Protokoll der Sitzung vom 12.11.2020

Herr Engstfeld, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Der Kollege Engstfeld redet frei, hat kein Papier und kann somit auch nichts liegen lassen.

(Henning Höne [FDP]: Redet vor allem von sich in der dritten Person!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Situation psychisch erkrankter Inhaftierter in unseren Justizvollzugsanstalten muss dringend verbessert werden. Der Bericht der Expertenkommission, der uns im Juli 2019 erreicht hat, war alarmierend.

Wir Grünen haben daraufhin sehr schnell im September 2019 einen eigenständigen Antrag zur Verbesserung der Situation in das Parlament eingebracht. Dazu hat eine Anhörung im Rechtsausschuss stattgefunden. Auf Bitten der anderen Fraktionen haben wir unseren Antrag zugunsten einer interfraktionellen Lösung zurückgezogen. Ich bin sehr froh, dass wir es geschafft haben, dieses Thema interfraktionell aufzugreifen und erste Schritte zu gehen.

Die Situation in den Justizvollzugsanstalten ist gerade sehr, sehr schlimm. Es ist eine riesige Belastung nicht nur für die Inhaftierten, sondern vor allem auch für die Bediensteten, weil es uns letztlich an ambulanten, an stationären Behandlungsmöglichkeiten fehlt. Die Suizidprävention muss weiter ausgebaut werden. Insbesondere für psychisch erkrankte Frauen ist die Situation äußert mangelhaft.

Dieser Antrag heute ist ein erster Schritt. Es wird jetzt darauf ankommen, dass wir das zeitnah umsetzen, seien es die baulichen Maßnahmen, wie beim Justiz

vollzugskrankenhaus in Fröndenberg, seien es andere Dinge.

Unsere Aufgabe wird es sein, nicht nur nach diesem Beschluss und nach den Empfehlungen der Expertenkommission, sondern auch nach der Arbeit im Koordinierungskreis, jetzt in die Umsetzung zu gehen.

Wir werden Sie, Herr Minister, genau dabei beobachten und das Thema, wie es bisher unsere Rolle war, weiter vorantreiben. Ich hoffe, dass wir in einigen Jahren, denn es wird lange dauern, eine deutlich verbesserte Situation in unseren Justizvollzugsanstalten haben werden.

Es ist für alle eine Tragödie. Viele der psychisch erkrankten Inhaftierten, die keine Behandlungsoption haben, sind dort einfach an der falschen Stelle. Aber auch die Bediensteten sind betroffen. Wir haben vom Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands gehört, dass die Belastung, die auch menschlich natürlich ein Riesenproblem ist, in den Dienstbesprechungen in den Justizvollzugsanstalten fast immer das Topthema ist. So wie es jetzt ist, ist niemandem geholfen.

Wir fangen heute an. Das ist gut und richtig so, aber es gibt noch sehr viel zu tun. Wir werden dranbleiben, weil es ein Thema ist, das unsere Justizvollzugsanstalten enorm belastet. Hier ist dringend Abhilfe geboten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Werner Pfeil [FDP] – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Danke schön, Herr Engstfeld. – Nun hat Herr Röckemann für die AfDFraktion das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 21.08.2019 wurde fraktionsübergreifend zu einer Kommission mit dem wohlklingenden Namen „Koordinierungsrunde zu der Expertenkommission zu Optimierungsmöglichkeiten im Justizvollzug auf den Gebieten des Brandschutzes, der Kommunikation und der psychischen Erkrankungen“ durch den Minister der Justiz, Herrn Biesenbach, eingeladen.

Die erste konstituierende Sitzung fand am 15.11.2019 statt, Anlass war der Bericht der Expertenrunde zu den Optimierungsmöglichkeiten im Justizvollzug. Mitglieder der Kommission waren jeweils Vertreter des Ministeriums, Abgeordnete aller Fraktionen sowie die jeweiligen Fachreferenten aller Fraktionen.

Es wurden die insgesamt 53 Empfehlungen der Expertenkommission zu den jeweiligen Bereichen „Brandschutz“, „Kommunikation“ und „psychische Erkrankungen“ in 14 Sitzungen besprochen. Es wurden Anhörungen mit Sachverständigen durchge

führt. Meiner Meinung nach war Herrn Minister Biesenbach sichtlich daran gelegen, diese großen drei Thematiken sachlich zu besprechen.

