitik und der teilweise ideologischen Politik im wirtschaftlichen Bereich, die Sie mit umsetzen müssen, so hält.
Ich komme zum zweiten Punkt, zur Bildung. Wir müssen uns hier jetzt nicht über die Statistiken austauschen. Die Lage ist schlechter als 2010. Sie ist schlechter, gerade bei den Kindern und Jugendlichen, die sich in der niedrigsten Kompetenzgruppe befinden, also einen besonderen Förderbedarf haben. Bei denen sind die nationalen Vergleichsergebnisse schlechter als 2010. Aus „Kein Kind zurücklassen!“ wurde „Mehr Kinder zurücklassen“.
Und auch das hat Gründe! Genauer gesagt hat es einen Grund, Frau Kraft. Und der sitzt neben Ihnen. Das ist nämlich Ihre ideologisierte Schulpolitik, wo Vorhaben wie die Inklusion ohne klare Qualitätsvorgaben zu Lasten sowohl der Kinder mit Behinderung als auch der Kinder in den Regelschulen durchgedrückt werden.
Wir haben Sie davor gewarnt, beim doppelten Abiturjahrgang die Lehrerstellen am Gymnasium abzubauen. Sie haben es trotzdem gemacht. Das Ergebnis ist jetzt die G8/G9-Debatte.
Ja, selbstverständlich! Die Unruhe am Gymnasium hat doch nichts mit dem G8 selbst zu tun, sondern mit der strukturellen Vernachlässigung, wodurch massenhaft Fachunterricht ausfällt. Das ist der Grund dafür, dass wir diese Debatte führen!
Ich sage Ihnen – wenn Sie es mir nicht glauben, Frau Kraft und Herr Mostofizadeh – jetzt noch Folgendes: Sie haben ja neulich gesagt, die Schulministerin Löhrmann sei die beste Schulministerin, die das Land jemals gesehen hat. Ich empfehle Ihnen einmal einen Blick in den Pressespiegel der Landesregierung. Instruktiv war letzte Woche ein Bericht über die Mitgliederversammlung der Grünen in Hamminkeln – Frau Löhrmann, Sie wissen es schon –; die sagten nämlich etwas ganz anderes. Sie sagten, sie sei die schlechteste Ministerin. Und es ging weiter. Ein Grüner, der im Lehrerberuf tätig ist, sagte – Zitat –:
„In meinem Kollegium ist die Stimmung absolut anti gegenüber meiner Chefin.“
Das zeigt, es gibt noch Grüne mit Realismus.
Das muss sich also ändern. Wir wollen das ändern.
Ich komme zum dritten und letzten Punkt, zum Verkehr. Im Transitland Nordrhein-Westfalen gab es 388.000 km Stau. Im Jahr 2010 hatten wir, glaube ich, über 70 Millionen € für Investitionen in die Landesstraßen – für Neubau – eingesetzt. Ich glaube, Herr Groschek, wir sind jetzt bei 32 Millionen €.
Ja, ja, ja! Engpässe beseitigen, bla, bla, bla! Das Verhältnis 70 zu 30 spricht eine deutliche Sprache.
2011 haben Sie auf Druck der Grünen 170 Maßnahmen aus der Bedarfsplanung des Bundes aktiv abgemeldet, weshalb wir vom Investitionshochlauf des Bundes gegenwärtig weniger profitieren als wir müssten; denn wir müssten überdurchschnittlich hohe Verkehrsinfrastrukturinvestitionen vornehmen.
Ich bin jetzt gleich am Ende, Herr Präsident. – Das ist ein katastrophaler Umgang mit der Ökologie; denn ein Liter Benzin, der im Stau verbraucht wird, ist wirklich klimaschädlich. Im Übrigen ist es auch eine Respektlosigkeit gegenüber den Menschen. Es hat einmal jemand ausgerechnet, dass in Nordrhein-Westfalen in jedem Jahr 100 Millionen Stunden Lebenszeit im Stau verbracht werden. Wir können aber Besseres tun, als auf die Rücklichter des Vordermanns zu schauen.
Meine Damen und Herren, wir könnten uns hier lange miteinander austauschen und streiten. Am 14. Mai werden die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes entscheiden, wie sie das Land sehen. Ich sage voraus: Die SPD wird gar nicht so viel verlieren. Deshalb sind Sie ja auch so ruhig. Sie werden aber Ihren grünen Koalitionspartner an der Wahlurne ausweiden, und am Ende wird es keine rot-grüne Mehrheit mehr geben.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Landtagsfraktion lehnt den Gesetzentwurf erstens aus verfassungsrechtlichen Bedenken ab. Die Wahlrechtsgrundsätze sind in unserer Verfassung geregelt. Die Hürde zu ihrer Änderung liegt hoch, und zwar zu Recht. Denn die Wahlrechtsgrundsätze und die Akzeptanz der repräsentativen Demokratie sind für ein friedliches Zusammenleben der staatlichen Gemeinschaft entscheidend.
Wir haben es Ihnen im Hauptausschuss in diesem Hause über lange Zeit während der Beratungen immer wieder gesagt: Der Landtag kann nicht ohne Änderung des Grundgesetzes das beschließen, was Sie hier beabsichtigen.
Herr Körfges, Sie selbst haben hier Bezug genommen auf eine rot-grüne, von der FDP seinerzeit sogar unterstützte Initiative im Landtag Niedersachsen. Was Sie nicht gesagt haben, war, dass das keine Gesetzesänderung war, sondern lediglich eine gemeinsame Initiative auf Bundesratsinitiative zur Änderung des Grundgesetzes. Daran hätten Sie sich orientieren sollen, statt hier einen Alleingang zu machen.
Nein, erst wenn ich mit meiner Argumentation zu Ende bin.
Meine Damen und Herren, das Wahlrecht darf kein Spielball parteipolitischer Einzelinteressen sein, …
… weil es einen Beitrag leisten muss zur Befriedung der Gesellschaft. Deshalb war es verantwortungslos, dass SPD, Grüne und Piraten ohne den Konsens mit CDU und FDP überhaupt eine solche Initiative hier ergriffen haben.
