Protokoll der Sitzung vom 24.06.2015

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wer entschei- det das?)

Es handelt sich immerhin um Daten des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen. Wenn wir uns daran halten und uns um die Betroffenen kümmern, ihnen eine Perspektive geben,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das entschei- det ein Asylverfahren und nicht das Her- kunftsland!)

dann heißt das zugleich, dass man bei sicheren Drittländern zu klareren Regelungen kommen muss. Auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu.

(Beifall von der CDU)

Übrigens haben die Ministerpräsidenten dies im Prinzip auch beschlossen; es gibt also gar keinen Grund zur Unruhe. In den drei Ländern wird nun exakt geprüft, ob die Evaluierung im Falle von Serbien zur Verbesserung der Situation beigetragen hat. Und wenn man dann zu dem Ergebnis kommt, dass es etwas gebracht hat, sind die Ministerpräsidenten prinzipiell offen, diese anderen Länder ebenfalls einzubeziehen.

(Marc Herter [SPD]: Und wenn nicht?)

Deshalb gibt es an dieser Stelle keinen Grund, sich aufzuregen.

(Beifall von der CDU)

Ich möchte noch einen Aspekt hinzufügen, dem wir unsere besondere Aufmerksamkeit widmen müssen: die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Solange sie minderjährig sind, werden sie von der Jugendhilfe unterstützt, und viele andere Mechanismen greifen helfend ein. Wenn die Jugendlichen erst einmal 18 Jahre alt werden, haben wir das Problem, dass sie damit in ein völlig anderes System hineinkommen. Das ändert aber nichts an ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit. Wenn diese jungen Menschen mit 18 Jahren, ohne Eltern in einem fremden Land, einen Weg von Bildung und Aufstieg beschreiten können sollen, brauchen wir dafür neue Ideen. Darauf ist unser Recht derzeit nicht vorbereitet.

Ich habe gemeinsam mit der Ministerin Öney aus Baden-Württemberg eine besonders vorbildliche Einrichtung in Meßstetten besucht. Der Ort hat 5.000 Einwohner, und dort leben 1.500 Flüchtlinge. Dort denkt man über eine Art Internatslösung nach: Die Jugendlichen machen eine Berufsausbildung, sie leben mit anderen Jugendlichen zusammen und werden gemeinsam betreut. Sie erlernen einen Beruf und leben gemeinschaftlich, wie wir das aus klassischen Internaten kennen. So können sie diesen Weg auch ohne ihre Eltern gehen.

Ich finde, das sollten wir uns auch einmal als Modell für Nordrhein-Westfalen genauer überlegen. So könnte man für diese Gruppe – zum Beispiel in Aachen an der Grenze; da, wo sie aufgegriffen werden – eine Lösung finden. Das müssen wir als Gesamtaufgabe des Landes ansehen.

(Beifall von der CDU)

Ein Letztes. Manche Kräfte in der Wirtschaft sagen: Wir suchen uns die Leute heraus, die wir brauchen können. – Das geschieht sogar bei denjenigen, die zurückkehren müssen, also Menschen aus dem Kosovo oder aus anderen Ländern. Aber: Wir müs

sen darauf achten, dass wir die Menschen nicht nur nach Nützlichkeitserwägungen aussuchen.

Sicher gibt es klare Kriterien: Derjenige, der Potenzial hat, muss früh gefördert werden. Es geht aber nicht, dass es heißt: Die Besten suchen wir uns heraus, und für den Rest ist der Staat zuständig. Alle sozialen Kosten, die zu tragen sind, übernimmt der Staat, aber ansonsten durchbrechen wir alle Regeln des Aufenthaltsrechts. Das muss in diesem Dreiklang von Kommen – Bleiben – Gehen sauber getrennt werden.

Dann schaffen wir auch eine Stimmungslage, in der die Menschen in Nordrhein-Westfalen weiterhin sagen: Bei vielen ist ein Potenzial vorhanden; den anderen werden wir solidarisch beistehen. Das muss in unseren Konzepten, die wir entwickeln, deutlich werden.

(Beifall von der CDU)

Unser Ziel muss sein: den Flüchtlingsstatus schnell hinter sich lassen, das Schicksal in die eigenen Hände nehmen, dabei helfen, dass ein solcher Aufstieg durch Bildung in unserem Land möglich wird. Unser Land hat dieses Potenzial.

