Protokoll der Sitzung vom 03.12.2015

(Zuruf von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Das kann nicht die Begründung für einen Landeshaushalt allein sein. Wir kommen noch zu den anderen Punkten.

Vor allem ergibt sich auf der Einnahmeseite die Frage, wie es denn bitte sein kann, dass die regierungstragenden Fraktionen letzte Woche zwischen der Einbringung der Ergänzungsvorlage – das waren über 193 Seiten vonseiten der Landesregierung – und der Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses bei Vorlage von Änderungsanträgen mal eben Restdeckungsmittel in Höhe von 31 Millionen € finden konnten und damit ihre Änderungsanträge quasi gegenfinanzieren wollen. Sehr schön.

In dem Zusammenhang fragt man sich also: Was tut das Finanzministerium? Wie viele Schubladen gibt es denn da noch, in denen möglicherweise überflüssige Buchungen gefunden werden, die dann hergenommen werden, um das Füllhorn vorgezogener Wahlgeschenke auf das Land NordrheinWestfalen zu verteilen? Denn nichts anderes ist Ihren Änderungsanträgen im Wesentlichen zu entnehmen.

Dabei schließe ich ausdrücklich – Herr Kollege Zimkeit, Sie schütteln den Kopf – diejenigen Ausgaben aus, die dem Kampf gegen Rechtsextremismus und Salafismus dienen, diejenigen Ausgaben, die den Unterstützern von Gewalt dienen, diejenigen Ausgaben, die der Unterstützung von Opfern von Gewalt und vor allen Dingen auch von Opfern von Gewalt gegen Frauen dienen, diejenigen Ausgaben, die der Sportförderung dienen. Davon ausgenommen sind allerdings nicht diejenigen, die dem Reitsport dienen. Ich meine die 50.000 €, die Sie noch einmal oben draufgepackt haben, um irgendwelche Zuchtergebnisse im Hinblick auf irgendeine Olympiade zu verbessern.

(Zuruf von der FDP)

Ach, wissen Sie, 250.000 € für die Förderung der Pferdezucht auszugeben, ist geradezu lächerlich. Da müssten Sie noch zwei Nullen dranhängen, wenn nicht sogar drei, um überhaupt einen Effekt zu erzielen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das machen wir doch jetzt mit dem Glücksspiel!)

Das zeugt jedenfalls nicht von Sachkunde. Aber man kann für die Herrschaften natürlich noch einmal 50.000 € draufpacken. Damit könnte man eventuell den einen oder anderen Wähler gewinnen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Lesen können Sie auch nicht!)

Herr Finanzminister, wie viele von den eben genannten Puffern von 31 Millionen € verstecken Sie noch im Haushalt? Entspricht das dem Gebot der Haushaltsklarheit?

In diesem Zusammenhang richtet sich folgende Frage an die regierungstragenden Fraktionen: Wo

her wussten Sie eigentlich, dass man diesen Titel, um den es da geht, um genau 31.019.000 € absenken kann? Aus den Berichterstattergesprächen jedenfalls nicht! Das können also allenfalls Insiderinformationen sein, die Ihnen möglicherweise aus den Ergebnissen der Arbeiten des Effizienzteams zugewachsen sind.

Kommen wir einmal zur Ausgabenseite. Hier haben die regierungstragenden Fraktionen wunderbar dargelegt, was für tolle Mehrausgaben für Zukunftsinvestitionen und für die Sicherung des Bildungsstandorts Nordrhein-Westfalen anstehen. Auch für die innere Sicherheit wird sicherlich einiges getan. Sie reden hier von Stellenaufwüchsen von 2.350 Lehrerinnen und Lehrern für die Integration, weiteren insgesamt 5.700 Lehrerstellen seit 2010 sowie 1.900 Polizisten, die im Jahre 2016 dazukommen sollen. Wohlgemerkt: Dabei geht es um Stellen. Die Frage der Besetzung ist damit noch längst nicht geklärt. Wenn Sie nicht in die Ausbildungsstandorte investieren, um die Anwärterinnen und Anwärter dann überhaupt noch ausbilden zu können, und im Übrigen noch nicht einmal klar ist, ob ausreichend Bewerberzahlen für alle diese Stellen gegeben sein werden …

(Heike Gebhard [SPD]: Das ist im Ausschuss ausreichend nachgewiesen worden!)