Herr Körfges, bitte.
Das erklärt sich jetzt durch meinen zweiten Punkt, den ich dartun will. Denn die Entscheidung im Landtag Niedersachsen war Mitte 2015, also vor der Migrationswelle und dem, was wir danach Flüchtlingskrise genannt haben.
Warten Sie doch einfach das Argument mal ab! Sie können es danach bewerten.
Nein, ich möchte jetzt mein zweites Argument darlegen, weil man gesehen hat, dass es Herrn Körfges interessiert.
Das erste Argument, Herr Kollege, war das verfassungsrechtliche. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf aus migrations- und gesellschaftspolitischen Gründen ab. Wir wollen Integration und aktive Teilhabe. Wir begrüßen das Engagement von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Vereinen und Verbänden – übrigens auch in Parteien und Integrationsräten –, und seit vielen Jahren war die FDP auch für ein Wahlrecht für Drittstaatenangehörige. Herr Körfges, Sie haben am gestrigen Tag noch mal auf unser Wahlprogramm aus dem Jahr 2013 hingewiesen. Wir reden über eine Bundesratsinitiative aus Niedersachsen aus dem Jahr 2015, Mitte des Jahres.
Seitdem aber hat sich die Lage in Deutschland für jeden sichtbar
deutlich verändert. Wir hatten eine Migrationswelle, die unseren Staat bis an den Rand des Organisationsversagens gebracht hat, und bis heute haben wir keine klare Regelung der Einwanderung.
Wir haben immer noch keine Kontrolle durch ein Einwanderungsgesetz. Das hätten Sie vorher mal machen sollen!
Wir haben unterdessen Sorgen hinsichtlich der Integration und Integrationsbereitschaft bei einem Teil
der Menschen mit Migrationshintergrund, die hier leben.
Und wir sind in einer Situation – das müssen Sie doch auch wahrnehmen! –, dass in unserem Land ein Kulturkampf droht zwischen denjenigen, die Weltoffenheit wollen, und denen, die für Abschottung plädieren.
In einer solchen Lage – keine Ordnung bei der Einwanderung, ungeklärte Fragen bei der Integration und politisch-kulturelle Irritation – diesen Gesetzentwurf vorzulegen, zeigt, dass Sie sich von den Realitäten im Land vollständig abgekoppelt haben.
Mit Verlaub, Kollege Körfges, ausgerechnet die SPD, die sich durch die Agenda 2010 und ihre Ergebnisse bestätigt fühlen könnte, macht eine Rolle rückwärts – ausgerechnet die SPD, die über Jahre in der Arbeitsmarktpolitik dazu gestanden hat und jetzt unter Martin Schulz nichts mehr davon wissen will.
Ausgerechnet von dieser SPD lassen wir uns keine Lektion in Prinzipientreue erteilen, Herr Körfges! Ausgerechnet!
Wir haben für die Neubewertung unserer Position in dieser Frage bessere Argumente als Sie für Ihre neue Arbeitsmarktpolitik.
Sie sind aber sehr nervös, Kollegen. – Ich will einen Satz sagen: Unsere Ablehnung dieses Gesetzentwurfs folgt …
Das wollen Sie mir aber nicht auf die Redezeit anrechnen.
Meine Güte, was ist das hier für eine Nervosität im Haus! Ihr habt doch alle gleich noch Redezeit und könnt noch darauf eingehen. Aber ihr müsst die Argumente aushalten, auch wenn sie euch nicht gefallen.
Ich muss noch einen Gedanken vortragen, weil ich mich ausdrücklich distanzieren will …
Könnt ihr nicht einfach mal kurz zuhören? Ist das nicht möglich? Was geben wir für ein Beispiel an Parlamentarismus ab, wenn die Grünen über den kernigen Zwischenruf hinaus permanent dazwischenquatschen, statt meine Argumente zu hören. Mannomann!
Mir liegt wirklich daran, noch einen Punkt vorzutragen, weil sich meine Fraktion ausdrücklich von der Ablehnung dieses Gesetzentwurfs seitens der CDU differenzieren will. Ich halte es für falsch, aus dem Drittstaatenwahlrecht sozusagen eine Lex Türkei zu machen und zu befürchten, dass dann überall die AKP- und Erdogan-Vertreter in den Räten sitzen.
Ich appelliere an die CDU, dieses Argument nicht weiter zu verwenden, weil es die Gefahr der Pauschalierung und Diskriminierung in sich trägt.
Wir haben doch die Situation, dass sich ein Teil der türkeistämmigen Menschen auch nach Jahrzehnten noch nicht bei uns zu Hause fühlt. Das hängt auch mit solchen Argumenten zusammen,
die deshalb aus dem Verkehr gezogen werden müssen.
Ja, aber ich habe gerade eine Minute durch die Zwischenrufe verloren.
Deshalb will ich noch einen Gedanken vortragen.
Ich komme zum Schluss. Es ist ein Ablenkungsmanöver, lieber Armin Laschet, jetzt über die Erdogan-Partei zu sprechen. Kümmert euch mal lieber darum, dass die Bundesregierung in der Frage der Auftritte türkischer Regierungsvertreter eine Linie hat, damit nicht Frau Kramp-Karrenbauer das machen muss.
Der letzte Gedanke: Das Wahlrecht ist nicht ein Instrument der Integration. Staatsangehörigkeit und Wahlrecht sind die Krönung der Integration; aber dann muss man auch die doppelte Staatsangehörigkeit zulassen, wenn man tatsächlich will, dass mehr Menschen davon Gebrauch machen.
Frau Kollegin Beer, ich habe ja erstens dargelegt, welche verfassungsrechtlichen Bedenken wir haben. Das kann für Sie keine Überraschung sein, weil wir diese regelmäßig im Hauptausschuss vorgetragen haben.
Zweitens habe ich Ihnen geschildert, dass wir in Deutschland nach unserer Überzeugung bislang keine klare Strategie zur Einwanderung verfolgen, dass wir Bedenken hinsichtlich der Integrationsbereitschaft haben und dass deshalb andere Dinge geklärt werden müssen, bevor wir darüber nachdenken.
