Protokoll der Sitzung vom 15.05.2013

(Christian Lindner [FDP]: Ach, Herr Ott!)

Erklären müssen Sie, Herr Lindner.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! So eine Art von billigem Wahlkampf, wie er hier stattfindet, ist wirklich unerträglich.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Lachen von der FDP)

Für die FDP scheint es keine gravierenderen Probleme im Land Nordrhein-Westfalen zu geben. Das Interessante ist ja, dass der Zustand der deutschen Straßen an vielen Stellen schnelles Fahren gar nicht zulässt. Das wissen Sie auch.

Aber zu den Fakten!

Erstens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Hannelore Kraft hat die Position der nordrheinwestfälischen SPD am 28. März 2012 in der „WAZ“ eindeutig dargestellt. Die klare Position ist, dass es kein generelles Tempolimit gibt.

Zweitens. Die Landesregierung hat auf Vorschlag des Regierungspräsidenten Bollermann einen Modellversuch im östlichen Ruhrgebiet gestartet. Dieser Modellversuch im östlichen Ruhrgebiet soll klären und wissenschaftlich fundiert untersuchen, welche Auswirkungen das Ganze hat, ob die Lärmbelästigung zurückgeht, ob die Verkehrssicherheit erhöht wird, vor allen Dingen ob der Verkehrsfluss verbessert wird und welcher Beitrag zur Luftreinhaltung dadurch erreicht werden kann. Das Ziel ist, auch hier eine fundierte Grundlage zu erarbeiten.

Herr Rasche, Sie wissen natürlich ganz genau, dass es an vielen Stellen in Nordrhein-Westfalen Bereiche gibt, wo ein Tempolimit von großer Bedeutung ist. Nehmen wir zum Beispiel die von Ihnen fünf Jahre verhinderte Verlängerung von „Tempo 100“ am Heumarer Dreieck. Die Bürgerinnen und Bürger, die Anwohner dort haben bei SchwarzGelb vergeblich dafür geworben, das Tempolimit um nur zwei Kilometer zu verlängern, damit die Beschleunigungsphase – wenn die Autobahn schon mitten durch den Stadtteil geht – etwas hinausgeschoben wird. Das wäre eine sinnvolle Einführung des Tempolimits gewesen. Es gibt viele solcher Beispiele in Nordrhein-Westfalen, wo etwas zum Wohle der Menschen getan werden könnte.

Darüber hinaus gibt es viele Beispiele in NordrheinWestfalen, wo Starenkästen von schwarz-gelben Stadtregierungen abgebaut worden sind – mit gravierenden Folgen: Die Unfallzahlen sind massiv nach oben gegangen, und kurze Zeit später wurden genau diese Starenkästen wieder eingerichtet, so zum Beispiel auf der Zoobrücke in Köln.

Wir haben im Bergischen Land und im Sauerland an vielen Stellen – darüber wurde örtlich entschieden – Tempolimits von 50 und 70 km/h, weil die Menschen vor Ort sagen: Wir brauchen hier Verkehrssicherheit, und wir wollen hier vernünftig leben können.

Wir haben für über 230 Millionen € auf der A1 einen Tunnel gebaut, in dem nach der Fertigstellung desselben nur 80 km/h gefahren werden kann, weil mit Blick auf das Blenden durch Licht ein schnelleres Fahren die Unfallgefahr erhöht.

Lange Rede, kurzer Sinn: Es gibt an vielen Stellen im Land Nordrhein-Westfalen, in der Bundesrepublik sehr sinnvolle Tempolimits: aus Gründen des Lärmschutzes, der Luftreinheit, der Sicherheit und des Verkehrsflusses insgesamt.

