Protokoll der Sitzung vom 01.10.2014

Entwurf der Landesregierung Vorlage 16/2166

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales Drucksache 16/6875

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Kollegen Garbrecht für die SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Garbrecht.

Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wollen in Würde und Selbstbestimmung alt werden. Diesen Wunsch, den sicherlich jeder einzelne von uns hat, teilen wir mit der Gesamtgesellschaft in unserem Land. Uns obliegt es aber, ob dies auch dann möglich ist, wenn Pflege- und Unterstützungsbedarf vorhanden ist. Das GEPA – den kompletten Titel hat der Präsident ja fehlerfrei vorgetragen; es geht noch ein bisschen schwer von den Lippen, aber „GEPA“ wird sich, glaube ich, als Begriff einprägen – soll sozusagen Leitplanke sein, um dieses Ziel zu erreichen.

Würde und Selbstbestimmung auch bei Pflege- und Unterstützungsbedarf zu sichern und herzustellen, ist Leitlinie des zur Abstimmung vorliegenden Gesetzentwurfs. Mit der Weiterentwicklung des Landespflegegesetzes sowie des Wohn- und Teilhabegesetzes wollen wir den Herausforderungen eines sich beschleunigenden demografischen Wandels begegnen.

Dabei gehen wir über die Strukturen der professionellen Pflege hinaus. Das hat Gründe. Die Familie, die pflegenden Angehörigen sind nämlich das größte Pflegepotenzial, der größte Pflegekonzern des Landes. Diese mehr als bisher als integraler Bestandteil der Pflegeinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen zu verstehen und wertzuschätzen, ist auch Zielsetzung dieses Gesetzes. Trotz aller gesellschaftlich gegenläufigen Tendenzen gilt es, diesen Bereich nachhaltig zu stärken. Dies muss zum poli

tischen Grundverständnis aller politischen Ebenen gehören.

Die eigene Häuslichkeit zu bewahren und zu stärken, ist der überragende Wunsch der Menschen jeden Lebensalters. Dies führt zwingend zu einer quartiersnah ausgerichteten Pflege- und Betreuungsstruktur. In einer solchen inklusiven Quartierstruktur gilt es, stationäre und ambulante Einrichtungen der Pflege, die Wohnungswirtschaft, Kirchen, Vereine und Initiativen sowie bürgerschaftliches Engagement zusammenzuführen.

Dieses Grundverständnis, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nun in einem Gesetzentwurf zusammengeführt worden, welches nach entsprechenden Diskussionen einmütig von allen Fraktionen des nordrhein-westfälischen Landtages getragen wird.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Dieses Gesetz formuliert hohe Ansprüche an das Selbstbestimmungsrecht älterer pflegebedürftiger Menschen, an die Realisierung einer qualitativen Unterstützungsstruktur durch Beratungsangebote, Pflegeeinrichtungen und alternative Wohnformen.

Mehr Daheim statt Heim – das entspricht dem sozialpolitischen Grundsatz bestehender Sozialgesetze, nämlich ambulant vor stationär. Diesem Grundsatz ein bestimmendes Gewicht zu geben, verbunden mit dem Hinwirkungsgebot der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, zeigt die Zukunftsausrichtung dieses Gesetzgebungsverfah

Ich möchte aber auch deutlich sagen: Ambulant vor stationär heißt nicht ambulant statt stationär. Um gute Pflege gewährleisten zu können, brauchen wir alle Versorgungsbereiche, den ambulanten wie den stationären. Wir brauchen die teilstationären Angebote, die Kurzzeit- und die Tages- und Nachtpflege.

In welchem Ausmaß und in welcher Verteilung diese Angebote in den Kreisen und kreisfreien Städten zum Tragen kommen, ist auch unterschiedlichen Faktoren geschuldet und obliegt den Bedingungen vor Ort, nämlich: Wie stellt sich Wohnungswirtschaft auf? Ist sie mehr renditeorientiert oder hat sie auch eine Gemeinwesensorientierung? Gibt es trotz allen Wettbewerbs eine gut vernetzte Kooperationsstruktur sozialer Dienste?

