Protokoll der Sitzung vom 20.05.2015

Noch ein letzter Punkt – gleich ist die Zeit vorbei –: Wir begrüßen das Bundesprogramm ausdrücklich. Es wird aber das Problem des ganz harten Kerns von Menschen, die seit Jahren, vielleicht Jahrzehnten, im Langleistungsbezug stehen, nicht lösen. Deswegen brauchen wir hier ergänzende Mittel. Deshalb stimmen wir für die Überweisung und hoffen auf Ihre tatkräftige Unterstützung. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/8655 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Abstimmung

soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dieser Überweisungsempfehlung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

7 Heimische Industrie stärken, Wertschöp

fungsketten ausbauen, Innovationen fördern

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/8640

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Wüst das Wort. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne und online! Nach Auskunft von IT.NRW hat unser Land zurzeit die drittschlechteste Investitionsquote im verarbeitenden Gewerbe. Nur Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern – beide Länder sind nicht gerade als Industriestandorte bekannt – haben eine noch geringere Quote. Die Investitionsquote ist beispielsweise in Baden-Württemberg um 29 % höher.

Ernst & Young haben im vergangenen Jahr eine Studie veröffentlicht, wo ausländische Investoren gefragt wurden, an welchen Standorten sie gerne investieren würden. Bayern und Berlin waren ganz vorne. Nordrhein-Westfalen wurde nicht einmal genannt. Insbesondere die steigenden Energiepreise – vor allem am Anfang der Wertschöpfungskette in der energieintensiven Industrie, die hier bei uns im Land glücklicherweise stark ist – sorgen für Investitionszurückhaltung.

Seit Beginn der Energiewende ist der Industriestrom um 30 % teurer geworden. Die Energiekosten sind in vielen Branchen mittlerweile – das weiß jeder, der gelegentlich mit Unternehmern spricht – der viel entscheidendere Faktor als zum Beispiel die Lohnkosten.

Deutschlandweit sind die Industriestromkosten aber gleich. Worin also bestehen die besonderen, landespolitisch bedeutsamen und zu beeinflussenden Merkmale, insbesondere hier bei uns?

Nehmen wir zum Beispiel die über fünf Jahre anhaltende Debatte über ein Klimaschutzgesetz und einen Klimaschutzplan. Diese Debatte und ihr lange Zeit offener Ausgang haben dem Ruf des Standorts Nordrhein-Westfalen nachhaltig geschadet. Viele Unternehmen, kleine wie große, haben das zum unangenehmen Anlass nehmen müssen, Investitionsentscheidungen zurückzuhalten oder Investiti

onsentscheidungen zulasten des Standorts Nordrhein-Westfalen zu treffen.

Die ausgesprochene Drohung der Landesregierung, über Klimaschutzgesetz und Klimaschutzplan ab dem Jahr 2017 die heimische Wirtschaft mit Zwangsmaßnahmen zu belegen, wenn es bis dahin nicht so läuft, wie man sich das wünscht, führt sicherlich nicht zu einer Schubumkehr, was die Investitionsbereitschaft angeht.

Die Folgen sind Deindustrialisierung durch Desinvestition. Denn wir alle wissen: Große Industrieanlagen werden für 20 Jahre im Voraus investiert. Man braucht Planungssicherung auf eine solche Perspektive. Alles, was heute nicht investiert wird, fehlt dann am langen Ende auch bei den Arbeitsplätzen.

Dieser Prozess bedroht unsere Wertschöpfungsketten. Wir waren alle stolz darauf, in der Finanzkrise stabil zu sein. Warum? – Weil wir im Vergleich mit anderen entwickelten westlichen Staaten extrem lange Wertschöpfungsketten haben: von der

Grundstoffindustrie, vom Einschmelzen der Metalle bis hin zum fertigen, innovativen Endprodukt – alles in Nordrhein-Westfalen.

Was passiert, wenn diese Kette einmal reißt, kann man sich anhand der Textilindustrie verdeutlichen. Ich selbst komme aus dem Münsterland. Meine Familie ist lange mit der Textilindustrie verbandelt gewesen. Da kann man sich das anschauen: 1960 arbeiteten noch 220.000 Menschen in der Textilindustrie. 190.000 dieser Arbeitsplätze sind inzwischen verschwunden. Im Jahr 2000 waren es noch rund 30.000 Beschäftigte.

