Protokoll der Sitzung vom 20.03.2013

(Beifall von den PIRATEN)

Ein weiterer Schwerpunkt ist Bildung. Dazu gehört der kostenfreie Zugang zu Wissen. Bildung ist für uns keine Ware. Sie ist vielmehr ein Grundbedürfnis und darüber hinaus das wesentliche Element für qualitatives Wachstum. Ob während der Schule, der Ausbildung oder der Hochschule: Zu jedem Zeitpunkt muss Wissen frei zugänglich sein.

(Beifall von den PIRATEN)

Gerade diese Anträge erscheinen im Vergleich zum Gesamthaushalt betrachtet sehr klein. Aber genau hierin liegt ein enormes gesellschaftliches Potenzial versteckt, das unser Land zu bieten hat. Unser Kapital in Nordrhein-Westfalen sind die Menschen, die hier leben. Ihnen müssen wir Zugang zu Bildung bieten.

Wir wollen dazu beitragen, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen auch mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Daher machen wir uns Gedanken zu einem ganz neuen Mobilitätskonzept der Zukunft. Gegenstand ist der öffentliche Personennahverkehr. Wir betrachten Mobilität als ein Grundrecht. Zugleich ist Mobilität Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Deswegen ist der fahrscheinlose öffentliche Personennahverkehr ein weiterer Schwerpunkt. Wir brauchen zudem neue Wege, die nachhaltig und sparsam mit unseren Ressourcen umgehen. Wir sprechen nicht vom kostenlosen ÖPNV. Der Bürger soll sehr wohl mit einer pauschalen Umlage an den Kosten für Bus und Bahn beteiligt werden.

Es ist auch klar, dass so weitgehende Konzepte nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kön

nen. Aber wir wollen, dass die Bürger noch in diesem Jahr spürbare und konkrete Maßnahmen erfahren. Die Menschen dürfen mit Recht Lösungen für die zukunftsfähige Gestaltung unseres Gemeinwesens erwarten. Jetzt ist es an der Zeit, anzupacken. Weitere Maßnahmen müssen folgen. Daher sind unsere Anträge als beispielhaft zu betrachten. Uns geht es nämlich auch um eine Veränderung des politischen Blickwinkels. Unsere Anträge führen nicht zu einer zusätzlichen Neuverschuldung. Politik muss ihre Handlungs- und Gestaltungsspielräume effektiv nutzen.

Wir haben Haushaltsänderungsanträge gestellt, die beispielhaft aufzeigen, wie Schritte in eine zukunftsweisende Politik eingeleitet werden können. Die Änderungsanträge beziehen sich auf die genannten drei Bereiche Open Government, Bildung und Infrastruktur.

Daneben schlagen wir vor, dass die privaten Eigentümer des Atomkraftwerks Hamm-Uentrop vollständig für die Finanzierung des Rückbaus aufkommen und damit das Land im aktuellen Haushalt um 4 Millionen € und zukünftig um 32,2 Millionen € entlasten.

(Beifall von den PIRATEN)

Heute stellen wir beispielhaft noch einmal einige unserer Anträge im Plenum zur Abstimmung.

Ich möchte mit dem Bereich Open Government beginnen. Wir wollen, dass das Land einen Wettbewerb für die „Kommune 2.0“ ausschreibt. Warum? – Wir denken, dass Open Government in der Demokratie der Kommune seinen Ursprung hat. Hier treffen Politiker direkt auf den Bürger. Die Probleme sind sehr konkret, und Anliegen sind leichter kommunizierbar.

Zudem liegt ein Großteil des nordrhein

westfälischen Datenschatzes bei den Kommunen selbst. Genau deshalb kann man die Potentiale des Open Government am besten auf kommunaler Ebene erschließen und den Bürgerinnen und Bürgern den Mehrwert verdeutlichen. Die „Kommune 2.0“ setzt dabei die ganze Bandbreite von Open Data – offenen Daten – und Open Government ein. Das ist eine Investition in die Zukunft der Demokratie.

(Beifall von den PIRATEN)

Wer aber wie die Bundesregierung Daten im Netz unter einer neuen Deutschlandlizenz veröffentlich, dabei bestehende Standards ignoriert und zusätzlich vergisst, die neue Deutschlandlizenz in weitere Sprachen zu übersetzen, der hat das Internet bis heute nicht verstanden,

(Beifall von den PIRATEN)

mehr noch, der hat Zukunft nicht verstanden.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir möchten die Landesregierung bitten, diesen Fehler nicht auch zu begehen. Setzen Sie die international bereits anerkannten Creative-CommonsLizenzen ein und versuchen Sie nicht, das Rad neu zu erfinden.

