Protokoll der Sitzung vom 05.04.2017

Doch trotz der geäußerten Kritik am Vorgehen der Europäischen Kommission ist das übergeordnete Ziel, das damit verfolgt wird, nicht falsch: Wir wollen ja ein Europa, in dem qualifizierte Menschen ihren Beruf über Ländergrenzen hinweg ausüben können, und das auch im Dienstleistungssektor.

Insbesondere Nordrhein-Westfalen, dessen Bürger die offenen Grenzen zu den Nachbarstaaten Belgien und den Niederlanden zu schätzen wissen, stünde es sehr gut zu Gesicht, sich für diesen offenen und richtigen Ansatz einzusetzen; denn wenn eine Qualität vorhanden ist, sollte die Bürokratie keine unnötigen Hürden in die Welt setzen. Das gilt nicht nur im Inland, sondern natürlich auch in der europäischen Staatenfamilie.

Nur eins ist mit uns nicht zu machen: Wir sprechen uns klar und deutlich gegen einen Abwärtswettlauf, gegen einen „Race to the Bottom“ der Qualitätsniveaus in Europa aus. An der Qualität sparen hieße, am falschen Ende zu sparen. Diese Botschaft müssen wir gemeinsam an die Europäische Kommission senden.

Lassen Sie mich als letzten Punkt noch auf die Form der Qualifikationsnachweise vor dem Hintergrund langfristiger gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen und Veränderungen eingehen – denn durch die kürzer werdenden Innovationszyklen und die Digitale Revolution reduziert sich auch die Halbwertszeit des erlernten Fachwissens.

Wir Piraten setzen uns daher dafür ein, dass in den Berufen, in denen Fachwissen auf dem neusten technischen Stand wichtig ist, auch aktuelle Kompetenznachweise in Form von Zertifikaten eingefordert werden. Diese sollten für den Verbraucher vergleichbar angegeben werden. Das schafft Transparenz, und letztendlich resultiert das in einem Vertrauen zwischen Leistungserbringer und Kunde.

Wir fordern mit unserem Entschließungsantrag die Landesregierung auf, den weiteren europäischen Prozess zum Dienstleistungspaket kritisch, aber eben auch konstruktiv zu begleiten. In jetziger Form darf es nicht angenommen werden. Die Subsidiarität in der EU-Gesetzgebung ist ein hohes Gut.

Wir haben uns in der Fraktion entschlossen – da es ja in diesem Fall um Europa geht, und Europa verlangt immer so etwas wie gemeinsame Signale –, uns zu den anderen Anträgen zu enthalten. – Vielen lieben Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Paul. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Duin das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, man kann sehr einvernehmlich – das hat ja auch die Diskussion in der letzten Plenarwoche zum Abschlussbericht der Enquetekommission noch einmal deutlich gemacht – sagen, dass alle hier vertretenen Fraktionen, aber eben auch ganz ausdrücklich die Landesregierung, die Elemente, um die es hier und heute in der Diskussion geht, besonders hochschätzen, man könnte sogar sagen, stolz darauf sind – stolz auf die duale Ausbildung, stolz auf das, was wir „Meisterpflicht“ nennen, auf die Selbstverwaltung der Wirtschaft und nicht zuletzt gerade auch im Handwerk auf die Sozialpartnerschaft.

Wir haben nicht zum ersten Mal seitens der EU eine Diskussion, wo es um das sogenannte Herkunftslandprinzip geht – nämlich dass nicht die Standards hier bei uns eigenverantwortlich gesetzt werden können, sondern dass es darum geht, irgendwelche Standards zur Anwendung kommen zu lassen, wenn hier gearbeitet wird. Deswegen sagen wir ganz klar: Auch über Umwege mit kurzen Prüf- und Reaktionsfristen drohender Genehmigungsfiktion wollen wir uns nicht durch die Hintertür dieses Herkunftslandprinzip einführen lassen!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben ein bewährtes System der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen. Wir bekennen uns zum System der beruflichen Qualifizierung, zu den Berufszulassungsvoraussetzungen im Handwerk und in den Freien Berufen. Mit dem Plan der EU-Kommission will diese dafür sorgen – was wir grundsätzlich unterstützen –, dass in den EUStaaten Unternehmen künftig noch leichter grenzüberschreitend tätig werden können; das wird unterstützt.