Ich will Ihnen aber ganz klar noch abschließend sagen: Ich habe ein anderes Leitbild als Sie. Herr Kollege Ünal hat eben gesagt, Wahlrecht sei ein Menschenrecht. Ich finde, es ist zunächst einmal ein Bürgerrecht. Deshalb muss es das Ziel sein, dass die deutsche Staatsbürgerschaft als Krönung der Integration angesehen wird.
Wer lange hier bleibt und sich trotz der Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit gegen die deutsche Staatsangehörigkeit entscheidet, der dokumentiert damit auch ein Stück weit seine Auffassung, wie er sich in diesem Land integrieren will und welche Teilhabemöglichkeiten er wahrnehmen möchte und welche eben nicht.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Norbert Römer hat gegen Ende seiner Rede einen Appell an uns alle gerichtet, für den er den Beifall des gesamten Hauses bekommen hat. Gewalt und Einschüchterung dürfen keine Mittel der demokratischen Auseinandersetzung in Deutschland sein.
Wir können, wir sollen, ja wir müssen uns auch mit Härte auseinandersetzen. Es gehört zum Wesen der Demokratie, der freien Wahlentscheidung, dass es überhaupt Wahlalternativen gibt, die klar herausgearbeitet werden. Aber wir wollen in Deutschland keine politische Kultur der Verrohung, bei der es nicht um Profile für politische Positionen geht, sondern am Ende um die Vernichtung des politischen Gegners. Das können wir nicht wollen.
Obwohl ich gleich keine Samthandschuhe anziehen will, will ich zu Beginn meiner Rede nach Ihrem Schlussappell, Herr Kollege Römer, mein Angebot vom gestrigen Tag, das die SPD auf Bundesebene für den Bundestagswahlkampf ebenfalls öffentlich geäußert hat, wiederholen: ein Fairnessabkommen zu treffen, bei dem es zwar darum geht, unterschiedliche Positionen und unterschiedliche Werte gegeneinanderzustellen, damit die Menschen entscheiden können, wem sie eher vertrauen, aber auf persönliche Verunglimpfung, Lüge und Demagogie zu verzichten.
All diejenigen, die sich daran nicht beteiligen werden, geben den Wählerinnen und Wählern bereits einen Hinweis, dass sie nichts Gutes im Schilde führen.
Herr Römer, ich schätze Sie als einen Mann, der weiß, was im Lande vorgeht. Sie haben auch unseren kollegialen Respekt. Aus diesem Grund habe ich sehr aufmerksam zugehört, was Sie heute vorgetragen haben. Sie haben Nordrhein-Westfalen in wirklich beeindruckenden, schillernden Farben dargestellt. An einer Stelle sprachen Sie von einer weltweiten Spitzengruppe, der wir angehören würden. Von Helmut Schmidt stammt der Satz: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.
Ich muss Ihnen sagen: Wenn manche geglaubt haben, es gebe in der Sozialdemokratie einen Mangel an Visionen, so haben Sie diese Kritiker eines Besseren belehrt. Denn Sie haben tatsächlich eine visionäre Rede gehalten.
Bedauerlicherweise haben sich die Visionen nicht auf die Zukunft, sondern auf die Wahrnehmung der Gegenwart konzentriert, verehrter Kollege Römer.
Denn so, wie Sie es dargestellt haben, sehen wir es nicht. Wie haben Sie gerade – mit Blick auf die auch von uns geteilten Vorschläge, Studienbeiträge wieder einzuführen – versucht, Armin Laschet hier vorzuführen. Sie haben das dargestellt, als sei es eine große zivilisatorische Errungenschaft von Grünen und Sozialdemokraten gewesen, auf die Studienbeiträge zu verzichten.
Zugleich haben Sie die Bedeutung von Bildung und Innovation – als Voraussetzung für Wachstum und auch individuellen Wohlstand – für die Zukunft des Landes Nordrhein-Westfalen hervorgehoben. Wie passt das zusammen?
Seit 2010 müssen die Professorinnen und Professoren an den Hochschulen wesentlich mehr Studierende betreuen. Waren es 2010 an der Universität zu Köln noch gut 85 Studierende pro Professor, so sind es jetzt bald 100. Die AOK kommt in einer bundesweiten Vergleichsstudie deshalb zum Ergebnis: Nirgendwo sonst in Deutschland ist Studieren so stressig wie in Nordrhein-Westfalen.
Sie haben die Studienbeiträge abgeschafft, aber gezahlt dafür haben die jungen Menschen selbst, nämlich durch ein schlechteres und stressigeres Studium. Und dafür erwarten Sie noch Dank!
Genau diese konzeptionellen Alternativen werden wir im nächsten Jahr ja diskutieren.
Das werden wir beispielsweise auch bei der Frage der Gebührenfreiheit von Kindertageseinrichtungen machen. Da sind ja übrigens Grüne und Sozialdemokraten, wenn ich die Wahlprogramme richtig wahrgenommen habe, gar nicht einer Meinung.
Ich sage Ihnen: Ja, das Ziel des gebührenfreien Kitabesuches wird auch von uns geteilt. Dabei geht es nicht um eine Entlastung von Gering- und Normalverdienern, sondern um eine Entlastung von Familien mit gutem Einkommen.
Doch, Herr Zimkeit. Denn die Elternbeiträge müssen nämlich nach der bundesgesetzlichen Rechtsgrundlage nach Leistungsfähigkeit gestaffelt sein. – Im Unterschied zu Ihnen haben wir aber kein Problem damit, zu sagen: Ja, auch die Familie des Ingenieurs wollen wir gerne entlasten.
Deshalb ist das Ziel der Gebührenfreiheit der Kitas für uns auch eine Vision. Wir leben aber eben nicht im Paradies, sondern wir müssen uns zwischen unterschiedlichen Prioritäten entscheiden.
