Protokoll der Sitzung vom 29.01.2015

Es gibt ein riesiges Spektrum an Themen. Wir könnten hierzu sehr lang und sehr detailliert diskutieren. Es ist ein laufender Prozess. Die Digitalisierung ist nicht mit der Regierungserklärung erfunden worden, natürlich nicht. Ich habe die Veränderungsprozesse in den Ausbildungen beschrieben. Wir wissen, dass das seit langer Zeit durch alle Betriebe, durch alle Ausbildungsbereiche geht. Es wird auch noch lange so weitergehen. Es ist ein unglaublich faszinierender Prozess, weil genau damit auch die Chance besteht, für die Menschen insgesamt etwas zu erreichen, was für sie eine Steigerung der Lebensqualität bedeutet. Das muss unser Ziel sein. Da sind wir in der Verpflichtung, Technologie sich entwickeln zu lassen und gleichzeitig die notwendigen Schutzrahmen zu setzen, damit die Menschen dem nicht hilflos ausgeliefert sind. Ich meine, da machen wir eine vernünftige Arbeit.

Wenn der baden-württembergische Ministerpräsident Nordrhein-Westfalen lobt, dann wollen wir das so stehen lassen. Dass die Oppositionsführer pflichtgemäß kritischer sein müssen, nehmen wir in dem üblichen Wettbewerb, den wir hier haben, gelassen hin. Das muss dann so sein. Aber wir machen die Arbeit und werden die weiteren Debatten zusammen führen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Priggen. – Nun spricht für die Piratenfraktion der Vorsitzende der Fraktion, Herr Dr. Paul.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Liebe Frau Ministerpräsidentin! Liebe Landesregierung! „MegaBits. MegaHerz. MegaStark“. SuperGeil. Gestern Abend um exakt 21:29 Uhr erhielt ich eine E-Mail, dass in wenigen Minuten ein reitender Bote der Landesregierung den Text der Regierungserklärung an der Pforte des Landtags abgeben wird – auf Papier, auf totem Holz.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Digitale Revolution!

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Geil! – „Das Internet wird verschwinden“, das sagte Eric Schmidt, ehemaliger Chef und aktueller Chairman von Google, kürzlich auf dem World Economic

Forum in Davos. Allerdings rief Schmidt mit diesem Satz nicht das Ende des Internets aus, sondern deutete damit auf eine Zukunft, in der das Internet ganz selbstverständlich sein werde, in der die Grenze zwischen digitalem und analogem Raum verschwinde. Das nennen wir das „Internet der Dinge“.

Sie, liebe Landesregierung, haben das „Internet der Dinge“ nun entdeckt. Diese Erkenntnis steckt wohl hinter Ihrem Vorstoß, die Digitalisierung zum künftigen Schwerpunkt der Regierungsarbeit zu machen. Doch sosehr wir Piraten das begrüßen, so sehr zeugt Ihr Vorstoß doch von einer gewissen Unkenntnis, von Naivität und mitunter sogar von Fahrlässigkeit. Wir Piraten gehen nicht ins Internet, wir sind Teil des Internets, wir gestalten es mit.

(Beifall von den PIRATEN)

Doch von einem Gestaltungsanspruch ist in Ihrer sogenannten Digitalen Agenda leider nicht viel zu spüren. Wir würden Sie dabei ja gern unterstützen, aber Sie lassen sich ja nicht helfen. Eine lose Zusammenstellung von Politikfeldern mit einem

„smart“ davor und einem „4.0“ dahinter, eingepackt in diese Präfix-Anapher, die drei MEGAperls – das ist noch keine Strategie.

Sie denken das Digitale bestenfalls als Geschäftsmodell und als Möglichkeit, den Standort voranzubringen.

Und wo denken Sie über das Lebensmodell der Menschen in NRW nach? – Sie haben noch nicht verinnerlicht, dass wir an der Schwelle zu einer neuen Gesellschaft stehen. Das Digitale macht nicht einfach das Analoge hübsch. Das Digitale betrifft unser Leben in umfassendster Weise.

Die Aufgabe muss es sein, das Internet in die Politik und die Politik ins Internet zu bringen. Wenn wir Piraten von Netzpolitik sprechen, dann denken wir nicht nur an Breitbandausbau und Freifunk, sondern meinen damit die Blickwinkel, aus denen wir die Welt und die Gesellschaft betrachten.

Diese Blickwinkel sucht man vergeblich in Ihren digitalen Schwerpunkten. Zwei Beispiele:

Die Bundeszentrale für politische Bildung rief jüngst zu einer „Neuen Ethik für das Internet der Dinge“ auf und will damit eine breite gesellschaftliche Debatte befördern. Die Antwort der Landesregierung: ein Wettbewerb namens „App in die Mitte“.

Der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG, Dieter Zetsche, spricht von der Serienreife des autonom fahrenden Automobils und bittet die Politik um ethische und rechtliche Rahmenbedingungen. Antwort der Landesregierung: Sie stellt LED-Leinwände an Autobahnen auf.

Herr Minister Groschek, ich habe gestern mit Interesse vernommen, dass Sie die A40 zur Teststrecke für autonom fahrende Automobile freigeben wollen. Ich glaube allerdings, Sie haben da etwas

noch nicht so richtig verstanden. Es geht ums autonome Fahren und nicht ums autonome Stehen!

