Protokoll der Sitzung vom 02.10.2014

Zwischenzeitlich wurde auch der Ersteller des Fotos identifiziert und seine Wohnung ebenfalls durchsucht. Das abgebildete Opfer konnte ebenfalls ermittelt und zu den Geschehnissen befragt werden.

Die weiteren Ermittlungen haben zur Identifizierung der zwei auf dem Video zu hörenden Sicherheitsbediensteten geführt. Auch bei diesen wurden umfangreiche strafprozessuale Maßnahmen durchgeführt. Das Opfer der Tat ist bedauerlicherweise immer noch unbekannt.

Meine Damen und Herren, für uns als Landesregierung steht die Aufklärung dieser und womöglich weiterer Vorgänge an oberster Stelle. Wir haben uns deshalb am Sonntag bewusst dazu entschieden: Diese Vorgänge machen wir öffentlich, und zwar schnellstmöglich im Rahmen einer – dann stattgefundenen – Pressekonferenz. Wir treiben die Aufklärung so transparent und so offen wie möglich voran, weil wir dieses Thema nicht totschweigen, weil wir es nicht unter den Tisch kehren. Deshalb werden wir flächendeckend jedem Verdacht nachgehen, jeden Vorwurf ernst nehmen und alle gebotenen Konsequenzen daraus ziehen.

Aus diesem Grunde habe ich das LKA bereits am Sonntag mit der zentralen Führung der Ermittlungen beauftragt. Der Auftrag ist klar: alle Unterbringungseinrichtungen des Landes auf gleichgelagerte Sachverhalte zu überprüfen. Ich wiederhole: Nichts, aber auch gar nichts wird unter den Teppich gekehrt.

Ich selbst war am Montag bei den Bewohnern in Burbach. Ich sage Ihnen ganz offen: Die Gespräche haben mit Mut gemacht. Diese Menschen haben das Vertrauen in unseren Rechtsstaat eben nicht aufgegeben – trotz dieser Vorgänge. Sie sind dankbar, dass sie jetzt Gehör finden und ihre Aussagen ernst genommen werden. Mir persönlich hat das wirklich imponiert.

Ich betone noch einmal: Wir wollen, dass alle Vorgänge, die in irgendeiner Weise auf Straftaten in den Einrichtungen hindeuten, auf den Tisch kommen. Wir wollen die gesamte Angelegenheit lückenlos und sorgfältig aufklären und aufarbeiten.

Ich habe schon eingangs betont: Neben der lückenlosen Aufklärung brauchen wir auch eindeutiges Handeln. Wir haben gehandelt. Die Bezirksregierung Arnsberg hat sofort, nachdem sie von den Vorfällen erfahren hat, noch am Freitagabend, umfassende Sofortmaßnahmen eingeleitet. Im Vordergrund stand dabei der Schutz der Bewohner. Für diesen Schutz ist seit Freitag, 24 Uhr, ein neues Sicherheitsunternehmen zuständig, das klar definierte Qualitätsstandards garantiert. Das beschuldigte Sicherheitsunternehmen – ich hatte vorhin bereits davon gesprochen – wurde entlassen und wird nicht mehr für Schutzaufgaben eingesetzt.

Um es an dieser Stelle deutlich zu sagen: Das Land duldet es nicht, wenn Kriminelle für die Sicherheit in unseren Ländereinrichtungen sorgen sollen. Das nehmen wir nicht hin. Dem haben wir auch deutlich einen Riegel vorgeschoben.

Die raschen Sofortmaßnahmen waren aber nur ein erster Schritt. Wir haben dem Betreiber eine Zusammenarbeit mit Subunternehmen seit Freitagabend untersagt. Die Betreiber sind dazu verpflichtet, nur noch Sicherheitspersonal zu beschäftigen, das auf freiwilliger Basis einer Sicherheitsüberprüfung durch Polizei und Verfassungsschutz zustimmt.

Noch am Freitag wurde der Geschäftsführer von European Homecare persönlich und unmittelbar zu einem Krisengespräch mit der Bezirksregierung Arnsberg einbestellt. Er hat diese und alle weiteren Forderungen akzeptiert und ihre Einhaltung ausdrücklich zugesichert.

Alle Betreiber haben inzwischen die neuen Standards akzeptiert. Das sind neben European Homecare auch und ganz überwiegend die für uns tätigen karitativen Hilfsorganisationen Malteser, Johanniter, Kolpingwerk und das Deutsche Rote Kreuz.

Um sicherzustellen, dass diese von uns skizzierten Maßnahmen greifen, haben wir das Personal aufgestockt. Seit gestern sorgt eine Taskforce mit zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür, dass die in allen Landesunterkünften geltenden Standards auch eingehalten werden – zusätzlich zu dem bisherigen Personal. Daneben hat das Kabinett beschlossen, der Bezirksregierung Arnsberg 23 zu

sätzliche Stellen zu bewilligen. Diese personellen Verstärkungen sind wichtig. Ebenso wichtig ist die Prüfung der bestehenden Strukturen.

