Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich zur 19. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Wie immer gilt mein besonderer Gruß unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich 16 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Wir sind wieder in der Lage, einem Geburtstagskind zu gratulieren. Geburtstag hat Herr Kollege André Kuper aus der Fraktion der CDU; er wird heute ein Jahr älter. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege! Alles Gute und einen schönen Tag!
Bevor ich in die Tagesordnung eintrete, möchte ich gerne zwei Vorbemerkungen machen. Zum einen möchte ich die Kolleginnen und Kollegen und die Fraktionen darüber unterrichten, dass wir heute unter Tagesordnungspunkt 4 nicht nur den Antrag der CDU „Elternassistenz für gehörlose Eltern durch Kostenübernahme für Gebärdendolmetscher“ diskutieren werden, sondern aufgrund einer Anregung aus Ihren Reihen haben wir es auf die Schnelle hinbekommen, eine Gebärdendolmetscherin zu diesem Tagesordnungspunkt hier zu haben. – So weit zur Information.
Die Gebärdendolmetscherin wird sich rechts oder links vom Redepult postieren. Ich glaube, das war nicht nur eine sehr gute Anregung, sondern auch ein sehr guter Dienst für diejenigen, die von diesem Antrag inhaltlich betroffen sind. – Herzlichen Dank an die Fraktion der Piraten, die das vorgeschlagen hat.
Meine zweite Vorbemerkung geht an die Reihen der Mitglieder der Landesregierung. Liebe Mitglieder der Landesregierung! Debatten sind manchmal heftig und kontrovers. Dann geht es auch heiß zur Sache. Dafür haben wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier sehr großes Verständnis. Ich habe aber ein Anliegen, das ich im Namen des Parlaments äußern möchte und das ich künftig zu beachten bitte: dass sich nämlich die Mitglieder der Landesregierung, wenn sie in den Bänken der Landesregierung sitzen, bei heftigen Debatten mit Kommentierungen verbal und nonverbal etwas zurückhalten und dem Parlament gegenüber Respekt erweisen.
Diejenigen, die gleichzeitig gewählte Abgeordnete des Landtags von Nordrhein-Westfalen sind, mögen bitte immer dann, wenn sie es nicht mehr aushalten und sich mit Kommentierungen nicht zurückhalten
können, von den Regierungsbänken in die Reihen der Abgeordneten wechseln; denn da haben sie ja auch ihren Platz. Dann sind sie ein Abgeordneter, eine Abgeordnete, und dann können Sie entsprechend reagieren. – Vielen Dank. Ich glaube, damit kommen wir in Zukunft gut zurecht.
Nach diesen beiden Vorbemerkungen treten wir nunmehr in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein. Ich rufe auf:
Der Chef der Staatskanzlei hat mir mit Schreiben vom 4. Dezember mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, zum obengenannten Thema zu unterrichten.
Die Unterrichtung durch die Landesregierung erfolgt durch den Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr. – Herr Minister Groschek, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der Landesregierung möchte ich Sie über die Brückensperrung der A1 und die damit zusammenhängenden verkehrs- und strukturpolitischen Implikationen unterrichten. Ich will das anhand von fünf Bemerkungen machen.
Erstens. Die Sperrung für Lkw-Verkehre über 3,5 t ist und bleibt zwingend. Wir haben inzwischen 20 schwere Schäden festgestellt. Bislang, vor diesem Vorkommnis, waren 1.080 potenzielle Schadensstellen unter Beobachtung und in Reparatur. Aus diesen 1.080 leichten Schadensfällen sind 20 schwere und 200 potenziell schwere geworden, die besonders behandelt werden müssen. Die Brücke selbst ist seit 1991 praktisch in permanenter Reparatur. 1991 wurden die ersten Schweißreparaturen an dieser Brücke durchgeführt.
Staatssekretär Bomba und der Abteilungsleiter Prof. Kunz vom Bundesverkehrsministerium haben sich vor Ort von der Schadenssituation überzeugt und mir bestätigt, dass es in Deutschland keine zweite vergleichbar beschädigte Autobahnbrücke gibt.
Deshalb beteiligt sich der Bund mit knapp 1 Million € an der Neuplanung einer Brücke. Dafür bin ich ausgesprochen dankbar. Das finde ich sehr gut. Weniger gut finde ich, dass der Bund grundsätzlich nicht bereit ist, sich an den Kosten der Nachrechnung zu beteiligen. 375 Autobahnbrücken müssen dringlich nachgerechnet werden, weil das potenzielle Schadensbrücken sind. 80 davon haben wir berechnet. Das ist ungefähr die Jahresquote, die möglich ist. Die Kosten für das Land betragen insgesamt 21 Millionen €. Das ist nur das Nachrechenwerk als Voraussetzung für eine Neuplanung. An dieser Nachrechnung beteiligt sich der Bund leider nicht.
