Protokoll der Sitzung vom 22.03.2013

Sie sagen: Justiz muss sich ändern. – Ja, Justiz muss sich auch ändern. Aber warum haben Sie denn in den letzten drei Jahren nicht Entsprechendes auf den Weg gebracht?

Während Ihrer Regierungszeit ist die salafistische Szene explodiert, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Das ist bedrohlich und bedenklich.

(Zurufe von Thomas Stotko [SPD] und Diet- mar Bell [SPD])

Ob Oberhausen, Gladbeck, Solingen, Wuppertal, Düsseldorf oder Bonn – überall ist die salafistische Szene in Nordrhein-Westfalen quasi explodiert.

Da erwarte ich vom Innenminister, dass er die nötigen Schwerpunkte setzt. Was macht der Innenminister aber? – Er bindet seine Polizeikräfte in Blitzmarathons und ähnlichen Aktionen.

(Beifall von der FDP und Peter Biesenbach [CDU])

Was macht die Landesregierung? – Sie demotiviert die Polizistinnen und Polizisten noch, indem sie ihnen noch nicht mal eine Gehaltserhöhung zubilligt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD: Oh!)

Das sind doch die Fakten in Nordrhein-Westfalen. Und dann erwarten Sie, dass sich die Beamtinnen und Beamten mit vollem Engagement einsetzen. So geht das nicht.

Wenn Sie davon sprechen, was ja richtig ist, dass auch Integrationsthemen erforderlich sind, dann frage ich mich – wenn ich mich hier umschaue –, warum das Kabinett hier heute nur sehr bescheiden vertreten ist.

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Es ist heute Bundesrat, Herr Kollege!)

Das mag ja sein, dass Bundesrat ist. Aber hier sind nur der Innenminister und Frau Löhrmann, die bei den Damen und Herren der Regierung vielleicht noch ein bisschen für die Bildung mitverantwortlich ist.

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Ein bisschen!)

Das war es auch schon. Wo ist denn hier jemand, der sich für die religiösen Fragen einsetzt, für die Integration, für all diese anderen Themen einsetzt?

(Beifall von der FDP)

Wir diskutieren hier, weil sich Rot-Grün eine schöne Schlagzeile machen will. In der Realität interessiert es nicht mal die eigene Regierung.

Meine Damen und Herren, wir erwarten von der Landesregierung, dass sie tatsächlich einen

Schwerpunkt in der Bekämpfung des Salafismus setzt, dass sie sich nicht ausruht auf einem einmaligen Erfolg, einer Festnahme, dass sie alles daransetzt, die Taten aufzuklären. Ich erinnere nur an den Anschlag in Bonn – da haben wir bis heute keine Lösungen.

Ich denke, wir müssen auch bei der Bekämpfung der Hetze im Internet Schwerpunkte setzen. Dazu habe ich von der Landesregierung noch gar nichts gehört. Und wir müssen auch bei den JVAs etwas tun. Aber wenn es schon so ist, dass in Hamburg ein normaler Krimineller nach 20 Jahren im Knast drogensüchtig durch die Lande zieht

(Dietmar Bell [SPD]: Ist das miserabel!)

und dabei wahrscheinlich andere Menschen verletzt hat, dann habe ich kein besonderes Vertrauen in den Strafvollzug in NRW.

(Beifall von der FDP)

Wir brauchen ein Konzept gegen Unterwanderung von NRW-Institutionen. Wir haben gehört, einmal war es ein Polizist. In Essen gab es schon ein ähnliches Thema. Dann hatten wir einen Berufsschullehrer in NRW, der wahrscheinlich mit viel Geld vom Land NRW in einen Arbeitsschutzprozess gegangen ist. Auch da, meine Damen und Herren, fehlen Ihnen die Konzepte.

(Thomas Stotko [SPD]: Zum Thema fällt Ihnen nichts ein!)

Ich resümiere: Wir sollten hier zu einer Feierstunde zusammenkommen. Es gibt aber keinerlei Anlass zum Feiern, ganz im Gegenteil. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP – Dietmar Bell [SPD]: Miserabel! – Serdar Yüksel [SPD]: Das war ganz peinlich, keine Argumente!)

Danke schön, Herr Kollege Dr. Orth. – Für die Piraten spricht der Kollege Herrmann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Das Verbot der drei salafistischen Organisationen durch Herrn Bundesminister Friedrich und die Festnahme von vier Personen in Nordrhein-Westfalen, die mutmaßlich einen Mordanschlag verüben wollten, sind schon ausreichend erwähnt worden. Diese beiden Ereignisse zeugen von der hervorragenden Arbeit der Ermittlungsbehörden, auch unserer Polizei. Sie zeigen zudem, dass unsere Demokratie gut geschützt ist.

