Protokoll der Sitzung vom 05.11.2014

(Zuruf von der FDP)

Es war übrigens die zweite Klasse. – Es waren glücklicherweise relativ wenige Nazis in diesem Waggon, vielleicht zehn bis 20. Ich habe dennoch gesehen, dass sehr viele Passanten, sehr viele Mitfahrer über die Rufe, die schon am frühen Morgen skandiert wurden, und darüber, was dort gesprochen wurde, geschockt waren. Das ging letzten Endes bis Köln so weiter.

In Köln angekommen, waren schon ungefähr 1.000 auf dem Versammlungsplatz. Mit den 400, 500, 600, die nachher aus dem Zug ausgestiegen sind, waren schon gut anderthalb Stunden vor Beginn der angemeldeten Demonstration ca. 1.500 Nazis in Köln versammelt. Nach wie vor wenig Polizeipräsenz! Am Bahngleis waren zwei Gruppen Polizisten mit ungefähr jeweils zehn Beamten, die diesen Ansturm zu bewältigen hatten.

Ich habe mir den Versammlungsort angeschaut, der mit Flatterband gekennzeichnet und eingezäunt war. So ein Flatterband – das wissen wir alle – hält „natürlich“ bei einer zu erwartenden gewaltbereiten Demonstrationsmasse einiges zurück.

Ich kenne auch andere Demonstrationen. Gerade dann, wenn Antifaschisten aktiv sind, stehen dort direkt Hamburger Gitter. Es wird alles aufgefahren, was irgendwie möglich ist, am besten direkt sichtbar Wasserwerfer, damit die Stärke der Polizei auch von Anfang an zu sehen ist.

Es gab auf der friedlichen Gegendemonstration keinerlei Versuche, zur Nazidemo zu gelangen. Versuche andersherum gab es allein vier Stück, die ich verfolgen konnte, wo Nazis immer wieder ungehindert an die Gegendemonstration herangekommen sind, und zwar nicht in kleinen Gruppen mit fünf oder zehn Leuten, sondern in großen Gruppen, teilweise bis zu 100 Leute, die ungehindert durch den Kölner Hauptbahnhof ziehen konnten.

Jetzt haben wir diese Demonstration in Köln gehabt. Da treffen sich Hooligans. Von Hooligans ist eher weniger bekannt, dass sie zu einer Demonstration mit Glitter und Konfetti auftauchen und eine schöne, bunte Party machen. Hooligans sind gewaltbereit. Es war davon auszugehen, dass zu dieser Veranstaltung nicht nur 1.500 Menschen anreisen werden, sondern weitaus mehr. Informationen gab es zur Genüge.

Es gab genügend Vorwarnungen. Ich frage Sie, Herr Innenminister Jäger: Warum wurde auf diese Vorwarnungen nicht gehört? Es gab schon vor Monaten Vorwarnungen von der Bundeszentrale für politische Bildung. Es gab Vorwarnungen aus der gesamten Fußballszene, aus den Ultraszenen, aus den links aufgestellten Ultraszenen. Wir können über Aachen reden, wo es schon vor über einem Jahr viele rechtsextreme Vorfälle gegeben hat. Wir können über Braunschweig reden, wo linke Ultragruppen des Stadions verwiesen wurden und den Rechten viel Platz gemacht wurde.

Basis der Polizeieinschätzung sind offenbar die ZISZahlen. Wir haben uns auch hier im Landtag schon über die ZIS unterhalten. Wir wissen – spätestens seit dem vorletzten Sonntag sollten auch Sie, Herr Minister Jäger, das wissen –: Diese Zahlen sind absoluter Murks. Die Experten haben uns schon seinerzeit recht gegeben. In der Datei „Gewalttäter Sport“ wird von ca. 90 rechtsmotivierten Hooligans der Kategorie C gesprochen. Das ist völliger Unsinn. Ich habe am Sonntag viereinhalbtausend in Köln gesehen.

(Beifall von den PIRATEN)

Darüber hinaus frage ich Sie, Herr Minister Jäger: Warum waren offenbar die meisten szenekundigen Beamten nicht im Einsatz bzw. wurden nicht angefordert? Warum wurde mit denen nicht gesprochen? Wieso darf eine solche Veranstaltung mitten in Köln, am Kölner Hauptbahnhof, stattfinden? Wieso nicht irgendwo weit außerhalb, wenn sie denn schon stattfindet? Mit wie vielen Demonstranten – klären Sie das bitte umfänglich – wurde im Vorfeld wirklich gerechnet? Die Zahlen weichen ab. Der Lagebericht der Polizei wenige Tage zuvor spricht von 700 Demonstranten, die zu erwarten waren. Laut Pressekonferenz waren 4.000 zu erwarten. Ich frage Sie: Wie schätzt der Verfassungsschutz die Lage ein? Wie bewertet die Landesregierung die Lage …

Die Redezeit.

