Diese Zahlen aber überführen Sie mit Ihrem Antrag, der zeigt, was er tatsächlich ist: eine Mischung aus Halbwahrheiten und Gefühlen. Aber völlig unklar ist mir bis jetzt, auch nach Ihren Redebeiträgen, Herr Kruse und Herr Wedel, geblieben, was Sie mit Ihrem Antrag eigentlich bezwecken.
Wollen Sie die Arbeit der Polizei, der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, der Richterinnen und Richter unseres Landes kritisieren? Halten Sie beispielsweise Verfahrenseinstellungen gegen Zahlung einer Geldauflage für ein ungeeignetes Instrument der Verfahrenserledigung? Oder wollen Sie gar, dass ich mich verfassungswidrig in die Entscheidungsfindung unabhängiger Gerichte einmische und sozusagen Urteile aus dem Justizministerium heraus anweise? Oder wollen Sie sich sogar selbst einmischen?
Die Debatte in der letzten Rechtsausschusssitzung lässt einiges dazu befürchten. Herr Ganzke hat es zitiert. Ich hoffe, es ist Ihnen zumindest bewusst, dass wir alle hier in diesem Hause das nicht tun sollten und unsere unabhängige Justiz gerade vor solchen Eingriffen und Einflüssen zu schützen ist.
Aber ich befürchte, meine Damen und Herren von der Opposition, dass Sie bereit sind, das öffentliche Ansehen der Justiz für eine einzige Schlagzeile zu beschädigen. Und das von einer selbsternannten Sicherheitspartei namens CDU und einer selbsternannten Bürgerrechtspartei namens FDP? – Ich finde das erbärmlich.
Oder wollen Sie mit Ihrem Antrag mehr Personal für Polizei und Justiz fordern? Das könnte ich sogar noch nachvollziehen, weil diese Bereiche in der Tat viel Arbeit zu leisten haben. Aber ich glaube nicht, dass Sie das wollen. Ihre jüngsten Veröffentlichungen zum geforderten Personalabbau in NordrheinWestfalen sprechen genau das Gegenteil.
Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, die herausragende und hervorragende Arbeit der Polizistinnen und Polizisten, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Richterinnen und Richter und aller weiteren bei Polizei und Justiz Beschäftigten zu loben und ihnen mein ausdrückliches Vertrauen
Bei Ihrem Antrag macht mich noch etwas stutzig. Legen wir doch einmal den Maßstab Ihrer Antragsschrift an Ihre Regierungsjahre von 2005 bis 2010 in Nordrhein-Westfalen an. Während Ihrer Regierungszeit ist die Zahl der Verurteilungen jedes Jahr kontinuierlich gesunken. Die Zahl der Einstellungen lag im Mittel Ihrer Regierungsjahre in allen Bereichen über dem Wert aus dem Jahre 2011. Würde ich jetzt Ihre Worte aufgreifen, müsste ich sagen: „bedenklich“.
Oder nehmen wir die polizeiliche Kriminalstatistik. Die Zahl der Gewaltdelikte lag in den Jahren 2007, 2008 und 2009 jeweils im vierstelligen Bereich über den Zahlen der Gewaltdelikte, die wir im Jahr 2011 hatten. Das gleiche Bild stellen wir bei Fällen von gefährlicher und schwerer Körperverletzung fest. Würde ich die Worte Ihres Antrags benutzen, müsste ich jetzt „besorgniserregend“ sagen, meine Damen und Herren. In diesem wirklich relevanten Bereich haben Sie in Ihren Regierungsjahren nachweislich deutlich schlechtere Ergebnisse geliefert als die jetzige Landesregierung. Das haben Sie bei Ihrer Antragstellung ganz offensichtlich verdrängt.
Meine Damen und Herren, die Sicherheit in Nordrhein-Westfalen ist ein hohes Gut. Bestimmt können wir an vielen Stellen gemeinsam, auch parteiübergreifend, noch einiges verbessen. Das setzt allerdings voraus, dass die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen bei Polizei und Justiz nicht pauschal und mit falschen Zahlen diffamiert wird. Denn diese Menschen geben jeden Tag ihr Bestes, um uns alle zu schützen. Meinen Sie wirklich, diese Menschen haben die Form der von Ihnen geäußerten Kritik verdient? Wenn Sie das wirklich meinen, sollten Sie das auch sagen. Ich jedenfalls würde mich von Ihnen angesichts Ihrer Regierungsbilanz in diesem Bereich deutlich mehr Selbstkritik wünschen.
