Protokoll der Sitzung vom 08.10.2020

Einmal mehr demonstrieren die Damen und Herren zu meiner Rechten leider das genaue Gegenteil.

Es ist kein gutes Beispiel für die Reden und die Argumentationskultur in diesem Hause, dass Sie die Sachzusammenhänge durch das bewusste Auslassen zentraler Details in Ihrem Sinne umdeuten.

So präsentieren Sie uns die Ct-Wert-Problematik als Beleg für die Generalkritik an der Coronateststrategie.

Dabei fällt Ihre Argumentation zusammen wie ein Kartenhaus, wenn man sich nur die Mühe macht, den Originaltext, aus dem sie stammt – „gerissen ist“ trifft es in diesem Fall besser –, in voller Länge zu lesen. Ich darf an dieser Stelle aus dem „Tagesschau“-Artikel zitieren, den Sie selbst formal korrekt in Fußnote 2 Ihres Antrags aufgeführt haben. Zitat:

„… zweitens müsse man klären, ob der positiv getestete Patient sich in der Phase einer ansteigenden oder absteigenden Infektion befinde. Doch diese letzte Frage lasse sich nur klären, indem man bei Patienten mit einem Ct-Wert von mehr als 30 kurz darauf einen zweiten Test mache.“

Meine Damen und Herren, so einfach, wie Sie behaupten, ist es in Wahrheit keineswegs. Allein auf Basis eines Ct-Werts lässt sich keine – ich zitiere noch einmal aus Ihrem Antrag – „Differenzierung zwischen einer Besiedlung mit Viruspartikeln und einer tatsächlichen Infektion“ vornehmen. Wirklich belastbare Erkenntnisse lassen sich nur in Verbindung mit einer zweiten Testreihe erzielen.

Was Sie uns hier als vertrauensvollen Umgang mit Corona darzustellen versuchen, ist gemessen an der Wirklichkeit nichts anderes als eine Mogelpackung. Trotzdem werden wir der Überweisung des Antrags in den Ausschuss zustimmen. Aber ich mache Ihnen nicht viel Hoffnung, dass wir dem Antrag dann auch zustimmen werden. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Nettekoven. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Yüksel das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Vincentz, das kommt davon, wenn man Äpfel mit U-Booten vergleicht. Sie haben die MERS-Geschichte von 2014 mit der heutigen Situation verglichen. MERS hat weltweit zu insgesamt rund 1.000 Toten geführt. Wir sind jetzt bei mehr als 1 Million Toten durch das Coronavirus.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Sie haben auch schon bei der heutigen Debatte über Ihren Antrag auf Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses signalisiert, dass es Ihnen – diesen Verdacht werde ich heute nicht los – um eine Diskreditierung und Verharmlosung der Geschichte geht. So werden Sie dem Thema nicht gerecht.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und Susanne Schneider [FDP])

Sie sollten als Arzt wissen – das möchte ich zu Beginn sagen –, dass jedes Testverfahren falsch-positive und falsch-negative Ergebnisse ausweist.

(Dr. Martin Vincentz [AfD]: Ja, eben!)

Es liegt schlichtweg in der Natur der Sache, dass kein Test absolut zuverlässig ist. Das Ausmaß der Fehlerquote ist allerdings von einigen Faktoren abhängig – diese hätten Sie erwähnen müssen –, zum Beispiel dem Verbreitungsgrad der Erkrankung, der Korrektheit der Probeentnahme, den Umständen beim Probetransport und dem Untersuchungszeitpunkt. Das sind wichtige Parameter im Zusammenhang mit der Fehlerquote.

Jetzt bei der Virusbekämpfung, wo die Leute ohnehin verunsichert sind, den PCR-Test zu verunglimpfen, wird der Sache nicht gerecht – und schon gar nicht der wissenschaftlichen Erforschung und insbesondere nicht der Infektiosität des Coronavirus, bei dem wir zum Teil wirklich noch in den Kinderschuhen sind.

Wir brauchen eine einheitliche Teststrategie. Es kann nicht sein – da gebe ich Ihnen recht –, dass wir zum Beispiel in Baden-Württemberg beim PCR-Test in 80 % der Fälle den Ct-Wert mitgeliefert bekommen, also nicht nur das positive oder negative Testergebnis, während in Nordrhein-Westfalen in 80 % der Fälle nur das positive oder negative Testergebnis kommt.