Frau Kollegin Gebhard, nachgewiesen wird das letztendlich beim Haushaltsvollzug. Wir werden uns natürlich auch unterjährig im Jahre 2016, insbesondere in den Fachausschüssen, die Besetzung der von Ihnen ausgewiesenen Stellen anschauen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Reine Mäkelei ist das!)

Die Ausgaben für Flüchtlinge im Jahre 2016 basieren darüber hinaus auf überholten Zahlen und Planungen. Wir wissen aufgrund der Begründung zum Haushaltsgesetz, dass Sie von 800.000 Zuwanderern, Flüchtlingen und Asylbewerbern im Jahre 2015 ausgehen und diese Zahl auch auf 2016 übertragen. An dieser Stelle weise ich einmal auf die Anhörung in der letzten Woche zur Ergänzungsvorlage zum Haushaltgesetzentwurf 2016 hin.

Dort haben die kommunalen Spitzenverbände, also die wichtigsten Vertreter der Menschen im Lande Nordrhein-Westfalen auf mittlerer Ebene, erklärt: Wir rechnen damit, dass 300.000 bis 350.000 zusätzliche Flüchtlinge und Asylbewerber in 2016 zu uns kommen. – Ich habe nachgefragt, wie sie auf diese Zahlen kommen. Sie berufen sich auf Flüchtlingsorganisationen und auf Annahmen anderer Institute. Diese Zahlen sind durchaus ernst zu nehmen; denn internationale Flüchtlingsorganisationen gehen ebenfalls von einem erheblichen Ansteigen der Zahlen auch in 2016 aus.

Stattdessen kalkuliert die Landesregierung anhand der Zahl von 800.000. Dabei wissen wir, dass die Zahl von 800.000 – nach dem Königsteiner Schlüs

sel entfallen davon rund 20 % auf NordrheinWestfalen – im Jahre 2015 schon jetzt deutlich überschritten ist, weil wir bereits heute bei einer Aufnahme von über 200.000 Flüchtlingen aus betroffenen Ländern liegen.

Sie können natürlich sagen: Wir haben jetzt 4 Milliarden € eingestellt; dann schauen wir am Ende einmal, was dabei herauskommt, und gucken unterjährig, wie sich die Sache darstellt. – Genau so wird es sein. So hat es sich auch im Jahre 2015 mit insgesamt mehreren Nachtragshaushalten gezeigt, von denen zwei Nachtragshaushalte auch die Situation von Flüchtlingen berücksichtigten. So wird es wahrscheinlich auch im nächsten Jahr kommen müssen; denn weitsichtige Politik sehen wir an dieser Stelle nicht.

Auch vonseiten der Piratenfraktion haben wir seit Jahren, nämlich seit 2012, vorgetragen, dass ein erheblicher Mehraufwand im Bereich der Vorsorge für Flüchtlinge bzw. Asylbewerberinnen und Asylbewerber aus Krisengebieten im Anschluss an den sogenannten Arabischen Frühling erforderlich werde. Das hat die Landesregierung seit 2012 beharrlich ignoriert. Jetzt rennt und hechelt sie den Entwicklungen hinterher.

(Beifall von den PIRATEN)

Hier werden Zukunftsinvestitionen vorgetragen, zu denen im Übrigen natürlich auch eine auskömmliche Integrationsfinanzierung gehört. Aber auch da bleibt – ich erwähnte es bereits – die Landesregierung trotz der Rekordsteuereinnahmen hinter den tatsächlichen Anforderungen zurück.

