Protokoll der Sitzung vom 07.04.2017

Ich rufe auf:

10 Die Game- und Netzkultur lebt mit dem

Streaming: Veraltete Rundfunkkonzepte der Medienanstalten müssen für das digitale Zeitalter neu konzipiert werden!

Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/14657

Ich eröffne die Aussprache. – Herr Kollege Lamla hat für die Piraten das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen zu Hause oder unterwegs am Stream! Wenn ich mir den Rundfunkstaatsvertrag ansehe als Mensch, der sozusagen aus dem Internet kommt, dann sieht das für mich ein bisschen, sagen wir einmal, Old School aus. Nichts gegen Old School! Ich persönlich mag alte Dinge. Ich höre gern Schallplatten und begeistere mich für die Technik der 70er- und 80er-Jahre. Schöne alte Dinge sollte man sich im Leben bewahren, denn sie erzeugen ein Gefühl für Herkunft und

Geschichte. – Aber ehrlich: Brauchen wir diese Nostalgie in der Medienpolitik, einem politischen Feld, das gerade durch die Digitalisierung aktuell einen massiven Umbau erfährt? – Ich glaube nicht.

Die Spielregeln für Medien haben sich seit der Ankunft des Internets in unserer Zivilisation verändert. Ich habe den Eindruck, dass dies an manchen Stellen einfach vor lauter Nostalgie noch nicht verstanden wurde. Ein großer Teil meiner Mediennutzung findet IP-basiert statt, digital, im Internet und nicht etwa über DVB-T2 HD. Wenn ich das Wörtchen „Funk“ benutze, dann wesentlich häufiger in Verbindung mit Freifunk oder Richtfunk statt mit Rundfunk. Rundfunk, das ist das mit diesen begrenzten Frequenzen, die reguliert und verwaltet werden müssen durch Medienanstalten.

Im Internet gibt es dieses Problem nicht. Wenn ich zum Sender werden will, gehe ich gleich dort hinüber zu meinem Laptop oder an mein Smartphone, mache einen YouTube-Account auf und mache den ganzen Tag Coverversionen des Hits „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“ von Jim Pandzko auf meiner Melodika aus den 80ern – weil ich es kann. Wenn mir dabei mehr als 500 Menschen zuschauen, dann müsste ich nach heutiger Gesetzeslage eine Sendelizenz beantragen.

Noch mal: YouTube und Periscope Streams und Twitch – überall sind Menschen, die selbsterstellte Inhalte produzieren und dabei mithilfe des Internets weit mehr als 500 Personen gleichzeitig erreichen. Das ist möglich in diesem Internet. Die Grenzen zwischen Sender und Empfänger verschwinden, und kluge Menschen nennen das „Medienkonvergenz“.

Aktuell gibt es einen bekannteren Streamer aus der Kölner Region, der viele, viele Zuschauerinnen und Zuschauer hat und seine Livestreams ähnlich den traditionellen Programmen zur Ansicht anbietet. Jetzt stellen wir fest oder entnehmen den Medien: Das schmeckt den regulierenden Medienanstalten nicht, und sie schwingen dann die Regulierungskeule. Das steht aber auch so im Rundfunkstaatsvertrag, dass Telemedien mit audiovisueller Liveübertragung und über 500 Menschen im Stream als Streams genehmigt werden müssen. Es muss also in jedem Fall ein Zulassungsantrag gestellt werden.

Ich möchte noch einmal wiederholen, weil das so unsinnig ist: Menschen, die auf YouTube oder Twitch Bild oder Ton live übertragen, werden jetzt genehmigungspflichtig und machen sozusagen Rundfunk, nur weil sich 500 Personen auf einmal dafür interessieren. Da jetzt eine Sendelizenz zu beantragen, ist tatsächlich nostalgisch.

Noch einmal langsam als Wiederholung: Es gibt keine begrenzten Funkfrequenzen in diesem Internet. Da muss nichts vergeben oder reguliert werden. Das Einzige, was vielleicht im Internet begrenzt ist, ist die Bandbreite. Das liegt aber daran, dass die rot

grüne Landesregierung den Glasfaserausbau in den letzten Jahren einfach verbockt hat.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Von Frequenzmangel ist da keine Spur. Ich habe das Gefühl, dass hier eine analoge Auffassung von Medien und Rundfunk und Zuschauerschaft auf die digitale Wirklichkeit prallt, und was dabei entsteht, wirkt einfach extrem deplatziert.

Meine Damen und Herren, ganz einfach: Nehmen Sie den Antrag der Piraten an und setzen Sie ein Signal, um diesen regulatorischen Irrsinn zu beenden!

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf Wiedersehen!

