Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Ein-/Ausreisesystem (EES) zur Erfassung der Ein- und Ausreisedaten von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union
und Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Registrierungsprogramm für Reisende („Smart Borders“-Paket)
Ich eröffne die Beratung und erteile als erstem Redner für die antragstellende Piratenfraktion dem Herrn Abgeordneten Kern das Wort.
Danke. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Der europäische Integrationsprozess beruht auf dem Gedanken einer weltoffenen, toleranten und rechtsstaatlichen Union von Mitgliedstaaten, welche die Grundrechte der hier lebenden Menschen achtet und schützt. Diese Grundsätze kommen – gerade in letzter Zeit – immer mehr unter die Räder. Das ist alarmierend.
Die Europäische Union beschreitet seit Jahren den Weg hin zu einer digitalen Überwachungsfestung. Folgende Projekte machen das deutlich: Datenstriptease für Flüchtlinge durch EUROSUR, für Flugreisende durch das Passagiernamensregister und jetzt für Reisende ein Grenzkontrollsystem namens „Smart Borders“.
Worum geht es bei „Smart Borders“? – Unter dem Deckmantel des Sicherheitsaspekts wird hier ein weiterer Baustein einer grundrechtsverletzenden und menschenverachtenden Überwachungsarchitektur in der EU gelegt. Es ist ein weiteres Hochrüsten eines europäischen Überwachungsapparats, der in einem schleichenden Prozess auf alle Menschen in der EU ausgeweitet werden kann, der sich also gegen die eigene Bevölkerung richtet.
Auf Drängen einiger sicherheitsparanoider Mitgliedstaaten – darunter Deutschland – will die EU mit „Smart Borders“ nun also ein milliardenschweres Grenzkontrollsystem einführen. Dabei sollen bei der Einreise alle relevanten persönlichen Daten, darunter auch Fingerabdrücke, von Reisenden aus Drittstaaten erfasst werden mit dem Ziel, mittels der Megadatenbanken herauszufinden, wer seine Aufenthaltserlaubnis in der EU überzieht. Doch wo sich diese Menschen nach Ablauf der Aufenthaltsfrist genau befinden, kann das System nicht erfassen, sodass der angebliche Zweck des Vorhabens gar nicht erreicht werden kann.
Allein das verstößt aus unserer Sicht eindeutig gegen den Schutz personenbezogener Daten sowohl nach EU-Grundrechtecharta als auch nach deutschem Verfassungsrecht. „Smart Borders“ ist eine Sicherheits-Fata-Morgana, der Verstoß gegen Verfassungsrecht hingegen ist real.
Auch die vorgesehene Nutzung der erhobenen Daten zur Strafverfolgung ist für uns Piraten eine eklatante Zweckentfremdung.
Der zweite Gesetzesvorschlag von „Smart Borders“ will ein Registrierungsprogramm einführen, mit dem sich Vielreisende nach vorheriger datentechnischer Vollbeichte die schnellere und effizientere Grenzüberschreitung erkaufen. Nicht nur, dass ein echter Effizienzgewinn dabei mehr als fragwürdig ist – hier wird de facto Druck ausgeübt, sensibelste persönliche Informationen, zum Beispiel zur wirtschaftlichen Situation, preiszugeben. Jeder, der die Vollbeichte
Damit nicht genug: Vorgesehen ist weiterhin eine Differenzierung von Drittstaaten nach Risikofaktoren. Das ist eine menschenverachtende Stigmatisierung von Reisenden allein aufgrund des falschen Passes,
Das vollkommen unverhältnismäßige „Smart Borders“-Paket lädt nicht nur zu Datenmissbrauch und Rasterfahndung ein, sondern schafft Voraussetzungen zur Datenerfassung aller Menschen in der EU. Meine Damen und Herren, „Smart Borders“ ist nicht smart oder intelligent, sondern dreist und perfide!
Es ist nichts anderes als der rostige Nagel für den Wundstarrkrampf des europäischen Grundrechtesystems.