In der „Rheinischen Post“ stand heute etwas bezüglich des Aufholbedarfs bei der U3-Betreuung. Weil wir sehen, was qualitativ hinsichtlich der Bildung vor der Einschulung – auch zum Beispiel im Bereich der Sprachförderung – bei uns noch getan werden muss, sagen wir den Bürgerinnen und Bürgern: Ja, auch wir teilen das Ziel der Gebührenfreiheit des Kitabesuchs. Als Allererstes aber wollen wir die Qualität für eure Kinder besser machen!
Erst das eine, dann das andere.
Über die Wahrnehmung der Gegenwart werden wir im nächsten Frühjahr sprechen. Da gibt es Unterschiede. Das zeigt sich auch an ganz grundlegenden Zahlen und Zielen.
So hat die Frau Ministerpräsidentin in einem Interview mit dem in Berlin erscheinenden „Tagesspiegel“ vor einigen Wochen gesagt, in Nordrhein-Westfalen werde der Schuldenabbau nicht vernachlässigt. – Wenn man die nüchternen Zahlen sieht, Frau Ministerpräsidentin, muss man eine politische Wahlverwandtschaft mit Alexis Tsipras annehmen.
Auf der Homepage der Grünen – ich zitiere – heißt es:
„Wir stehen in der Verantwortung, unseren Kindern und Enkelkindern keinen Schuldenberg zu hinterlassen.“
Tatsache ist, dass seit 2010 19 Milliarden € zusätzlich auf genau diesen Schuldenberg draufgeschüttet worden sind. Schuldenstand: 143 Milliarden €! Das ist die Schlussbilanz des Kabinetts Kraftikakis!
Griechische Verhältnisse am Rhein! Keine Rede von Schuldenabbau!
Wir haben Rekordeinnahmen von bald 55 Milliarden €. Vor allen Dingen haben wir ein historisch tiefes Zinsniveau. Zu meinen Lebzeiten werden die folgenden makroökonomischen Bedingungen nicht
mehr zusammenkommen: niedriger Zins, künstlich niedriger Außenwert des Euro, Babyboomer alle noch voll im Erwerbsleben und günstige Rohstoffpreise. Diese makroökonomischen Faktoren werden – allein aufgrund des demografischen Wandels – nicht mehr in dieser Weise zusammenkommen.
Trotzdem machen Sie noch 1,6 Milliarden € neue Schulden.
Dann kommt noch die versteckte Kreditaufnahme dazu: Das bringt 300 Millionen € in die Landeskasse, die Sie weniger für den BLB ausgeben müssen. Die versteckte Kreditaufnahme durch die NRW.BANK bringt 500 Millionen € an Entlastung für den Landeshaushalt. Und die geschröpften Zuführungen für die Pensionsvorsorge machen 600 Millionen € aus. Da hinten sitzt Frau Dr. Mandt vom Landesrechnungshof, die das kritisiert hat. Insgesamt ist das Defizit Ihrer Politik also eigentlich um 1,4 Milliarden € höher, als Sie angeben. Das zeigt das Risiko auf.
Jetzt deutet sich eine Zinswende in den Vereinigten Staaten an. Sie wird zu uns kommen. Das DIW sagt: Die prosperierend steigenden Staatseinnahmen sind kein Naturgesetz, das ist keine Garantie auf Dauer.
Und trotz dieses einmaligen Umfeldes gelingt es Ihnen nicht, auf Neuverschuldung zu verzichten. Vielmehr müssen Sie auch noch Bilanzkosmetik machen. Das zeigt eines: Nicht in schlechten Zeiten ruiniert man den Haushalt, sondern in den guten, in den Boomzeiten ruiniert man ihn, weil nicht hinreichend Vorsorge getroffen wird. Für diese politische Weisheit sind Sie das Schulbeispiel!
Wir brauchen jetzt einen Politikwechsel. Die notorische Wachstumsschwäche des Landes muss angegangen werden. Es müssen bürokratische Bremsen gelöst werden. Der Staat muss sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren und, was diese betrifft, handlungsfähig gemacht werden. Vor allen Dingen muss diesem Land wieder Lust auf Leistung und Innovation gemacht werden. Dann hat es eine Zukunft.
Seit der ersten Lesung des Haushalts ist Ihre Bilanz nicht besser geworden – im Gegenteil! Zahlreiche Analysen und Studien haben unsere Sorgen und Bedenken, dass Nordrhein-Westfalen unter rot-grüner Verantwortung abgehängt ist, bestätigt. In einer Vergleichsstudie des „FOCUS“ liegen die nordrheinwestfälischen Städte ganz hinten; denn das Insolvenzrisiko ist insbesondere hier an Rhein und Ruhr am höchsten.
Bitte, was sagen Sie, Frau Ministerpräsidentin?
Ja, wir haben hier eine lebendige Debatte. Sie können sich ja auch an mich wenden, statt an Ihre Beamten. Ich kann im Unterschied zu Ihren Beamten auch widersprechen. Ihre Beamten dürfen das ja nicht.
Auch das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat Defizite offengelegt.
Dann spricht die Landesregierung in Gestalt von Herrn Duin davon, dass sei alles ein Zerrbild. Während die Menschen hier im Land Anschluss verlieren und den Menschen Chancen genommen werden, sprechen Sie von einem Zerrbild. Ganz konkret sagen die Zahlen etwas anderes. Die Kaufkraft der Menschen in Nordrhein-Westfalen liegt unter dem Bundesdurchschnitt. Und das ist das Ergebnis der Wachstumsschwäche des Landes Nordrhein-Westfalen.
Sie versuchen seit geraumer Zeit, Frau Kraft, Herr Duin, eine Charmeoffensive gegenüber der Wirtschaft. Fakt ist aber: Im Regierungshandeln hat diese Regierung seit 2010 wirklich alles getan, um Unternehmer und Unternehmen abzuschrecken – alles.
Ob Tariftreue- und Vergabegesetz – Herr Römer, das ist doch ein Symbol, übrigens ein Symbol, unter dem auch selbst die kommunale Verwaltung leidet – oder Landeswassergesetz oder
Landesentwicklungsplan: Dieses Land hat sich in den grünen Lianen eines Paragrafendschungels verfangen. Und daraus muss dieses Land wieder befreit werden. Das ist die Aufgabe.
