Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie alle ganz herzlich willkommen zu unserer heutigen, 69. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt insbesondere unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich elf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich noch einmal daran erinnern, dass wir uns bereits gestern darauf verständigt haben, den Tagesordnungspunkt 7 der heutigen Sitzung – „Chancen zur Profilierung eröffnen – Abschaffung von Noten für das Arbeits- und Sozialverhalten rückgängig machen“, einen Antrag der Fraktion der FDP mit der Drucksachennummer 16/6862 – auf die Plenarsitzung im November zu verschieben.
Weiterhin haben sich die Fraktionen zwischenzeitlich einvernehmlich darauf verständigt, zu Tagesordnungspunkt 3 – „Bildungsqualität fördern Teil 1: Gymnasien in ihrem pädagogischen Auftrag stärken“ – dabei handelt es sich um einen Antrag der Fraktion der CDU, der die Drucksachennummer 16/6858 trägt – heute keine Debatte zu führen. Die Aussprache und Abstimmung sollen erst nach Vorlage der Beschlussempfehlung des Fachausschusses erfolgen.
Erhebt sich gegen diese Veränderung der Tagesordnung respektive des Verhaltens hinsichtlich des Antrages Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann werden wir so verfahren.
Vernachlässigung und Misshandlung von Flüchtlingen in den Landesaufnahmen beenden – Die Landesregierung muss sich ihrer Verantwortung für Schutzsuchende in Nordrhein-Westfalen stellen
Landesregierung versagt bei Aufsicht und lässt Kommunen allein: Misshandlung Asylsuchender in nordrhein-westfälischen Flüchtlingsunterkünften muss dringend aufgeklärt werden!
Transparenz schaffen – Die Landesregierung darf sich nicht hinter den Aussagen von privaten Betreibern von Flüchtlingsunterbringungen verstecken
Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 29. September 2014 mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, zu diesem Thema zu unterrichten.
In Verbindung damit möchte ich Ihnen gerne noch mitteilen, dass die Fraktion der Piraten mit Schreiben vom 29. September 2014 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu einer aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt hat.
In Verbindung damit teile ich Ihnen auch mit, dass die Fraktion der CDU ebenfalls mit Schreiben vom 29. September 2014 und ebenfalls gemäß § 95 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung zu einer aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt hat.
In Verbindung mit den beiden beantragten Aktuellen Stunden und der Unterrichtung gibt es zudem einen Eilantrag der Fraktion der Piraten; er trägt die Drucksachennummer 16/6911. Mit Schreiben ebenfalls vom 29. September dieses Jahres hat die Fraktion der Piraten diesen Eilantrag fristgemäß eingebracht. Deshalb steht auch er in Verbindung mit den vorgenannten Punkten auf der Tagesordnung unter Tagesordnungspunkt 1.
Die Unterrichtung erfolgt durch Herrn Minister Jäger. Ich erteile Herrn Minister Jäger gerne das Wort.
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Grundrechte, wenn die Würde von Menschen verletzt wird, kann es nur eine Antwort des Rechtsstaates geben: eine lückenlose Aufklärung zum einen und aktives Handeln zum anderen. Und das muss schnell geschehen, aber zugleich auch sorgfältig geschehen. Danach richten wir uns aus, und so haben wir auch in den letzten Tagen agiert.
Eines möchte ich für die Landesregierung betonen: Wir stehen für eine Willkommensgesellschaft. Und das umfasst ganz ausdrücklich auch diejenigen, die bei uns in Nordrhein-Westfalen Schutz suchen. Nordrhein-Westfalen ist ein Land, das auch diese Menschen willkommen heißt.
Diesem hohen Anspruch sind wir allerdings nicht gerecht geworden. Wir haben den Fokus darauf gelegt, dass die Menschen ein Dach über dem Kopf haben, dass sie also nicht auf der Straße stehen oder unter Brücken übernachten müssen. Dabei haben wir die Einhaltung von Standards aus den Augen verloren. Das war, wie wir im Rückblick sehen, ein Fehler. Dieses Versäumnis darf sich nicht wiederholen.
Die Ministerpräsidentin hat es deutlich gesagt: Dafür gibt es keine Entschuldigung, die schrecklichen Vorfälle in Burbach sind in der Tat beschämend.
Hier geht es um Menschen, die zu uns kommen, weil sie Schutz suchen. Diesen Schutz müssen wir gewährleisten.
Herr Laschet, ich möchte deutlich sagen: Ich finde es sehr gut, dass Sie gestern nach Burbach gefahren sind und sich selbst ein Bild von der Situation vor Ort gemacht haben. Denn ich vermute, Ihnen geht es genauso wie mir: Wenn man diese Flüchtlingseinrichtungen besucht, erdet einen das. Man kommt als ein anderer heraus, als der man hineingegangen ist. Man empfindet sehr viel größere Dankbarkeit für Selbstverständlichkeiten: abends ein Dach über dem Kopf zu haben, sicher zu leben, und das im Kreise der Familie.
