Protokoll der Sitzung vom 19.06.2013

Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion ist der Kollege Wedel der nächste Redner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Was zu erwarten war“, werden sich wohl die meisten Kolleginnen und Kollegen gedacht haben, als die Piraten den Entwurf eines Gesetzes zur Verwirklichung von Transparenz- und Informationsfreiheit eingebracht haben. „Was zu erwarten war“ deshalb, weil am 27. Februar dieses Jahres der Antrag „NRW braucht ein Transparenzgesetz“ – die Forderung, auch in unserem Land ein Transparenzgesetz nach dem Vorbild Hamburgs zu schaffen –, mit breiter Mehrheit abgelehnt wurde. An der FDP lag dies nicht. Im Gegenteil, wir haben den Antrag wohlwollend begleitet. „Was zu erwarten war“ schließlich aus dem Grund, weil die Landesregierung vor einigen Wochen sowohl sich als auch ihren Open-Government-Prozess auf dem Open.NRWForum gefeiert hat.

Meine Damen und Herren, Transparenz in der Landesverwaltung zu schaffen ist wichtig und längst überfällig. Es ist an der Zeit, das vor einigen Jahren vom Landtag beschlossene Informationsfreiheitsgesetz weiterzuentwickeln. Politik und Verwaltung sind auch in NRW gefordert, aus der Holschuld der Bürger eine Bringschuld der Verwaltung zu machen.

Die Menschen wollen nicht nur wissen, welche öffentlichen Projekte angestoßen wurden, sondern auch, was mit ihrem Steuergeld passiert. Die Bürger wollen sich außerdem an den Debatten beteiligen. Dabei muss allerdings hinreichend dafür Sorge getragen werden, dass grundrechtsrelevante Positionen, wie der Schutz personenbezogener Daten oder von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, nicht verletzt werden und dass der Schutz schützenswerter Interessen, beispielsweise aus unterschiedlichen Gründen der Vertraulichkeit bedürfende Dokumente oder der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, gewährleistet bleibt.

Das Projekt Open.NRW bleibt hinter diesem, im Übrigen auch von Rot-Grün an sich selbst gestellten

Anspruch, deutlich zurück. So formuliert der rotgrüne Koalitionsvertrag auf Seite 168:

„Wir werden die Veröffentlichungspflichten der öffentlichen Stellen deutlich ausweiten und damit das Informationsfreiheitsgesetz hin zu einem Transparenzgesetz weiterentwickeln.“

Open.NRW wird das gerade nicht leisten. Ich zitiere mit der Erlaubnis des Präsidenten aus Seite 7 des Eckpunktepapiers zur Open-Government-Strategie Open.NRW:

„Die Ressorts entscheiden eigenverantwortlich, wie und wann Daten erhoben und bereitgestellt und die Open-Data-Prinzipien erfüllt werden können …“

Mit anderen Worten: Im großen Topf kocht jedes Landesministerium auch weiterhin sein eigenes Süppchen.

Meine Damen und Herren, was präsentieren uns also die Piraten heute? Eine intensivere Diskussion im Vorfeld der Einbringung hätte dem Gesetzentwurf der Piraten gut getan. Das entsprechende Vorgehen der Initiative „NRW blickt durch“ hebt sich insofern positiv ab. Denn wieder einmal bewahrheitet sich: Gut gemeint ist nicht gut gemacht.

(Zuruf: Damit kennen Sie sich ja aus!)

Dazu nur einige Kernpunkte:

Erstens. Der Gesetzentwurf enthält keine Aussage zu Kosten, weder in Bezug auf den Landeshaushalt noch hinsichtlich der Kommunen. Dabei ist der Aufbau eines Informationsregisters mit Kosten verbunden. Die Portale müssen aufgebaut und mit Daten gefüttert werden.

Dass dem auch ein Nutzen nicht nur für die Bürger, sondern auch für die Verantwortungsträger gegenübersteht, hat das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme, kurz: FOKUS, in der Studie „Open Government Data Deutschland“ deutlich dargestellt. Das kann die zunächst entstehenden Kosten aber nicht negieren.

Herr Kollege Wedel, entschuldigen Sie, dass ich Sie störe. Der Kollege Olejak würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie die zulassen.

Ja. Bitte schön.

Herr Olejak hat das Wort.