Wir verkennen nicht, dass wesentliche Stellschrauben für die wirtschaftliche Entwicklung NordrheinWestfalens in Berlin gedreht werden. Wesentliche Stellschrauben für die Entwicklung dieses Landes werden in Berlin gedreht, etwa für die Energiepolitik, die das Energieland Nordrhein-Westfalen offensichtlich geschwächt hat.
Diese Landesregierung, Ihre Landesregierung, Frau Ministerpräsidentin, hat zu Anfang der Legislaturperiode angekündigt, dass sie einen Masterplan Energiewende vorlegen wollte. Darauf warten wir bis heute. Dem ist nichts gefolgt – im Gegenteil. Jetzt will der Bundesminister für Wirtschaft bundesweit die Netzentgelte vereinheitlichen. Das bedeutet wieder
500 Millionen € Belastung für Mittelstand und Industrie in Nordrhein-Westfalen.
Wo ist die Stimme dieses Landes in Berlin, um das zu verhindern? Wo ist die?
Die Steuer- und Abgabenpolitik des Bundes nimmt den Menschen Raum für Vorsorge und Investitionen, Herr Römer. Wenn Sie etwas für die Klein- und Geringverdiener tun wollen: Es ist nicht der Kitabeitrag. Der ist sozial gestaffelt. Da zahlt keine Krankenschwester 4.000 €. Wenn Sie für die etwas tun wollen, dann sorgen Sie dafür, dass die Pläne von Frau Nahles, dass die Rentenversicherung bald 25 % Beitrag erfordert, aus dem Verkehr gezogen werden. Da können Sie etwas tun für die Menschen mit kleinem Einkommen.
Nichts und keine Initiative aus Düsseldorf – im Gegenteil! Diese Landesregierung hat die Lage noch verschärft, zum Beispiel durch die Erhöhung der Grunderwerbsteuer.
Frau Ministerpräsidentin, Sie beklagen die Zuwanderungspolitik des Bundes jüngst wieder hinsichtlich der Möglichkeiten der Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern. Ihre Landesregierung ist aber offensichtlich gegenüber dem Bundesminister des Inneren so einflusslos, dass es immer noch keine tragfähigen Rückführungsabkommen in den MaghrebRaum gibt. Das ist doch auch Ihre Bundesregierung.
Wenn Sie die kritisieren, dann ist das auch die von Ihnen mitgetragene Regierung. Also tun Sie da etwas!
Tun Sie dafür etwas. Offensichtlich hat Ihr Wort da kein Gewicht.
Wie schlimm ist das? Sich integrierende Familien werden wir bald wieder abschieben, aber die Kriminellen werden wir nicht los, weil wir immer noch kein modernes Einwanderungsgesetz haben. Wo ist der NRW-Entwurf eines modernen Einwanderungsgesetzes, das diesen Irrsinn beendet?
Da schüttelt die Ministerpräsidentin mal wieder so den Kopf: Diese Opposition, was fordert die denn? Nehmen Sie sich ein Beispiel an Bayern, aber mit umgekehrten Vorzeichen! Die Bayern sind in der Debatte voll präsent und treiben die Bundesregierung,
leider zu oft auch in die falsche Richtung. Machen Sie sich die zum Vorbild, aber beanspruchen Sie die Meinungsführerschaft in progressiver, in moderner Hinsicht und hören Sie auf zu lachen, sondern handeln Sie endlich in dieser Frage!
Das erwarten die Menschen von Ihnen.
Im Ruhrgebiet gehen Ihnen doch Ihre eigenen Leute von der Fahne, weil sie das Gefühl haben, dass Sie genau diese Fragen von Einwanderung und Zuwanderung und Rechtstaatlichkeit nicht ernst nehmen. Sie lachen hier, Sie gehen in Fernsehsendungen, aber Sie ergreifen keine tragfähige Initiative, um die Probleme zu lösen. Mit Ihren Lichterketten kriegt man die Rechtspopulisten nicht klein. Die kriegt man nur klein mit Problemlösungen. Machen Sie das!
Es ist nicht nur Oppositionsgeblök, wie Sie gleich sagen werden. Selbst Wissenschaftler attestieren Ihnen doch, dass Nordrhein-Westfalen bundespolitisch an Gewicht verloren hat.
Seit Jahren – Zitat – lasse Nordrhein-Westfalen wichtige Impulse für die Bundespolitik vermissen, etwa in Form von innovativen Gesetzesvorlagen für den Bundesrat. – So Karl-Rudolf Korte und Ulrich von Alemann. Weil die rot-grüne Regierung nicht groß denkt, macht sie unser Land systematisch klein und kann die Interessen dieses größten Bundeslandes in Berlin nicht durchsetzen.
Und um das zu verdecken, kommt es dann zu Übersprungshandlungen wie neulich bei der Veranstaltung in Düsseldorf, als die Ministerpräsidentin sagte, dass sie in die Geheimnisse der Geschichte eingeweiht sei und wisse, wer der nächste SPDKanzlerkandidat wird. Das haben Sie ja getan. Das finde ich bemerkenswert.
Wenn Sie es wissen, sagen Sie es bitte! Wer wird es denn? Wenn Sie es nicht tun, dann täuschen Sie die Menschen und führen Sie an der Nase herum, ja. Ich verstehe das ja.
Da will man einmal zeigen, dass man in der SPD auch ganz vorne mit entscheidet, dann rutscht einem das so raus. Bedauerlicherweise ist das dann keine vertrauliche Veranstaltung, sondern eine öffentliche. Und so etwas wird dann aufgeschrieben. Da wird man mit konfrontiert.
Das ist Ihnen nicht rausgerutscht? Das heißt, Sie haben sogar wissentlich gesagt, Sie wüssten, wer der Kanzlerkandidat ist, und teilen es der Öffentlichkeit nicht mit.
Was machen Sie da für eine Scharade? Was ist das für eine Scharade, Frau Kraft? Das wüsste ich schon gern.
