Protokoll der Sitzung vom 15.05.2014

Ein Beratungszentrum, ein Kompetenzzentrum wird sich besonders für die Belange der Hörgeschädigten und Taubblinden einsetzen und hier beratend tätig werden.

Meine Damen und Herren, neben der eigentlichen Beratung werden wir über die Kompetenzzentren in allen Regierungsbezirken auch Lotsenstellen für behinderte Menschen einrichten und die Lotsen ausbilden. Diese Lotsen sollen insbesondere lebendige Wegweiser durch manche Behördenstruktur sein.

Dabei haben wir ein gemeindenahes Unterstützungsangebot geschaffen, das den Menschen, die behindert sind, auch sehr praktisch hilft und deshalb auch dem Ziel der Inklusion nahekommt.

Meine Damen und Herren, alle Ressorts haben an der Umsetzung unseres Aktionsplans mitgewirkt. Ich will hier nur einige nennen. Das MGEPA hat durch die Vorlage des Gesetzentwurfes „GEPA NRW“, der sich insbesondere mit der Quartiersorientierung beschäftigt und dort pflegebedürftige Menschen ebenso anspricht wie Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen, einen wichtigen Beitrag geleistet.

Die Verabschiedung einer umfassenden Entschließung der Landesgesundheitskonferenz mit dem Titel „Von der Integration zur Inklusion: Gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderungen verbessern“ ist eine Selbstverpflichtung aller Akteu

rinnen und Akteure im Gesundheitswesen und wird nun Schritt für Schritt umgesetzt.

Wir werden auch im Hochschulzukunftsgesetz besonders auf Studierende mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen eingehen.

Schließlich haben wir mit dem Bauministerium gemeinsam sehr viel daran gearbeitet, dass zukünftig – Zielmarke ist hier das Jahr 2022 – Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr vorhanden sein wird. Das ist auch ein ehrgeiziges Ziel.

Meine Damen und Herren, Inklusion ist nicht nur eine behindertenpolitische Aufgabenstellung, Inklusion ist vielmehr ein gesellschaftspolitisches Konzept.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Mit der Umsetzung von Inklusion kommen wir einer Gesellschaft der Freien und Gleichen näher. Dies ist auch unser Ziel. Ich warne davor zu meinen, hier gebe es einen Endpunkt. Inklusion ist eine immerwährende gesellschaftliche Aufgabe. Inklusion

muss tagtäglich gelebt werden. Deshalb ist der Plan, über den ich gesprochen habe, das eine, die Umsetzung das andere. Die Verankerung des Inklusionsgedankens in den Köpfen der Menschen ist aus meiner Sicht das Entscheidende.

Ich kann mit einigem Stolz sagen: Auch beim Thema „Inklusion“ ist die Landesregierung im Konzert der Bundesländer mit führend. Alle Fachleute stellen fest, dass wir das erste Bundesland mit einem solchen umfassenden Inklusionsplan sind. Darauf können wir gemeinsam stolz sein.

Ich danke allen, die mitgewirkt haben, dass wir den heutigen Umsetzungsstand erreicht haben. Ich bedanke mich im Übrigen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich weiß, in diesem Hause ist niemand, der das Thema „Inklusion“ in eine Ecke drängen will, dieses Thema nicht ernst nimmt. Das Gegenteil ist der Fall. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – So weit die Unterrichtung durch die Landesregierung. Der guten Ordnung halber darf ich vermerken, dass Herr Minister Schneider die vereinbarte Redezeit um 1:46 Minuten überzogen hat. Diese Zeit kommt, falls gewünscht, natürlich auch den Fraktionen zugute.

Bevor wir in die Aussprache eintreten, darf ich darauf hinweisen, dass die CDU-Fraktion einen Entschließungsantrag zu dieser Unterrichtung vorgelegt hat. Sobald dieser Antrag ausgefertigt ist, wird er Ihnen, meine Damen und Herren, selbstverständlich zur Lektüre gereicht.

