Protokoll der Sitzung vom 08.10.2020

Heute – so schließt sich dann letztlich der Kreis – fordert die AfD in Nordrhein-Westfalen einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Abläufen und zu den Reaktionen auf die Infektionen mit dem Coronavirus.

Es gibt drei ganz unterschiedliche, aber grundlegende Gründe dafür, warum wir das hier gerne vorbringen wollen:

Für uns ergeben sich an verschiedenen Punkten hinreichende Verdachtsmomente für Verfehlungen der Regierung. Ich werde einige davon exemplarisch nennen; ich habe zwar nur acht Minuten Redezeit, aber einige werde ich exemplarisch herausgreifen.

Das fing schon ganz am Anfang der Krise an, als wir bei den ersten Malen, an denen wir zusammengekommen sind – damals noch in Präsenzsitzungen –, im Ausschuss miteinander debattierten und ich unter anderem die Frage an den Minister adressierte: Was machen wir eigentlich, wenn die Strategie des Robert Koch-Instituts der Fallnachverfolgung nicht aufgeht?

Die Antwort war: Wir haben keine Zweifel daran, dass diese Strategie funktioniert.

Damals war schon klar, dass sich das Land Nordrhein-Westfalen mit geschlossenen Händen im Spurt in den Rosengarten begibt, denn weitere Anfragen unserer Fraktion haben ergeben:

Es wurde an Flughäfen nicht vernünftig kontrolliert, wer aus Risikogebieten zu uns kam, wer vielleicht schon infiziert war.

Es wurden keine Hotspots kontrolliert. Als schon bekannt war, dass Menschen aus Ischgl zum Beispiel wieder zu uns eingereist sind, hat man nicht

vernünftig nachvollzogen, wo diese Menschen jetzt sind und mit wem sie Kontakt hatten.

Das war eine gute Strategie des Robert Koch-Instituts. Das Robert Koch-Institut ist in der Krise durchaus ein paar Mal in die Kritik geraten, was auch daran liegt, dass das Robert Koch-Institut eben keine Politik macht, sondern ein Gremium ist, das die Politik berät.

Man kann aber nicht sagen: Wir haben durchgeführt, was das Robert Koch-Institut gesagt hat. – Das Robert Koch-Institut hat eine Strategie vorgegeben. Wenn man dieser Strategie aber von Anfang an keine Chancen einräumt, weil man eben nicht einmal die Grundlagen dafür schafft, dass diese Strategie auch tatsächlich funktionieren kann, braucht man sich nicht darüber zu wundern, dass sich diese Erkrankung auf einmal in dem Maße ausbreitet, wie wir es erlebt haben.

Wir haben die schrecklichen Bilder aus Italien gesehen und auch einen Wandel in der Wahrnehmung in der Medienlandschaft in Deutschland erlebt. Auf einmal war es nicht mehr – die „FAZ“ schrieb es noch im März – die Erkrankung, die vielleicht mit der Grippe zu vergleichen ist. Auf einmal war es nicht mehr so, dass die Krankenhäuser gut auf diese Erkrankung vorbereitet waren.

Auf einmal fehlte bei uns auch das Schutzmaterial. Vorher hieß es aber noch: Wir sind gut vorbereitet. Wir haben alles gemacht. – Auf einmal musste selbst die Altenpflegerin im Altenheim unter Umständen Patienten behandeln, ohne dafür das nötige Schutzmaterial zu haben.

Versetzen Sie sich einmal in diese Situation: Sie haben Meldungen darüber, dass massenweise Menschen sterben, dass wir eine Erkrankung haben, an der vielleicht 10 % der Menschen sterben werden, insbesondere viele Menschen – so hieß es am Anfang – aus dem Gesundheitssektor.

Mit diesem Wissen werden Sie jetzt von Ihrem Arbeitgeber und vom Land Nordrhein-Westfalen in eine Situation geschickt, in der Sie Menschen pflegen müssen, ohne das nötige Schutzmaterial dafür zu haben. – Schwierig. Das sind einige exemplarische Verfehlungen, die ich herausgegriffen habe.