Trotz aller Widrigkeiten – und alle Beteiligten erinnern sich wahrscheinlich noch an die Probleme bei der Terminfindung – wurde letztendlich über jede einzelne Empfehlung gemeinsam gesprochen. Tatsächlich haben wir es geschafft, beinahe ausnahmslos einvernehmlich über die vorgeschlagenen Maßnahmen abzustimmen.

Und nun? Nun kommen Sie, meine Damen und Herren von CDU, SPD, FDP, Bündnis 90, mit einem Antrag, in dem Sie sich auf die Ausarbeitung der Expertenkommission in der gemeinsamen Koordinierungsrunde beziehen. Meine Damen und Herren Kollegen, so ein Verhalten hat ausschließlich mit Parteipolitik zu tun. Sie verkaufen große Teile fremder Arbeit als die eigene. Das ist charakterlos, und das ist schäbig.

(Beifall von der AfD)

Sie haben die guten Absichten des Ministers Biesenbach ins Gegenteil verkehrt und betreiben so mit Ihrem gemeinsamen Antrag billige Propaganda auf Kosten der Inhaftierten. Sie instrumentalisieren die Expertenkommission, um Augenwischerei zu betreiben.

Dabei haben Sie, meine Damen und Herren Kollegen der unheiligen Großkoalition, die Missstände, die behoben werden sollen, allesamt selbst zu vertreten. Redlich wäre es, wenn Sie diese Tatsache in Ihrem dann doch gemeinsamen Antrag vorangestellt hätten. Die Präambel hätte dann lauten müssen: Wir, die Parteien von CDU, SPD, FDP und Grünen, haben in den vergangenen Jahren in wechselnder Zusammensetzung in Bezug auf Brandschutz, Kommunikation und psychische Erkrankungen im Justizvollzug ziemlich geschlafen und geloben nunmehr Besserung. Meine Damen und Herren der unheiligen Großkoalition, das wäre redlich gewesen.

Nun zu Ihrem Antrag: So schreiben Sie, dass psychische Erkrankungen und Störungen in Justizvollzugsanstalten weitaus verbreiteter sind als in der Allgemeinbevölkerung. – Vielen Dank für diese Erkenntnis.

Dass Serienmorde und Sexualverbrechen von Ihnen noch nicht als alltägliche und normale Handlungen eingestuft worden sind, beruhigt mich. Ansonsten bietet Ihr Antrag in der geschriebenen Form außer Populismus wenig Substanz.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Und das aus Ih- rem Munde!)

In ihm wird die von uns gemeinsam geleistete Arbeit überhaupt nicht widergespiegelt. Wie gesagt, Sie hätten auch mit uns sprechen können, dann wäre der Antrag sicherlich etwas gehaltvoller geworden.

(Zurufe von Josef Hovenjürgen [CDU] und Stefan Engstfeld [GRÜNE])

Zudem ist er auch nur ein Teilantrag, denn die Bereiche „Kommunikation“ und „Brandschutz“ wurden nicht einbezogen. Da geht also noch was.

Meine Damen und Herren Kollegen, ich appelliere nunmehr an Ihre Kollegialität:

(Zuruf von Stefan Engstfeld [GRÜNE])

Beenden Sie dieses parteipolitische Geplänkel gerade im Hinblick auf die Ziele der Expertenkommission.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir sind bereit. Der nächste Antrag auf der Basis der Empfehlungen der Koordinierungsrunde sollte gerade im Interesse der Strafgefangenen ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen sein. – Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Röckemann. – Jetzt hat die Landesregierung das Wort. Es spricht Herr Minister Biesenbach.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Herr Ganzke eben zu schildern begann, wer sich alles freut, habe ich spontan gedacht, ich gehöre dazu. Denn ich habe mich auch riesig gefreut.

Herr Röckemann, ich bin heilfroh – darüber freue ich mich noch mehr –, dass die Koordinationsrunde wie von Ihnen beschrieben tolle Ergebnisse erzielt hat. Die Beratungen liefen einfach reibungslos. Herzlichen Dank an alle, die in dieser Koordinationsrunde gesessen haben und ein Ergebnis erzielt haben, wie ich es mir auch gewünscht habe. Es ist gelungen, abseits jeder Politik und Gott sei Dank auch abseits von Plenardebatten darüber nachzudenken, was wirklich getan werden kann. Wir alle können über das Ergebnis zufrieden und froh sein.