Wenn wir uns andere Länder auf der Welt anschauen, insbesondere die Anrainerstaaten am Mittelmeer – zum Beispiel den Libanon, der mit vier Millionen Einwohnern eine Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat –, dann bin ich mir sicher, dass wir die Zahl der Flüchtlinge, die wir derzeit in Deutschland haben, mit einer großen Solidarleistung ebenfalls bewältigen werden.

Das hat dieses Land schon einmal bewiesen. Und dafür sollten wir auch über die Parteigrenzen hinweg eintreten: Wir sollten den Flüchtlingen einen Aufstieg, einen Einstieg in unsere Gesellschaft, den Spurwechsel vom Flüchtlingsstatus in ein gleichberechtigtes, aus eigener Arbeit selbst gestaltetes Leben in unserem Land ermöglichen. Das ist das Ziel der Flüchtlingspolitik in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der CDU – Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt deren Fraktionsvorsitzender Herr Kollege Norbert Römer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank an die Ministerpräsidentin und die Landesregierung.

Ich danke Ihnen zum einen dafür, dass Sie heute Morgen das Hohe Haus über viele wichtige Fragen informiert haben: Wie gehen wir mit den Menschen um, die aus Not, aus Bedrängnis, aus Kriegsgebie

ten zu uns kommen? Wie helfen wir Ihnen? Wie nehmen wir alle – Bund, Länder und Kommunen – in die Verantwortung, damit wir diese Herausforderung gemeinsam bestehen können?

Zum anderen danke ich Ihnen dafür, dass Sie uns auch darüber informiert haben, wie die schwierigen, harten Verhandlungen über eine transparentere und vor allen Dingen gerechtere Bund-Länder-Finanzierung vorangekommen sind.

Ich will ausdrücklich sagen, Herr Kollege Laschet, ich bin auch Ihnen dafür dankbar, dass Sie in dieser wichtigen Frage, in der es um Menschen geht, deutlich gemacht haben: Da tragen wir alle hier im Hohen Haus eine gemeinsame Verantwortung; da stehen wir zusammen. Das ist ein gutes Signal an Nordrhein-Westfalen, an die Menschen und vor allen Dingen an diejenigen, die zu uns kommen. Vielen Dank für die Unterstützung durch die CDU in dieser wichtigen Frage.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, es geht dabei nicht nur um finanzielle Fragen, obwohl diese nicht unwichtig sind, auch im Verhältnis von Bund, Ländern und Kommunen. Es geht selbstverständlich auch darum, anzuerkennen und darauf aufzubauen, wie groß die Hilfsbereitschaft in unserem Land ist, und dafür zu sorgen – auch mit den Debatten hier im Hohen Haus – dass bei den Menschen das Signal ankommt: Wir kümmern uns vor allem um diejenigen, die zu uns kommen. Es geht um Hilfsbereitschaft, es geht um Solidarität, es geht darum, füreinander einzustehen.

Herr Kollege Laschet, Sie haben zu Recht Kardinal Woelki, den Erzbischof von Köln, für diese beeindruckende Aktion gelobt. Ich hatte die Gelegenheit, zusammen mit meinem Fraktionsvorstand am Donnerstagabend voriger Woche, also einen Tag vor dieser großen Aktion, ein intensives, lange vorbereitetes Gespräch mit Kardinal Woelki, Erzbischof Becker, Bischof Genn und den Generalvikaren der fünf katholischen Bistümer in Nordrhein-Westfalen und dem Katholischen Büro zu führen, bei dem es auch um diese Frage ging.

Am Vorabend dieser Aktion haben wir vor allem darüber geredet, was uns – Politik, Gesellschaft, auch Kirche – hier in Nordrhein-Westfalen im Umgang mit diesen Menschen eint. Wir sind übereingekommen – Sie haben das gerade ebenfalls angeführt –:

Ja, es braucht in Europa mehr Solidarität mit denjenigen Menschen, die aus Not, aus Todesangst vor Hunger und Elend die lebensgefährdende Flucht über das Mittelmeer wagen. Die 23.000 Glockenschläge sollten öffentlich daran erinnern, dass seit geraumer Zeit so viele Menschen auf der Flucht – vor Hunger und Elend, vor Not und Bedrängnis, vor Krieg – im Mittelmeer ums Leben kommen.