Die Reparaturmaßnahme selbst ist nicht mehr als eine Notinstandsetzung. Ob die Brücke bis 2020 hält, kann niemand garantieren. Wir hoffen, dass sie hält, bis der Neubau fertig ist. Ob das so sein wird, weiß niemand.
Zweitens. Landesbetrieb und Polizei: Die Polizei hat hervorragende Arbeit geleistet. Sie war zum Teil mit bis zu 50 Beamtinnen und Beamten vor Ort und frustriert darüber, dass viele unverantwortlich handelnde Lkw-Fahrer das Bußgeld von 20 € eher in Kauf genommen haben als höhere Spritkosten für die Umleitung.
Ich verspreche mir weniger Druck auf der Autobahn dadurch, dass zum 1. April das Bußgeld auf 75 € erhöht wird. Letztlich abschreckend ist aber nur die Zwangsableitung von der Autobahn, die bei Verstößen mit einem Punkt und einem entsprechend hohen Bußgeld geahndet wird. Ich kann nur an alle Lkw-Fahrer appellieren: Meiden Sie die Brücke! Sie handeln unverantwortlich während der Reparaturzeit, denn Lkw-Lasten auf der Brücke beeinträchtigen ausdrücklich den Fortschritt der Reparatur.
Deshalb kann ich auch nur die Hoffnung äußern, dass es uns gelingt, die Brücke im März kommenden Jahres wieder für die normalen Lkw-Verkehre freizubekommen. Kranwagen mit hohen Achslasten und Lkw über 44 t werden wahrscheinlich dauerhaft nicht mehr über diese Brücke fahren können.
Der Landesbetrieb leistet ebenfalls überdurchschnittlich gute, sehr gute Arbeit. Ich will darauf hinweisen, dass beim Landesbetrieb Straßen.NRW in den letzten fünf Jahren – also begonnen mit Wittke über Lienenkämper bis zu mir – über 100 Ingenieurplanerinnen- und -planerstellen abgebaut wurden. Der Landesbetrieb hat also auch die LaumannQuote für energischen Personalabbau, die jetzt wieder gefordert worden ist, durchgängig erreicht. Dennoch leistet er planerisch hervorragende Arbeit.
Verbesserungsfähig finde ich allerdings die Organisationsstruktur. Deshalb habe ich im Oktober eine Stabstelle Landesbetrieb in meinem Ministerium eingerichtet mit der Perspektive, die Organisation zu optimieren, Synergien zu schöpfen und den Planungsbereich – so gut es geht – auf die Punkte zu konzentrieren, die unter Reparatur-, Instandset
Gestern ist in einem Nebensatz darüber berichtet worden, dass wir bei den Investitionspauschalen für den ÖPNV gekürzt haben. Das ist richtig und falsch zugleich. Insgesamt haben wir die Betriebskostenpauschale für den laufenden Betrieb unserer Verkehrsunternehmen im Haushalt ganz deutlich aufgestockt – um über 100 Millionen €, die im Etat erwirtschaftet wurden, 30 Millionen € davon durch Umschichtung von Investitionspauschale auf die Betriebskostenpauschale. Insgesamt wächst der Haushalt für den ÖPNV aber um 28 Millionen € auf über 1,5 Milliarden €. Daraus eine Vernachlässigung abzuleiten, ist angesichts der Haushaltssituation schon abenteuerlich.
Drittens. Der demografische Wandel erfasst auch unsere Infrastruktur. In den 60er- und 70er-Jahren gab es eine Brückenbauinflation, weil es auch eine Autobahnbauinflation gab. Die unglaubliche Lastenexplosion, die seitdem stattgefunden hat, konnte damals nicht kalkuliert und berechnet werden. Das gilt für die einzelnen Lkw, deren Gewicht von 24 auf 44 t gestiegen ist, wie für die Lkw-Verkehre insgesamt.
Es ist aber auch ein sehr umfassender Pfusch am Bau nachweisbar, der damals stattgefunden hat – sowohl bei Beton- wie auch bei Stahlbrücken. Man hat bei den Brückenbaumaßnahmen der 60er- und 70er-Jahre auf Deutsch gesagt den Steuerzahler beschissen – entschuldigen Sie diesen Ausdruck – und den Staat ausgenommen wie eine Weihnachtsgans.
In diesem Zusammenhang muss ich daran erinnern, dass wir in Deutschland eine politische Lebenslüge im Verkehr mit uns herumtragen. Auf allen Parteitagen wird beschlossen, die Lasten von der Straße auf die Schiene zu bringen. In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall. Die Verkehre auf der Straße nehmen explosionsartig weiter zu, die Verkehre auf der Schiene stagnieren mehr oder weniger.