Die EU-Kommission schießt mit dem neuen Dienstleistungspaket jedoch massiv über das eigentliche Ziel hinaus; denn die geplanten Instrumente greifen unverhältnismäßig in die Verwaltungsabläufe und nicht zuletzt auch in die Gesetzgebungskompetenz der Mitgliedsstaaten ein. Deswegen bin ich sehr froh, dass es nach intensiver Diskussion an verschiedenen Stellen auch mit unserer maßgeblichen Unterstützung gelungen ist, über den Bundesrat eine sogenannte Subsidiaritätsrüge gegen zwei der im Dienstleistungspaket enthaltenen Richtlinien zu erheben, und dass der Bundesrat das in der gleichen Richtung unterstützt hat. Wir wissen, auch durch die Diskussion hier, dass das im politischen Bereich sehr breit getragen wird.

Aber – und das will ich noch einmal deutlich machen –: Es geht hier nicht nur um ein formales Argument, sondern es geht um die inhaltliche Ablehnung dessen, was in dem Paket beschrieben ist. Deswegen muss es darum gehen, das Dienstleistungspaket zurückzunehmen oder jedenfalls grundsätzlich neu zu schnüren.

Da enthält sich die Landesregierung natürlich kluger Ratschläge an die Parlamentarier, wie Sie gleich bei welchen Anträgen abzustimmen haben. Aber ich stelle anhand der Diskussion jedenfalls fest, dass es in dieser politischen Zielrichtung gegenüber der EUKommission eine sehr klare Haltung gibt.

Seien Sie versichert, dass diese klare Haltung vonseiten der Landesregierung nicht nur, wie schon geschehen, im Bundesrat und in den Gesprächen mit den Bundestagsabgeordneten, sondern auch im direkten Kontakt mit der EU-Kommission und den EUParlamentariern weiterhin zum Ausdruck gebracht wird. – Herzlichen Dank!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister! – Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar stimmen wir erstens ab über den Antrag der Fraktionen von CDU und FDP, Drucksache 16/14651. Die antragstellenden Fraktionen haben direkte Abstimmung beantragt. Also darf ich fragen, wer für den Antrag von CDU und FDP stimmt. – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP sowie der fraktionslose Kollege Schulz. – Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Jetzt darf ich noch fragen, wer sich der Stimme enthält. – Das ist die Piratenfraktion. – Damit ist der Antrag Drucksache 16/14651 abgelehnt.

Wir stimmen zweitens ab über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 16/14662. Auch hier haben die antragstellenden Koalitionsfraktionen direkte Abstimmung beantragt. Wer ist dafür? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der fraktionslose Kollege Schulz. Wer stimmt dagegen? – Das ist die CDU-Fraktion Wer enthält sich der Stimme? – Das sind FDP-Fraktion und Piratenfraktion. Damit ist der Antrag Drucksache 16/14662 angenommen.

Drittens stimmen wir über den Entschließungsantrag der Piratenfraktion in Drucksache 16/14759 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag der Piraten? – Die Piratenfraktion sowie der fraktionslose Kollege Schulz. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich der Stimme? – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP.

(Zuruf von der SPD: Die Meinungslosen! – Mi- chele Marsching [PIRATEN]: Das war eine starke Enthaltung!)

Damit stelle ich fest, dass der Entschließungsantrag Drucksache 16/14759 abgelehnt ist.

Ich rufe auf:

9 Duales System der Krankenversicherung er

halten – der Wettbewerb zwischen Privater und Gesetzlicher Krankenversicherung fördert medizinische Innovationen und sichert Arbeitsplätze in NRW

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/14505

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/14766

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die antragstellende FDP-Fraktion Frau Kollegin Schneider das Wort. – Bitte schön.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Unser Gesundheitssystem ist eines der besten, wenn nicht sogar das beste der Welt. Ich habe noch nie erlebt, dass ich eine Postkarte aus dem Urlaub bekam, auf der zu lesen war: Liege in Spanien im Krankenhaus. Bein gebrochen. Alles total klasse hier. Bitte auf keinen Fall nach Hause holen! Nein, das Gegenteil ist der Fall: Jeder und jede möchte zurück nach Deutschland in unsere Krankenhäuser.

Wenn sich aber Wahlen nähern, kommt von Roten, Dunkelroten und Grünen immer wieder die gleiche alte Klamotte, die sogenannte Bürgerversicherung. So hat letzten Freitag die Berliner Linksregierung im Bundesrat einen entsprechenden Antrag eingebracht. Auch auf vielen Podiumsdiskussionen zur Gesundheitspolitik höre ich von dieser Bürgerversicherung.