Ebenfalls mit Blick auf die Rekordsteuereinnahmen liegen die projektierten Ausgaben für den Breitbandausbau hinter den Möglichkeiten und vor allen Dingen hinter den Notwendigkeiten zurück. Ja, Sie haben mit der Ergänzungsvorlage nachgebessert, aber auch erst mit der Ergänzungsvorlage. Jedoch sind im Bereich Breitband die Ausgaben von 25 Millionen € für 2016 und eine Verpflichtungsermächtigung für die nächsten Jahre über insgesamt 100 Millionen € schon jetzt eine Schlappe für NRW als Zukunftsstandort. Eine flächendeckende Glasfaserversorgung in Nordrhein-Westfalen würde laut Experten, wie sie in der entsprechenden Anhörung des Wirtschaftsausschusses dieses Landtags erklärt haben, rund 6 Milliarden € kosten.

Frau Kraft und Herr Duin, beide im Moment nicht im Saal

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

ich weiß das; sie sind trotzdem nicht da –, wollen Glasfaser. Das haben sie mehrfach verkündet. Wo sind die entsprechenden Mittel dafür im Haushalt 2016 etatisiert? Nach der MICUS-Studie braucht es insgesamt einen Aufwand von 8,6 Milliarden €. Diese Studie liegt auch der NRW.BANK, den regierungstragenden Fraktionen, der Landesregierung

und, und, und vor. 8,6 Milliarden €! Wenn man einmal davon ausgeht, dass die Glasfaserversorgung, sagen wir einmal, bis 2025 technisch umgesetzt werden sollte, bedeutete dies einen jährlichen Aufwand von 860 Millionen €. Dem stehen 25 Millionen € für das Jahr 2016 gegenüber, also weniger als 5 % der tatsächlich aufzuwendenden Kosten. Diese Landesregierung hängt die Gegenwart auch in diesem Bereich sehenden Auges von den Anforderungen der Zukunft ab.

Zu wenig Geld für Bildung ist der nächste Punkt. Hier wurde auch gesagt: Wir tun unheimlich viel für die Bildung. – Es gibt zwei korrespondierende Herausforderungen: erstens Integration, zweitens Inklusion.

Zur Integration: Wie wir gehört haben, wird es einen Stellenaufwuchs geben; 2.300 Lehrerinnen und Lehrer sollen kommen. „Kein Kind zurücklassen“ hat schon nicht funktioniert. Es bleibt abzuwarten, ob die Landesregierung es schafft, angesichts der Gesamtsituation an den Schulen in NordrheinWestfalen kein Flüchtlingskind zurückzulassen. Es mag sein, dass die etatisierten 2.300 Lehrerstellen mittelfristig ausreichen. Die zu beschulenden Menschen in NRW werden aber bleiben; sie sind natürlich nicht nach einem Jahr weg. Auch da stellt sich die Frage: Wie geht es weiter?

(Stefan Engstfeld [GRÜNE]: Da gibt es eine Antwort!)

Zur Inklusion: Diese Mammutaufgabe, die sich die Landesregierung und die regierungstragenden

Fraktionen zu Beginn dieser Legislaturperiode auf die Fahne geschrieben haben, ist nach heutigem Stand insbesondere auch an den Schulen kläglich gescheitert. Denn noch letzte Woche veröffentlichte die GEW, die relevante Gewerkschaft der Lehrerinnen und Lehrer im Land Nordrhein-Westfalen, in Bezug auf die Inklusion ein Defizit von – das war gestern schon einmal kurz Thema – 7.000 Lehrerinnen und Lehrern. Wo sind die etatisiert?

(Eva Voigt-Küppers [SPD]: Sagt die GEW! Hat sie aber vor vier Jahren auch schon ge- sagt!)