Diese Landesregierung untersucht das wissenschaftlich. Deshalb sage ich hier für die SPD in Nordrhein-Westfalen ganz klar: Wir wollen einen differenzierten Umgang mit diesem Thema. Wir wollen eine dynamische Verkehrssteuerung. Das, was die FDP versucht, hier aufzuzeigen, ist grober Unsinn.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Jetzt zum Interview! Was Sie hier versuchen, ist schon dreist. Die Frage im Interview der „Rheinischen Post“ lautete:

„Die Grünen fordern in ihrem Wahlprogramm auch Tempo 120 auf der Autobahn und Tempo 80 auf der Landstraße. Was halten Sie davon?“

Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin die Antwort Gabriels:

„Der Rest der Welt macht es ja längst so. Tempo 120 auf der Autobahn halte ich für sinnvoll, weil alle Unfallstatistiken zeigen, dass damit die Zahl der schweren Unfälle und Todesfälle sinkt. Die Grünen allerdings wollen diese Geschwindigkeitsbegrenzungen, um den Klimaschutz voranzubringen.“

Weiter sagt er:

„Ich bin kein Anhänger der Theorie, dass in der Politik alles Gute von oben kommt. Länder und Kommunen wissen besser, auf welchen ihrer Straßen wie schnell gefahren werden soll.“

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aus diesen Äußerungen abzuleiten, dass er konkret „Tempo 120“ fordert, ist absurd, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich sage Ihnen: Das steht auch nicht im Wahlprogramm.

Noch ein Weiteres sage ich Ihnen: Der freie Journalist Zudeick hat am Sonntag im Presseclub – das sage ich an die Journalisten – eines festgestellt: Was hier stattgefunden hat, ist ein journalistischer Egotrip. – Ich werde den Verdacht nicht los, dass hier versucht worden ist, mit billiger Überschriftenhascherei die SPD vorzuführen. Das ist nicht in Ordnung, das ist kein Qualitätsjournalismus, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Last, but not least zu Ihnen, lieber Herr Rasche, auch wenn Sie das immer sympathisch darstellen: Haben Sie Angst, dass bei der Wahlbevölkerung ankommt, dass Sie in Wirklichkeit Steuerhinterziehung für ein Kavaliersdelikt halten? Haben Sie Angst, dass Ihre Klientelpolitik für Reiche, für die Oberschicht langsam deutlich wird, dass Ihr kalter und herzloser Liberalismus jetzt endlich bei den Menschen angekommen ist?

(Christian Lindner [FDP]: Billige Wahlkampf- polemik! – Weitere Zurufe von der FDP)

Können Sie verantworten, dass Sie weiter Steuergeschenke machen, während Sie gleichzeitig den Zustand unserer Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen bejammern? Sie bejammern das immer und sagen: Der Staat muss investieren. – Gleichzeitig sorgen Sie für einen armen Staat, indem Sie dem Staat die Finanzmittel entziehen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Oh ja, ich kann Ihre Angst sehr gut nachvollziehen. Ich kann aber nicht nachvollziehen, dass Sie uns die Zeit stehlen, indem Sie von all diesen Themen mit solchen Aktuellen Stunden in diesem Hause ablenken, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb sage ich Ihnen: Was Sie hier veranstaltet haben, das ist einfach vulgärer Freiheitspopulismus. Auf solche Debatten können wir hier getrost verzichten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Ott. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Schemmer.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das war gerade ein Beitrag zum Thema „Klamauk“. Ich hätte dann eigentlich doch empfohlen, den Punkt der Piraten vorzuziehen. Das wäre – das sage ich einmal so – garantiert nicht schlimmer als das geworden, was Sie, Herr Ott, gerade vorgetragen haben.

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Auch das sage ich Ihnen: In der sachlichen Behandlung wich Herr Rasche positiv von dem ab, was wir gerade gehört haben.

(Jochen Ott [SPD]: Überraschend!)

Ich erinnere an das Jahr 1973 – Ölkrise –, als der damalige Bundesverkehrsminister Lauritz Lauritzen erstmalig ein vorübergehendes Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen durchsetzte. Die SPD war dabei geteilter Meinung: Die einen waren für eine Höchstgeschwindigkeit, die anderen waren dagegen.

Deshalb gibt es ja auch diese „sonnenklare“ Position im SPD-Bundestagswahlprogramm: Sie sagen nichts dazu! – So kann jetzt jeder bei der SPD sagen, was er will.