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Vogt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lamla, es hätte mich gewundert, wenn Sie das Thema „Breitbandausbau“ nicht auch noch in eine Rede eingebaut hätten, denn das Thema hatten wir ja in diesen Plenartagen noch nicht. Ich gehe darauf nicht näher ein, sondern wir sind ja bei dem Thema, dass die Digitalisierung Veränderungen schafft, neue Verbreitungsmöglichkeiten im Netz ermöglicht und dass wir für diese Neuerungen auch neue Regulierungen brauchen oder alte Regulierungen anpassen müssen.

Das diskutieren wir derzeit in vielen Parlamenten. Wir diskutieren das bei verschiedenen Themen, beispielsweise bei der Plattformregulierung. Hier ist unsere Landesregierung federführend.

Heute diskutieren wir das anhand der Entscheidung der Kommission für Aufsicht und Zulassung bzw. der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen. Kern dieser Fragestellung ist die Grundlage der beschriebenen Entscheidung, die Sie gerade genannt haben, nämlich welche Definition wir beim bisherigen Rundfunkbegriff haben, der im Staatsvertrag sehr technologieneutral niedergeschrieben ist.

Die Regelung, dass eine Lizenzierung bei Livestreaming-Angeboten im Netz unter bestimmten Voraussetzungen notwendig ist, für zeitversetzte Angebote auf Videoplattformen jedoch nicht, ist sicherlich zu diskutieren. Änderungen des Rundfunkstaatsvertrags bedürfen aber der Abstimmung zwischen den einzelnen Bundesländern, und darum besteht auch schon eine Arbeitsgruppe der Länder, die den Rundfunkbegriff diskutiert und eine zeitgemäße Definition erarbeiten soll. Sie sehen also: Diese Diskussion läuft schon, auch unabhängig von dem Beispiel,

das Grundlage Ihres Antrags ist. Aus diesem Grunde werden wir Ihren Antrag gleich ablehnen.

Aber wenn wir auf die Periode zurückschauen, dann stellen wir fest, dass es durchaus den einen oder anderen Punkt gab, den wir gemeinsam angegangen haben. Daher, Herr Lamla, auch in diesem Sinne vielen Dank insbesondere für zwei ganz große Punkte, die wir hier gemeinsam angepackt haben! Einmal ist das das Thema „Netzneutralität“. Da haben wir gemeinsam dafür gestritten, dass es keine Diskriminierung im Netz geben soll, und unsere Landesregierung war hierbei die erste und diejenige in Deutschland, die am meisten auf Netzneutralität gepocht hat.

Der zweite Bereich ist das Thema „Freifunk“, das haben Sie vorhin angesprochen. Da waren wir als SPD mit Ihnen und dem Koalitionspartner der Grünen einig, dass ehrenamtliches Engagement, dass freie Zugänge zum Netz gefördert, gestärkt werden müssen. Wir haben hier gemeinsam finanzielle Unterstützung beantragt und organisiert. Die Landesregierung hat das Programm „100xW-LAN“ aufgelegt, das freie Netzzugänge im ganzen Land fördert. – Das sind positive Beispiele.

Das Landesmediengesetz, wo wir auch das Thema „Netzneutralität“ verankert haben, haben wir hier auch gemeinsam verabschiedet. Daher bei den drei Punkten herzlichen Dank und alles Gute!

Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Schick.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße die heutige Diskussion zum Thema

„Streaming“ ausdrücklich. Rein dramaturgisch ist die Debatte richtig platziert, nämlich als letzte medienpolitische Diskussion in dieser Wahlperiode.

Müssen Streaming-Angebote als Rundfunk eingestuft werden, oder passen die Rechtsbegriffe in den Rundfunkstaatsverträgen nicht mehr zur digitalen Entwicklung? – Das werden wir heute nicht mehr abschließend beantworten müssen, denn der Antrag der Piraten will das ja auch gar nicht; dort sind Prüfaufträge enthalten. Aber wir werden diese Antworten spätestens in der kommenden Wahlperiode auch hier im Landtag Nordrhein-Westfalen geben müssen.

Das Problem der fehlenden Rundfunklizenz für Streaming-Angebote ist ja nicht neu. Die letzte Entscheidung hat darauf nur noch einmal den Fokus gelegt. Schon in der Vergangenheit hatten fehlende Rundfunklizenzen dafür gesorgt, dass Sportereignisse nicht oder nur mit Ausnahmegenehmigung im Internet gestreamt werden konnten. Das letzte Beispiel, das sicherlich sehr vielen Sportfreunden noch

bekannt ist, war die Übertragung der Spiele der deutschen Mannschaft bei der Handball-WM vor wenigen Wochen.

Entzündet haben sich die Diskussionen um Streaming-Angebote, weil alle Bewegtbildangebote als Rundfunk betrachtet werden, die linear, also live, verbreitet werden – das wurde gerade schon angesprochen –, wenn sie mehr als 500 Zuschauer oder User gleichzeitig sehen, redaktionell gestaltet sind und entlang eines sogenannten Sendeplans regelmäßig und wiederholt verbreitet werden.