Sie konzentrieren Ihren Einfluss – Armin Laschet hat es vorhin bereits angesprochen – auf die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs, um aus der Position eines Nehmerlandes in die eines Geberlandes zu wechseln. Wie intensiv Sie dieses Thema vorantreiben, hat Armin Laschet hier bereits dargelegt. Inzwischen wissen wir aber, dass Sie Ihr Prestigevorhaben offensichtlich nicht umgesetzt haben; denn nach allen Prognoserechnungen wird NordrheinWestfalen ein Nehmerland bleiben.
Wo sind Ihre innovativen Vorschläge, etwa, dafür zu sorgen, dass Nordrhein-Westfalen flächendeckend eine vernünftige Breitbandinfrastruktur bekommt, und zwar nicht erst 2026, in zehn Jahren? Vor zehn Jahren gab es noch kein iPhone, und Sie sagen: In zehn Jahren wollen wir europäischer Durchschnitt sein.
Schon heute haben 40 % der Bevölkerung Schwedens Zugang zum Glasfasernetz. Wo bleibt ein innovativer Vorschlag von Ihnen?
Ich mache einen für Sie: Soll doch der Bund die Beteiligung an der Deutschen Post AG verkaufen und das Geld exklusiv für einen Innovationsfonds im Bereich Glasfaserausbau im ländlichen Raum zur Verfügung stellen.
Diesen Vorschlag könnten Sie doch einmal machen. Aber von Ihnen kommt nichts.
Zu den wenigen, wirklich an einer Hand abzuzählenden innovativen Vorschlägen aus Nordrhein-Westfalen gehören die Hygieneampel von Herrn Minister Remmel und das Unternehmensstrafrecht von Herrn Minister Kutschaty. Das ist doch symptomatisch. Wenn aus NRW neue Ideen kommen, dann taucht darin die Wirtschaft nur in Form von Kriminellen, Halsabschneidern und Betrügern auf. Da muss man
sich nicht wundern, wenn ein Bogen um NordrheinWestfalen gemacht wird.
Das ist doch so. Zur Fairness
gehört allerdings, auch positive Entwicklungen zu würdigen. Deshalb möchte ich hier auch durchaus positive Entwicklungen benennen.
Der Wirtschaftsminister hat industriepolitische Leitlinien vorgestellt, die in ihrer strategischen Richtung unsere Zustimmung gefunden haben. Es gab einen großen Bahnhof, auch mit Gerhard Schröder, allerdings offenbar keinen Kabinettsbeschluss. Etwas irritierend ist auch, dass die Ministerpräsidentin im Rahmen der 125-Jahr-Feier des Chemiewerks am Rhein gesagt hat, dass die Leitlinien nur Fortschreibung des Leitsatzes der Landesregierung seit 2010 seien.
Wie muss man das dann werten? Hat sich die Landesregierung sechs Jahre nicht an ihre eigenen Leitlinien gehalten, oder ist das, was Herr Duin vorgestellt hat, alter Wein in neuen Schläuchen, also ein PR-Gag, oder versucht die Ministerpräsidentin einen Konflikt in ihrer Regierung zu überdecken?
Ein zweites großes Manöver ist natürlich das Bündnis für den Infrastrukturausbau, um die Durchgrünung in diesem Feld zu überwinden. – Aha! Das begrüßen wir natürlich auch sehr, Herr Minister Groschek.
Vielleicht hat man jetzt auch ein Gefühl dafür, warum es bei den industriepolitischen Leitlinien keinen Kabinettsbeschluss gegeben hat;
denn die Grünen sprechen beim Bündnis für den Infrastrukturausbau öffentlich davon, das sei Verschwendung von Steuermitteln.
Das zeigt: Diese Initiativen sind kein Regierungshandeln, sondern nur SPD-Wahlkampf gegen die Grünen, und zwar dieserlei: Die Fliehkräfte nehmen zu. Während die grüne Spitzenkandidatin und Schulministerin ein Konzept für G8 und G9 vorlegt, lästert man in der SPD über das – Zitat – „schulpolitische Phantasialand“ und eine „Wünsch-Dir-was-Pädagogik“.
Herr Römer, Sie haben hier gerade ebenfalls eine Reform des Gymnasiums angekündigt. Es ist bemerkenswert, dass Ihnen nach fast sieben Jahren Regierungsverantwortung auffällt, dass dort irgendetwas im Argen liegt.
Das Hauptproblem dafür sitzt übrigens auf der Regierungsbank, und das, was im Argen liegt, ist die massive Vernachlässigung der Schulform Gymnasium.
Ihre Reform des Gymnasiums sollte ihren Ausgangspunkt mit der Reform der Regierungsbank nehmen. Damit wäre das wesentliche Problem in diesem Feld möglicherweise schneller gelöst als gedacht.
Aber ich warne Sie beide, Sozialdemokraten und Grüne, vor den Modellen, die Sie vorgelegt haben; denn in Nordrhein-Westfalen gibt es Schulen, die aus unterschiedlichen Gründen mit G8 ein Problem haben. Es gibt regionale Unterschiede, ein schlechtes Management, schlechte Rahmenbedingungen.
Es gibt aber auch Schulen, die kein Problem mit G8 haben, bei denen G8 funktioniert. Die wollen nicht zurück zu G9. Bei allem, was Sozialdemokraten und Grüne gleichermaßen – so widersprüchlich es auch sein mag, was SPD und Grüne wollen – vorgelegt haben, in einem Punkt sind sie sich einig: Sie bringen in jedes Gymnasium wieder Chaos und Unruhe. Wir hingegen wollen die Wahlfreiheit an den Schulen haben.
Keine Schule soll gegen ihren Willen ins Chaos gestoßen werden.
Aber die Fliehkräfte wirken weiter. Während die SPD den Bundesverkehrswegeplan aus Berlin bejubelt und diesen in Berlin mit verabschiedet hat, halten die Grünen ihn für – Zitat – „nicht zukunftsfähig“ und wollen ihn in der nächsten Legislaturperiode im Bund wieder aufschnüren.
