Protokoll der Sitzung vom 29.04.2015

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich heiße Sie alle ganz herzlich willkommen zu unserer heutigen, 83. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich acht Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Volker Jung ist tot. Mit dieser unendlich traurigen Nachricht sind wir alle in den Osterferien konfrontiert worden. Sie hat uns verstört und fassungslos gemacht. Auch heute, vier Wochen nach seinem Tod, fehlen uns erklärende Worte.

Unser tiefes Mitgefühl gilt im Besonderen seiner Frau, den beiden Söhnen sowie seinen Eltern, aber auch seinen vielen Freunden.

Bei der Trauerfeier in Herbram hat ein ganzes Dorf Abschied genommen von Volker Jung. Viele von uns, die daran teilgenommen haben, konnten erahnen, wie tief verwurzelt er in seiner Heimat, dem Paderborner Land, war und wie sehr er geschätzt und geliebt wurde.

Pfarrer und Landrat haben in der Kirche das Wirken von Volker Jung in seiner und für seine Heimat umfassend gewürdigt. Bei allem klang sehr deutlich hervor, wie sehr er sich von Kindesbeinen an engagiert hat – in der Kirchengemeinde, bei den Schützen, der Feuerwehr, als Spieler und Schiedsrichter im Fußball und auch in der Politik als Ortsvorsteher, Ratsmitglied und schließlich auch als Landtagsabgeordneter.

Sein Mandat hat er 2012 mit dem besten Direktwahlergebnis seiner Partei errungen. Hier im Landtag – ich bin sicher, im Namen aller sprechen zu können – haben wir Volker Jung als kenntnisreichen jungen Kollegen und darüber hinaus als überaus freundlichen, bescheidenen und liebenswerten

Menschen kennengelernt. Wenn wir miteinander gesprochen haben – hier oben am Präsidiumstisch oder in meinem Büro in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des FC Landtag –, immer waren diese Begegnungen von verbindlicher Herzlichkeit, ja fast von Freundschaft geprägt.

Volker Jung hat den Menschen zugewandt gelebt und ist dadurch früh zum Vorbild geworden. Uns bleibt nach seinem frühen Tod die Erinnerung an sein wirklich beachtliches Lebenswerk, das nachhaltige Spuren hinterlässt.

Unermesslich groß aber müssen bei Volker Jung Leiden und Schmerz gewesen sein, um aus diesem Leben zu scheiden. Wir alle haben davon nichts gewusst. Deshalb richte ich die Bitte an uns alle:

Lassen Sie uns in Zukunft noch stärker aufeinander achten!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute und morgen wird das Blumengesteck auf seinem Plenartisch an Volker Jung erinnern. Wir werden ihn aber auch darüber hinaus in dankbarer Erinnerung behalten.

Nun darf ich Sie bitten, sich zum Gedenken an Volker Jung von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Abgeordneten erheben sich von ihren Plätzen.)

Sie haben sich im Gedenken an unseren Kollegen von Ihren Plätzen erhoben. Wir werden ihn in Erinnerung behalten. – Ich danke Ihnen ganz herzlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn es nicht so einfach ist, nach einem solchen Beginn in die Plenarberatungen einzutreten, ist es sicherlich ganz im Sinne von Volker Jung, dass wir nun den ersten Tagesordnungspunkt aufrufen.

1 Nordrhein-Westfälische Unternehmen vor

Wirtschaftsspionage schützen

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/8531

Die Fraktion der Piraten hat mit Schreiben vom 27. April dieses Jahres gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu diesem aktuellen Thema der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der Piraten Herrn Dr. Paul das Wort.

Vielen Dank. – Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen. liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Es ist jetzt wirklich nicht einfach.

Aber seit Donnerstag letzter Woche steht ein skandalöser Verdacht im Raum. Nach Informationen des „SPIEGEL“ hat der Bundesnachrichtendienst in Tausenden Fällen Kommunikationsdaten von deutschen Unternehmen und Politikern gesammelt und an den amerikanischen Nachrichtendienst NSA weitergegeben.

Das Bundeskanzleramt war nachweislich seit dem Jahr 2008 informiert. Wir Piraten haben in der Begründung zur heutigen Aktuellen Stunde diesen Vorgang als „Amtshilfe“ des BND an die NSA bezeichnet.

Im Grunde ist das ein Euphemismus. Denn wenn die Informationen stimmen – das hat bisher keine Seite angezweifelt –, handelt es sich hierbei um Landesverrat auf Bundesebene, der höchstwahr

scheinlich auch das Hightechland Nordrhein

Westfalen betrifft.

Wir Piraten warnen seit Jahren vor den technischen Möglichkeiten und dem Willen der Nachrichtendienste, im In- und Ausland massenhaft Kommunikationsdaten abzugreifen und ihre Inhalte zu nutzen. Nicht erst seit Edward Snowden steht dabei auch der Verdacht auf Wirtschaftsspionage im Raum. Doch spätestens mit den neuesten Enthüllungen wird klar: Die NSA-Affäre ist zur Bundeskanzleramtsaffäre geworden. Die zuständigen Politiker tragen die politische Verantwortung.