Meine Damen und Herren, religiöse Fanatiker sind ein Problem. Sie verteilen beispielsweise Ratgeberbroschüren, in denen sie sich für Körperstrafen, also Züchtigungen, aussprechen. Sie trennen nicht zwischen Politik und Religion. Sie nehmen für sich in Anspruch, als Einzige den wahren Weg zum Glauben an Gott gefunden zu haben. Die Ehe ist für sie die einzig legitime Form des Zusammenlebens zwischen Mann und Frau. Den Frauen gestehen sie lediglich eine Rolle im Haus und in der Kindererziehung zu. Sie legen ihre Heilige Schrift wörtlich und fundamentalistisch aus und versuchen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung zu nehmen. Sie vertreten damit ein unserem Grundgesetz entgegenstehendes Weltbild.

Ich sollte erwähnen, dass ich mit diesen Worten die Evangelikalen beschrieben habe, die in einigen Gruppen in Deutschland einen solchen christlichen Fundamentalismus praktizieren. Auch die Evangelikalen gewinnen in Deutschland – wie weltweit – immer mehr Anhänger und wollen Einfluss auf die Politik nehmen.

Mit eben genannten Kriterien wird auch – nach Angaben des Innenministeriums – die Beobachtung der Salafisten gerechtfertigt. Sollte das also nicht auf alle religiösen Fanatiker angewandt werden, unabhängig davon, welcher Religion sie angehören?

Die politische Auseinandersetzung mit religiösem Fundamentalismus ist wichtig und richtig. Aber man muss dabei sehr vorsichtig sein, nicht in Pauschalismen abzugleiten. Zu schnell benutzen Populisten die Argumente, um die ganze Glaubensrichtung verächtlich zu machen. Das ist dann besonders ärgerlich, wenn die Medien noch dabei mithelfen. Es war nur schwer erträglich, wie der Chef der rechtsextremistischen Pro NRW den Verdacht eines Anschlags auf ihn ausnutzte, um sich in den Medien zu profilieren und sich als „Retter“ einer angeblich drohenden Islamisierung aufzuspielen.

In Deutschland leben rund 4 Millionen Muslime. Etwa 1 Promille davon – 4.500 nach den neusten Zahlen – wird zu der Gruppe der Salafisten gerechnet. In Nordrhein-Westfalen leben davon etwa 1.000.

Das Innenministerium räumt dazu auf seiner Webseite ein – und das steht im Widerspruch zu Ihren Angaben, Herr Sieveke –, dass nicht alle politisch

tätig sind und der weit überwiegende Teil friedlich ist. Der Anteil der gewaltbereiten Salafisten in Nordrhein-Westfalen wird auf ca. 100 Personen geschätzt, 20 davon besonders aktiv.

Zum Vergleich: Herr Minister Jäger geht gleichzeitig von 400 bis 600 gewaltbereiten Rechtsextremisten in NRW aus. Damit möchte ich das Problem nicht kleinreden, aber in Relation setzen.

In Ihrem Antrag zu dieser Aktuellen Stunde schreiben Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, dass der Landtag NRW eindeutig gegen den verfassungsfeindlichen Salafismus Stellung beziehen muss.

Zwar würden wir von den Piraten uns wünschen, dass der Landtag generell gegen jede Art von religiösem Fundamentalismus Stellung bezieht, aber selbstverständlich gehen wir bei dieser Formulierung mit.

Was mir aber Sorgen macht, ist der Teilsatz, ich zitiere:

„Die dauerhafte Bekämpfung des Salafismus ist daher gleichermaßen angewiesen auf das entschiedene Vorgehen der Sicherheitsbehör

den …“

Wir sehen die Rolle der Sicherheitsbehörden in der Verhinderung und Verfolgung von Straftaten und nicht so sehr in der Bekämpfung einer fundamentalistischen Ideologie. Insofern sehe ich diese Formulierung sehr skeptisch. Wir wollen nicht, dass am Ende neue Überwachungsmaßnahmen stehen, die mit der vermeintlichen oder tatsächlichen Gefahr des Salafismus begründet werden. Davor kann ich nur warnen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir werden uns erweiterten Überwachungsmaßnahmen und der Einschränkung von Bürgerrechten entschieden entgegenstellen.

Wie Frau Schäffer schon erwähnt hat, will Bundesinnenminister Friedrich bei der Innenministerkonferenz im Mai einen Gesetzentwurf vorlegen, der schnelle Abschiebungen erlaubt. Wir fordern die Landesregierung hiermit auf, einen solchen Gesetzesentwurf entschieden abzulehnen.

(Beifall von den PIRATEN)

So sehr fundamentalistisch-religiöse Ideologien auch abzulehnen sind, so ist die Abschiebung der Personen, die sie vertreten, doch keine Lösung des Problems – ganz abgesehen davon, dass, wie schon erwähnt, Deutsche, die eine zentrale Rolle in der salafistischen Szene spielen, schlecht abgeschoben werden können.

Nein, restriktive Gesetze, Überwachung und Einschränkung der Bürgerrechte können nicht die Antwort einer freiheitlichen Demokratie auf Bedrohung durch Fundamentalismus sein. In einer freiheitlichen

Demokratie setzen wir auf Ursachenforschung, Aufklärung und Bildung.