Während die SPD auf Industriepartei macht und die Leitentscheidung für Garzweiler heute in Form des Wortes „Geleitschutz“ durch Herrn Römer hervorhebt – Herr Römer, das war Ihr Wort; Sie haben die Leitentscheidung für Garzweiler als Geleitschutz für die Energiewende bezeichnet –, untergraben die Grünen das mit ihren Wahlprogrammen, nämlich im Bund mit dem Kohleausstieg schon im Jahr 2025 und hier im Land in 2037. Das heißt, die Verabredung, die Sie hier loben, wird in Wahlprogrammen längst wieder infrage gestellt.
Während die SPD eine zu Recht härtere Gangart im Umgang mit nordafrikanischen Staaten fordert, sprechen die Grünen von Populismus. Während die Grünen ihre ideologische Genderpolitik bis über die Grenze der Verfassungswidrigkeit hinaus beim neuen Dienstrechtsgesetz durchsetzen, winken die Minister Jäger und Walter-Borjans noch schnell massenhaft Beförderungen vor dem Inkrafttreten durch und zeigen damit eindrucksvoll, was sie von ihrer eigenen Regierungspolitik halten.
Während sich die SPD-Vorsitzende Kraft bei jeder sich bietenden Gelegenheit von der Linkspartei und rot-rot-grünen Phantasien abgrenzen will, zeigen sich die Grünen bei jeder Gelegenheit explizit offen für Gespräche nach der Landtagswahl. Das zeigt eines: Die SPD kann das als richtig Erkannte nicht mehr durchsetzen. Im siebten Jahr ihrer Regierung haben sich die Gemeinsamkeiten erschöpft. Deshalb muss diese Regierung im Interesse des Landes abgelöst werden.
Kollege Römer, Sie haben ja eben Armin Laschet kritisiert.
Sie sagten, man wüsste das gar nicht so genau, und Bürokratieabbau sei nur so ein Wort usw. Schauen Sie, es ist auch eine Art des Denkens und eine Art der Herangehensweise an Probleme, die sich ändern muss, eine Frage der Prioritätensetzung.
Das will ich Ihnen an einem ganz kleinen Vorgang verdeutlichen. Was sich konkret ändern muss, zeigt eine Begebenheit, über die der „Sauerländer Volksfreund“ am 1. Dezember berichtet hat, und zwar unter der Überschrift: „Umweltministerium greift in Genehmigungsverfahren ein!“
Dem Märkischen Kreis reichten Unterlagen zur Artenschutzprüfung für eine Baugenehmigung für ein Windrad nicht aus. Da forderte der Märkische Kreis eine Neukartierung. Bei einem Gespräch zwischen dem Investor und der Kreisverwaltung erschien dann plötzlich auch ein Mitarbeiter aus dem Ministerium Remmel,
und zwar aus einer Taskforce für genau solche Gespräche. Deren Aufgabe sei es – so teilte das Ministerium dann wörtlich mit –, Probleme bei der Planung und Genehmigung von Anlagen der erneuerbaren Energien abzubauen.
Im Ergebnis prüft also nun das LANUV, ob eine Neukartierung nötig ist. Das Ergebnis ahnt man. Wo war eigentlich diese Taskforce, als es um newPark oder um Datteln 4 ging? Wo war da diese Taskforce?
Genau das ist doch die Wahrheit, und genau das ist doch das Problem. Was ideologisch gewünscht ist, wird ermöglicht. Was nicht in den Kram passt, wird gebremst.
Unbürokratisches Handeln braucht dieses Land aber nicht nur bei den grünen Prestigeprojekten, sondern bei allen Vorhaben, die das Land wieder stark machen können.
Nirgendwo ist das so deutlich geworden wie beim Landesentwicklungsplan. Vor über drei Jahren haben Sie Ihren ersten Entwurf vorgelegt. Es hat harsche Kritik gehagelt von allen Beteiligten an den Inhalten, zum Beispiel den Flächenbegrenzungen, den Siedlungsentwicklungen in kleinen Ortsteilen oder auch den verbindlichen Vorgaben zur Ausweisung von Windkraftgebieten.
Jetzt wurden Änderungen am LEP vorgenommen. Aber das Ergebnis, das Sie hier heute verabschieden wollen, ist unverändert ernüchternd. Denn im LEP fehlt eine Vision für die Zukunft unseres Landes.
Stattdessen konserviert der Landesentwicklungsplan lediglich den Status quo. Mit dem Grundsatz „Netto null“ nehmen Sie dem Land Nordrhein-Westfalen jede Entwicklungsmöglichkeit. Aber ein Land mit Wachstumsschwäche kann sich nicht erlauben, auf solche Impulse und Möglichkeiten zu verzichten.
Auf ein zweites Thema muss ich eingehen, auf das übrigens auch Umweltminister Remmel in einem Interview mit der „Westdeutschen Zeitung“ zu sprechen kam. Nämlich auf die Frage nach den drei größten Erfolgen der Grünen in dieser Legislaturperiode hat er geantwortet – Zitat –:
„Die große Aufgabe Inklusion endlich angepackt und den jahrzehntelangen Streit um die Schulstrukturen in einen Schulfrieden verwandelt zu haben.“
Also, die Schulpolitik haben die Grünen zwar angepackt, aber richtig im Griff behalten haben sie sie
nicht. Aus den Händen geglitten; jetzt liegt alles in Scherben, alles in Trümmern!
Oh, Frau Brems.
Ein empörter Zuruf, das sei Quatsch. Den will ich gerne, Frau Brems, weiterleiten an die Kinder- und Familienhilfen Michaelshoven.
Ihren qualifizierten Zwischenruf, das sei Quatsch, werde ich nach Michaelshoven weiterleiten als Ihre Antwort auf die Stellungnahme, die wir von dort dieser Tage zugeschickt bekommen haben. Zitat Kinder- und Familienhilfen Michaelshoven:
„Manche unserer SuS mit FS GE mit Förderschwerpunkt ‚Geistige Entwicklung‘ an Regelschulen verbringen die Hälfte der Unterrichtszeit mehr oder weniger alleine in einem Nebenraum oder, wenn selbiger fehlt, auf dem Flur. Hintergrund ist die Klassengröße und die Überforderungssituation für alle Beteiligten.“
Das ist Ihre Umsetzung eines Menschenrechts, Frau Löhrmann?