Häufig wird die Alterung der Gesellschaft als Last gesehen. Wir leben länger, vor allen Dingen auch länger gesund

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Gott sei Dank!)

und leistungsstark. Das ist in meinen Augen eher Segen als Last. Die Herausforderung liegt darin, die Potenziale und Chancen des demografischen Wandels zu erkennen, gesellschaftlich zu verankern und zukunftsfähig umzusetzen. Das ist auch eine Frage der Generationengerechtigkeit.

Nachdem wir uns als wichtige politische Aufgabe die Kinderbetreuung im Lande vorgenommen haben, steht nun die Gestaltung des demografischen Wandels sozusagen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Zukunft an. Wie man das machen kann, sieht man auch an guten Beispielen in Nordrhein-Westfalen. Wir brauchen davon mehr, mehr Leuchttürme, die aber nicht isoliert dastehen, sondern die in das Land strahlen. Der demografische Wandel muss begriffen werden als fachübergreifende kommunale Daseinsvorsorge, als kommunales Gestaltungsfeld.

Die landespolitischen Gestaltungsspielräume haben wir mit dem vorliegenden Gesetz beschrieben. Es eröffnet vielfältige Handlungsoptionen der Kommunen im Sinne einer verbindlichen Pflegebedarfsplanung. Die Umsetzung in den Städten und Gemeinden sowie in den Quartieren kann aber nur im Zusammenwirken mit vielen, insbesondere der Wohnungswirtschaft, gelingen. Barrierefreie Quartiere sind Voraussetzung für das Bewahren der eigenen Häuslichkeit bei Pflegebedürftigkeit im Alter und bei Behinderung. Sie sind ein Gewinn nicht nur für die betroffenen Gruppen, sondern für die gesamte Gesellschaft.

Die Sicherung der Fachkräfte in der Pflege, die Reform der Pflegeversicherung auf der Bundesebene mit einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, die Einbeziehung demenzieller Erkrankungen, das sind unverzichtbare Bausteine, die unsere Gesetzgebung im Lande begleiten. Auch hier werden wir das Gewicht Nordrhein-Westfalens in die Gesetzgebung einbringen.

Es hat nun einen fast zwei Jahre dauernden Beratungsprozess gegeben: acht Ausschusssitzungen alleine des AGS, drei Anhörungen, vier Gutachten zur Gesetzgebung, eine Vielzahl von Gesprächen von vielen Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen. Am Beginn der Beratungen gab es weit voneinander abweichende Bewertungen, Einschätzungen und Befürchtungen bezüglich des Gesetzgebungsverfahrens. Das liegt auch ein wenig in der Natur der Sache, wobei die Befürchtungskultur nicht meine Kultur ist; das möchte ich an dieser Stelle deutlich hinzufügen.

Umso beeindruckender ist meines Erachtens der Weg, der nun hinter uns liegt und der nun alle hinter dieses Gesetzgebungsverfahren versammelt hat. Ich persönlich war immer davon getragen, eine solche auch überparteiliche Zustimmung zu erreichen. Das Thema ist zu wichtig, um es im politischen Tagesgeschäft zu zerreden.

(Beifall von der CDU und der SPD)

Dass der Änderungsantrag von allen im Landtag vertretenen Parteien eingebracht worden ist, erfüllt mich auch mit einem gewissen Stolz. Es herrscht in einer wichtigen sozialpolitischen Frage ein großes parlamentarisches Einvernehmen.

Aufbauen konnte der Landtag auf die Empfehlung der Enquetekommission „Situation und Zukunft der Pflege in NRW“ aus der 13. Legislaturperiode, ebenso konnte er auf das mit großer Mehrheit in der 14. Wahlperiode verabschiedete Wohn- und Teilhabegesetz aufbauen. Das vorliegende Landesgesetz, meine Damen und Herren, bringt die unterschiedlichen Vorstellungen, Wünsche und Interessen pflegebedürftiger Menschen, ihrer Angehörigen, der Leistungsanbieter, der Kommunen und die fachlichen pflegepolitischen Anforderungen in einen vernünftigen optimalen Ausgleich. Das ist im Grunde genommen die Voraussetzung dafür gewesen, dass hier im Parlament eine Einmütigkeit zustande gekommen ist.