Vielen Dank, Herr Wedel. Haben Sie, als die Open.NRW-Veranstaltung war und wir beide gemeinsam uns mit Mehr Demokratie, dem Whistleblower Netzwerk und anderen Vereinen

zusammengesetzt und dort in der Runde festgestellt haben, dass in allen bestehenden IFG-Gesetzen aller möglichen Bundesländer drinsteht, dass die Kosten nicht abschätzbar sind, das mitbekommen oder hat ein Klon neben mir gesessen?

Sehr geehrter Herr Kollege Olejak, ich habe das nicht nur mitbekommen, ich habe das auch zur Kenntnis genommen. Ich habe mir vor allen Dingen Ihren Gesetzentwurf daraufhin auch noch mal angeschaut. Auf einen Punkt komme ich jetzt zu sprechen; er betrifft die Regelungstechnik. Sie wollen ja einen zweijährigen Aufschub der Geltung des Gesetzes für die Kommunen. Das Problem ist nur, dass es bei der Konnexität natürlich auch auf den Gesetzesbeschluss ankommt. Wenn Sie dieses Gesetz in dieser Art und Weise hier beschließen würden, dann wäre das sowohl aus Perspektive der Kommunen als auch aus Sicht des Landes unzureichend, da durch den Landtag zum Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses ein Blankoscheck ausgestellt werden müsste. Der Bezug, dass die Kommunen an der Stelle betroffen sind, ist auch in diesem Gespräch sehr deutlich zur Sprache gekommen. Aber darauf bezog sich das, was Sie eben ausgeführt haben, gerade nicht.

Ich fahre in meiner Rede fort.

Zweitens. Bei der handwerklichen Ausgestaltung des Entwurfs könnte man eine ganze Litanei an kritischen Punkten vortragen. Ich will es bei wenigen Beispielen bewenden lassen.

Bereits in § 1 findet sich ein fehlerhafter Verweis. Die Regelung in Bezug auf bestimmte gerichtliche Entscheidungen in § 4 Abs. 1 widerspricht § 5. Die §§ 16 und 18 enthalten überflüssige Prosa.

Drittens. Die Vorschriften über den Schutz öffentlicher Belange und den Schutz interner staatlicher Entscheidungsprozesse können nur als verunglückt bezeichnet werden und dürften der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung wohl kaum genügen.

Ebenfalls verunglückt scheinen die unterschiedlichen ineinander verschachtelten Prüfungsmaßstäbe in der Vorschrift zum Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. § 21 Satz 2 lässt eine Beeinträchtigung der Bereitschaft anderer Länder befürchten, mit NRW Staatsverträge abzuschließen, wenn die Protokolle über die Verhandlungen anschließend zu veröffentlichen sind. § 22 Abs. 2 Satz 2 kann nur als Aufforderung zum Rechtsbruch verstanden werden, wenn Veröffentlichungen trotz entgegenstehender Bestimmungen in Altverträgen ermöglicht werden sollen.

Meine Damen und Herren, alles in allem fällt auf, dass der Gesetzentwurf besonders an den Stellen deutliche Schwächen aufweist, die nicht vom Hamburger Transparenzgesetz abgeschrieben wurden. Und auch in diesem ist nicht alles Gold, was glänzt,

wie der bereits entflammte Streit zwischen der Hamburger Justizbehörde und den Initiatoren über die Auslegung belegt. Justizstaatsrat Kleindiek spricht dem Gesetz sogar öffentlich die handwerkliche Qualität ab.

In der Gesamtbetrachtung ist daher festzustellen, dass der vorliegende Gesetzentwurf leider nicht über ein Diskussionspapier hinausgeht. Eine solche Diskussion müssen wir in diesem Haus aber führen. Das Thema „Transparenz“ geht alle an und ist zu wichtig, um in Arbeitsgruppen totgeredet oder im Schnellverfahren durchgeknüppelt zu werden.

In NRW haben wir es 2001 geschafft, einstimmig das Informationsfreiheitsgesetz auf den Weg zu bringen. Dessen Weiterentwicklung zu einem sorgfältig formulierten und praktikablen Transparenzgesetz, welches nicht in erster Linie nur die Gerichte beschäftigt, müssen wir uns gemeinsam stellen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Landesregierung hat jetzt der Innenminister das Wort. Herr Jäger, bitte schön.

Herr Präsident, „der Minister für Inneres und Kommunales“ – so viel Zeit muss sein.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden die Veröffentlichungspflichten der öffentlichen Stellen deutlich ausweiten und damit das Informationsfreiheitsgesetz hin zu einem Transparenzgesetz weiterentwickeln. So, meine Damen und Herren, steht es in unserem Koalitionsvertrag. Ich darf einfügen: Im Gegensatz zu manchem Profifußballer werden wir den Vertrag auch erfüllen, mindestens bis 2017 mit Aussicht auf Verlängerung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Sie sich an Ihren Mathematikunterricht erinnern.