Weiterhin wünsche ich mir deutlich konstruktivere Beiträge von Ihnen als den, den Sie dieser Aktuellen Stunde zugrunde legen. Effekthascherei und künstliche Aufgeregtheit Ihrerseits helfen uns nicht weiter. Konkrete Vorschläge zur Verbesserung fehlen bei Ihrem Antrag genauso wie jede Substanz.
Wenn das alles ist, meine Damen und Herren von der Opposition, was Sie gemeinsam mit Ihrem jeweiligen Wunschkoalitionspartner zu bieten haben, bin ich mir sicher, dass bei Ihnen weiterhin jedes Jahr eine Zahl sinken wird, nämlich die Zahl Ihrer Wählerstimmen. – Herzlichen Dank.
ebenfalls um ungefähr eine Minute überzogen, sodass wir bei den nachfolgenden Fraktionsrednerinnen und -rednern etwas großzügiger sind. – Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Kamieth das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da heute Herr Minister und Herr Kollege Ganzke die letzte Sitzung des Rechtsausschusses haben Revue passieren lassen, wiederhole ich gern, was ich dort gesagt habe. Wir als Oppositionspartei sehen es als unsere Verpflichtung an, nachzufragen, wenn wir den Eindruck bekommen, dass etwas schiefgelaufen ist.
Genau das haben wir aufgrund eines Zeitungsberichtes getan. Dass die Schlagzeile – zum Glück – durch die Presse falsch gewählt war, hat Herr Minister dargestellt. Das ist in Ordnung für uns.
Aber wir können diese Informationen aus unserer Position heraus nicht so schnell bekommen. Die Regierung ist dazu in der Lage. Wir hätten uns gewünscht, dass die Regierung selbst für Offenheit und Klarheit sorgt. Offenheit und Transparenz, die auch Herr Ganzke angesprochen hat, herrschen leider in dieser Regierung nicht.
Wir haben es bereits durch den Kollegen Theo Kruse gehört: Die Aufklärungsquote in NordrheinWestfalen ist unter der rot-grünen Landesregierung schlecht. Die Zahl der Straftaten ist um fast 5 % gestiegen; das sind 70.000 Straftaten mehr. Bundesweit ist die Zahl der Straftaten um 1 % gestiegen. Das heißt, der Kriminalitätszuwachs in NordrheinWestfalen ist fast fünf Mal so hoch wie im Bundesdurchschnitt.
Nordrhein-Westfalen ist wieder einmal abgeschlagen. Das Risiko, in Nordrhein-Westfalen Opfer einer Straftat zu werden, ist gestiegen. Da brauchen wir keine oberlehrerhaften Belehrungen von der sehr geschätzten Kollegin Hanses über die Aufgaben der Justiz und die Gewaltenteilung. Uns ist das sehr wohl bekannt. Bezeichnend ist, dass Sie den Herrn Minister zur Belehrung heranrufen. Einen Justizminister aus dem grünen Bereich sehe ich bundesweit nicht.
(Dagmar Hanses [GRÜNE]: Wir arbeiten da- ran, Herr Kamieth! Keine Sorge! – Heiterkeit von Minister Thomas Kutschaty)
Die Aufklärungsquote ist bedauerlicherweise nicht gestiegen, sondern sogar gesunken. Das ist peinlich für den Innenminister, der mich sicherlich auch hört. Er geriert sich als sehr starker Mann. Dann wäre es schön, wenn die Aufklärungsquote entsprechend gut wäre.
Was passiert denn mit den aufgeklärten Fällen? Man müsste doch annehmen, dass aufgeklärte Fälle in der Regel zu einer Verurteilung führen. „Aufge
klärt“ im Sinne der polizeilichen Kriminalstatistik ist ein Fall – ich darf zitieren –, den „nach dem polizeilichen Ermittlungsergebnis ein mindestens namentlich bekannter oder auf frischer Tat ergriffener Tatverdächtiger begangenen hat.“
Damit dürfte doch eigentlich alles klar sein und dürfte man davon ausgehen können, dass tatsächlich eine Verurteilung erfolgt. Das Gegenteil ist in der Regel der Fall.
Die Strafverfolgungsstatistik macht insofern eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Gerade im Jugendbereich ist es das A und O, zu verhindern, dass Jugendliche überhaupt auf die schiefe Bahn geraten. Es ist natürlich sehr erfreulich, dass die Zahl der verurteilten Jugendlichen um 7,5 % zurückgegangen ist.
