Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Antrag auf zusätzliche Kinderkrankentage auch für Beamte halten wir für eine sehr gute Sache. Wie ist die Situation heute? Wir haben es in den vorangegangenen Redebeiträgen schon gehört. Das Kind ist krank, beide Elternteile sind berufstätig, und das Kind sollte natürlich zur Genesung zu Hause bleiben.
Die Vorsichtsmaßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus haben zu einer Verschärfung der Situation geführt, weil Kinder nun auch schon mit leichteren Infekten zu Hause bleiben sollen. Doch unabhängig davon gilt grundsätzlich: Ein krankes Kind gehört weder in die Schule noch in die Kita, es gehört nach Hause und braucht auch Zeit für seine Genesung.
Wir Erwachsenen machen es nicht anders. Wenn wir krank sind, bekommen wir eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit, und zwar so lange, bis wir wieder gesund sind. Ein Kind muss in der Regel in einer Frist genesen, solange es sich die Eltern leisten können, nicht wieder arbeiten zu müssen.
Wir haben das Problem schon lange erkannt und es erst im März dieses Jahres gerade mit Hinblick auf die sich schon ankündigende Coronapandemie zum Thema gemacht. Ich bin etwas überrascht über den Verlauf der Debatte. Ich hatte eigentlich erwartet, dass die Kollegen von der SPD die Rolle rückwärts in die 50er-Jahre befürchten. Das war zumindest noch im März der Fall.
Minister Laumann hat im März festgestellt, dass flexible Arbeitszeitmodelle, die Digitalisierung und die Möglichkeit zur Heimarbeit völlig ausreichten, um Beruf und die Betreuung kranker Kinder unter einen Hut zu bekommen.
Herr Hafke von der FDP machte sich sogar Sorgen – vermutlich sogar berechtigte Sorgen –, dass verbesserte Regelungen zur Betreuung kranker Kinder für Arbeitnehmer dazu führen könnten, dass Eltern und insbesondere Alleinerziehende schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten.
Alle diese Argumente habe ich heute nicht gehört, was mal wieder ein Zeichen dafür ist, wo unsere Debattenkultur angekommen ist. Es zählt überhaupt nicht, was gesagt wird, sondern vielmehr, wer es sagt. Da machen wir allerdings nicht mit. Uns geht es ja um die Sache. Also: Eltern und Kindern mehr Zeit und Geld zu schenken, damit Kinder in Ruhe genesen können, finden wir richtig und gut.
Sie hätten es allerdings auch besser machen können. Das Jahr 2020 neigt sich schon dem Ende zu. Der Winter geht bis Ende März, und vermutlich wird auch die Häufigkeit der Infekte den ganzen Winter über andauern. Die erfreulich geringe Anzahl von schweren Krankheitsverläufen und Todesfällen im Zusammenhang mit Corona haben bisher keine Auswirkungen auf Ihr politisches Handeln und die entsprechenden Schutzverordnungen, sodass vermutlich auch im kommenden Jahr Kinder noch mit einem Schnupfen oder Husten zu Hause bleiben sollen.
Die zeitliche Begrenzung auf 2020 halten wir für falsch und auch für überhaupt nicht nachvollziehbar.
Abgesehen davon sollte das Land Nordrhein-Westfalen als Arbeitgeber Vorbild sein. Beispielsweise ist im Runderlass des Innenministeriums vom 7. Oktober 2008, der den schon erwähnten Sonderurlaub für Beamte aus persönlichen Anlässen regelt, die Gruppe der Alleinerziehenden gar nicht extra genannt und somit auch nicht zusätzlich berücksichtigt. Bei jeder Gelegenheit betonen Sie die besondere Lebenssituation und die Erschwernisse von Alleinerziehenden, aber weder unter Rot-Grün noch unter Schwarz-Gelb wurde hier nachgebessert.
Die Versorgung von Beamten ist Ländersache. Deshalb lohnt sich auch ein Blick auf die anderen Bundesländer. In Sachsen und Baden-Württemberg beispielsweise gibt es keine Schlechterstellung von Beamten gegenüber Arbeitnehmern. Ich vermute, dass auch dort die Beamten zur Herstellung der inneren Ordnung usw. unabdingbar sind, wie es gerade ausgeführt wurde.
Hier ist die Arbeitszeit- und Urlaubsverordnung an § 45 Abs. 2 SGB V angeglichen, allerdings sogar mit dem Vorzug, dass die Beamten natürlich ihre vollen Bezüge erhalten und kein reduziertes Krankengeld.