(Zuruf: Sehr gut!)

Ich erinnere mich deshalb so gut daran, weil ich in Mathe nicht ganz so gut war. Da kam es häufiger vor, dass der Lehrer beispielsweise eine Gleichung mit mehreren Unbekannten an der Tafel gelöst hat, Schritt für Schritt, damit möglichst alle Schülerinnen und Schüler die jeweiligen Lösungsschritte verstehen konnten. Es gab immer einen Schüler – den gab es wahrscheinlich in jeder Klasse –, der immer schon beim ersten Lösungsschritt aufzeigte und eine vermeintliche Lösung zum Besten gab. Wir haben uns immer sehr darüber gefreut, dass die Lösung oft interessant, aber falsch war. Die war falsch, weil er sie von seinem Nachbarn abgeschrieben hat

und diese Lösung zu einer völlig anderen Aufgabe gehörte.

So ist das mit Ihrem Gesetzentwurf, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Fraktion der Piraten. Sie haben abgeschrieben, und Sie präsentieren eine Lösung, die nichts mit der Aufgabe in Nordrhein-Westfalen zu tun hat.

Ich kann ja verstehen, dass Sie eine unglaubliche Vorfreude darauf haben, was wir im Rahmen unserer Open-Government-Strategie erarbeiten und festzurren werden, und dass diese Vorfreude bei Ihnen auch immer größer wird, meine Damen und Herren.

Ich erkenne auch an, dass das Hamburger Transparenzgesetz in der Tat ein gutes Gesetz ist – ein gutes Gesetz für Hamburg. Das heißt aber noch lange nicht, dass das ein gutes Gesetz für Nordrhein-Westfalen wäre – es ist hier mehrfach zur Sprache gekommen –, denn wir in NordrheinWestfalen haben einen völlig anderen Verwaltungsaufbau: Wir haben Kommunen, wir haben Bezirksregierungen, wir haben Landesbehörden, Landesämter, Landesinstitute. Ich könnte diese Liste noch lange fortführen.

Was ich deutlich machen will, ist, dass die Regelungen aus dem Hamburger Transparenzgesetz eben nicht eins zu eins aus einem Stadtstaat auf ein Flächenland übertragbar sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten auch nicht ein Gesetz erarbeiten, dass die Strategie, wie wir in diesem Land zu Open Government kommen wollen, völlig unberücksichtigt lässt. Und an dieser Strategie – das wissen Sie; Sie haben an der Veranstaltung teilgenommen – arbeiten wir zurzeit. Die findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern diese Strategie hat ein klares Ziel – die Richtung ist vorgegeben –: Mehr Transparenz, mehr Teilhabe und weniger bürokratische Hürden.

(Robert Stein [PIRATEN]: Wer ist Ihr Reden- schreiber?)

Und es geht darum, aus Betroffenen Beteiligte zu machen, meine Damen und Herren. Genau das tun wir, indem wir versuchen, alle, die davon betroffen sind, in diesem Prozess der Erarbeitung einer solchen Strategie mitzunehmen.

(Zuruf von Robert Stein [PIRATEN])

Hierbei wird es wichtige Fragen zur technischen und vor allem zur finanziellen Realisierbarkeit geben. Diese Fragen werden wir beantworten müssen. Wir werden im Übrigen auch den Gesichtspunkt der kommunalen Konnexität beantworten müssen. Wir wollen nicht durch einen voreiligen Beschluss alle, die in diesem Prozess mitgenommen werden sollen, vor vollendete Tatsachen stellen, sondern wir wollen gemeinsam mit ihnen eine Lösung finden, die möglichst allen gerecht und möglichst im Konsens erarbeitet wird. Und das ist keine Frage der Transpa

renz, sondern das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Meine Damen und Herren, wir haben jetzt gehört, was Sie gerne möchten. Ich bitte Sie um die nötige Geduld, das Ergebnis eines Prozesses abzuwarten, an dem viele beteiligt sind und die wir alle mitnehmen. Wir verstehen Ihren Gesetzentwurf als durchaus brauchbares Material in diesem Prozess, aber sicherlich nicht als einen Gesetzentwurf, dem man zustimmen sollte. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)