Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie ganz herzlich willkommen zu unserer heutigen, 32. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt wie immer unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich sechs Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Auch heute dürfen wir jemandem zum Geburtstag gratulieren, nämlich dem Vizepräsidenten Herrn Dr. Gerhard Papke von der FDP. Herzlichen Glückwunsch, alle guten Wünsche und einen schönen Plenartag!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der 29. Mai 1993 gehört zweifellos zu den dunkelsten Tagen in der Geschichte unseres Bundeslandes Nordrhein
Westfalen. Am 29. Mai jährt sich der furchtbare Brandanschlag auf das Haus der Familie Genç in Solingen mit fünf toten Mädchen und Frauen zum 20. Mal.
Das ist Anlass für den Landtag von NordrheinWestfalen, in seiner letzten Plenarsitzung vor diesem erschütternden Datum der Opfer zu gedenken und der Familie Genç weiterhin zu signalisieren: Wir haben Sie nicht vergessen. Wir teilen Ihren Schmerz und Ihre Trauer, und wir wissen um unsere Verantwortung, die daraus erwächst.
Wohl wissend, dass durch das große öffentliche Interesse gerade die Zeit um den Jahrestag für die Familie Genç ein schwer zu ertragendes Wechselbad der Gefühle bedeutet und zu einer erheblichen seelischen Belastung beiträgt, habe ich bei der Familie angefragt, ob sie sich vorstellen könne, an diesem Gedenken teilzunehmen.
Die Antwort hat mich tief berührt. Sie lautete: „Ja, wir kommen gerne.“ – Deshalb bin ich sehr dankbar, Frau Mevlüde und Herrn Durmus Genç auf der Besuchertribüne begrüßen zu können. Seien Sie uns aus tiefstem Herzen willkommen!
Ebenso herzlich begrüße ich den Generalkonsul des Türkischen Generalkonsulats Düsseldorf, Herrn Firat Sunel, der das Ehepaar Genç begleitet. Herzlich willkommen, Herr Sunel!
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Brandanschlag von Solingen hat vor 20 Jahren großes Entsetzen und tiefe Ratlosigkeit ausgelöst. Warum Solingen? Wa
rum das Haus dieser Familie? Warum nur? So lauteten die hilflosen Fragen. Doch wir wissen auch: Solingen war kein Einzelfall. Die Ausschreitungen von Hoyerswerda 1991 bildeten den Auftakt zu einer Serie brutalster ausländerfeindlicher Ausschreitungen zu Anfang der 90er-Jahre in Deutschland. Es folgten 1992 die Brandanschläge von RostockLichtenhagen und von Mölln.
Die extreme Rechte, die immer selbstbewusster und ungehemmter agierte, hat die Täter damals zu den Anschlägen geradezu animiert. Und schließlich hat sie selbst ein eigenes Terrorkommando aufgebaut, wie wir heute wissen.
Die Bestrafung der Mörder konnte der Familie Genç ihre fünf Töchter und Enkelinnen nicht zurückgeben. Umso bewundernswerter und dankenswerter war und ist die Haltung von Frau Mevlüde Genç, die mit ihrem Mann diesen Schicksalsschlag mit unerschütterlicher Festigkeit im Glauben ertragen und getragen hat.
„Die Menschen müssen sich lieben und zusammenleben. Wir sind doch alle vom gleichen Gott geschaffen.“ – So Frau Genç. Und sie fügt hinzu: „Wir vertrauen unserem Staat.“ „Unserem Staat“ – diese Worte hat 1993 Frau Genç gesprochen und in der vorletzten Woche in einem Interview noch einmal wiederholt.
Ich gebe zu – ich hatte eben eine erste persönliche Begegnungsmöglichkeit –: Mich bewegen diese großherzigen Worte zutiefst. Sie werden von Familie Genç gelebt, sehr authentisch und sehr glaubwürdig. Vielen Dank dafür. Vielen Dank für diese Gnade, die Sie uns zuteilwerden lassen!
Johannes Rau, der unmittelbar am Morgen nach der Brandnacht am Ort des Anschlags war, hat bei der Trauerfeier wenige Tage später gesagt:
„Wir müssen aufpassen, … dass diese schreckliche Tat jetzt nicht das Gegeneinander von Gewalt und Gegengewalt auslöst. …
Solingen, das Geschehen vom 29. Mai, hat das Leben von fünf Menschen ausgelöscht und das Leben vieler Menschen schrecklich verändert: Solingen kann uns die Chance geben, umzudenken, weg vom Hass zum Miteinander zwischen den Menschen und den Völkern. Das ist das positive Signal nach der schrecklichen Tat.“
Der Brandanschlag von Solingen hat in der Tat eine Welle der Solidarität ausgelöst – in Solingen selbst, aber auch im gesamten Land. Unser Parlament hat seitdem im Bereich der Migrationspolitik stets in großer Einmütigkeit gehandelt. Das hat mit dazu geführt, dass rechtsradikale Parteien bisher in unserem Land keine Chance bei Landtagswahlen hatten. Behalten wir diese Einmütigkeit bei, weichen wir nicht davon ab!