Meine Damen und Herren, Sie sehen wie ich abends Nachrichten. Sie sehen selbst, was im Nordirak, was in Syrien zurzeit geschieht: die vermutlich größte Flüchtlingsbewegung unserer Zeit. Wir alle wissen: Die Herausforderung, Flüchtlinge aufzunehmen, wird künftig noch wachsen, meine Damen und Herren. Im Lichte der Vorfälle in Burbach werden wir deshalb intensiv darüber diskutieren, ob wir unsere Maßnahmen den Erfordernissen weiter anpassen müssen. Das ist eine logische Konsequenz für mich.

Meine Damen und Herren, ich habe ausgeführt, was wir in Nordrhein-Westfalen tun: Wir klären die schrecklichen Vorfälle in Burbach auf. Wir gehen allen Hinweisen lückenlos nach; das tun wir proaktiv, sorgfältig und schnell. Wir schaffen jetzt und in Zukunft die Voraussetzungen, um solche schrecklichen Überfälle zu verhindern.

All das tun wir mit einem Konzept, das Wirkung zeigt: kurzfristig mit umfassenden Sofortmaßnahmen, mittelfristig mit personellen Verstärkungen, mit Transparenz und Offenheit und langfristig mit der kritischen Überprüfung, was wir zukünftig noch besser machen können.

Dabei schauen wir nicht nur auf uns selbst, nicht nur auf Nordrhein-Westfalen – das reicht uns nicht –, sondern wir suchen auch die Unterstützung der anderen Länder. Ich habe gestern mit dem Bundesinnenminister vereinbart, dass wir, die Landesinnenminister und der Bundesinnenminister, uns in der übernächsten Woche treffen. Es gibt großen Bedarf, dargestellt zu bekommen, wie wir diese Sicherheitsstandards, die so in keinem anderen Bundesland gelten, hier definiert haben, weil natürlich auch in den anderen Bundesländern die Sorge groß ist und die Brisanz des Themas erkannt wird.

Meine Damen und Herren, Willkommenskultur darf nicht nur Bestandteil politischer Sonntagsreden sein. Dafür müssen wir uns alle einsetzen. Dafür können wir alle einen Beitrag vor Ort leisten. Ich werbe noch einmal ausdrücklich für den Abbau von Vorurteilen an allen Orten, was Flüchtlingseinrichtungen angeht.

Es ist wichtig, dass wir es partei- und fraktionsübergreifend als gemeinsame Aufgabe betrachten, Einrichtungen für Schutzsuchende zu schaffen und diese nicht politisch zu blockieren. Wir alle müssen dabei helfen, Ängste unserer Bürgerinnen und Bürger abzubauen. Wir brauchen dringend ihre Akzeptanz; denn wir müssen auch zukünftig absehbar mehr Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen aufnehmen.

Wir müssen als Demokraten Einigkeit demonstrieren, wenn es darum geht, Gewalt in jeder Form aufs

Schärfste zu verurteilen, insbesondere solche, die sich gegen Schutzbedürftige richtet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir müssen uns mit den Bewohnerinnen und Bewohnern solcher Einrichtungen klar solidarisieren. Aber wir müssen vor allem nicht nur über sie reden, sondern mit ihnen reden. Das umfasst auch, ihre Vertreter mit ins Boot zu nehmen. Deshalb ist der runde Tisch, den die Ministerpräsidentin initiiert hat, immens wichtig. Dort werden sie und ich gemeinsam mit den Kirchen, mit den Flüchtlingsverbänden, mit den Wohlfahrtsverbänden und mit den kommunalen Spitzenverbänden intensive Gespräche führen. Es geht um die konkreten Fragen: Was können wir in diesem Land noch besser tun? Wie können wir gemeinsam dazu aufrufen, die Türen aufzumachen und Sicherheit zu gewährleisten? Wie gewinnen wir mehr Vertrauen?

Ich habe es eben gesagt: Wir brauchen das Vertrauen der Menschen vor Ort in den Einrichtungen. Wir sind darauf angewiesen, dass diese Missstände offen angesprochen werden, dass wir Hinweise bekommen, wenn Standards nicht eingehalten werden. Das geht nur mit gegenseitigem Vertrauen.

Diese Landesregierung, meine Damen und Herren, ist sich der großen Verantwortung und der Herausforderungen bewusst, die wir jetzt und in Zukunft zu bewältigen haben. Noch einmal: Wir nehmen diese Herausforderung an. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Herr Kollege Laschet, Fraktionsvorsitzender der CDU-Fraktion, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe vor einigen Tagen mit einem Kollegen über Standards für die Betreuung von Flüchtlingen gesprochen. Der sagte mir: Eigentlich ist der Standard relativ leicht zu definieren; er steht in Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Wir haben in diesen Tagen in Burbach erlebt, dass der Staat dieser Verpflichtung nicht gerecht geworden ist:

Es gab das Problemzimmer, in dem Asylbewerber bis zu acht Stunden lang eingesperrt waren.