Jetzt eröffne ich die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Doppmeier das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inklusion ist noch heute für viele Menschen ein richtig sperriges Wort. Was ist eigentlich mit „Inklusion“ gemeint, werde ich oft gefragt. Inklusion aus dem Lateinischen inclusio, Einschließung, beinhaltet die Überwindung der sozialen Ungleichheit, der Aussonderung, in dem alle Menschen in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit, mit ihren Voraussetzungen und Möglichkeiten und auch mit ihren ganz individuellen Dispositionen wahrgenommen, wertgeschätzt und anerkannt werden

Ich denke, Sie merken bereits an dieser Definition, dass eine Antwort auf eine immer wichtiger werdende Frage für unsere Gesellschaft viele Facetten umfasst und nicht so einfach zu geben ist. Inklusion ist nämlich nicht nur in eine Definition zu fassen, es bedarf mehr als einer Definition, es bedarf eines neuen Denkens in den Köpfen der Menschen in unserer Gesellschaft.

(Beifall von der CDU)

Einen wichtigen Schritt hierhin stellt die UNBehindertenrechtskonvention dar, wie Minister

Schneider auch schon sagte. Sie fordert nämlich, mit Behinderung nicht mehr Eigenschaften eines Menschen zu beschreiben. Nein, es sollen vielmehr die einschränkenden und ausgrenzenden Erfahrungen mit diesem Wort beschrieben werden, die ein Mensch nur erlebt, weil seine Umwelt so aufgebaut ist, dass er in seinen Teilhabemöglichkeiten behindert ist.

Deshalb geht es einmal um Barrierefreiheit im weitesten Sinn, aber es geht natürlich auch darum, diese zwei nebeneinander bestehenden Lebenswelten zu einer gemeinsamen Lebenswelt zusammenzuführen. Es gibt bisher noch sehr viele kleine Welten, die geschaffen worden sind, um diesen besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung gerecht zu werden. Wir haben Sonderkindergärten, wir haben Förderschulen, Werkstätten, Wohnheime, Behindertensportvereine, Freizeitangebote für Behinderte. Ich denke, diese Liste ließe sich noch endlos fortsetzen.

Das Ergebnis aber kennen wir alle. Wir wissen nichts mehr voneinander. Menschen mit und ohne Behinderungen leben häufig so isoliert, dass sie keinen Umgang mehr miteinander haben. In ihren getrennten Lebenswelten treffen sie einfach nicht aufeinander.

Behinderungen wurden leider lange Zeit als Problem des Einzelnen betrachtet. Erst die UNBehindertenrechtskonvention etablierte hier einen veränderten Blick auf die Behinderung. Nicht die Menschen mit Beeinträchtigungen sind behindert, sondern sie werden durch die Barrieren in der Umwelt behindert.

Lassen Sie mich das kurz beispielhaft darstellen. Ein blinder Mensch braucht eine Blindenampel;

dann kann er über die Straße gehen. Oder er braucht einen Wahlzettel in Blindenschrift; dann kann er natürlich auch allein wählen. Wenn eine Rampe fehlt, behindert dieses den Menschen, der im Rollstuhl ist. Der Staat und wir, die Gesellschaft, müssen jetzt diese Hindernisse und Barrieren abbauen, damit Menschen mit Einschränkungen trotzdem überall teilnehmen können.

Das heißt, wir brauchen sowohl einen weitreichenden Bewusstseinswandel als auch eine gesellschaftliche Diskussion hierüber. Es gilt, in Zukunft in unserer Gesellschaft die vorhandenen Formen von Vielfalt zu erkennen, wertzuschätzen und auch zu nutzen.

Nun der Aktionsplan der Landesregierung. Er muss sich doch jetzt daran messen lassen, ob er diese Vorgaben konsequent verfolgt. 2009 ist die UNBehindertenrechtskonvention in Kraft getreten, seit 2010 regiert Rot-Grün, jetzt haben wir Mitte 2014. Was hat sich in dieser Zeit konkret für die betroffenen Menschen zum Positiven verändert? Was hat der Aktionsplan den betroffenen Menschen bisher gebracht? Wie geht es zum Beispiel den gehörlosen Eltern hörender Kinder, die einen Gebärdendolmetscher für das Elterngespräch in der Schule ihrer hörenden Kinder brauchen? Gibt es da bisher eine Verbesserung?