Wir in Europa müssen beweisen, dass wir nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen zusammenstehen, sondern dass wir auch ein Hort von Menschlichkeit sind. Ich glaube, das ist ein Signal, das wir an die Länder der Europäischen Union geben müssen und für das wir gemeinsam einstehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aber weil Sie – Herr Kollege Laschet, das ist bei solchen Debatten eben immer so – sich selbst nicht davor haben schützen können, im Mittelteil Ihrer Rede ein bisschen in parteipolitisches Klein-Klein abzugleiten, will ich doch noch einige Punkte Ihrer Rede aufnehmen.

(Zuruf von der CDU)

Ja, das Land Nordrhein-Westfalen, die Landesregierung, diese Koalition geht bis an die Grenze ihrer finanziellen Möglichkeiten, um die Kommunen bei der Bewältigung der Herausforderung dieses wichtigen Problems finanziell zu unterstützen und auch eigene Aufgaben zu erledigen. Mit den Mitteln des Nachtragshaushalts stellen wir dafür im Jahr 2015 insgesamt 705 Millionen € zur Verfügung; im nächsten Jahr, in 2016, sogar 1,157 Milliarden €.

Herr Kollege Laschet, wenn Sie an Bayern erinnern und sagen: „Die unterstützten ihre Kommunen aber in einem größeren Ausmaß“, dann will ich nur darauf hinweisen, dass wir in Nordrhein-Westfalen ein völlig anderes Finanzierungssystem haben.

(Zuruf von der CDU)

Fast 10 Milliarden € bekommen unsere Kommunen inzwischen aus Landesmitteln über das GFG. Herr Kollege Laschet, das gibt es in Bayern nicht. Auch das muss man akzeptieren und anerkennen, wenn man über die Frage redet, inwieweit Land und Kommunen gemeinsam an diese Herausforderungen herangehen.

Das Land macht das, was seine Aufgabe ist – die Ministerpräsidentin hat darauf hingewiesen –: Stellen schaffen für Lehrerinnen und Lehrer, damit die Flüchtlingskinder hier vernünftig unterrichtet werden können; den finanziellen Herausforderungen in den Kitas begegnen, damit die Kinder in die Kitas kommen können; zugleich ist da noch die Unterstützung der Kommunen.

Wir sind uns doch mit den kommunalen Spitzenverbänden einig, dass jetzt vor allem der Bund an der Reihe ist, auch mit finanziellen Leistungen in diese Verantwortung zu treten. Es ist die Leistung der Ministerpräsidenten, dafür gesorgt zu haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich freue mich darüber, Herr Kollege Laschet, dass Sie – wenn auch mit ein bisschen Zeitverzögerung an einigen Punkten; zwei Punkte habe ich da besonders herausgehört – einem Entschließungsantrag, den wir vor zwei Plenarwochen hier eingebracht haben, nun auch inhaltlich beitreten. Das ist

in Ordnung. Ich freue mich darüber, weil dies deutlich macht, dass wir in dieser wichtigen Frage zusammenstehen sollten.

Dann ist auch verziehen, Herr Kollege Laschet, dass Sie im Mittelteil Ihrer Rede wieder in das parteipolitische Klein-Klein verfallen sind. Ich erinnere an Ihre Pirouette bei der Frage, was denn sichere Herkunftsländer sind. Am Ende haben Sie wieder zugegeben: Jawohl, wir gehen in eine Prüfung hinein. – Das ist ein offener Prozess. Also: Alles in Ordnung.

Vermisst habe ich jedoch die Unterstützung bei der wichtigen Frage: Wie geht es in Nordrhein-Westfalen mit Blick auf das weiter, was dieses Land und seine Kommunen seit vielen Jahren an solidarischer, finanzieller Unterstützung für andere Länder, für andere Städte und vor allem für Ostdeutschland leisten?

Im Haushalts- und Finanzausschuss haben wir doch einen gemeinsamen Beschluss gefasst, und da hätte ich gerne auch von Ihnen gehört, dass die Ministerpräsidentin die Rückendeckung der CDUFraktion bei ihrem Bemühen hat, dafür zu sorgen, dass endlich mehr Transparenz in dieses Finanzierungssystem hineinkommt. Damit eines klar ist: Nordrhein-Westfalen zahlt viel Geld in diese gemeinsame Finanzierung hinein; Nordrhein-Westfalen ist Geberland und nicht Nehmerland.

Herr Kollege Laschet, das hätte ich mir gewünscht. Das wäre für die harten Auseinandersetzungen in Berlin hilfreich gewesen, auch im Gespräch mit den anderen Bundesländern. Das haben Sie leider nicht getan.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)