Wir haben, Herr Minister, die Situation in den Jahren unserer Regierungszeit sehr genau analysiert und natürlich die Lehren daraus gezogen. So sind für den Rückgang der Verurteilungen nicht nur der demografische Effekt und, wie Sie gesagt haben, die besseren Perspektiven und besseren Ausbildungsmöglichkeiten sowie der Umstand anzuführen, dass auffällige Jugendliche früher besser betreut werden, sondern es sind natürlich gerade auch die von unserer Ministerin Müller-Piepenkötter auf den Weg gebrachten Maßnahmen, die jetzt greifen,
wie „Staatsanwalt für den Ort“ oder die Häuser des Jugendrechts für Intensivtäter. Sie ernten jetzt die Früchte, die wir damals gesät haben.
Wo sind Ihre Projekte? Wie wollen Sie denn versuchen, die Kriminalitätsstatistik zu bessern? Sie sind seit drei Jahren im Amt, ich sehe aber keine eigenen Projekte von der Qualität wie die Projekte, die ich gerade angesprochen habe.
Wichtig ist natürlich auch, dass diejenigen, die auf die schiefe Bahn gekommen und straffällig geworden sind, verurteilt werden. Für uns gilt ganz klar: Opferschutz vor Täterschutz.
Deswegen halten wir es vor dem Hintergrund der erheblichen Zunahme von Straftaten insgesamt für sehr erschreckend, dass die Zahl der strafrechtlichen Verurteilungen in Nordrhein-Westfalen inzwischen auf den zweitniedrigsten Stand seit 2003 gesunken ist. Das bleibt so, auch wenn Sie diese Zahl nicht wahrhaben wollen.
Lassen Sie mich das am Beispiel der Wohnungsdiebstähle etwas genauer darstellen. Die Wohnungsdiebstähle gehören zum einen zur zweitgrößten Deliktsgruppe, sie sind zum anderen darüber hinaus ganz besonders traumatisch für die Opfer.
Es ist ein schwerwiegender Eingriff in die Privatsphäre. Stellen Sie sich vor, Sie müssten in dem Raum schlafen, der wenige Tage vorher durch Fremde begangen worden ist, dass Ihre Klamotten durchwühlt worden sind usw. – Das möchte kein Mensch.
Nach einer Studie der Ruhr-Universität Bochum kommt es bei solchen Wohnungsdiebstählen lediglich bei 47 von 1.881 Fällen zu einer Verurteilung. Das sind gerade einmal 2,5 %. Entspricht das Ihrer Vorstellung von einer angemessenen strafrechtlichen Reaktion des Staates, Herr Minister
Kutschaty? Können Sie sich vorstellen, wie enttäuscht die Opfer sind, die einen solchen Wohnungsdiebstahl erlitten haben? Oder versetzen Sie sich in die Lage der Polizeibeamten, die mühsam und mit hohem persönlichen Einsatz die Tatsachen ermittelt haben und dann frustriert feststellen müssen, dass Tatverdächtige in der Regel ungeschoren davonkommen?
Angesichts dieser Zahlen kann ich Ihre Zufriedenheit mit dem vorgelegten Zahlenwerk bei der Pressekonferenz nicht nachvollziehen. Mit weniger Verurteilungen trotz steigender Kriminalität kann nur zufrieden sein, wer den Täterschutz vor den Opferschutz stellt.
Besonders kritisch ist in diesem Zusammenhang die große Zahl der Verfahrenseinstellungen zu sehen, die gerade durch Ihren Erlass im Hinblick auf die Betäubungsmittelvergehen nach wie vor hoch gehalten wird.
Rund 28 % der Ermittlungsverfahren werden aufgrund der Ermessensvorschriften mit oder ohne Auflage eingestellt.
Wir müssen natürlich die Arbeitsfähigkeit der Justiz erhalten. Der Aufwand der Durchführung eines Strafverfahrens darf nicht außer Verhältnis stehen zu der angeklagten Tat oder dem zu erwartenden Strafmaß. Kein Mensch hätte Verständnis dafür, wenn für einen Parkrempler, der eigentlich als Unfallflucht zu werten wäre, unzählige Zeugen gehört und ein kostenintensives Sachverständigengutachten über Lacksplitter eingeholt würde, wenn der Täter geständig ist und das Missgeschick zum ersten Mal geschieht. Dann bietet sich ausnahmsweise eine Verfahrenseinstellung an.
Aber gerade bei Mehrfachtätern muss eine Verfahrenseinstellung die Ausnahme bleiben. Hier lassen sich die Ressourcen der Justiz zum Beispiel dadurch schonen, dass konsequent im beschleunigten Verfahren Anklage erhoben wird. Dadurch kann gewährleistet werden, dass gerade Wiederholungstäter kleinerer Delikte ihre gerechte Strafe erhalten.