Protokoll der Sitzung vom 29.11.2012

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind sehr dafür, den Hochschulen mehr Autonomie und Gestaltungsfreiheit zu geben. Der Staat hat sich weitestgehend aus der Detailsteuerung der Hochschulen herauszuhalten. Deshalb ist es absoluter Blödsinn, zu behaupten, Herr Berger, Rot-Grün wolle die Hochschulen wieder zu nachgeordneten Behörden des Landes bzw. Landeseinrichtungen machen, damit das Ministerium wieder über unmittelbare Durchgriffsrechte verfüge. Das ist Populismus pur!

(Beifall von den GRÜNEN)

Um Ihr Geschichtsbewusstsein aufzubessern, sage ich Ihnen Folgendes: Die Hochschulen in NRW sind dank der rot-grünen Hochschulreformen in den vergangenen Jahren so frei wie nirgendwo sonst in Deutschland. Wir haben die Berufung von Professorinnen und Professoren sowie die Einrichtung von Studiengängen vollständig an die Hochschulen delegiert. Das erfolgte ja noch unter der damaligen Wissenschaftsministerin Kraft. Auch die Einführung der Globalhaushalte geht auf die rot-grüne Regierungszeit zwischen 2000 und 2005 zurück. Daran geknüpft wurde eine moderne Hochschulsteuerung über Ziel- und Leistungsvereinbarungen und eine staatliche Finanzierung, welche ein Teil der Mittel nach Kriterien leistungsorientiert vergibt.

Seit 2000 haben wir diesen Prozess kontinuierlich nach vorne gebracht. Im Übrigen haben wir die Verselbstständigung als Körperschaft, die Sie ja dann eingeführt haben, vom Grundsatz her nicht abgelehnt. Aber wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass wir dann auch ein neues Steuerungsmodell brauchen, das die Belange der Hochschullandschaft als Ganzes in den Blick nimmt.

(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])

Das, Herr Dr. Berger, sind wir nicht zuletzt den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern schuldig, denn schließlich gehen Jahr für Jahr mehr als 4 Milliarden € an die Hochschulen und die Universitätsklinika in Nordrhein-Westfalen. Dafür tragen wir, das Parlament, der Haushaltsgesetzgeber, die Verantwortung.

(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])

Ihr Hochschulfreiheitsgesetz geht in der Tat eindeutig einen Schritt zu weit, was den Rückzug aus der staatlichen Verantwortung angeht. Das ist aber nicht mit einem Mehrwert von zusätzlicher Freiheit gleichzusetzen. Vielmehr haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, mit einem starken externen Hochschulrat einen neuen Player eingeführt, auf den Kompetenzen sowohl vom Ministerium als auch von den Gremien der Hochschule übertragen wurden. Das Ergebnis war nicht mehr, sondern eher weniger Freiheit für Forschung und Lehre.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Entsprechend negativ fiel damals das Echo der Hochschulen aus.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen weiteren Mythos ausräumen: Wir als Grüne haben uns im Parlament nie grundsätzlich gegen die Konstruktion von Hochschulräten ausgesprochen. Aber wir haben sehr deutlich gemacht, dass ein solches Gremium keinen Verlust von Mitbestimmungsrechten für Professorinnen und Professoren, für Studierende und Mitarbeiterinnen bedeuten darf.

Die Hochschulen können sehr wohl von einem gesellschaftspolitischen Input und einer gesellschaftspolitischen Vernetzung profitieren. Auch ich bin der Meinung, dass eine Hochschule nicht im eigenen Saft schmoren sollte und es gut tut, wenn der Blick von außen auf die Organisation fällt. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Eingriff externer Hochschulratsmitglieder, die sich mehr oder weniger regelmäßig in der Hochschule treffen und die nicht zur wissenschaftlichen Community gehören, in das Kerngeschäft der Hochschulen ist aus unserer Sicht nicht zielführend.

Deshalb brauchen wir eine neue Diskussion über die Zusammensetzung, den Status und die Aufgaben der Hochschulräte in Nordrhein-Westfalen. Die jetzt vorliegenden Eckpunkte der HG-Novelle sind das Ergebnis der ersten Beratungsrunde mit den Hochschulen und gesellschaftlichen Gruppen. Auf dieser Grundlage werden wir jetzt in einen breiten Dialog und Konsultationsprozess gehen. Denn wer könnte die Auswirkungen des HFG wohl besser bewerten als die betroffenen Statusgruppen selber?