Wie geht es den Kindern mit Behinderung, die gerne mit ihren Freunden ohne Behinderung gemeinsam im Verein Fußball oder Basketball spielen möchten?

Leider fallen die Antworten auf diese Fragen recht enttäuschend aus. Da hilft auch nicht Ihr Zwischenbericht. Er ist leider genauso wie der Aktionsplan vielfach schöne Prosa.

(Beifall von der CDU)

Ich verstehe einen Aktionsplan als Ablaufplan konkreter Schritte, die zeitlich definiert sein sollten, die fiskalisch unterlegt werden müssen und dessen Ziele – bis wann, wo und wie – überprüfbar festgeschrieben werden.

(Beifall von der CDU)

Dies lässt der Aktionsplan allerdings außer Acht. Darum ist das für mich kein Aktionsplan. Aktion kommt von „action“, also Tatkraft. Die Tatkraft fehlt aber in dem Plan. Ihr Aktionsplan enthält überwiegend Absichtsbekundungen und Wünsche, aber nur wenige konkrete Schritte.

Beim Lesen ist mir zum Beispiel aufgefallen, dass das Wort „mittelfristig“ offensichtlich das Lieblingswort der Landesregierung im Aktionsplan ist.

(Beifall von der CDU)

Ganze 19 Mal wird dieses Wort im Zusammenhang mit möglichen Umsetzungen im Plan erwähnt. Unkonkreter geht es doch wohl nicht.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Das Schlimmste: Vorbereitende Analysen und Gespräche, die eigentlich längst vollzogen sein müssten, kann ich nicht als konkrete Maßnahmen anerkennen. Vor allen Dingen: Die Tatsache, dass die meisten Zeitangaben überschritten sind, ist auch nicht akzeptabel.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Die Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern, die dringendst auf Reformen warten, werden doch immer drängender – bei Ihnen sicherlich auch. Die steigende Zahl von Briefen und Petitionen von Menschen mit Behinderung, die uns erreichen, wird zum deutlichen Zeichen der bisherigen Untätigkeit. Das heißt: Ihr Aktionsplan ist reine Schaufensterpolitik.

(Beifall von der CDU)

Lassen Sie mich noch einige Beispiele nennen.

Die Landesbauordnung ist mit ihrer Unterstützung für barrierefreies Wohnen die Grundlage für fast alle inklusiven Maßnahmen. Hier hat die Landesregierung bisher komplett versagt. Auf Seite 65 Ihres Aktionsplans steht, dass Sie dem Landtag umfassende Änderungen vorschlagen werden. Ich bin enttäuscht darüber, dass nun im Zwischenbericht, den wir am Freitag erhalten haben, zu lesen ist, dass Sie voraussichtlich noch im Jahr 2014 mit den Verbänden über dieses Thema sprechen werden. Darüber, wann wir dann einen Gesetzentwurf erwarten dürfen, sagen Sie überhaupt nichts.

Das Heilberufsgesetz ist für Menschen mit Behinderung ebenfalls ein wichtiges Thema. Auf Seite 67 des Aktionsplans versprechen Sie umfassende Änderungen. Bei der Angabe des Zeitplans heißt es: „Beginn voraussichtlich 2013“. Jetzt lese ich im Zwischenbericht, die geplanten Maßnahmen sollten voraussichtlich im Rahmen der nächsten umfassenden Novellierung des Gesetzes umgesetzt werden; mit deren Beginn sei nicht vor 2017 zu rechnen. Mein Gott! Was ist das für eine Aktion, solche Zeiträume vergehen zu lassen?

(Beifall von der CDU)

Ich könnte hier noch eine Weile fortführen.

Viele Dinge Ihres Plans wurden außerdem bereits zu Zeiten unserer Landesregierung zwischen 2005 und 2010 gestartet, zum Beispiel das Förderprogramm „Übergang plus“ und das Arbeitsmarktprogramm „aktion5“. Selbst die investive Förderung von Werkstattarbeitsplätzen erscheint jetzt im Aktionsplan als Maßnahme zur Umsetzung der Inklusion. Das ist wirklich nichts Neues und nichts Innovatives.