Ein weiteres Zukunftsthema sind digitale Bildungsmedien. Letzte Woche hatten wir eine sehr interessante Expertenanhörung zu unserem Antrag zu freien Lernmaterialien. Der Tenor war ganz klar: Digitale Medien sind aus der Bildung nicht mehr wegzudenken. – Mit der Bildungssuchmaschine des Landes „learn:line NRW“ hat das Land schon ein gutes Angebot eingerichtet. Hier sind tausende hochwertige digitale Lernmaterialien verzeichnet, die für alle Schulen des Landes kostenlos zur Verfügung stehen. Um die Suche in dieser Vielfalt zu erleichtern, wollen die Entwickler in diesem System das sogenannte Social Tagging und Open Review implementieren. Das heißt, die Nutzer dieser Medien, die Lehrerinnen und Lehrer, können Bemerkungen dazu machen, welche Unterrichtserfolge sie damit erzielt haben. Konkret ist die Suchmaschine damit auch eine Kommunikationsplattform, ein Vernetzungsinstrument für die 160.000 Personen große Lehrerschaft in diesem Lande.

Außerdem wäre es dann leicht möglich, zusätzliche Informationen zum Beispiel zur Urheberschaft – diese sind wichtig, wenn man die Medien nutzen will – und zu den Herausgebern der Lernmedien zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet ein Mehr an Transparenz im Einsatz von Bildungsmedien. Diese Idee gefällt uns sehr gut. So nutzt man die Möglichkeiten des Internets und die viel beschworene Schwarmintelligenz. Man gibt den Nutzern die Möglichkeit, am Angebot mitzuwirken. So werden Nutzbarkeit und Funktionalität insgesamt gemeinsam verbessert. Deshalb haben wir noch einen Änderungsantrag zum Einzelplan 05 gestellt. Wir wollen, dass diese Mittel zur Verfügung gestellt werden, um das Projekt umzusetzen. Es geht dabei um 100.000 € im diesjährigen Haushalt und um eine Verpflichtungsermächtigung von 50.000 € für den Haushalt 2014.

Wir Piraten wollen Nordrhein-Westfalen noch schöner, noch attraktiver und noch lebenswerter machen, als es sowieso schon ist. Wir wollen auch dafür sorgen, dass es so bleibt. Dazu haben wir verschiedene Anträge im Bereich Infrastruktur entwickelt, die alle gemeinsam haben, dass sie umsetzbar sind, wenn wir uns nur darauf verständigen.

So haben wir unter anderem den öffentlichen Personennahverkehr identifiziert. Ein leistungsstarker öffentlicher Personennahverkehr ist für uns die Grundbedingung für ein zukunftsfähiges NordrheinWestfalen. Mit unserem Antrag zur Auslobung eines Ideenwettbewerbes „Fahrscheinlose Kommune“

wollen wir ein Zeichen setzen – ein Zeichen, dass wir eine kreative Umsetzung der Zukunftsaufgabe

nachhaltige und faire Mobilität brauchen und dass dies auch möglich ist.

(Beifall von den PIRATEN)

Mit fahrscheinlosem Personennahverkehr meinen wir nicht etwa eine Art elektronisches Ticket. Wir meinen damit, dass die Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs gänzlich ohne Fahrschein möglich sein soll und Bus und Bahn finanziert werden über eine Umlage, die von allen Bürgern getragen wird. Wir nennen es nicht „kostenlos“, weil wir den Bürgern gegenüber ehrlich sind. Bus und Bahn können nicht kostenlos sein, aber fahrscheinlos.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir wollen darüber hinaus Bedingungen für eine nachhaltige und faire Mobilität schaffen, über die Erarbeitung kreativer Ideen für einen öffentlichen Personennahverkehr für alle Menschen und über die planerische und gegebenenfalls technische Vorbereitung der Verkehrsinfrastruktur für einen leistungsfähigen Bus- und Bahnverkehr.

Wer heute sagt, dass das nicht geht, darf sich in 20 Jahren nicht beschweren, wenn wir immer noch alle im Stau stehen – dann vielleicht nicht mehr auf zwei oder drei Spuren, sondern auf vier oder fünf. Verlierer sind die Menschen, die Umwelt und die Wirtschaft. Wir Piraten positionieren uns hier eindeutig zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs. Der Wert des öffentlichen Personennahverkehrs ist seine gesellschaftliche Nachhaltigkeit, nicht seine Exklusivität.

(Beifall von den PIRATEN)

Neben den geschilderten Mehrausgaben wollen wir Piraten nicht, dass der Staat Subventionen für Atomanlagen zahlt. Bei diesem Antrag geht es konkret um die Entsorgung des Atomkraftwerks THTR300 in Hamm-Uentrop. Im Moment laufen die Verhandlungen über die sogenannte dritte Ergänzungsvereinbarung, in der das Land zu konkreten Zahlungen verpflichtet wird. Der Verhandlungsrahmen wird vorgegeben von einem entsprechenden Rahmenvertrag. Die Piratenfraktion hat die Landesregierung gebeten, den Rahmenvertrag und alle Ergänzungsvereinbarungen zu veröffentlichen. Das ist bis heute nicht geschehen. Die rot-grüne Landesregierung hat im aktuellen Haushalt 4 Millionen € eingestellt und holt sich gleichzeitig die Ermächtigung vom Parlament, in den kommenden Jahren insgesamt weitere 32,2 Millionen € für das Atomkraftwerk zu zahlen. Ob es dabei bleibt, ist auch noch die Frage. Gerade bei Verträgen mit derartiger Reichweite sind wir Piraten nicht bereit, die Katze im Sack zu kaufen.