Ja, schon seit vier Jahren. Das ist doch völlig egal, Frau Kollegin. Diese Stellen sind aber im Haushalt 2016 nicht etatisiert. Selbst wenn wir realistisch – auch unter Berücksichtigung der derzeitigen Klassengrößen – von lediglich 5.000 ausgehen, sehen wir davon im Haushaltsentwurf 2016 nichts. Das erklären Sie bitte den Eltern, das erklären Sie aber später auch den erwachsen werdenden Schülerinnen und Schülern, insbesondere jenen mit Behinderungen.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Landesregierung zeigt sich somit auch in diesem Punkt ein weiteres Mal komplett überfordert. Auch dies trotz steigender Einnahmen.

Das, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den regierungstragenden Fraktionen von SPD und Grünen, muten Sie den Bürgerinnen und Bürgern und auch den Neubürgerinnen und Neubürgern zu. Ich halte das für kläglich.

Es war die Rede von Infrastruktur. Wir wissen doch, die Brücken bröckeln weiter, die Straßen sind weiterhin marode. Wenn ich morgens das Radio einschalte, höre ich von mehreren Hundert Kilometern Stau in Nordrhein-Westfalen. Das liegt sicherlich nicht daran, dass wir plötzlich nur noch Menschen aus anderen Bundesländern hier haben, Flüchtlinge, die mit Autos durch die Gegend fahren, wie es auch schon behauptet worden ist, was völliger Unsinn ist, sondern es geht einfach darum, dass die Straßen in Nordrhein-Westfalen so katastrophal sind und auch die Förderung adäquaten öffentlichen Personalverkehrs so rückständig ist, dass wir leider Gottes sagen müssen, auch in diesem Punkt sagt der Haushalt viel zu wenig aus, bleibt die Landesregierung hinter den Anforderungen zurück.

Projekt Bildung 4.0 – das ist jetzt das Neue, nachdem ja wohl Anfang des Jahres die Sache mit NRW 4.0 mit „MegaBits. MegaHerz. MegaStark.“ irgendwo bei „MegaSchwach.“ gelandet ist. Die Landesregierung – das sagte ich gerade – stellt zum Beispiel nicht ausreichend Lehrer mit digitaler Medienkompetenz zur Verfügung.

Kommen wir noch zu einem weiteren ganz wichtigen Punkt. Herr Kollege Zimkeit, ich habe Ihnen gestern ein bisschen Unrecht getan. Sie waren in der besagten Haushaltsausschusssitzung.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Wie immer haben Sie was Falsches erzählt!)

Das lassen wir einmal dahingestellt sein. Aber Frau Kollegin Gebhard war leider nicht da, die ich in dem Punkt besonders schätze, weil sie sich nämlich im entsprechenden Unterausschuss sehr positiv hinsichtlich unseres Ansinnens geäußert hat, dass es hier ganz maßgeblich auch um eine Angleichung der Entlohnung, Altersversorgung etc. zwischen Tarifbeschäftigten des Landes und verbeamteten Beschäftigten, insbesondere Lehrerinnen und Lehrern, des Landes geht. Da haben Sie im Haushalts- und Finanzausschuss geschwiegen, Herr Kollege Zimkeit. Stattdessen hat Frau Kollegin Lux, die ich selbstverständlich auch sehr schätze, gesagt: Wir verstehen dieses Anliegen. – Das ist ja klar, denn das steht in Ihrem Koalitionsvertrag. Sie sagte weiter: Aber leider Gottes müssen wir Ihren Antrag „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ablehnen.

Das ist die Sozialdemokratie im Hinblick auf das, was Gerechtigkeit im Lande Nordrhein-Westfalen bedeutet. Das ist die Sozialdemokratie, die Sie hier offensichtlich vertreten.

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Kollege, kommen Sie zum Ende.

Sehr geehrter Herr Präsident. Ich komme selbstverständlich zum Ende.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Danke für den Zwischenapplaus, liebe Herrschaften von den regierungstragenden Fraktionen.