Ihren Anfang nahm diese Entwicklung in den 70erJahren, als insbesondere die Produktionskosten in den Nähereien nicht mehr international wettbewerbsfähig waren. Wenn man schon nicht mehr hier näht, dann kann man irgendwann auch an einem anderen Standort spinnen, weben, färben und veredeln. Genauso ist es gekommen. Denn kaum noch ein Kleidungsstück, das wir heute am Leib tragen, ist in Deutschland produziert.

Dieses anerkannte Beispiel für das Reißen von Wertschöpfungsketten soll, bitte schön, das einzige dieser Dimension bleiben. Deswegen ist es wichtig, dass wir verhindern, dass aufgrund politischer, insbesondere landespolitischer Entscheidungen, andere Wertschöpfungsketten reißen.

Aus diesem Grund ist die mühevolle Schadensbegrenzung, wie sie gerade beim Klimaschutzplan, beim LEP sowie beim Tariftreue- und Vergabegesetz betrieben wird, nicht ausreichend. Nur weil ihre Wirtschaftspolitiker jetzt weniger Grausamkeiten bereithalten als ursprünglich geplant, ist das noch lange keine gute Wirtschaftspolitik und auch noch lange keine gute Standortpolitik.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Weniger schlecht ist eben noch lange nicht gut.

Wenn wir hier wirkliche Wachstumsimpulse proaktiv setzen wollen, dann geht das nur, wenn man sich insgesamt als Politik in Nordrhein-Westfalen quasi als Sonderwirtschaftszone versteht und hier Dinge möglich macht, die woanders nicht möglich sind. Beispielhaft seien abschließend der Bürokratieabbau, die Forschungs- und Entwicklungsquote, der Anspruch, dass Fachkräfte sich hier wohlfühlen, sowie unsere Einstellung zu Dingen wie TTIP genannt.

Unser Antrag gibt Anregungen, über diese Themen zu diskutieren. Ich freue mich, dass wir das im Ausschuss tun werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Eiskirch das Wort.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich habe von der CDU schon des Öfteren gehört, dass die Psychologie die Hälfte der Wirtschaft ausmache.

(Zustimmung von der CDU)

Ja, der Satz ist so einfach, dass selbst Sie ihn richtig aussprechen können. Das ist überhaupt kein Problem. Dafür brauchen Sie nicht gleich zu applaudieren.

Mich wundert nur, dass die Opposition, sprich die CDU, die sich außerhalb Nordrhein-Westfalens immer als Wirtschaftspartei geriert, hier eigentlich ausschließlich aus Jammern und Schlechtreden besteht. In der Rede zum Haushaltsplan 2015 habe ich Ihnen schon gesagt: Sie sind für mich eine Jammeropposition. Sie haben immer die gleiche Jammertrias vorgetragen, und zwar die Jammertrias aus Klimaschutzgesetz, Tariftreue- und Vergabegesetz sowie Landesentwicklungsplan.

(Zuruf von der CDU: Stimmt doch!)

Jetzt ist es für Sie natürlich schmerzhaft, dass immer deutlicher wird, dass Sie selbst beim Jammern aufs falsche Pferd gesetzt haben.

(Zuruf von der CDU – Lachen bei der FDP)

Der Landesentwicklungsplan ist ein Ermöglichungsplan, und wir bekommen mit, dass in diesen Veränderungsbereichen, die jetzt vorgeschlagen sind, selbst Sie deutlich machen müssen: In allen Verbesserungen, die den Beteiligten vorgelegt werden, gibt es ein klare Tendenz, deutlich zu machen, dass wir wirtschaftliche Entwicklung wollen. Übrigens in Wertschöpfungsketten! Auch das ist keine wirklich spannende Erkenntnis, die Sie hier vortragen.

Ich glaube, es herrscht eine große Einigkeit darüber, dass wir alle ein großes Interesse daran haben, Wertschöpfungsketten zu halten, auszubauen und fester zu machen.