Als wir Piraten das letzte Mal dieses Thema in den Landtag brachten, wurde uns vom Leiter der Abteilung Verfassungsschutz im Landesinnenministerium mitgeteilt, dass kein Grund zur Besorgnis bestehe. In seiner Stellungnahme ließ er das Parlament wissen, es lägen keine Erkenntnisse vor, dass sogenannte befreundete Dienste Wirtschaftsspionage in Nordrhein-Westfalen betrieben. Weiter hieß es beschwichtigend: Auch den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz liegen nach eigener Aussage keinerlei Erkenntnisse vor, die die These einer Wirtschaftsspionage aus dem Westen stützen.

Ist also alles nur grundloses Gerede, Verschwörungstheorie oder hanebüchene Spekulation? Nun stellt sich heraus, dass der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz vielleicht nur mal seinen Kollegen vom Bundesnachrichtendienst oder das zuständige Bundeskanzleramt hätte fragen sollen, das seit 2008 vollumfänglich darüber im Bilde war, wie die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschland von sogenannten befreundeten Diensten ausspioniert werden.

Das allein ist schon unglaublich genug, unfassbar aber ist, dass dies noch unter aktiver Mithilfe des vom deutschen Steuerzahler mit Millionen finanzierten BND geschieht. Da fehlen einem schlicht die Worte.

(Beifall von den PIRATEN)

Der Super-GAU in der deutschen Innenpolitik ist also da. Seit 2013, als Edward Snowden mit seinen mutigen Enthüllungen an die Öffentlichkeit trat, hat es nicht lange gedauert bis zur Kernschmelze jeglichen Vertrauens in die staatliche Integrität. Seitdem galt auf allen Ebenen der deutschen Politik in dieser Thematik nur eine einzige Handlungsanweisung, ob im Bund oder hier im Land: weggucken, vertuschen, leugnen, und wenn es gar nicht mehr anders geht und die Last der Beweise erdrückend wird, alles kleinreden und für komplett erledigt erklären. – Damit muss jetzt ein für alle Mal Schluss sein!

(Beifall von den PIRATEN)

Selbst der Hilferuf der Geschädigten gab unserer Landesregierung keinen Anlass zum Umdenken. So erklärte die Arbeitsgemeinschaft Produkt- und Know-how-Schutz in Ihrer Stellungnahme zu der

Anhörung Wirtschaftsspionage, die, von uns Piraten verlangt, im Februar 2014 hier im Plenarsaal stattfand – ich zitiere –:

„Die Hilfe der Politik, auch in NRW, ist verschwindend gering. Es gibt für Behörden und Politik einiges zu tun!“

Die Piraten haben bereits im Jahre 2013 Aufklärung gefordert, als wir das Thema „Wirtschaftsspionage“ hier einbrachten. Als ein Jahr später bekannt wurde, dass am Internetknotenpunkt DE-CIX in Frankfurt, übrigens von einem Kölner Unternehmen betrieben, ein millionenfacher Abgriff von Daten erfolgt ist – Stichwort: Eikonal –, haben wir wieder Aufklärung gefordert. Und auch heute fordern wir eine vollumfängliche Aufklärung der BND-Affäre.

Doch damit allein kann es diesmal nicht getan sein. Die Salamitaktik des Bundesnachrichtendienstes hat es selbst verursacht: Kein Mensch glaubt mehr daran, dass sich der Nachrichtendienst freiwillig einer ehrlichen Aufklärung und den daraus folgenden Konsequenzen unterzieht.

Wer trägt dafür die Verantwortung? Ist es FrankWalter Steinmeier, der den Bundesnachrichtendienst bis ins Jahr 2005 beaufsichtigte? Ist es sein Nachfolger Thomas de Maizière oder etwa Ronald Pofalla, der zudem im August 2013 wider besseres Wissen die Unverfrorenheit besaß, die NSA-Affäre für beendet zu erklären? Oder ist es der derzeitige Amtschef Peter Altmaier?

Fest steht: Es gibt ein eklatantes Staatsversagen der Sicherheitsbehörden.

(Beifall von den PIRATEN)

Das Bundeskanzleramt hat bei der Aufsicht des Bundesnachrichtendienstes versagt, und zwar sowohl unter christdemokratischer als auch unter sozialdemokratischer Führung. Deswegen erneuern wir Piraten unsere Forderung: Das Eigenleben der deutschen Nachrichtendienste schändet unsere Demokratie!

(Beifall von den PIRATEN)

Die Nachrichtendienste müssen wieder Teil des Rechtsstaats werden. Sie gehören an die parlamentarische Kette.

Was muss also getan werden, um die Bürger und Unternehmen in Nordrhein-Westfalen vor staatlichen Nachrichtendiensten zu schützen?

Erstens. Der Skandal muss vollumfänglich aufgeklärt werden, insbesondere im Hinblick auf betroffene Bürger und Unternehmen hier im Land.

Zweitens. Es muss endlich Schluss sein mit der Vertuschung und Verharmlosung des Spionageskandals – sowohl im Bund als auch hier in NRW. Sie, Herr Minister Jäger, und der Ihnen unterstellte Verfassungsschutz, der einen gesetzlichen Auftrag zur Spionageabwehr hat, müssen Ihre

„Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts“-Linie endlich aufgeben.

(Beifall von den PIRATEN)

Drittens. Die Bundesbehörden scheinen nicht willens oder in der Lage zu sein, dem Eigenleben des Dienstes Herr zu werden. Die Landesregierung und der Landtag müssen daher aus ureigenem Interesse die Bundesregierung auffordern, die Kontrolle über den BND zurückzuerlangen.