Zu schlussfolgern, dass ein hoher Ct-Wert den Ausschlag dafür gibt, dass keine Infektiosität mehr vorhanden ist, ist allerdings grundfalsch. Wenn Sie wirklich 30 Runden gedreht haben, um Virusmaterial nachzuweisen, könnten Sie auch am Anfang einer Infektion stehen. Dann müssen Sie konsequenterweise sagen: Wenn wir den Ct-Wert mitliefern und feststellen, dass jemand einen Ct-Wert über 30 hat, muss man einen Tag oder zwei Tage später den Test wiederholen, um zu schauen, ob er am Beginn einer Infektiosität war. – Sie wissen: Gerade bei Kindern und älteren Menschen verhält sich der PCR-Test sehr unterschiedlich.

Deshalb ist es wichtig, wenn man von einer Teststrategie spricht, dass man den Leitlinien des Robert Koch-Instituts folgt und dass es in den Laboren einheitliche Standards gibt, sodass wir nicht in die Situation kommen, dass ein Test in den Laboren unterschiedlich detektiert wird.

Stellen Sie sich doch einmal umgekehrt vor, der Test wäre nicht so sensitiv, wie er jetzt ist, und es würde ständig von Fällen berichtet, bei denen der Test nicht ausgeschlagen hat, obwohl er es hätte tun müssen. Wenn wir den Ct-Wert herunterfahren und Leute haben, die eigentlich positiv und sogar infektiös sind, aber negativ getestet wurden, dann möchte ich einmal wissen, welche Diskussion wir hier im Landtag darüber hätten, dass wir Tests zulassen, die nicht sensitiv genug sind.

Aus meiner Sicht ist es ganz wichtig, dass wir hier durch die Art der Argumentation, die wir untereinander im Parlament pflegen, den Vertrauensverlust nicht weiter vertiefen.

Die Menschen erwarten von uns, insbesondere von den Fachpolitikern, vernünftige Antworten darauf, wie wir damit umzugehen haben.

Herr Kollege …

Wichtig ist, es muss eine einheitlich abgestimmte Teststrategie in ganz Deutschland geben. Insbesondere müssen wir uns anschauen, dass es, was die asymptomatischen Patienten und die regionalen Einschätzungen des Gesundheitsdienstes angeht, angepasst wird.

Ich rate uns nicht, dass wir in Düsseldorf das eine machen und in Baden-Württemberg das andere gemacht wird; vielmehr muss von den Leitlinien des RKI her klar sein, wie in Deutschland insgesamt getestet wird, damit wir bei einem positiven oder negativen Test auch von einem positiven oder negativen Ergebnis ausgehen können.

Herr Kollege, Sie hatten vorhin das Thema „Antworten“ angesprochen. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Dr. Vincentz.

Bitte sehr.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Yüksel, Sie haben gerade meinen Forderungsteil sehr gut wiedergegeben, aber meine Darstellung dann ein Stück weit aus dem Zusammenhang gerissen. Ich habe ja auf die Möglichkeit der Heranziehung des Ct-Wertes hingewiesen, und Sie haben dann auch sehr gut dargestellt, wie man zu testen hat, wenn man den Ct-Wert mit einbezieht. Aber in meinem Forderungsteil habe ich das im Prinzip offengelassen.

Kommen Sie zur Frage.

Absolut. – Ich habe ja gesagt, dass wir uns dann, wenn wir den Ct-Wert mit einbeziehen, eine gemeinsame Teststrategie überlegen müssen.

Wären Sie dazu bereit – der Antrag wird ja jetzt überwiesen –, mit mir im Ausschuss genau über solche Fragen noch einmal zu sprechen?

Zu einer Überweisung sind wir immer bereit, damit wir das vertiefen können. Aber der diametrale fachliche Unterschied zwischen dem, wie Sie es hier dargelegt haben, und dem, wie ich es sehe, besteht darin: Man kann den sensitiven Test nicht dadurch diskreditieren, dass man sagt, es würden viel zu viele Leute positiv getestet, die nicht infektiös seien und dann nicht in Quarantäne müssten. – Ich sage: Wir brauchen diesen sensitiven Test.

(Dr. Martin Vincentz [AfD]: Das sage ich ja!)

Das hörte sich bei Ihnen gerade anders an. Wir können das aber gerne im Fachausschuss miteinander diskutieren.