Deswegen ist es auch der richtige Ansatz der regierungstragenden Fraktionen und der Landesregierung gewesen, das Thema „Leitmärkte“ nach vorne zu bringen, ein bisschen von einzelnen Branchen wegzukommen und auch das Thema „Cluster“ nicht mehr allein dastehen zu lassen, sondern Leitmärkte in den Blick zu nehmen. Denn die Leitmärkte machen die Wertschöpfungsketten auch auf dem Zukunftspfad spannend und können Veränderungen in Wertschöpfungsketten abbilden.

Erstens. In Bezug auf den Landesentwicklungsplan sind wir eindeutig auf dem richtigen Weg, sodass Sie nicht mehr behaupten können, es gäbe irgendeinen Ansatz von Wirtschaftsverhinderung.

(Zuruf von der CDU)

Zweitens. Das Klimaschutzgesetz kommt heraus, und Sie sagen: Der Klimaschutzplan bzw. das Klimaschutzgesetz sind doch nicht so schlimm, wie wir es der Wirtschaft und der Bevölkerung vorher erzählt haben.

Das dritte Thema ist das Tariftreue- und Vergabegesetz. Wir sind in die Offensive gegangen, haben früher evaluiert und machen jetzt deutlich, welche Veränderungen wir vornehmen wollen, um es zu entbürokratisieren und schlagkräftiger zu machen, also die Ziele in den Blick zu nehmen, dabei aber die Probleme, die auf dem Weg zu den Zielen vorhanden waren, nicht mehr so wirken zu lassen, wie sie vielleicht gewirkt haben – auch das steht ja durchaus nicht zweifelsfrei fest.

Auf gut Deutsch: Sie sind Ihre Jammertrias losgeworden. Sie haben dort nichts mehr zu jammern und suchen jetzt verzweifelt nach einem neuen Feld, wo Sie jammern und meckern können. Ich habe Ihnen schon in der Haushaltsdebatte gesagt: Ich würde mich sehr freuen, wenn diese Opposition – wir haben das in unserer Oppositionszeit getan; vielleicht ist sie deswegen auch nur so kurz gewesen – Konzepte entwickeln würde, wie wir sie für die Themen „EFRE“, „Ziel 2“ und „Handwerk“ entwickelt haben. Die Handwerksinitiative ist ein wirkliches Pfund in der Wirtschaftspolitik in NordrheinWestfalen gerade für kleine und mittelständische Unternehmen.

Herr Kollege Wüst, das ist mein Anspruch an eine Opposition: sich nicht hinzusetzen und sich sechs Seiten Gejammer auszudenken, sondern zu sagen: Das sind unsere Vorschläge für die wirtschaftliche Entwicklung in Nordrhein-Westfalen.

Ich möchte Ihnen durchaus zugestehen, dass Sie viele Sachverhalte richtig hergeleitet haben. Daran will ich überhaupt nicht alles kritisieren; vielleicht gibt es Kritik an dem einen oder anderen Punkt.

Was aber in den Feststellungen und Forderungen steht, hat in weiten Teilen nichts mehr mit dem Text zu tun, den Sie geschrieben haben. Dort kommen Sie nämlich zurück zum Jammern. Dann wird über die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta gesprochen, dann wird erneut das Landesplanungsgesetz und das Klimaschutzgesetz aufgegriffen, es wird über das Hochschulzukunftsgesetz und das Verbandsklagegesetz gesprochen und gefordert, das Sozialticket zu streichen. In einem Antrag, in dem es um Industrie und Wertschöpfungsketten geht, lautet die Forderung, das Sozialticket zu streichen.

Meine Damen und Herren, es ist fast schon ein Offenbarungseid, deutlich zu machen: Ich leite meine Ausführungen zwar von dem Aspekt „Wertschöpfungsketten“ ab, lasse dem dann aber ein Sammelsurium an Forderungen nach dem Motto, „Was ich immer schon einmal sagen wollte“, folgen. Ich finde, das ist keine konstruktive Oppositionspolitik.

(Beifall von der SPD)

Last but not least – Herr Präsident, damit komme ich auch zum Schluss – bitte ich Sie, zumindest an einem Debattentag konsistent zu bleiben. Sie fordern in Ihrem Antrag – ich will das mit Genehmigung des Präsidenten sauber zitieren; es ist der letzte Punkt –, „dass man mit der Zusage einer Arbeitsstelle unabhängig vom Ausgang eines Asylverfahrens ein befristetes Aufenthaltsrecht gewähren soll, damit hier gearbeitet werden kann.“