Das sind Dinge, die diese Menschen nicht haben. Sie kommen hierher. Sie verlassen ihre Heimat nicht ohne Grund, sondern in der Regel, weil sie vor Krieg und Verfolgung fliehen. Und sie kommen mit Hoffnungen nach Deutschland.
Es geht darum, diese Menschen zu schützen und ihre menschenwürdige Betreuung zu sichern. Das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Wir nehmen in diesem Jahr 40.000 bei uns auf. 40.000 – das ist in etwa die Einwohnerzahl von Kaarst oder Ahaus. Es ist eine große Herausforderung, die wir bewältigen müssen – übrigens nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern in allen Bundesländern, aber auch in den einzelnen Städten und Gemeinden. Die lassen wir nicht alleine.
sollte: Ich finde es nicht gut, dass Sie es so darstellen – zumindest habe ich das in den Medien so nachgelesen –, als würden wir die Gemeinden an der Stelle alleine lassen und ihnen nur 20 % ihrer Kosten erstatten. Das trifft nicht zu, Herr Laschet.
Wir zahlen in Nordrhein-Westfalen, anders als in einigen anderen Bundesländern, eine Pauschale. Es gibt keine prozentuale Abdeckung. Aber nach einer Abfrage in den Kommunen kann ich Ihnen sagen, dass beispielsweise die Gemeinde von Herrn Kuper – Gütersloh – eine Kostenabdeckung von 130 % bekommen hat. Pauschale Zahlen helfen also nicht weiter, Herr Laschet.
Es darf keine Frage des Geldes sein, dass wir in Nordrhein-Westfalen Humanität garantieren. Die Finanzmittel, die wir dazu benötigen, stellt der Finanzminister auch zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, mich haben die Vorfälle in Burbach – wie Sie wahrscheinlich auch – zutiefst schockiert. Wenn man daran denkt, empfindet man Empörung, man empfindet Fassungslosigkeit, aber vor allem empfindet man Wut.
Wichtig ist aber, sich von solchen Gefühlen in seinem Handeln nicht lähmen zu lassen, sondern aktiv nach vorne zu gehen: dass wir unsere Gefühle kanalisieren und unsere ganze Kraft dazu nutzen, die Dinge gemeinsam zum Besseren zu wenden. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass sich menschenverachtende, beschämende Demütigungen nicht wiederholen.
Damit haben wir unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe begonnen, und dieser Prozess ist auch noch nicht abgeschlossen. Wir haben bereits am letzten Freitag schnelle, wirkungsvolle Maßnahmen getroffen und in den letzten Tagen weitere folgen lassen. Darauf will ich im Laufe der Unterrichtung gerne noch einmal zurückkommen.
Bevor ich das aber tue, will ich Ihnen und den Besuchern auf der Tribüne kurz den Hergang der Ereignisse schildern.
Am Freitag, dem 26. September, hat ein freier Journalist der Pressestelle der Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein eine CD mit Bild- und Videoaufnahmen übergeben. Diese zeigen die mittlerweile bekannten Übergriffe und den entwürdigenden Umgang des privaten Sicherheitspersonals mit den Bewohnern der Flüchtlingsunterkunft in Burbach.
Sofort nach Bekanntwerden der Vorfälle hat die Polizei eine zügige und umfassende Aufklärung dieser Vorfälle aufgenommen. Nach Sichtung des Bild- und Videomaterials durch die Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein und das Polizeipräsidium Hagen wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung eingeleitet, und es wurde eine Ermittlungskommission eingesetzt.
durchgeführt. Hierbei wurden bei drei der sechs anwesenden Sicherheitsbediensteten verbotene Gegenstände, unter anderem ein Schlagring und zwei Teleskopschlagstöcke, gefunden. Daraufhin wurden diese drei Sicherheitsbediensteten unverzüglich der Notunterkunft verwiesen. Entsprechende Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitsverfahren sind eingeleitet.
Auf dem Mobiltelefon eines Sicherheitsdienstmitarbeiters wurde eine Fotografie gesichert, die einen gefesselten Bewohner in Bauchlage zeigt. Dieses Foto dürfte mittlerweile Ihnen allen bekannt sein.
Die Einrichtung Burbach wurde in der Nacht zu Samstag um 0:49 Uhr sowohl von den verbliebenen Sicherheitsmitarbeitern als auch rein vorsorglich zusätzlich von Polizeibeamten beaufsichtigt und anschließend an eine neue Sicherheitsfirma und neue Sicherheitsmitarbeiter übergeben.
Am Sonntagmorgen führte die Ermittlungskommission die Ermittlungen mit insgesamt 24 Beamtinnen und Beamten unter Beteiligung von Dolmetschern fort. Es wurden vorrangig die 96 Bewohner der Unterkunft befragt, die im Rahmen der normalen Verlegung am Montag in andere Unterkünfte kommen sollten. Zugleich wurden die beiden auf dem Foto abgelichteten Tatverdächtigen ermittelt, ihre Wohnungen durchsucht und die Personen vorläufig festgenommen.
Zwischenzeitlich wurde auch der Ersteller des Fotos identifiziert und seine Wohnung ebenfalls durchsucht. Das abgebildete Opfer konnte ebenfalls ermittelt und zu den Geschehnissen befragt werden.