Unsere deutsche Geschichte verlangt von uns, die Erinnerung und das Wissen für alle Zukunft wachzuhalten – auch und gerade in einer Zeit, in der uns der soeben begonnene NSU-Prozess ganz unübersehbar erleben lässt, wie fruchtbar der Schoß noch sein kann.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte abschießend Bekir Genç zu Wort kommen lassen, damals 15 Jahre alt, der mit schwersten Verbrennungen den Brandanschlag überlebte. Er hat sich nach dem Gerichtsurteil an die türkischen und deutschen Jugendlichen gewandt. Er hat gesagt:
„Wir Jugendlichen, egal, ob wir Deutsche oder Türken sind, egal, welche Hautfarbe wir haben oder aus welchem Land wir kommen, haben gemeinsame Interessen. …
Wir müssen uns gemeinsam für Verbesserungen einsetzen. Hass spaltet nur und führt im schlimmsten Fall zu solchen schrecklichen und sinnlosen Taten. … So etwas sollte sich nie mehr wiederholen.“
Tragen wir alle mit unseren Möglichkeiten dazu bei, dass in unserem Land jede und jeder leben kann – ohne Angst, verschieden zu sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn der Übergang etwas schwierig ist, treten wir jetzt in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.
Die Fraktion der CDU hat mit Schreiben vom 13. Mai dieses Jahres gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion Herrn Kollegen Biesenbach das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! In den letzten Wochen konnte sich ein Minister dieser Landesregierung in der Sonne vieler positiver Pressekommentare wohlfühlen. Das war der Innenminister Ralf Jäger, medienwirksam als unerschrockener Kämpfer gegen Extremisten und Kriminelle aller Art.
Nach Blitzmarathons mit Tausenden Beamten ließ er als weitere Beispiele Hundertschaften der Polizei gegen Rocker oder vor laufender Kamera zu vermeintlichen Razzien gegen Einbrecherbanden aufmarschieren, während Polizeihubschrauber am Himmel kreisten.
Wer diesen in allen Medien omnipotent präsenten Innenminister hörte, konnte den Eindruck gewinnen, Nordrhein-Westfalen sei ein Musterland bei der Bekämpfung der Kriminalität. So wirkte er auch gestern Abend bei den Debatten, insbesondere als er sich mit dem Kollegen Lohn so massiv auseinandersetzte.
Herr Minister, Sie konnten vor Kraft kaum laufen, und Sie erinnerten mich dann an Komikfiguren meiner Jugendzeit. Ich habe mich gefragt: Ist er jetzt mehr Tarzan oder er ist er gerade mehr Popeye, der zu viel Spinat gegessen hat.
Aber tatsächlich traf Sie gestern Mittag wieder die Wirklichkeit. Denn da wurde aus dem unermüdlichen Kämpfer für Recht und Ordnung wieder der Architekt Potemkinscher Dörfer.
Die nüchternen Zahlen der aktuellen Kriminalstatistik des von Ihnen so ungeliebten Bundesinnenministers entlarven Ihre Aktionen als des Kaisers neue Kleider, nämlich als Aktionen, die rein der Imagebildung für Herrn Jäger dienen.
Tatsächlich und leider ist NRW in Deutschland weiterhin das Flächenland mit der höchsten Kriminalitätsrate. Über 1,5 Millionen Straftaten verzeichnet die Statistik für 2012 – eine Zahl, die es übrigens, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in Nordrhein-Westfalen zuletzt gab, als der jetzige SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück als Ministerpräsident in unserem Land abgewählt wurde.
In Nordrhein-Westfalen entfielen 2012 auf 100.000 Einwohner 8.510 Straftaten, während es beispielsweise im traditionell sichersten Land Bayern lediglich 4.977 Straftaten sind. Bei uns werden aber nicht nur die meisten Straftaten in einem Flächenland verübt. Köln und Düsseldorf zählen auch zu den Kriminalitätshochburgen. Bei uns verfestigt sich außerdem der Trend beim Anstieg der Kriminalität. 2011 war der Anstieg der Kriminalität hier in Nordrhein-Westfalen fast fünf Mal so hoch wie im Bundesdurchschnitt, und in 2012 war er fünf Mal so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Leider werden bei uns gemeinsam mit Schleswig-Holstein auch die wenigsten Straftaten aufgeklärt. Mit 49,1 % wird unter Ihnen, Herr Minister, nicht einmal jede zweite Straftat aufgeklärt.
rhein-Westfalen Spitzenreiter. Mit mehr als 54.000 haben wir das höchste Fallaufkommen seit 1995. Mit den veröffentlichen Zahlen des Bundesinnenministers verzeichnet die Polizei seit 2008 ein Drittel mehr ausgeräumte Häuser und Wohnungen als bis dahin.
„Nordrhein-Westfalen eine Oase für Kriminelle“, titelte „Die Welt“ bereits im Januar 2012. Denn das Risiko der Täter ist bei uns in Nordrhein-Westfalen ausgesprochen gering. Die Aufklärungsquote bei Wohnungseinbrüchen beispielsweise beträgt landesweit 13,8 % und, man höre und staune, in Köln 6,3 %. Die Polizei ermittelt landesweit also nur bei jedem siebten bis achten Wohnungseinbruch einen Tatverdächtigen, in Köln sogar nur bei jedem 16. Wohnungseinbruch. Das ist Ihr Verdienst.