Auf der anderen Seite haben wir eine Situation erlebt, in der das Parlament über einige Wochen, ja fast Monate nicht in dieser Art und Weise regiert hat und nicht in der Art und Weise mit der Situation umgegangen ist, wie wir es sonst in einer parlamentarischen Demokratie gewohnt sind.

Stattdessen gab es viele Dinge, die einfach über Erlasse und Verfügungen gemanagt wurden. Das ist in einer Krisensituation auch durchaus angebracht und auch durchaus gut; aber in einer vernünftigen parlamentarischen Demokratie muss die Phase kommen, in der das Parlament das Kommando zurücknimmt und wieder das Heft in die Hand bekommt.

Ich und meine Fraktion sind der Meinung, dass es sich dann durchaus auch gehört, diese Zeit genauer betrachten, in der das eben nicht der Fall war, in der das Parlament nicht alleine das Heft in der Hand hatte, in der wir viele unserer Kompetenzen abgegeben haben, in der wir Anhörungen für Gesetze hatten, die durchgepeitscht werden sollten, bei denen sich hinterher herausstellte, dass einige sehr große Bedenken bei dem hatten, was die Regierung vorhatte.

Jetzt sollte dem Parlament die Möglichkeit gegeben werden, sich diese Situation, diese Phase, die wir über Wochen hinweg hatten, noch einmal genauer anzugucken und nachzuvollziehen: Was ist eigentlich genau im Einzelnen passiert? Was ist eigentlich genau vorgenommen worden? War das immer verhältnismäßig? War das immer zur richtigen Zeit? Wurde vernünftig abgewogen?

Ich habe es am Anfang ausgeführt: Es gibt erhebliche Zweifel daran, dass in vernünftiger Weise abgewogen wurde und alle vernünftigen Quellen herangezogen wurden, um die Entscheidungen zu treffen.

Es gibt Verdachtsmomente, dass an dieser Stelle mal wieder Bilder regiert haben und nicht die Ratio. Es ist der Politik leider zu eigen, dass nicht immer nur die Vernunft regiert, sondern man sich auch von Bildern leiten lässt.

Dann gibt es eine dritte Säule, auf der unser Anliegen fußt, wenn wir über einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss sprechen: die Reaktion, die Sie draußen mitbekommen. Viele Menschen verstehen nicht, was passiert. Viele Menschen verstehen auch die Einschränkungen nicht.

Sie haben in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss die Möglichkeit, Antworten zu geben. Es geht nicht zwangsweise darum, dass etwas falsch gelaufen ist. Am Ende kann auch stehen, dass Sie alles richtig gemacht haben; das würde ich Ihnen sogar gönnen. Es wäre doch super, wenn wir gemeinsam feststellen, dass alles gut gelaufen ist, dass Sie recht gehabt haben.

Sie haben in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss die Möglichkeit, all denen die offenen Fragen zu beantworten, die jetzt draußen Woche für Woche demonstrieren. Es sind Abertausende, die jede Woche irgendwo draußen sind, teilweise bei schlechtem Wetter, teilweise unter schlechten Bedingungen.

Das ist nur die Spitze des Eisbergs derer, die sich nicht abgeholt fühlen. Es ist eine besondere Ausdrucksform, sich zu einer Demo hinzubegeben. Es gibt, glaube ich, viele mehr, die damit nicht einverstanden sind, für die aber der Schwellenwert nicht überschritten ist, sich zu einer Demo zu begeben und sich dort mit Leuten auseinanderzusetzen.

Sie haben also die Möglichkeit, all denen Ihr Handeln vernünftig zu erklären. Sie brauchen sich nicht darüber zu wundern, dass in einer Situation, in der sich so viele nicht abgeholt fühlen, so viele Verschwörungstheorien auf einmal aufpoppen, denn es ist den Menschen zu eigen, sich in einer Situation, in der sie keine Antworten haben, selber irgendetwas zusammenzureimen.