Ich appelliere an die Landesregierung: Sorgen Sie dafür, dass „Smart Borders“ im Bundesrat wieder auf die politische Tagesordnung kommt, dass NRW ein klares Signal nach Brüssel sendet! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Zur Versachlichung der Debatte gestatten Sie mir ein paar Erläuterungen. Die Europäische Kommission hat m
28. Februar 2013 unter der Überschrift „Smart Borders“ nach jahrelanger Diskussion drei Vorschläge für Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates vorgelegt. Mit ihrem Verordnungsvorschlag KOM(2013) 95 unterbreitet sie einen Vorschlag zur Einführung eines Einreise-/AusreiseSystems (EES). Ziel ist eine Verbesserung des Außengrenzen-Managements und die Bekämpfung der illegalen Migration in das Gebiet der Europäischen Union.
Anstelle des heutigen manuellen und zeitaufwendigen Verfahrens zur Kontrolle von Drittstaatsangehörigen mittels Stempel im Reisedokument soll das EES technische Neuerungen für die Berechnung
der Dauer des jeweiligen zulässigen Aufenthaltes, die Identifizierung von nicht einreiseberechtigten Personen, die Erleichterung der statistischen Analyse der Reiseströme an den Außengrenzen sowie die Ermittlung der Anzahl von sogenannten Overstayern – Personen, die sich länger als erlaubt im EU-Gebiet aufhalten – einführen.
Mit dem Verordnungsvorschlag KOM(2013) 97 schlägt die Kommission ein Registrierungsprogramm für Reisende (RTP) vor. Vielen Reisenden aus Drittländern soll damit die Möglichkeit gegeben werden, mit vereinfachten Grenzkontrollen zügiger in das Gebiet der Europäischen Union einzureisen.
Die beiden vorgenannten Verordnungen erfordern eine Änderung des Gemeinschaftskodexes für die Kontrollen an den Außengrenzübergangsstellen und die Überwachung der Außengrenzen, „Schengener Grenzkodex“ genannt. Ein entsprechender Vorschlag der Kommission – KOM(2013) 96 – liegt vor. Dieser allerdings bleibt im Antrag der Piraten unerwähnt.
Das Ziel einer gemeinsamen Regelung, um harmonisierte Vorschriften zur Erfassung von Grenzübertritten und zur Überwachung der zulässigen Aufenthaltsdauer für den gesamten Schengen-Raum einzuführen sowie die statistische Analyse der Reiseströme an den Außengrenzen zu erleichtern, wird sowohl von uns als auch – das ist auch in ihrem Antrag ersichtlich – von der Fraktion der Piraten befürwortet.
Ich möchte vorwegschicken, dass wir unsererseits das Vorhaben kritisch begleiten und einige Kritikpunkte teilen. Des Weiteren gehe ich davon aus, dass es hierzu noch viele Diskussionsmöglichkeiten geben wird, um inhaltlich zu debattieren.
Der Antrag der Piraten ist an einigen Stellen sachlich unzutreffend. Gerade der Vergleich mit USamerikanischen Grenzmanagement-Systemen ist weder haltbar noch entspricht er dem Ansinnen des von der EU-Kommission geplanten Systems. Hinzu kommt, dass es sich hierbei um sogenannte Frühwarndokumente im Rahmen des Subsidiaritätsprüfungsverfahrens handelt.
Die Vorschläge wurden Ende Februar von der Kommission vorgestellt und Anfang März an den Landtag übermittelt. Dazwischen lagen Plenarsitzungen und Sitzungen der Fachausschüsse – so auch des Europa- und Eine-Welt-Ausschusses. Dort bestand auch für die Fraktion der Piraten die Möglichkeit, sich noch nachdrücklicher mit der Fragestellung beschäftigen zu können, indem man einen Bericht einfordert und das Prüfungsverfahren konstruktiv begleitet.
So gerät der Piratenantrag nur zu einem Schaufensterantrag und wird der Thematik nicht gerecht. Daher wird die SPD den Antrag ablehnen. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kern, da haben Sie sich – das muss ich schon sagen – jetzt aber mit diesem Antrag einmal so richtig ausgetobt. Der Kollege Geyer von der SPD hat dagegen doch sehr versachlicht, was hier passieren soll.
