Protokoll der Sitzung vom 25.11.2020

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 108. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt den Gästen auf der Zuschauertribüne, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien und den Zuschauerinnen und Zuschauern am Livestream.

Die Namen der entschuldigten Abgeordneten werden in das Protokoll aufgenommen.

Zu Beginn der heutigen Plenarsitzung komme ich noch einmal auf den Tagesordnungspunkt 1 – Unterrichtung durch die Landesregierung über die Ausgestaltung und Umsetzung der außerordentlichen Wirtschaftshilfen – der Plenarsitzung vom Freitag, 13. November zurück.

Wir alle spüren: Die Coronapandemie und ihre Folgen fordern unserem Land und allen Menschen viel ab. Das RKI meldet heute 410 Todesfälle in den letzten 24 Stunden – ein Tageshöchstwert. In den nordrhein-westfälischen Krankenhäusern werden aktuell rund 4.150 COVID-19-Patienten behandelt. Zum Vergleich: Anfang Oktober waren es nur rund 400.

Nahezu jedes Haus, jede Wohnung, jede Familie und jeder Einzelne im Land ist betroffen. Auch wir als Abgeordnete bilden da keine Ausnahme.

Zusätzlich sind wir in dieser Zeit gefordert, nach Vernunft und Augenmaß politische Wege aufzuzeigen, wie unsere Gesellschaft als Ganzes – in den Familien zu Hause, in den Schulen und Kitas, an den Universitäten und Hochschulen, in den Krankenhäusern und Altenheimen, aber eben auch in Unternehmen und Betrieben – diese Herausforderung am besten bewältigen kann. Das ist eine enorme Herausforderung, die jedem Einzelnen von uns viel abverlangt, die uns fordert und – wenn wir ehrlich sind – uns an der einen oder anderen Stelle auch überfordert.

Die gesamte Gesellschaft diskutiert und streitet über den richtigen Weg in dieser Pandemie. Die Debatte darüber erscheint manchmal unversöhnlich. Die Argumente und Meinungen scheinen oft unvereinbar.

Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dieses Parlament diskutiert und sucht nach einem vernünftigen Ausgleich. Dieses Parlament nimmt seine Verantwortung wahr und sichert mit gemeinsamen Beschlüssen im parlamentarischen Krisenstab „Pandemie“ seine Arbeitsfähigkeit. Dieses Parlament ist das Herz der Demokratie in Nordrhein-Westfalen, und es schlägt auch in dieser Coronakrise laut und fest.

Den Streit der Demokratinnen und Demokraten, das Abwägen der Meinungen und Interessen und die Suche nach einer Lösung sind wir den Menschen in Nordrhein-Westfalen schuldig. Gleichzeitig hat die

Debatte insbesondere zu Beginn der letzten Plenarsitzung auch gezeigt, dass wir alle gut daran tun, uns in solch bewegter und aufwühlender Zeit besonders an die Regeln zu halten, die der politischen Kultur dieses Hauses gebühren.

Streit gehört ins Parlament. Aber auch eine politische Streitkultur ist nicht zügel- und regellos, sondern hat sich an die Regeln zu halten, die wir uns selber gegeben haben. Diese Würde des Parlaments müssen wir immer wahren – gerade auch in dieser Zeit. Daran zu erinnern und zu appellieren erscheint mir höchst wichtig – gerade auch im Blick auf den heutigen und die kommenden Plenartage. Pflegen wir einen respektvollen Umgang miteinander, und schützen wir die Würde des Hohen Hauses!

(Beifall von Matthias Kerkhoff [CDU])

Rückblickend und nach sorgfältiger geschäftsordnungsrechtlicher Prüfung ermahne ich die Redner zu Tagesordnungspunkt 1 der Plenarsitzung vom

13. November 2020 im Blick auf die Einhaltung der parlamentarischen Ordnung. Hier wurden in Zwischenrufen und in Reden Formulierungen verwendet, die der Würde und dem Ansehen des Parlaments nicht entsprechen.

Ich darf auch noch einmal darauf hinweisen, dass Beifall und Missfallen von der Regierungsbank grundsätzlich nicht geäußert werden sollen.