Vieles davon ist hanebüchen und absolut düster. Nutzen Sie doch die Gelegenheit, diesen Verschwörungstheorien die Tür zuzuschlagen, indem Sie einfach die Antworten auf die offenen Fragen liefern. Wenn Sie das nicht machen, brauchen Sie nicht wütend darüber zu sein, wenn sich die Leute selber irgendwelche teilweise hanebüchenen Antworten suchen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Dr. Vincentz. – Jetzt spricht für die CDU-Fraktion Herr Kerkhoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Vincentz, ich weiß gar nicht, wem diese ganze Besserwisserei nützen soll. Es ist doch klar, wo Defizite gelegen haben. Dass die Schutzausrüstung nicht in ausreichendem Maße vorgehalten wurde, wissen wir doch mittlerweile alle.

Ich finde aber, dass sich dieser Antrag eignet, um etwas über das Wesen der AfD zu lernen.

(Zurufe von der AfD)

Sie mimen hier die besorgten Bürger, die aufrechten Demokraten, den interessierten Fragesteller, was man jetzt alles mal erörtern müsste, aber in Wahrheit treibt Sie doch etwas ganz anderes um:

(Zurufe von der AfD – Sarah Philipp [SPD]: Hören Sie doch mal zu!)

Sie wollen die Coronakrise vor dem Hintergrund der parteipolitischen Nützlichkeit für Sie untersuchen.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Sie betrachten diese Krise als ein Werkstück. Sie schauen sich das an und überlegen, wie sich daraus Profit ziehen lässt.

Sie suchen dabei die Zustimmung derer, die persönlich von Einschränkungen betroffen sind, im Übrigen sogar gegen deren Willen: Die Veranstaltungswirtschaft hat sich dagegen verwahrt, von Ihnen instrumentalisiert zu werden.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das ist – das muss man, bevor man über den Antrag redet, vor die Klammer ziehen – Ihr Geschäftsmodell.

Nach Kritik an Eurorettung und der Kritik an Flüchtlingen ist jetzt eben die Kritik an Corona und den Folgen Teil Ihres Geschäftsmodells.

Sie sind als Partei und als Fraktionen in ganz Deutschland von unterschiedlichen Skandalen, Parteifinanzierung, Auflösung Ihrer Fraktionen und Rechtsextremismus in weiten Kreisen Ihrer Partei geschüttelt.

(Zuruf von der AfD: Reden Sie doch mal zu dem Antrag!)

Das mache ich gleich. Ich sagte ja: Ich ziehe ein paar Dinge vor die Klammer, die wichtig sind, um zu verstehen, was Sie vorhaben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Christian Loose [AfD]: Peinlich sind Sie! – Weitere Zu- rufe von der AfD)

An Ihnen ist nichts bürgerlich. Die Beweise dafür, dass Sie so denken und handeln, wie ich das beschreibe, kommen mitten aus Ihrer Partei. Ich erinnere an das Gespräch von Christian Lüth, in dem er gesagt hat: Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.

Es geht erst einmal um den Erhalt der Partei. Meinen Sie ernsthaft, dass sich diejenigen in Bund und Ländern bei den Coronamaßnahmen zuerst darüber Gedanken gemacht haben, wovon eine Partei – egal welcher Farbe – am ehesten profitieren kann? Glauben Sie das im Ernst?

Das sind die Unterschiede zwischen den Parteien. Wir diskutieren hier im Landtag in der Sache, ringen um den besten Weg, streiten darüber, manchmal auch heftiger.

Ihr Geschäftsmodell ist es jedoch zu schauen, mit welchem Thema man am meisten öffentliche Aufregung und Empörung hervorrufen kann.

Nachdem klar war, dass die Maßnahmen gegriffen haben, dass wir im Frühjahr zunächst einmal über die Schwelle des Schlimmsten hinweggekommen waren, sind Sie auch in den Gremien, in denen wir gemeinsam sitzen, umgeschwenkt und haben Dinge infrage gestellt, die vorher nie zur Debatte standen.

Das ist – das ist mir wichtig; deshalb habe ich es am Anfang gesagt – die Folie, vor der man Ihren Antrag, Ihr Verhalten in dieser ganzen Coronapandemie betrachten muss.