Auch wenn Ihr Antrag nur an der Oberfläche kratzt und Sie es versäumen, verbeamtete Eltern und Alleinerziehende grundsätzlich zu entlasten, auch wenn die zeitliche Befristung auf das Jahr 2020 aus den genannten Gründen nicht nachvollziehbar ist und auch wenn die Begründung für die verbesserte Regelung zur Betreuung kranker Kinder in unseren Augen viel zu kurz greift, weil sie sich nur auf die aktuelle Situation im Zusammenhang mit der Coronaschutzverordnung bezieht und nicht im Blick hat, dass es dort grundsätzlichen Verbesserungsbedarf gibt, stimmen wir Ihrem Antrag zu.
Um es mit einem Zitat von Helmut Kohl zu sagen: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ – Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Corona stellt die unterschiedlichsten Bereiche vor besondere Herausforderungen. Daher ist es von Bedeutung, dass die öffentliche Verwaltung gut funktioniert. Nur so kann man das Land am Laufen halten, nur so kann der Staat agieren.
Wir haben in den letzten Monaten gemerkt, dass das funktioniert hat. Wir haben es geschafft, konkret die Menschen, die bei der Landesverwaltung und in den Kommunen in Nordrhein-Westfalen arbeiten. Der öffentliche Dienst erfüllt in diesen schwierigen Zeiten mit besonderem Einsatz seine Aufgaben, und zwar im Dienst der Bürgerinnen und Bürger. Es kommt gerade auf die Beschäftigten im großen Team des Landes und der Kommunen an. Deshalb richte ich einen herzlichen Dank an alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Landes und der Kommunen in NordrheinWestfalen.
Wir haben aber auch Erschwernisse im Zusammenhang mit COVID-19 festgestellt, die vor den Kolleginnen und Kollegen nicht haltmachen. Viele Kollegen haben es eben schon vorgetragen. Was passiert, wenn ein Kind in den nächsten Monaten krank wird? Bei Symptomen, die auf Infektionen mit dem Coronavirus hindeuten können, ist der Besuch von Kita und Schule nicht angebracht. Was dann? Großeltern kommen bekanntlich – das ist die klare Erkenntnis dieser Zeit – für die Betreuung nicht infrage. Eltern sind also in der Pflicht, das erkrankte Kind zu pflegen oder zu Hause zu betreuen. Das wird in der kommenden Zeit sicherlich noch häufiger vorkommen.
Ebenso wie die antragstellenden Fraktionen und diejenigen, die heute schon vorgetragen haben, begrüßt die Landesregierung die aktuelle Entscheidung des
Bundes, die Kinderkrankentage für 2020 befristet zu erhöhen. Auch im Kabinett haben wir genau in diesem Sinne beraten und einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet.
Die bundesgesetzliche Regelung gilt zwar für den Tarifbereich des öffentlichen Dienstes, konkret für die gesetzlich Krankenversicherten, sie gilt aber nicht automatisch auch für die Beamtinnen und Beamten in Nordrhein-Westfalen. Uns ist es jedoch wichtig, dass die Beamtinnen und Beamte genauso unterstützt werden; denn sie stehen vor den gleichen Herausforderungen wie gesetzlich versicherte Eltern.
Als Dienstherr hat das Land Nordrhein-Westfalen gerade in diesen Zeiten eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Vielleicht ist jetzt auch das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ noch bedeutsamer.
Wir wollen auch den verbeamteten Eltern, die schon von der bestehenden Gleichstellungsregelung profitieren, für 2020 entsprechend mehr Sonderurlaubstage zur erforderlichen Betreuung ihrer Kinder gewähren. Das heißt ganz konkret: pro Kind fünf Tage mehr, maximal 35 Tage pro Kalenderjahr. Bei Alleinerziehenden sind es sogar zehn Tage zusätzlich pro Kind; das können dann noch wesentlich mehr werden.
Deswegen soll die bereits bestehende Regelung im Landesbeamtenrecht angepasst werden. Die nächsten Wochen werden sicherlich noch einige Herausforderungen für uns alle bereithalten, ob dienstlich oder privat.
Was die Arbeit angeht, ist der öffentliche Dienst in Nordrhein-Westfalen gut aufgestellt. Es gibt eine gute technische Ausstattung der Arbeitsplätze. Wir haben zahlreiche Dienstvereinbarungen zur Anwendung von Telearbeit und mobilem Arbeiten. Es gibt ein umfassendes Regelwerk zum Sonderurlaub im öffentlichen Dienst, um dienstliche und familiäre Belange der Beschäftigten in diesen Zeiten miteinander in Einklang zu bringen.
Das löst natürlich nicht alle Probleme, das ist klar. Aber es ist in jedem Fall eine Hilfe für die Beschäftigen. Ich bin mir ganz sicher: Gemeinsam können wir damit auch diese schwierige Situation meistern. – Herzlichen Dank.