(Beifall von den PIRATEN, der FDP und Hendrik Wüst [CDU])

Mit der Einführung des Internetprotokolls Version 6 können 340 Sextillionen Adressen vergeben werden. Beeindruckend, oder? Wissen Sie, was es bedeutet, wenn nun auch die Dinge miteinander kommunizieren?

Frau Ministerpräsidentin, ganz ehrlich, ich erwarte keine mathematischen Hochrechnungen von Ihnen. Ich möchte nur wissen, ob Sie auf eine Welt vorbereitet sind, in der Autos mit Versicherungen kommunizieren oder Social-Media-Konzerne heimlich gemütsmanipulierende Experimente mit Ihnen

durchführen, ohne Sie darüber zu informieren.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Eine Regierungserklärung soll Antworten liefern. Aber welche Frage haben Sie sich eigentlich gestellt? – Sie kleben Etiketten auf leere Tüten. Supergeil.

(Heiterkeit von den PIRATEN)

Sie hängen der Zukunft hinterher, anstatt sie zu gestalten. Sie wollen NRW als Heimat in der digitalen Welt darstellen. Ich folge lieber dem Spruch, den ich auf einem T-Shirt eines jungen Mannes gelesen habe: „Home is, where your wifi connects automatically“.

(Beifall von den PIRATEN)

Ihr Versuch, die digitale Revolution durch ein analoges Heimatverständnis einzugrenzen, macht deutlich, wie wenig Ihnen die Tragweite und die Auswirkungen der Digitalisierung bewusst sind.

Stattdessen lassen sie uns mit Gunter Dueck über das Internet, die Bildung und die Zukunft der Arbeit in einer vernetzten Welt nachdenken. Lassen Sie uns mit Jeremy Rifkin über seine Theorie der Nullgrenzkostengesellschaft diskutieren. Und lassen Sie uns mit Jaron Lanier über sein Konzept einer nachhaltigen Informationsökonomie debattieren. Das wären zumindest Ansätze.

Eine der spürbarsten Auswirkungen der Digitalisierung ist die fortschreitende Automatisierung der Arbeit. Das klang ja heute schon an. Sie wird hunderttausendfach Jobs kosten – und gleichzeitig neue generieren können. Dazu braucht es politische Antworten – und zwar tschakka!

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen hat schon einmal darunter gelitten, dass die Zeichen der Zeit zu spät erkannt wurden. Viel zu lange hat man in der Vergangenheit das tote Pferd der Kohleförderung geritten. Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, unter denen sich digitaler Wandel zum größtmöglichen gesamtgesellschaftlichen Nutzen vollzieht:

1. die Schaffung einer entsprechenden Infrastruk

tur,

2. eine gesetzliche Sicherstellung der informatio

nellen Selbstbestimmung,

3. eine gleichberechtigte Sicherung der digitalen

Teilhabe aller Menschen und

4. eine verbesserte Transparenz von politischen

Prozessen.

Das geht nur aus einer Hand, unter einem Dach, in einem eigenen Internetministerium.

(Beifall von den PIRATEN)

Was für Finnland gut ist, kann für NordrheinWestfalen nicht schlecht sein. Nur ein Internetministerium kann alle politischen Handlungsfelder thematisch so bündeln, dass die digitale Daseinsvorsorge sichergestellt werden kann. Zur Daseinsvorsorge für die Menschen und für das Land müssen allerdings auch ausreichende Investitionsmittel bereitgestellt werden. Derzeit werden die Themen in einer Vielzahl von Landesministerien behandelt – und im schlimmsten Fall eben auch gar nicht. Supergeil.

Zentrale Forderung einer digitalen Daseinsvorsorge ist der flächendeckende Zugang zum Breitbandnetz. Nur so können alle Bürger Nordrhein-Westfalens an der modernen Wissens- und Informationsgesellschaft teilhaben.

Die BREKO Breitbandstudie 2014 hat herausgefunden: Breitbandzugang ist Standortfaktor Nummer eins – vor Strompreisen, Verkehrsanbindung sowie Gewerbe- und Grundsteuer. Der Breitbandzugang spielt eine Schlüsselrolle bei dem Ausbau von Wohlstand und Teilhabe in Nordrhein-Westfalen. Eine digitale Spaltung in städtische und ländliche Regionen muss verhindert werden. Denn das kann sich ein Flächenland wie Nordrhein-Westfalen nicht leisten.

(Beifall von den PIRATEN)

Lassen Sie mich aufzeigen, wie fahrlässig die Landesregierung mit diesem wichtigen Thema umgeht: In unserem ersten Antrag zur Breitbandpolitik haben wir die Landesregierung gefragt: Wie wollen Sie eigentlich das Ziel erreichen, Internet mit 50 Mbit/s flächendeckend bis 2018 zu garantieren? Stellen Sie die notwendigen Mittel zur Verfügung, oder sind das nur Sonntagsreden? Vor zwei Jahren haben wir Ihnen die Frage gestellt. Weder konnten Sie sie bis heute beantworten noch können Sie glaubhaft vermitteln, wie dies in Zukunft geschehen soll.

Sie haben den Kopf jetzt zwei Jahre in den Sand gesteckt und hoffen darauf, dass Geld und Impulse vom Bund kommen. Von den drei Hütchenspielern der Internet-Tankstelle: Gabrindt, Dobriel und de Maiziere. Supergeil.