Das ist Ihre Umsetzung eines Menschenrechts?
Frau Brems, denen sagen Sie, das sei alles Quatsch. Kinder mit geistiger Behinderung verbringen an allgemeinen Schulen den Tag weitgehend unbetreut auf dem Flur. Das hat kein Kind in unserem Land verdient.
Frau Löhrmann, Sie haben aus der guten Idee Inklusion eine Ideologie gemacht.
Deshalb brauchen wir jetzt klare Qualitätskriterien, und Rechtsanspruch auf Inklusion kann nicht an jeder Regelschule umgesetzt werden. Wir brauchen Schwerpunktschulen, die tatsächlich personell und hinsichtlich ihrer sachlichen Ausstattung dazu in der Lage sind. Vor allen Dingen dürfen wir nicht zulassen, dass unsere Landschaft von Förderschulen, um die uns ganz Europa beneidet, durch Ihre Erlasslage zerschlagen wird.
Ihr Anspruch 2010 war, das Bildungssystem gerechter und leistungsfähiger zu machen. Sie haben einen Schulfrieden ausgerufen, Stichwort „längeres gemeinsames Lernen“. Ihr grünes Prestigeprojekt war
die erste Gemeinschaftsschule, die sogenannte Profilschule in Ascheberg. Frau Löhrmann, auf der Website Ihres Ministeriums kann man noch am heutigen Tag dazu lesen – Zitat –:
„In Ascheberg gibt es jetzt eine Schule der Zukunft.“
Die Realität ist, wie die „Westfälischen Nachrichten“ am 26. November berichtet haben:
Die Schülerzahlen gehen dort zurück, und nun droht, dass die Gemeinde ohne Schulangebot im Sekundarbereich dasteht.
Ihre Schule der Zukunft ist an vielen Stellen eine Schule ohne Zukunft.
Ihr Preis ist eine massive Fixierung auf einzelne Schulformen gewesen, im Umkehrschluss eine enorme Benachteiligung des anderen. An vielen Schulen klafft eine massive Lehrerlücke.
Bei den Berufskollegs sind es 1.400 Stellen. Trotzdem haben Sie 500 Stellen gestrichen, um vermeintlich Ihre Präventionspolitik zu belegen, obwohl die Aufgaben mit den Flüchtlingen nicht kleiner werden.
An Gymnasien beträgt die Lücke mehr als 1.000 Stellen. Das ist die Kienbaum-Lücke, aber für die Eltern macht es keinen Unterschied, warum der Unterricht strukturell ausfällt, Frau Löhrmann.
Das ist die Kienbaum-Lücke.
Dann schließen Sie die Kienbaum-Lücke und streichen Sie nicht 2.000 Stellen beim doppelten Abiturjahrgang, wie Sie es gemacht haben.
[Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Frau Löhrmann, sorgen Sie dafür, dass auch im bundesweiten Wettbewerb der Arbeitgeber NordrheinWestfalen attraktiv ist. Herr Zimkeit, Sie waren doch einer von denen, die gesagt haben: Ab A13 – also Studienrat – gibt es nicht einmal mehr Inflationsausgleich. – Natürlich, mit so einer Politik kommt kein Bewerber in den nordrhein-westfälischen Schuldienst. Ist doch klar!
Wenn Sie als Dienstherr die Leute so behandeln, dann werden Sie die Kienbaum-Lücke nicht schließen, dann werden die einen Bogen um Nordrhein
Westfalen machen; denn mit qualifizierten Abschlüssen und Staatsexamina gehen die woanders hin, wo sie für ihre Leistungen wertgeschätzt werden.
Sie haben die Leistungs- und Qualitätsstandards stetig und systematisch abgesenkt: keinerlei Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung, teilweise Abschaffung der Ziffernoten, miserable Ergebnisse bei dem Vorhaben „Lesen durch Schreiben“, fehlende Qualitätsstandards im Ganztag und der Inklusion. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Und zudem: Eine gezielte Förderung von Flüchtlingskindern findet an vielen Schulen, Frau Löhrmann, nicht mehr statt. Laut Flüchtlingsrat NRW werden Tausende Kinder nicht beschult, und zugleich sind viele Schulen massiv überfordert.
Die Ergebnisse sprechen für sich. Die Ansprüche werden gesenkt, zugleich werden die Noten immer besser. Begabte Kinder interessieren Sie weitgehend gar nicht, und die leistungsschwächeren Schüler werden unter Ihnen sogar noch schwächer. Immer mehr Schüler erreichen in Nordrhein-Westfalen nur das rudimentärste Kompetenzniveau. Statt kein Kind werden immer mehr Kinder zurückgelassen.
Der grüne Weg zur leistungslosen Einheitsschule
hat das Bildungssystem weder gerechter noch leistungsfähiger und auch nicht stabiler gemacht.
Das ist der nüchterne Vergleich zwischen Ihrer Politik seit dem Jahr 2010 und den Ländern, die dieser nivellierenden Ideologie nicht gefolgt sind. Deshalb sollten wir uns wieder an denen orientieren, die den Schulen mehr Freiheit geben, die Vielfalt im Bildungssystem erlauben und die vor allen Dingen Freude auf Leistung bei Kindern und Jugendlichen wecken wollen.
Wie geht es weiter? – Da erbitte ich mir gleich von Ihnen, Frau Ministerpräsidentin, eine klare Aussage. Ich bitte Sie darum, dass Sie von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen; denn es gibt in Ihrer Regierung einen offenen Dissens, was die weitere Entwicklung der Stellen im Schulbereich angeht.
Sie wollen zwischen 2018 und 2020 fast 7.000 Lehrerstellen streichen. Nach uns die Sintflut!
Das sind die 7.000 kw-Vermerke, die sich im Haushalt finden. Sie haben im Ausschuss gesagt, Frau Löhrmann – man kann das im Protokoll nachlesen –, das wolle man sich nach der Landtagswahl noch einmal genau ansehen. – Dazu kann ich nur raten.
Das haben Sie nicht gesagt? Was haben Sie gesagt?