Wir kommen damit zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion von CDU und FDP haben direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt dem Inhalt des Antrags zu? – CDU, FDP, SPD, Grüne und AfD sowie die beiden fraktionslosen Abgeordneten Herr Neppe
und Herr Langguth. Gibt es Gegenstimmen? – Gegenstimmen gibt es nicht. Gibt es Enthaltungen? – Die gibt es auch nicht. Damit ist der Antrag Drucksache 17/11161 einstimmig angenommen.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Junge, der mir gegenübersaß, erbrach seine Linsensuppe auf den Teller und wurde dann dazu verdonnert, den Teller mit dem Erbrochenen komplett leer zu essen. – Das ist das Erlebnis eines Mannes, der als Zwölfjähriger auf eine Kinderkur geschickt wurde.
Sucht man den Kontakt mit Menschen, die in jungen Jahren ohne Eltern auf vermeintliche Kuraufenthalte gesandt wurden, wird man derartige Schilderungen immer wieder zu hören bekommen. Oft hatten diese Aufenthalte nur ein Ziel: Gewicht zuzulegen.
Der Zwang, aufzuessen, selbst wenn die Kinder derart übersättigt waren, dass sie sich erbrachen, ist bei all dem Ekel, den man dabei empfindet, noch eine der harmloseren Arten von Gewalt gewesen, die kleinen Kindern angetan wurden.
Die Praxis der Kinderverschickung begann in den 1950er-Jahren. Kinder, oft erst fünf, sechs, sieben Jahre alt, wurden abtransportiert und über Wochen in Heimen untergebracht. Bis in die 90er-Jahre wurden so mehr als 10 Millionen Kinder verschickt.
Nicht in allen, aber in viel zu vielen Heimen erlebten die Kinder furchtbare Torturen. Ihnen wurden unbekannte Medikamente verabreicht, oder sie wurden mit Beruhigungsmitteln sediert. Sie wurden gequält, erniedrigt, drangsaliert und standen in der Ferne mitunter Todesängste aus. Prügel, auch mit dem Rohrstock, gehörten zu den gängigen Methoden, um Kindern Ruhe und Gehorsam aufzuzwingen. Um nichts in der Welt wollten Kinder zu den Bettnässern gehören; denn die wurden vorgeführt und gedemütigt.
Diese Schwarze Pädagogik war zu keinem Zeitpunkt eine angemessene Erziehungsmethode. Sie war häufig geprägt von Altnazis, die in den Kinderkurheimen ein neues Betätigungsfeld gefunden hatten.
Jahrzehnte möglich waren, und es lässt auch mich persönlich beschämt zurück, dass mir bis vor Kurzem diese Schicksale nicht bekannt waren.
Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat sich mit diesem Kapitel deutscher Geschichte bisher nicht befasst. Doch Nordrhein-Westfalen hat hier eine Verantwortung; denn mehr als 170 dieser Kurheime gab es in unserem Bundesland. Vor allem aber waren es Millionen an nordrhein-westfälischen Kindern, die verschickt wurden. Allein im Jahr 1963 waren es mehr als 200.000.
Bis heute haben zahlreiche Betroffene ihre traumatischen Erfahrungen nicht vollständig verarbeiten können. So berichtete eine Frau vom Badetag. Die Kinder wurden im Anschluss mit eiskaltem Wasser abgespritzt. Auf den, der jammerte oder bei den Erzieherinnen unbeliebt war, wurde der Schlauch extra lange gehalten. Noch heute hat diese Frau Probleme, eine Dusche zu nutzen.
Über Jahrzehnte war das Thema „Kinderverschickung“ mit einer großen Sprachlosigkeit verbunden. Ein Hinterfragen war kaum möglich. Zitat: Die Autorität von Ärzten war unglaublich. Was ein Arzt gesagt hat, war gottgleich, und deshalb war auch alles, was dort geschah, richtig.
Auch später war oft niemand da, an den sich die Betroffenen mit ihren Gefühlen und ihrer Scham wenden konnten. Erst langsam gelingt es, diese Situation zu überwinden. Da hilft es, dass sich ehemalige Verschickungskinder in Selbsthilfegruppen organisieren. Ihre Arbeit hat Unterstützung verdient.
Tausende Betroffene rein ehrenamtlich zu betreuen, wird auf Dauer nicht möglich sein. Hier muss eine Geschäftsstelle im Land eingerichtet werden.
Wir brauchen auch wissenschaftliche Aufarbeitung, und der Zugang zu staatlichen Archiven muss erleichtert werden. An einem runden Tisch sollten alle Beteiligten zusammengeführt werden, um die Aufklärung gemeinsam voranzutreiben. Warum hat der Staat nicht hingeschaut, was hinter den Mauern von Kinderkurheimen passierte? Wer trug die Verantwortung? Wer hat davon finanziell profitiert?