Zu dem Paket, das vorgelegt wurde – beim „Smart Borders“-Paket geht es um intelligentere Grenzen –, gehören drei Rechtsakte. Dabei geht es erstens um den Vorschlag für eine Verordnung über ein Einreise-/Ausreisesystem, zweitens um den Vorschlag für eine Verordnung über ein Registrierungsprogramm für Reisende und drittens um den Vorschlag für eine Verordnung, um den Schengener Grenzkodex entsprechend anzupassen. Alle drei Verordnungsvorschläge unterfallen – das wurde eben auch schon mitgeteilt – dem Frühwarnsystem.
Die EU-Außenminister haben die Vorschläge im März aufgenommen. Das gilt ebenso für den federführenden Ausschuss, dem EP-Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres.
Besonderes Ziel des legislativen Prozesses muss es sein, die Vorschläge eingehend daraufhin zu überprüfen, ob sie effektiv auf das Ziel zuführen, die Sicherheit an den Außengrenzen zu verbessern – Herr Kern, wir haben nur eine Außengrenze zur Schweiz, sonst gar keine –, die Einreise für viele EU-Bürger wirklich zu erleichtern und die zunehmende Zahl der Grenzüberschritte angemessen zu bewältigen. Weiter geht es darum, ob sie mit dem Anspruch zu vereinbaren sind, die persönlichen Daten robust zu schützen – da sieht man, wie unterschiedlich man so etwas auslegen kann –, ob sie mit dem Anspruch in Einklang stehen, dass niemand diskriminiert wird, und ob die Kosten-NutzenRelation stimmt. Dabei geht es um die Kernaufgabe, fundamentale und sensible Rechtsgüter in die richtige Balance zu bringen.
Das steht im Horizont der Frage, wie wir uns die weitere Entwicklung der Europäischen Union und die Grundordnung, in der wir leben wollen, vorstellen. Deshalb ist es richtig, dass wir uns mit diesem „Smart Borders“- Paket auch hier im Landtag auseinandersetzen. Das muss aber auch sachgerecht geleistet werden.
Der von Ihnen vorgelegte Antrag leistet das in eklatanter Weise nicht. Ein Bezug zu NordrheinWestfalen kommt in den Beschlussvorschlägen auf dreieinhalb Seiten nicht einmal vor. Der Antrag enthält keine Vorstellung des Sachverhaltes. Aus unserer Sicht fehlt der komplette Begründungszusammenhang.
Der Antrag verschweigt den gesamten objektiven Rahmen, auf dem die Kommission ihre Vorschläge basiert. Ebenso verschweigt er die Garantien, die in Bezug auf personenbezogene Daten natürlich vorgesehen sind. Dabei geht es zum Beispiel auch um die Freiwilligkeit, an diesem Versuch teilzunehmen.
Fakt ist, dass die derzeitigen EU-Vorschriften bezüglich des Überschreitens der Außengrenze der Mitgliedstaaten nicht ausreichen, um den neuen technischen Möglichkeiten und der zunehmenden Zahl von Reisenden Rechnung zu tragen. Im Raum stehen Schätzungen der Kommission, nach denen die Zahl der Reisenden alleine an den Flughäfen bis zum Jahre 2030 um 80 % ansteigen könnte. Ausgehend von 400 Millionen Menschen im Jahre 2009 sind das 720 Millionen Reisende im Jahre 2030! Im Raum steht auch, dass schätzungsweise 1,9 bis 3,8 Millionen Einwanderer illegal in der EU leben und arbeiten.
Darauf geht der Antrag der Fraktion der Piraten überhaupt nicht ein, sondern die Historie der Vorschläge und ihre Systematik werden einfach ignoriert, Herr Kern. Stattdessen ergibt sich aus dem, was Sie zum Beschluss vorschlagen, ein Bild, das aus unserer Sicht einseitig und völlig überzeichnet ist. Das wird der Sache nicht gerecht.
Vielmehr sollten wir – es dauert ja noch, bis so etwas überhaupt auf den Weg gebracht wird; wir haben noch viele Facetten und Möglichkeiten übrig – die Diskussion in aller Ruhe und Sachlichkeit führen. Denn es trifft uns natürlich, was an den Außengrenzen passiert. Dann aber bitte mit Sachlichkeit statt dieser Problematik. – Vielen Dank.