Einige dieser Ergebnisse sind in anderen Bereichen erzielt worden. Sie haben mit dem Antrag zumindest den Finger in die Wunde gelegt. Am meisten Bedarf haben wir bei der Betreuung psychisch kranker und suizidaler Gefangener. Es ist ein zunehmend größer gewordenes Problem im Strafvollzug, das ständig wächst.

Kurz nach meinem Amtsantritt habe ich zwei Konzepte erarbeiten lassen, einmal betreffend die psychiatrisch intensivierte Behandlung in den Justizvollzugsanstalten des Landes und daneben zur Verbesserung der Suizidprävention im Justizvollzug in Nordrhein-Westfalen.

Frau Erwin hat bereits in ihrem Beitrag geschildert, wie weit wir in dieser Hinsicht gekommen sind. Deswegen will ich das nicht wiederholen. Es sind richtige Schritte auf dem Weg, aber es reicht noch lange nicht aus.

Wir werden gerade in der ambulanten Betreuung in den Anstalten noch einiges zu verbessern haben. Der neue Haushaltsplan sieht 52 Stellen für Bedienstete des Allgemeinen Vollzugsdienstes vor, die mit Aufgaben der Suizidprävention betraut werden und daran arbeiten sollen.

Wir brauchen für die psychisch erkrankten Gefangenen weitere ambulante Möglichkeiten. Hier ist die Gewinnung weiterer Konsiliarpsychiater für die Verbesserung der ambulanten Behandlung erforderlich. Ich mache mir da keine Illusionen: Die letzten Jahre haben gezeigt, wie schwer es ist und wie wenig wir in der Lage sind, Interessenten auf dem Markt zu finden.

Wir werden versuchen, die psychiatrisch intensivierte Behandlung in Analogie zu einer tagesklinischen psychiatrischen Ambulanz voranzutreiben, und hoffen auch hier, die Fachkräfte zu finden.

Aber ich mache Ihnen und mir keine Illusionen: Einen wirklichen Durchbruch beim Angebot und einen wirklichen Durchbruch für die Behandlung werden wir nur erreichen, wenn es gelingt, den Bereich der stationären Angebote deutlich zu erhöhen.

Dazu ist erforderlich, eine oder vielleicht sogar zwei neue Liegenschaften zu finden. Gerade wurde gesagt, dass unser Konzept im nächsten Jahr fertig sein soll und es vielleicht noch Jahre dauert, bis wir dann auch die Plätze haben. Ich würde sehr gern nicht neu bauen – denn das würde dann wirklich Jahre dauern –, sondern versuchen, geeignete Liegenschaften zu kaufen oder erwerben zu lassen oder anzumieten, die vorhanden sind und die wir relativ zügig umbauen können.

Denn gerade im Bereich der akuten psychotischen Schübe der Erkrankungen liegen unserer großen Bedürfnisse. Jeder kann sich selbst vorstellen, wie schlimm es ist, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Anstalt jemanden nicht behandeln können, der gerade psychisch ausklinkt und für den im Augenblick nichts anderes zur Verfügung steht als eine Zelle, in der eben nichts kaputt gemacht werden kann, in der er sich nicht selbst verletzen kann. Diese Hilflosigkeit müssen wir dringend beseitigen.

Jetzt greife ich noch einmal den Appell aller auf. Der Finanzminister ist nicht da; ich kann das jetzt tun. Seien Sie doch innerlich bereit – Herr Ganzke schmunzelt –, wieder genauso zusammenzustehen wie in der Koordinationsrunde, wenn es darum geht, so eine Liegenschaft zu bekommen.

Denn für den Haushaltsplan konnte ich keine Mittel dafür anmelden. Die waren haushaltsmäßig nicht zu

veranschlagen, weil wir keine konkreten Angebote hatten. Aber sollte es gelingen, im nächsten Jahr eine Liegenschaft zu finden, die geeignet ist, dann bitte ich Sie alle, sich genauso wie in der Koordinierungsrunde ganz still zusammenzuschließen, damit wir in diesem Punkt entscheidend nach vorn kommen.

Ich glaube, es ist ein tolles Ergebnis, das wir erreicht haben. Es ist genauso ein tolles Ergebnis, dass wir so einmütig sagen: Da müssen wir etwas tun. – Das macht mich richtig froh. – Vielen Dank.