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin.

… sowohl im Vorfeld als auch jetzt in der Nachbetrachtung? Wofür brauchen wir einen Verfassungsschutz, wenn dieser seinen eigentlichen Aufgaben am Ende tatsächlich nicht nachkommt?

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Minister Jäger, es gibt viele Ansätze. Es gibt viele Programme wie zum Beispiel PFiFF von der Deutschen Fußball Liga, was initiiert wurde. Beteiligen wir uns als Land an solchen Maßnahmen. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg gegen Rechtsextremismus gehen.

Die Redezeit.

Wir werden morgen einen weiteren Antrag von uns zu diesem Thema behandeln. Ich darf Sie jetzt schon bitten, dem Antrag morgen zuzustimmen. Ich darf Sie, Frau Ministerpräsidentin, bitten, sich dieser Sache persönlich anzunehmen. Es geht gegen Nazis, gegen den Rechtsextremismus. Das sollte uns alle, alle 237 Abgeordnete und das komplette Kabinett, etwas angehen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Düngel. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Laschet.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Düngel hat gerade beschrieben, was an diesem Sonntag vor zwei Wochen geschehen ist: Die größte gewalttätige Demonstration von Rechtsradikalen in Deutschland seit vielen Jahren verletzte und verunsicherte Polizisten, Zweifel an der Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaates bei vielen Bürgern und erneut ein nachhaltiger Schaden für Nordrhein-Westfalen und das Bild unseres Landes.

(Beifall von der CDU)

Die Frage, die wir uns bei der heutigen Debatte stellen müssen, ist: Wie konnte es dazu kommen? Hätte man das verhindern können? Diese Fragen sollte sich ein Innenminister stellen, in dessen Zuständigkeitsbereich so etwas passiert. Und diese Frage sollte sich, wenn sie das Land Nordrhein-Westfalen repräsentiert, auch eine Ministerpräsidentin stellen.

Wir erleben in diesen Wochen wieder einmal etwas, was jedem, der sich in diesem Landtag engagiert, wehtun muss. Überall in Deutschland scheint es zu gelingen, solche Demonstrationen zu verhindern.

Hamburg hat von vornherein gesagt: Wir tun alles, damit das bei uns nicht stattfindet. Die Demonstration wurde abgesagt. Der Berliner Innensenator hat das Gleiche gesagt. Hannover hat angekündigt: Die Landesregierung wird alle Rechtsmittel ausschöpfen, damit nicht solche Bilder wie in Köln entstehen. Nur wir produzieren diese Bilder durch Untätigkeit im Vorfeld. Und das ist unsere Kritik.

(Beifall von der CDU)

Es war von Anfang an klar, dass dies keine politische Demonstration ist. Ich habe einmal für Sie bei Wikipedia nachgelesen – das hätten auch Sie im Vorfeld tun können –, was genau ein Hooligan ist. Es wird aus dem Duden zitiert, der das Wort 1991 aufgenommen hat. Dort steht, ein Hooligan sei ein „meist im Gruppenverband auftretender Jugendlicher, dessen Verhalten von Randale und gewalttätigen Übergriffen bei öffentlichen Veranstaltungen … gekennzeichnet ist.“ – Das ist die Aussage.

Der Antragsteller ist ein PRO-NRW-Funktionär. In den Netzwerken von Rechtsradikalen wird dafür geworben, bei dieser Demonstration der Hooligans, die nichts anderes im Kopf haben, als Gewalt auszuüben, mit dabei zu sein. In einem solchen Moment kommt niemand auf die Idee, zumindest zu versuchen, das zu verbieten. Natürlich ist es nicht einfach, dies vor Verwaltungsgerichten oder dem Bundesverfassungsgericht durchzusetzen. Dennoch versuchen die Städte mit allen Mitteln, jede NPDDemonstration, die irgendwo stattfinden soll, zu verhindern. Sie wussten das alles vorher. Trotzdem lässt man 4.000 gewaltbereite Hooligans mitten in der Kölner Innenstadt demonstrieren und rechtsradikale Aufrufe tätigen.