(Jochen Ott [SPD]: Sie sollten mal zuhören!)

Deshalb kann man auch so herumeiern, Herr Ott, wie Sie es eben gemacht haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich komme noch einmal auf den November 2007 zurück, als es hier im Landtag einen Antrag der Grünen gab, in dem sie sich klar für ein Tempolimit aussprachen. Dann gab es einen Antrag von CDU und FDP: „Intelligente Verkehrsleitsysteme … Kein Tempolimit …“. Und was sagte die SPD unter ihrer damaligen Fraktionsvorsitzenden Frau Kraft im November 2007? – Sie sagte: Wir wissen noch nicht, was wir wollen, aber das dann auf jeden Fall.

(Jochen Ott [SPD]: Was ist das denn für ein Zitat? Können wir das nachprüfen?)

Der SPD fiel unter Frau Kraft seinerzeit nichts Besseres ein, als von der damaligen Landesregierung unter anderem Stellungnahmen zu einigen Sachverhalten zu fordern. So hätte sie gerne die Zahl der Autobahnkilometer in NRW ohne allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung gewusst, die Zahl der schwerwiegenden Unfälle auf diesen Strecken, die Zahl der Getöteten und Schwerverletzten, die Zahl der ausländischen Pkw-Fahrer und die Zahl der Unfälle, deren Ursache möglicherweise in einem Zusammenhang mit einer fehlenden Geschwindigkeitsbegrenzung stand. Gleichzeitig – auch im November 2007 – beschloss die SPD auf ihrem Bundesparteitag jedoch das Tempolimit.

Ich nenne noch einmal die damals schon vorliegenden Fakten, nach denen gefragt wurde, obwohl sie schon bekannt waren: Rund 32 % der Kraftfahrzeugkilometer werden auf den Autobahnen gefahren, dort zählt man aber nur 12,6 % der Verkehrstoten, 7,5 % der Verunglückten und bei Unfällen mit Personenschäden gar nur 6,2 % – die Zahlen sind also weit unterdurchschnittlich. Das ist nun einmal so.

Unsere Autobahnen haben teilweise marode Brücken, und dort gibt es viel zu viele Baustellen, an denen oft niemand arbeitet, die aber trotzdem eingerichtet bleiben. Dennoch haben wir hier in Deutschland die sichersten Autobahnen. Im internationalen Vergleich liegen wir mit unseren Autobahnen an vorderer Stelle, sowohl in Europa als auch weltweit.

Was ist eigentlich wichtig in der Verkehrspolitik? – Wir wollen eine Verkehrspolitik, die für mehr Sicherheit sorgt. Das hat es zwischenzeitlich gegeben; ich erinnere an ABS oder die Gurtpflicht. Die Zahl der im Straßenverkehr Getöteten ist in den letzten 40 Jahren um 80 % gesunken. Es gilt, die Gefahren im Verkehr insbesondere für ältere Menschen und für Kinder zu reduzieren.

Was sagt die Unfallstatistik in Europa? – Neben wenigen kleineren nordeuropäischen Ländern, die in der Statistik vor uns liegen, nehmen wir einen absoluten Spitzenplatz ein, und zwar vor Belgien, Frankreich, Italien und Österreich, also vor all den Ländern mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen. Noch einmal: Bei uns gibt es weniger Unfälle und weniger Verkehrstote.

Die schlichte Gleichung „Tempolimit gleich Verkehrssicherheit“ gilt so also nicht. Auf rund 40 % der Autobahnen gibt es aus den verschiedensten Gründen stationäre oder temporäre Geschwindigkeitsbegrenzungen. 60 % der getöteten Unfallopfer sind auf den tempolimitierten Landesstraßen zu verzeichnen. Dieses Netz gilt es zu verbessern: durch Ortsumgehungen, durch Kreisverkehre in Kreuzungspunkten mit Unfallhäufigkeit, durch bessere Fahrbahnbelege im Zuge der Instandsetzung. Aber hier mauert die Regierung Kraft.