Für eine Evaluierung des HFG werden wir darüber hinaus eine wissenschaftliche Expertise einholen. Die Ergebnisse beider Bewertungsphasen fließen dann in den Gesetzentwurf und das parlamentarische Verfahren ein.

Mit Blick auf Ihren Beitrag, Frau Freimuth, kann ich nur sagen: Ihr Gejammer über die verlorene Hochschulfreiheit wirkt vor dem Hintergrund der Diskussion ein wenig wie Phantomschmerz,

(Marcel Hafke [FDP]: Alle Rektoren!)

wie der Wehmut über den Untergang der FDP und ein Freiheitsverständnis, das die Menschen in die

sem Land überhaupt nicht mehr akzeptieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Seidl. – Für die Piraten spricht Herr Dr. Paul.

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen auf den Zuschauerrängen und im Netz! Herr Minister Jäger – leider ist er heute nicht da – hat gestern so etwas wie eine parlamentarische Initiative gestartet: Mehr Latein im Parlament. – Da sind wir Piraten dabei. Denn es gibt viele lateinische Zitate, die Bezüge zum Heute haben und vieles in seltener Schönheit und Klarheit zum Ausdruck bringen.

Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich: „Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem.“ Auf Deutsch: Die Dinge sollen nicht komplizierter gemacht werden als sie sind. – Das ist William von Ockham zugeschrieben. Das ist der berühmte Rasierer.

Der Name „Hochschulfreiheitsgesetz“ stellt in der Tat eine Verkomplizierung der strukturellen Verhältnisse dar, eine überflüssige Hinzufügung gepaart mit einer Verschleierung – oder vielleicht sollte ich sagen Klitterung. Das bestehende Hochschulfreiheitsgesetz hat mit der Freiheit der Hochschulen ebenso viel zu tun wie eine Milchkuh mit Bierbrauen. Eigentlich müsste es heißen: Hochschulratsfreiheitsgesetz.

Universitäten – das ist wohl unzweifelhaft, und ich denke, wir stimmen da alle überein – sind Einrichtungen der Gemeinnützigkeit, die dem Gemeinwohl dienen sollen und daher der Gesellschaft als einem Ganzen und dem Staat als seinem Gewährsträger verpflichtet sind.

Man kann im Zusammenhang mit dem bestehenden Gesetz fünf Problemfelder isolieren. Das erste Problemfeld möchte ich einmal mit „Sachkompetenz“ bezeichnen. Die Zusammensetzung der Hochschulräte weist ein Ungleichgewicht zugunsten von Unternehmensführern auf – vor allen Dingen von größeren Unternehmen. Schon allein aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten …

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Reine Behauptung von Ihnen!)

Herr Berger, das ist keine Behauptung. Das lässt sich belegen. In fast allen Fällen sind in den HR große Unternehmen überrepräsentiert. Dabei wissen wir doch heute, dass Innovation eigentlich aus der Garage kommt.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Rechnen Sie das mal nach!)

Ich möchte Ihnen ein Beispiel für die betriebswirtschaftliche Kompetenz im Erkennen von Innovationen und Marktpotenzialen geben: Als IBM vor einigen Jahrzehnten vor der Frage stand, die Xerox Corporation zu kaufen, gab es eine Beratungsanfrage an die älteste Unternehmensberatung der Welt, Arthur D. Little. Deren Urteil hieß: Finger weg! Der Markt für Fotokopierer weltweit beträgt etwa 5.000 Stück.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich möchte wirklich nicht wissen, was in Baton Rouge auf den Vorstandsetagen los gewesen ist, als der Börsenwert von Xerox im Jahr 1974 3,4 Milliarden US-Dollar betrug. In Konsequenz dessen hat ein weiteres Großunternehmen – Sony – bei der Einführung des Walkman 1979 auf Marktanalysen verzichtet. So viel zum Thema Sachkompetenz. Ich denke, die Geschichte spricht ihre eigene Sprache.