Wichtig ist: Wir brauchen auf jeden Fall eine konsequente und insbesondere abgestimmte Teststrategie im Land Nordrhein-Westfalen und auch in Deutschland. Wir sollten uns an den Leitlinien des Robert Koch-Instituts orientieren, und es sollte nicht jeder sein eigenes Süppchen kochen, wie es manchmal auch gefordert wird. Das ist für uns die wissenschaftliche Basis dafür, wie wir unsere Entscheidungen im politischen Raum evidenzbasiert zu treffen haben. Vielleicht kriegen wir es insoweit aufgelöst, dass wir dann nicht mehr Äpfel mit U-Booten vergleichen. Wir werden das im Gesundheitsausschuss gerne fachlich vertiefen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Yüksel. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der FDP Frau Abgeordnete Kollegin Schneider das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wundert hier keinen, aber trotzdem ärgert es mich, dass die Fraktion, die hier rechts von mir sitzt, einen Antrag vorlegt, der den Coronaleugnern und damit den Menschen, die nicht verantwortungsvoll mit dieser Pandemie umgehen, Futter gibt.

Sicher kann man die Aussagekraft von PCR-Tests wissenschaftlich differenziert bewerten. Wer aber den Eindruck erwecken möchte, dass ein großer Teil der Tests fälschlicherweise positiv sei und dass auch Menschen mit nachgewiesener Infektion nicht ansteckend seien, der lässt letztlich die Interpretation offen, dass gar keine Gefahr bestehen würde. Verharmlosung ist hier jedoch ebenso gefährlich wie Angst- und Panikmache.

Der vorliegende Antrag ist aber auch hinsichtlich der Forderung nach einer Teststrategie verfehlt.

Nordrhein-Westfalen hat bereits eine Teststrategie, und im Gegensatz zu Forderungen auch aus rot-grüner Richtung oder auf Bundesebene aus blau-weißer Richtung hat sich die NRW-Koalition aus Union und FDP gegen anlasslose Massentestungen symptomloser Menschen ausgesprochen. Wir setzen vielmehr auf gezielte konkrete Testungen, die sich an den jeweiligen lokalen Gegebenheiten orientieren und sich auf Schwerpunkte des Infektionsgeschehens konzentrieren.

(Beifall von der FDP)

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, was bedeutet aber wirklich ein verantwortungsvoller Umgang mit Corona? Da bin ich sehr nahe bei Professor Streeck. Wir dürfen nicht panisch auf die steigenden Infektionszahlen schauen, wir müssen vielmehr das Gesamtbild der Lage betrachten: Steigt der Anteil der positiven Tests deutlich an? Wie entwickeln sich die Zahl der Neuaufnahmen in den Krankenhäusern und die Zahl der schweren Fälle im intensivmedizinischen Bereich? Und: Wie viele freie Kapazitäten haben wir auf unseren Intensivstationen?

Wir werden auch nicht allein mit der Androhung von Verboten und Einschränkungen, mit der Einführung von Sperrstunden und Alkoholverkaufsverboten und mit immer mehr blödsinnigen Reisebeschränkungen durch den Winter kommen. Wir brauchen vielmehr pragmatische Lösungen, die unter den Bedingungen der Pandemie ein öffentliches Leben ermöglichen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Mir sind Veranstaltungen in Gaststätten, Konzertsälen und Stadien mit vernünftigen Hygienekonzepten lieber als eine Verdrängung des sozialen Lebens, was letztendlich in Einsamkeit endet.

(Beifall von der FDP)

Dazu brauchen wir Mut, Mut, um auszuprobieren, welche Infektionsschutzmaßnahmen und welche Hygienekonzepte funktionieren. Die Einführung einer Innovationsklausel auf Betreiben unseres liberalen Wirtschaftsministers Professor Pinkwart zeigt da die Richtung an. Wir müssen auf diesem Weg lernen, wie wir verantwortungsvoll mit Corona umgehen.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, ich wünsche mir, dass wir alle vorsichtig bleiben, so vorsichtig wie nötig, aber auch so mutig, um die Konzepte, die uns inzwischen vorliegen, anzunehmen, zum Wohle der Wirtschaft in unserem Land, zum Wohle der Arbeitsplätze in unserem Land und zum Wohle der Menschen in NRW. – Ich danke Ihnen.