Doch wenn konkrete Nachfragen kommen, wie denn eine solche Umstellung funktionieren soll, dann ist die Standardantwort: Ein genaues Konzept gibt es noch nicht, aber mit den zusätzlichen Einnahmen wollen wir wieder Brillen bezuschussen. – Selbst in Ihrem sechsseitigen Entschließungsantrag von heute, werte Kollegen und Kolleginnen von RotGrün, finden sich keine weiteren Hinweise. – Sieht so seriöse Politik aus?

Auch der angesprochene Antrag im Bundesrat bleibt vage und nennt nur drei Punkte: Beamte sollen sich in der GKV versichern können, Selbstständige sollen

bei den Mindestbeiträgen in der GKV entlastet werden – was übrigens gerade von der schwarz-roten Bundesregierung abgelehnt wurde – und die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung. Sie wollen also Arbeit mehr belasten und riskieren so Beschäftigung.

Sie verkennen dabei, dass Arbeitnehmer mit ihrer Arbeitsleistung den gesamten Bruttolohn einschließlich Lohnnebenkosten erwirtschaften müssen. – Das soll ein erster Schritt zur Bürgerversicherung sein? Die darauf folgenden Schritte werden lieber verschwiegen.

(Beifall von der FDP)

Dabei gibt es gute Gründe für den Erhalt des dualen Systems der Krankenversicherung in Deutschland mit gesetzlichen Krankenkassen und privaten Versicherungsunternehmen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Es gibt aber auch gute Gründe dagegen!)

Die Bürgerinnen und Bürger können auf eine qualitativ hochwertige Versorgung mit Gesundheitsleistungen vertrauen. Die Private Krankenversicherung ist dabei ein Motor für Innovationen. Sie nimmt eine Vorreiterrolle bei der Kostenübernahme ein – als Beispiel sei die Positronen-Emissions-Tomografie genannt, kurz PET/CT. – Nur aufgrund des Wettbewerbs im System muss sich auch die gesetzliche Krankenkasse frühzeitig mit der Aufnahme von Innovationen in die Regelversorgung beschäftigen.

Schauen wir hingegen in andere europäische Staaten, nach Großbritannien oder in die nordischen Länder: Dort sind staatliche Gesundheitssysteme mit langen Wartezeiten für fast alle Patienten und mit teilweise hohen Zuzahlungen, Rationierungen sowie Einschränkungen der freien Arztwahl verbunden. Dadurch wird aber eine Zweiklassenmedizin befördert; denn nur einige wenige Menschen können sich diese exklusive Behandlung außerhalb dieses Einheitssystems leisten. Hingegen würden zum Beispiel viele Beamte statt günstiger Tarife in der PKV für höhere GKV-Beiträge weniger Leistung erhalten.

Die Fans der Bürgerversicherung vergessen außerdem die Beschäftigten in der Versicherungswirtschaft und auch in Arztpraxen. Bei Opel und Tengelmann wurde um jeden Arbeitsplatz gekämpft, aber um die herausgehobene Bedeutung der Privaten Krankenversicherung für den Standort NRW kümmern Sie sich nicht.

(Beifall von der FDP)

Sie spielen mit Tausenden von Arbeitsplätzen in Dortmund, Köln, Münster und Wuppertal.

(Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Aber die sind doch nicht weg!)

Auch über die Landesgrenze hinweg aus Koblenz betrachtet man Ihre Forderungen mit großer Sorge. Die Betriebsräte zahlreicher PKV-Unternehmen haben deshalb aufgrund berechtigter Sorge die Betriebsratsinitiative „Bürgerversicherung? Nein

danke!“ ins Leben gerufen.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren, vor allem von Rot-Grün! Ich lade Sie alle einmal ein, den folgenden Gedanken zu meditieren, wenn Sie mögen: Treten Sie mit der FDP-Landtagsfraktion für Arbeitsplätze, für medizinische Innovationen und eine gute Versorgung der Menschen ein und gegen eine Bürgerversicherung! – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Danke, Frau Kollegin Schneider. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Yüksel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Schneider, ich habe bei Ihrem Antrag, den Sie hier im Landtag gestellt haben, ein Déjà-vu-Erlebnis gehabt; denn einen gleichlautenden Antrag haben Sie schon im Juni des letzten Jahres gestellt. Er war damals fasch, und er bleibt auch in diesem Jahr falsch.