Abschließend möchte ich mich bei allen bedanken, die in diesem schwierigen Prozess zu diesem am Ende einmütigen Ergebnis beigetragen haben. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und Kai Abruszat [FDP])

Vielen Dank, Herr Kollege Garbrecht. – Für die CDU-Fraktion hat nun der Kollege Preuß das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was wir heute verabschieden wollen und was am 1. Januar 2015 in Kraft treten soll, ist gut. Es berücksichtigt die Interessen aller, die in der Altenpflege tätig sind und Verantwortung tragen, sowie auch der Pflegebedürftigen nach unserer Auffassung in angemessener Weise.

Im Fachausschuss hat es auch von unserer Seite, vonseiten der CDU-Fraktion, schon viel Lob für die interfraktionelle Zusammenarbeit bei der Erarbeitung des immerhin 54 Seiten starken Änderungsantrages aller Fraktionen des Landtags gegeben.

Eine Zeitung hat in diesen Tagen getitelt: CDU stützt rot-grünes Pflegegesetz.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, richtig ist, dass es einen Sieg – mein Vorredner hat eben darauf hingewiesen – des Parlamentarismus ist,

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

und davon wünscht man sich gelegentlich mehr. Denn mit dem vorliegenden Antrag werden der ursprüngliche von der Landesregierung vorgelegte Gesetzentwurf und die Durchführungsverordnung, in der vor allem die finanziellen Rahmenbedingungen der Refinanzierung geregelt werden, maßgeblich verändert.

Wenn der Gesetzentwurf heute so verabschiedet würde, wie ihn Frau Ministerin Steffens für die Landesregierung wollte, dann wäre die Versorgungssi

cherheit pflegebedürftiger Menschen in NordrheinWestfalen nicht gewährleistet.

(Beifall von der CDU)

Ich zitiere aus dem Gesetzentwurf:

„Allerdings strebt die Landesregierung ausdrücklich keinen weiteren Ausbau der Kapazitäten im stationären Bereich an. Wünschenswert wäre mittelfristig – z. B. im Rahmen von Ersatzneubaumaßnahmen – vielmehr ein Abbau stationärer Kapazitäten zugunsten von quartiersnahen, kleinräumigen Versorgungsangeboten.“

Die Ministerin wollte also zugunsten der Quartiersentwicklung neue stationäre Pflegeplätze grundsätzlich verhindern. Das ist aus unserer Sicht ein rein ideologisch geprägter Ansatz, ja sogar unverantwortlich. Das konnte zum Glück abgewendet werden. Alle Fraktionen des Landtages haben letztlich diesen Ansatz verworfen.

Dabei geht es letztendlich nicht darum festzustellen, welche Partei, welche Fraktion welchen Anteil an der jetzt gefundenen Regelung hat. Es bleibt festzustellen, dass alle Fraktionen ihre Auffassung in diesem Änderungsantrag zum Ausdruck gebracht haben. Es geht hier nicht um die Fraktionen, sondern es geht um die pflegebedürftigen Menschen.

(Beifall von der CDU)

Ich bedauere im Übrigen ausdrücklich, Frau Ministerin, dass Sie an der entscheidenden und wegweisenden Sitzung des Ausschusses am vergangenen Mittwoch nicht teilgenommen haben. Wir erwarten aber schon, dass Sie hier gleich erklären und eindeutig dazu Stellung beziehen, ob Sie persönlich zu dem stehen,

(Ministerin Barbara Steffens: Das sind doch unsere Änderungen!)

was der Landtag heute beschließen wird, oder ob Sie an Ihrer ursprünglich einmal geäußerten Auffassung, wie es in dem ursprünglichen Gesetzentwurf zum Ausdruck gekommen ist, festhalten wollen.

(Ministerin Barbara Steffens: Das ist frech!)

Damit kein Missverständnis aufkommt, meine Damen und Herren: Wir begrüßen es ausdrücklich, alternative Wohnformen, betreutes Wohnen, Hausgemeinschaften und ambulante Pflege zu fördern.

Der Ansatz „ambulant vor stationär“ ist genau richtig. Auch ist uns klar, dass Pflege zu einem großen Teil vor allem in der Familie von Angehörigen geleistet wird. Das ist auch gut so. Das ist ein Akt der Solidarität.

Es ist aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich auch die Politik stellen muss, die Rahmenbedingungen und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben so zu gestalten, dass wir möglichst lange in der gewohnten Umgebung leben können. Deshalb ist auch die Quartiersentwicklung,