Im Zusammenhang mit der A45 habe ich vielfältige Gespräche mit der Wirtschaft vor Ort geführt. Auf die Frage, ob wir nicht gemeinsam mehr Lasten von der A45 auf die Schiene bringen können, wurde mir entgegnet: Lieber Minister Groschek, in ganz Deutschland gibt es nur vier Güterwaggons, die schwerstlasttauglich sind. In der Exportnation Deutschland sind nur vier Güterwaggons schwerstlasttauglich. Ich glaube, dass spricht Bände, wie weit Realität und Anspruch bei „Schiene statt Straße“ voneinander entfernt sind.
Das ist die sogenannte Brücke Neuenkamp, auch eine rheinquerende Brücke, eine hoch wichtige Verbindung Richtung Antwerpen und Niederlande. Diese Brücke ist in Absprache mit dem Bund als Neubaumaßnahme für 2028 vorgesehen. Bislang ist die Schadenssituation so, dass wir die Planung und den Bau nicht vorziehen müssen, sondern durch verkehrslenkende Maßnahmen – weg von den Rändern, hin zur Mitte – bekommen wir eine Lastensituation auf der Brücke, dass nach Auskunft der Experten diese Brücke bis zum vorgesehenen Neubau voll tauglich und beherrschbar bleibt. Das hängt auch mit den Verkehrsbelastungen zusammen. Die A1-Brücke ist mit täglich 120.000 Fahrzeugen, die Brücke Neuenkamp auf der A40 mit täglich 90.000 Fahrzeugen belastet.
Die A45 ist noch gewichtiger als Erschließungsstraße, weil man bei der A45 keine gleich leistungsfähige Alternative hat. Bei der A45 ist zwischen Bund und Land unstrittig, dass alle Großbrücken, also alle Brücken mit einer Spannweite von einhundert Metern und mehr erneuerungsbedürftig sind. Auf Deutsch gesagt: Ein Neubau ist notwendig. Keine der Großbrücken kann repariert werden. Es gibt nur Brücken, die neu gebaut werden müssen.
Mit der Wirtschaft im Siegerland bin ich bereits seit Wochen im Gespräch. Wir sind schon vor dem Brückenfiasko in Leverkusen verabredet gewesen, bis zum Frühjahr dauerhafte Korridore für Schwerstlastverkehre nach Norddeutschland zu den Seehäfen und nach Westdeutschland nach Duisburg bzw. Antwerpen/Rotterdam offenzuhalten und diese Linienführung auch so ökologisch wie möglich, also so A45-nah wie möglich, zu gewährleisten. Auf der A45 selbst sind diese Schwerstlastverkehre bis auf Weiteres so nicht abhandelbar.
Vierte Bemerkung: Auch für das Land bestehen erhebliche Herausforderungen. Während wir beim Bund mehr als 6.000 Bundesbrücken haben, gibt es auf Landesebene Pi mal Daumen 3.500 Brücken. Von diesen 3.500 Landesbrücken rechnen wir 770 nach. Die ersten Nachrechnungen sind beauftragt. Nach ersten Schätzungen brauchen wir zur Reparatur und Erneuerung dieser Brücken rund
Bei den Kommunen ist der Erneuerungsbedarf die große Unbekannte. Ich habe mein Haus und die Fachabteilungen beim Landesbetrieb beauftragt, für die Kommunen eine entsprechende Unterrichtung und Handlungsanleitung vorzubereiten. Denn die Kommunen in unserem Land sind originär für den Zustand ihrer Kommunalstraßenbrücken verantwortlich und können diese Verantwortung auch nicht auf externe Ingenieurbüros delegieren. Ich bin mir nicht sicher, ob sich alle Gemeinderäte dieser Tatsache bewusst sind. Deshalb wird es in den nächsten Tagen einen umfänglichen Hinweis an die entsprechenden Verbände geben.
Fünfte und letzte Bemerkung: Ohne Moos nix los. Das ist eine banale Erkenntnis, die auch hier Platz greift.
Wir bekommen vom Bund für den Erhalt unserer Bundesstraßen und Bundesstraßenbrücken im Jahr im Durchschnitt 330 Millionen €. Wir bräuchten aber allein für die Ertüchtigung der notwendigsten Erneuerungsmaßnahmen bei Brücken – 375 von insgesamt über 6.000 – 3,5 Milliarden € oder, ratierlich in ein 10-Jahres-Programm übersetzt, rund 350 Millionen € jährlich nur für die Brücken. Wir bekommen aber insgesamt für den Erhalt nur 330 Millionen €. Das Delta spricht Bände.