Diese Gesetzeslage wenden die Medienanstalten nur an. Aber aus den Gesprächen mit den Landesmedienanstalten weiß ich – das wissen auch sicherlich viele andere, die sich mit dieser Thematik beschäftigen –, dass sich die Verantwortlichen darüber im Klaren sind, dass hierbei großer Reformbedarf besteht.

Statt einer Zulassungspflicht können sich die Landesmedienanstalten auch eine Anzeigepflicht vorstellen, die sich auf einige wesentliche Aspekte beschränkt, insbesondere zur Person des Anbieters. Die inhaltliche Diskussion um Streaming-Angebote ist also deutlich weiter als das, was wir heute hier diskutieren und was die Rechtslage ist. Das begrüßen wir als CDU-Fraktion ausdrücklich.

Ich wünsche mir allerdings, dass wir nicht nur mit den Rundfunkstaatsverträgen in der Realität ankommen, sondern es muss auch ein Durchbruch auf europäischer Ebene erfolgen, wo mit der AVMD-Richtlinie, also der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, der europäische Rechtsrahmen gesetzt wird. Ich hoffe, dass wir auch dabei endlich weiterkommen. Die Politik hat sich mit Recht das Ziel gesetzt, dass wir zu einer konvergenten Medienordnung kommen, die gerade auch für heimische sehr innovative Angebote sehr wichtig ist, weil sie erst damit faire Wettbewerbschancen bekommen.

Damit muss sich die Politik in der kommenden Wahlperiode beschäftigen. Man sieht also: Die Politik muss über das hinausgehen, was die Piraten in ihrem Antrag geschrieben haben. Trotzdem werden wir uns natürlich wohlwollend enthalten. Ich bin mir sicher, dass deswegen die nächste Wahlperiode in puncto Medienpolitik sehr spannend wird und dass sehr spannende Fragen auf der Tagesordnung stehen werden.

Für die eigentlich sehr harmonische Zusammenarbeit im Ausschuss für Kultur und Medien möchte ich mich bedanken genauso wie für viele sehr spannende Diskussionen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Schick. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Lamla, wir haben sozusagen bei der Grundfrage, die Ihrem Antrag zugrunde liegt, keinen wirklichen Dissens. Dass der Rundfunkbegriff im Rundfunkstaatsvertrag aus einer anderen Zeit kommt, das ist völlig unbestritten.

Da ist der Antrag durchaus richtig: Jede Person kann heute zum Sender oder auch zur Senderin werden. Diese Entwicklung ist absolut zu begrüßen. Sie bringt uns durchaus weiter. Es ist gut für die Demokratie, wenn mehr Menschen ihre Meinung nicht nur haben, sondern auch äußern und verbreiten können.

Herr Lamla, Sie haben uns eben vielleicht ein bisschen mehr vom Internet erzählt, als man das hier erzählen muss, denn inzwischen wissen sehr viele Leute um die Möglichkeiten der Digitalisierung.

(Beifall von Stefan Engstfeld [GRÜNE])

Ich deute das einfach mal so, dass Sie ungebrochen fasziniert von den Möglichkeiten sind, die das Internet bietet.

(Heiterkeit von Lukas Lamla [PIRATEN])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns den Antrag anschauen – der Kollege Schick hat das gerade schon angesprochen –, dann stellen wir fest: Das ist im Wesentlichen eine Sammlung von Prüfaufträgen. Es geht darum, eine Entwicklung zu evaluieren, die schon an ganz vielen Stellen besprochen wird. Es gibt zahllose wissenschaftliche Abhandlungen zu den Veränderungen der Medienlandschaft im Zuge der Digitalisierung. Damit lassen sich inzwischen wahrscheinlich Bibliotheken gut füllen.

Es gab in den letzten Jahren zahllose Veranstaltungen und Diskussionen bei allen relevanten Treffen in der medienpolitischen Szene. Das zeigt eigentlich: Wir müssen nicht noch eine Untersuchung machen, die wir neben diese Studien und Dokumentationen ins Regal stellen.

Den zweiten Aspekt hat der Kollege Vogt angesprochen. Die Diskussion um einen zukunftsfähigen Rechtsrahmen läuft schon längst. Insbesondere die Frage, was Rundfunk in unserer Zeit eigentlich ist, ist ein ganz wichtiges Thema in dieser Kommission, die den Medienstaatsvertrag entwickeln soll. Wir wissen nicht genau, mit welchem Ergebnis das geschieht. Ich empfehle allerdings, denjenigen, der diese Frage gelöst hat, als nächstes mit der Lösung des Nahostkonflikts zu beauftragen. So ähnlich kommt es mir jedenfalls manchmal vor, wenn ich mir anschaue, wie schwierig es ist, mit rundfunkrechtlichen Staatsverträgen in den letzten Jahren voranzukommen.