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Deshalb frage ich Sie, Frau Ministerpräsidentin: Haben Sie Ihren Innenminister im Vorfeld einmal danach gefragt? Schließlich waren Sie am Freitag in Köln – allerdings aus einem anderen Anlass – und haben Ihrer Sorge darüber Ausdruck verliehen, was dort passieren wird. Haben Sie ihn einmal gefragt: Könnt ihr das nicht verbieten? Muss das am Sonntag in Köln stattfinden?

Während Menschen in anderen Bundesländern einen wehrhaften Rechtsstaat erleben, erleben wir einen Innenminister, der mehr mit der Selbstverteidigung beschäftigt ist als mit dem Rechtsstaat in diesem Land. Das ist ein Zustand, den wir nicht weiter akzeptieren können.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das waren die Vorgänge im Vorfeld. Jetzt ist das Ding passiert, und wir sehen die Bilder am Sonntagabend im Fernsehen. Die Frage ist: Was macht man dann als Minister? – Jeder Innenminister würde zunächst in sein Ministerium fahren, aufklären,

aufbereiten, abstimmen, die Fachleute zusammenrufen, dann vor die Presse treten und erklären, wie die Lage war. Herr Jäger macht das anders. Er geht direkt ins Frühstücksfernsehen, bevor ihm irgendein Fachmann etwas sagen kann, und verkündet: „Das Polizeikonzept hat funktioniert.“

(Widerspruch von der SPD)

„Die Lageeinschätzung war ziemlich präzise. Wir wussten ganz exakt, wie viele Teilnehmer kommen werden. Wir haben alles richtig gemacht.“

Im Laufe des Tages merkt man jedoch, dass das nicht der Fall ist. Die Menschen haben die Bilder von rechtsradikalen Gewalttätern, die frei durch Köln laufen, von umgestürzten Polizeiwagen und von 50 verletzten Polizisten vor Augen, und Herr Jäger erklärt: Es hat alles funktioniert. Wir haben alles im Griff. Es ist alles gut gegangen.

Unsere Kritik ist, dass Sie diese Art bei jeder Gelegenheit, bei ähnlichen Situationen immer wieder an den Tag legen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir diskutieren nachher über Burbach. Dort war es das Gleiche:

(Minister Ralf Jäger: Nein!)

Sie hatten alles im Griff, haben alles gewusst und konnten es doch nicht verhindern.

Frau Ministerpräsidentin, in diesen Tagen hat mir ein Polizist geschrieben, und ich würde gerne aus diesem Brief zitieren, weil so etwas ganz selten vorkommt. In den letzten Tagen haben wir hingegen relativ viele Briefe von Polizisten erhalten. Einer von ihnen schreibt:

„Ein gewaltsames Vordringen in die Innenstadt hätten wir – bei entsprechender Entschlossenheit des Gegenübers – nicht verhindern können. Wären aktionsorientierte Gruppen mit Migrationshintergrund (Salafisten/Türken) in Sichtweite gewesen, hätte es offene Konfrontationen unter Inkaufnahme von Schwerstverletzten und Toten gegeben. Das ist keine Übertreibung,“

so schreibt der Polizist –

„sondern meine persönliche Einschätzung der Aggressivität und der Dynamik am gestrigen Tag.“

Deshalb gibt es eine Menge Fragen: War der Kräfteeinsatz angemessen? Warum wurden keine Festnahmen und Identitätsfeststellungen realisiert? Warum wurde keine Bereitschaftspolizei aus anderen Ländern angefordert? Warum wurden keine Spezialeinheiten alarmiert? All das sind Fragen, die bis heute nicht beantwortet sind.

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN – Hans-Willi Körfges [SPD]: Wel- che Spezialeinheiten? GSG 9?)

Deshalb möchte ich zum Ende einen, wie ich finde, sehr nachdenklichen Kommentar des Chefredakteurs des „Kölner Stadt-Anzeigers“ am heutigen Tage zitieren. Herr Pauls schreibt:

„Vorletzten Sonntag konnte man mit der Bahn zum Randalieren fahren, Fahrräder werfen, Naziparolen rufen, Polizeibeamte verletzen, einen Backshop am Bahnhof überfallen und wieder per Bahn abreisen und unterwegs Reisende belästigen. Weitgehend ungestraft. Wenn das ein gelungener Einsatz der Polizei war – wie um Himmels willen mag dann erst Fehlschlag aussehen?“

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)