Es gibt inzwischen die schrecklichen Aussagen eines Wachmanns, der beschreibt, wie bestimmte Akteure dort tätig waren, die sich „SS-Trupps“ nannten und in einer WhatsApp-Gruppe genau diese Bilder

untereinander getauscht haben, die wir gestern gesehen haben. – Ich fürchte, es könnte da noch mehr geben.

Und wir haben eine Art rechtsfreien Raum festgestellt, der das Bild von Nordrhein-Westfalen in Europa, in Deutschland nachhaltig beschädigt hat, weil solche Bilder natürlich direkt weltweit gezeigt werden – als Verhalten in Deutschland. Das ist eine Schande für unser Land. Das trübt das Bild von Nordrhein-Westfalen in der Welt.

Deshalb war das richtig, Frau Ministerpräsidentin, dass Sie schon am Montag in Berlin und am Dienstag im Katholischen Büro gesagt haben, dass Sie sich für dieses Unrecht schämen, dass Sie öffentlich eingeräumt haben, dass es Versäumnisse bei der Aufsicht durch die Landesregierung gegeben hat.

Auch die Kollegin Düker hat in ihrem Interview im „Deutschlandfunk“ gesagt, auch die Landesregierung trage die politische Verantwortung für das, was in Burbach geschehen sei.

Bei Ihnen, Herr Minister Jäger, klang das heute ganz anders, als Jäger normalerweise klingt. Bei Ihrer Pressekonferenz haben Sie erst mal gesagt: Es gab keine Versäumnisse. Man kann nichts dagegen machen, wenn es da ein paar kriminelle Elemente gibt. Es war alles richtig, es war alles gut, und jetzt werden wir noch besser, und wieder liegen wir an der Spitze aller deutschen Länder. – So haben Sie das, was Sie jetzt vorhaben, gerade beschrieben.

Die Frage ist: Was muss die Regierung im Lande Nordrhein-Westfalen machen?

Das Erste wäre: Sie, Herr Jäger, treten in Fragen der inneren Sicherheit – nicht nur bei diesem einen Fall – immer erst mal mit martialischer Sprache auf: Zentrale Ermittlungsführung wird jetzt dem Landeskriminalamt übertragen: „Ich sage es in aller Deutlichkeit: Das Land kooperiert nicht mit Sicherheitsdiensten, die Kriminelle anheuern.“ – Nein, Herr Jäger! Sie haben mit Sicherheitsdiensten kooperiert, die Kriminelle eingestellt haben. Das ist das Problem.

(Beifall von der CDU, der FDP, den PIRATEN und Robert Stein [fraktionslos])

Man kann nicht jedes Problem mit großer martialischer Sprache beheben, sondern man muss vorher politische Verantwortung übernehmen, wenn man ein Ministerium führt, und sich überlegen: Was müsste denn da geschehen?

Gestern hat Regierungspräsident Bollermann aus Arnsberg – ein engagierter Kollege, dem all das sehr zu Herzen geht; wir kennen ihn noch aus der Zeit im Landtag – geschildert, was er im Moment in 18 oder 19 Unterkünften im ganzen Land Nordrhein-Westfalen mit seiner Bezirksregierung in Arnsberg sicherstellen muss. Er hat gestern mit den Wohlfahrtsverbänden und mit European Homecare

verabredet, was in Zukunft passieren soll. Das sind sieben Maßnahmen:

Es sollen keine weiteren Subunternehmer, sondern nur unmittelbar Personal von auftragnehmenden Sicherheitsdiensten beschäftigt werden.

Es soll ausschließlich Personal mit Sachkundeprüfung nach § 34 Gewerbeordnung eingesetzt werden.

Es soll tariflicher Mindestlohn gezahlt werden. Für alle im Sicherheitsdienst Beschäftigen soll ein polizeiliches Führungszeugnis vorliegen. Es sollen alle im Sicherheitsdienst Beschäftigten eine Erklärung vorlegen, in der sie bescheinigen, dass keine für die Tätigkeit relevanten Vorstrafen – Körperverletzung, Verstöße gegen das Bundesbetäubungsmittelgesetz, Sexual- und Staatsschutzdelikte – vorliegen. Es soll eine Zuverlässigkeitsprüfung des örtlichen Ordnungsamtes vorliegen.

(Christian Lindner [FDP]: Selbstverständlich- keiten!)

Das sind Punkte, die man ganz am Anfang – und nicht erst gestern – hätte regeln müssen!

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Es ist doch eine pure Selbstverständlichkeit, dass solche Minimalstandards bei Schutzbefohlenen, die sich nicht wehren können, eingehalten werden. Die Ministerin Bilkay Öney in Baden-Württemberg hat gesagt: Das alles machen wir in Baden-Württemberg schon. Von anderen Bundesländern zu schweigen! Das ist die Frage der politischen Verantwortung.

Sie machen ein Tariftreue- und Vergabegesetz, wo Sie jeden Handwerker 30 Seiten ausfüllen lassen, ob irgendwelche Steine in Kinderarbeit in Indien hergestellt werden, aber Sie gucken nicht danach, was in Flüchtlingsheimen los ist!