(Beifall von den PIRATEN)

Deshalb lehnen wir auch die Ausgaben für die Entsorgung des Atomkraftwerks ab.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle noch einen kleinen Hinweis auf den Koalitionsvertrag der Regierungsfraktionen. Auch darin ist festgeschrieben, dass – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten – „insbesondere im Hinblick auf die ungeklärte Finanzierung des Rückbaus des THTR“ die Eigentümer in die finanzielle Verantwortung genommen werden sollen. Das steht im rot-grünen Koalitionsvertrag auf Seite 41.

So weit zu konkreten Einzelheiten der Landespolitik.

Das heißt aber nicht, dass wir die Augen vor großen Zusammenhängen verschließen. Wir können mit unserem wachstumsfixierten Wirtschaftsmodell die gesellschafts- und finanzpolitischen Probleme

schon lange nicht mehr nachhaltig lösen. Die quantitativen Grenzen des Wachstums mögen ja noch nicht erreicht sein, dagegen ist die Grenze der ökonomischen und ökologischen Besonnenheit schon lange überschritten.

Was bedeutet es eigentlich, wenn wir davon sprechen, dass die Wirtschaft wächst? Was wächst da eigentlich konkret? Ursprünglich war der Begriff „Wirtschaften“ einmal eingebettet in ein soziales Umfeld. Das kann man von der heutigen Wirtschaft schon lange nicht mehr behaupten. Wirtschaft und Wachstum sind ohne das synthetische Medium Geld nicht denkbar. Alles wird vermittelt über die Märkte. Wirtschaften vollzieht sich über Kaufen und Verkaufen. Jenseits der Märkte befindet sich Niemandsland. Geld ist der alleinige Maßstab. Das in Geld ausgedrückte Wirtschaftswachstum einer

Volkswirtschaft, dass Bruttoinlandsprodukt – auch BIP genannt –, sagt immer weniger darüber aus, ob und in welcher Weise sich die Lebensbedingungen der Menschen verbessert haben. Geld hat in unserer Gesellschaft aber nur dann eine sinnvolle Funktion, wenn es jeden Einzelnen in die Lage versetzt, damit das zu erwerben, was man zum Leben braucht. Wenn Geld dazu missbraucht wird, sich selbst zu vermehren, stiftet es Unheil und führt auch zu gesellschaftlicher Unzufriedenheit.

Wir haben es deshalb auch mit einer zunehmenden Skepsis in der Gesellschaft zu tun, ständig neue Wachstumsrekorde erzielen zu wollen. Es gibt ein sehr weit verbreitetes Unbehagen in der Bevölkerung, dass die Versprechen, die mit wirtschaftlichem Wachstum verbunden waren, nämlich dass es einen sozialen Ausgleich gibt, dass wir unsere Umweltprobleme damit lösen werden, nicht mehr geglaubt werden, weil sie sich de facto als Illusion erwiesen haben.

Wir brauchen ein tragfähiges Zukunftskonzept für ein solidarisches Gemeinwesen und für den inneren Zusammenhalt in Nordrhein-Westfalen. Dafür stehen wir Piraten.

(Beifall von den PIRATEN)

Solidarität ist jedoch nur herstellbar durch eine gerechte Lastenverteilung und eine Verbesserung der

Einnahmenseite, damit die öffentliche Daseinsvorsorge, die öffentlichen Ressourcen und die Versorgungsstandards gepflegt, verbessert und auch finanziert werden können. Für uns ist die marktkonforme Demokratie und die viel beschworene Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit eben nicht Leitbild des politischen Handelns.

Immer wieder wird die Formel gepredigt, dass Wachstum und Konsolidierung der Staatsfinanzen Hand in Hand gingen und auf diese Weise das Vertrauen zurückgewonnen werden müsse. Da drängt sich schnell die Frage auf, um wessen Vertrauen es eigentlich geht. Geht es um das Vertrauen der Märkte, oder geht es um das Vertrauen der Menschen? Geht es um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen? Geht es um eine gerechte Verteilung des in unserer Gesellschaft produzierten Wohlstandes?

Herr Römer, ich möchte Sie jetzt einmal ansprechen. Sie haben vorhin den Satz gesagt: Sozial ist, was Arbeit schafft.

(Norbert Römer [SPD]: Gute Arbeit!)

Gute Arbeit, ja. Vor 15 Jahren hätte ich das noch unterschrieben. Wir müssen in einen Diskurs kommen und umdenken. Nach unserer Auffassung ist sozial, was Teilhabe schafft.

(Beifall von den PIRATEN – Widerspruch von der SPD)