Das Problemfeld Nummer zwei, das ich herausarbeiten möchte, ist „systemisch-strukturell“. Das Management über die Steuerung durch Hochschulräte entspricht einem veralteten Top-down-Konzept des Managements, mit dem sich komplexe Probleme der Zukunft nicht mehr lösen lassen werden. Empfohlen ist ja ein Konzept der Selbststeuerung. Das ist auch das, was wir unter Freiheit verstehen. Denn Freiheit nach Ihrer Auffassung ist eine Fremdsteuerung über den Markt.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Doktrin des New Public Management ist auf Hochschulen nicht zu übertragen und mit der grundgesetzlichen Freiheit von Forschung und Lehre nicht in Einklang zu bringen. Das Hochschulfreiheitsgesetz ist Teil dieser Strategie des New Public Managements. Es geht von der Gleichheit – oder doch großen Ähnlichkeit – von Staat und privatem Sektor aus. Das ist weder inhaltlich noch systemisch gegeben. Hier werden Äpfel zu Birnen gemacht. Unis sind keine Unternehmen!

(Beifall von den PIRATEN)

Das Problemfeld Nummer drei beschäftigt sich mit „Pluralität und Legitimation“. Wir haben durch das aktuelle Gesetz eine Verschiebung der Verantwortung zulasten der klassisch-parlamentarischen Repräsentation der gesellschaftlichen Interessen und zu Ungunsten der Selbstverwaltung. Was heißt eigentlich „Freiheit der Hochschulen“ erlebt? Die marktkonforme Hochschule nach aktuellem Hochschulgesetz hat mit Demokratie und Wissenschaftsfreiheit nichts zu tun.

Das Problemfeld Nummer vier bezeichnet die „Intransparenz der Hochschulhaushalte“. Diese sind vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung der Hochschulen ein politisch und gesellschaftlich untragbarer Zustand.

(Beifall von den PIRATEN)

Das Problem Nummer fünf ist ein Verstoß gegen das Grundgesetz, und zwar gegen die Wissenschaftsfreiheit, die im Grundgesetz in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 verankert ist. Das betrifft vor allen Dingen die in § 17 Abs. 3 Satz 2 des Hochschulgesetzes NRW normierte Möglichkeit des Hochschulrates, die vom Senat versagte Zustimmung für die Wahl der Hochschulleitung mit einer Zweidrittel- bzw. Dreiviertelmehrheit zu ersetzen. Ich verweise hier auf das Rechtsgutachten von Thomas Horst. Im Übrigen noch einen schönen Gruß von Ihrem Genossen Wolfgang Lieb, den ich sehr schätze und der natürlich auch in der Anhörung dabei war!

Eine Alternative zur Aufhebung dieser Verwerfung bietet unser Gesetzentwurf zur Stärkung der Wissenschaftsautonomie, zu wirklicher Wissenschaftsautonomie. Ich sage es ganz deutlich: Die Wirtschaft darf und soll mitreden – jawohl –, aber bitte in einem Beirat.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Von den Grünen hieß es im Update-Programm zur Landtagswahl 2012 – ich zitiere –:

„Wir wollen das Hochschulgesetz novellieren und damit landesweite Regelungen für mehr Mitbestimmung und Partizipation in Arbeit und Studium an den Hochschulen umsetzen… Die Hochschulräte wollen wir abschaffen.“

Bei der SPD hieß es im Wahlprogramm 2010:

„Wir stehen für lebendige Hochschulen“.

Wir Piraten übrigens auch. – Weiter im SPDWahlprogramm:

„Für uns ist dabei die demokratische Selbstverwaltung Ausdruck der Wissenschaftsfreiheit. Deshalb werden wir die Hochschulräte wieder abschaffen.“

Jetzt muss ich mir doch die Frage stellen, liebe rotgrüne Parlamentarier, liebe Landesregierung: Fehlt euch der Mut? Frau Schulze, wovor haben Sie Angst? Vor der Rektorenlobby, vor den Medien? Sprechen Sie einmal mit Leuten im Mittelbau. Die würden Ihnen in Scharen hinterherlaufen, wenn Sie die Hochschulräte abschafften.

(Beifall von den PIRATEN)

Fest steht auch: Der Versuch, das Modell des Aufsichtsrates eines Unternehmens eins zu eins auf Hochschulen zu übertragen, hat sich in der Praxis nicht bewährt. – Das ist eine Aussage von Frau Schulze.