Nach diesen Worten treten wir nun in die heutige Tagesordnung ein. Ich rufe auf:

1 Ausblick auf die Konferenz der Regierungs

chefinnen und Regierungschefs der Länder mit der Bundeskanzlerin am 25. November 2020

Unterrichtung durch die Landesregierung

Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/11958

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 19. November mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag zum obigen Thema zu unterrichten. Die Unterrichtung ist als Tagesordnungspunkt 1 neu vorgesehen; alle nachfolgenden Tagesordnungspunkte verschieben sich entsprechend.

Die Unterrichtung durch die Landesregierung erfolgt durch Herrn Ministerpräsidenten Laschet. Ich erteile dem Ministerpräsidenten nun das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Schritte. So gibt es gleich heute und morgen Unter

richtungen des Landtags. Eine hatten die Grünen zeitnah erbeten. Ich habe das aufgegriffen, und wir machen es heute einmal vor der Konferenz der Ministerpräsidenten und morgen nach den Ergebnissen.

Dabei muss man sagen: Das ist eine besondere Lage. Wenn 16 Ministerpräsidenten in ihren Landtagen jeweils sagen, was sie alles machen und was unabdingbar ist, dann ist nachher ein Konsens relativ schwer möglich. Deshalb will ich Ihnen heute einige Grundideen sagen, und morgen folgen dann die Ergebnisse, die wir im Konsens erarbeitet haben.

In dieser Woche haben intensive Beratungen der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten stattgefunden. Allein am Montagabend hatten wir eine gemeinsame Schalte über vier Stunden, in der wir uns die Lage in unseren Ländern berichtet haben und versucht haben, so viel wie möglich in dieser angespannten Situation für Deutschland hinzubekommen.

Die Landesregierung hat für sich deutlich gemacht, dass, wenn Infektionszahlen steigen, die Schutzvorkehrungen erhöht werden müssen. Das war die Situation Ende Oktober. Wir hatten ein exponentielles Wachstum in einer Dramatik und Geschwindigkeit, die auch kein Experte vorausgesagt hatte.

Wenn wir heute, vier Wochen später, Bilanz ziehen, sehen wir, dass dieses exponentielle Wachstum gestoppt werden konnte. Das Ziel, die Welle zu brechen, ist erreicht. Wir haben heute eine Sieben-Tages-Inzidenz von 4.045. Das ist der niedrigste Wert seit dem 4. November. Die Zahlen sind also Stück für Stück nicht nur nicht exponentiell gestiegen, sondern sie sind stabilisiert bzw. leicht gesunken.

Aber die Zahlen sind immer noch zu hoch. Das Niveau ist zu hoch. Wenn man jetzt lockert, wenn man jetzt einen Fehler macht, kann das exponentielle Wachstum sehr schnell wieder da sein. Deshalb wird heute in der Konferenz der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin nicht über Öffnungsschritte nachgedacht. Die Gefahr eines Rückfalls ist zu groß. Der Präsident hat eben erwähnt, wie viele Menschen derzeit in Krankenhäusern und auf Intensivstationen in Nordrhein-Westfalen liegen: 4.181. Das ist fast doppelt so viel wie am 14. April, dem Höhepunkt im Frühjahr.

Wir haben seither viele Anstrengungen unternommen. Der Gesundheitsminister hat die Kapazitäten mit den Krankenhäusern ausgebaut. Mehr Betten sind da, mehr Personal ist da, sodass wir trotz der Verdoppelung der Zahlen heute mit einer ernsten Lage, aber nicht mit Engpässen im Gesundheitssystem umgehen können.

Wir müssen die umfangreichen Schutzvorkehrungen deshalb über den Monat November hinaus auf hohem Niveau halten. Dieser Schritt fällt uns nicht leicht. Er

bedeutet, und das muss man immer dazusagen, für jeden Einzelnen in den betroffenen Branchen erneut ein Opfer. Manche könnten sagen: Jetzt müssen wir einfach strenger sein, rigoroser sein. – Das kann man verbal schnell äußern. Das bedeutet für einen Gastronom, für einen Kulturschaffenden einen Eingriff in seine existenziellen Möglichkeiten. Viele wissen gar nicht, ob sie im Januar oder Februar ihren Betrieb überhaupt noch aufrechterhalten können.

Deshalb muss die Gegenmaßnahme sein, wenn wir das alles schon machen, dass wir kompensieren, so weit das irgend möglich ist. Wir werden den Schutzmaßnahmen nur alle zustimmen, wenn auch der Bund hier erneut zusagt, die November-Hilfe auf eine Dezember-Hilfe auszudehnen und all denen, die hier Verluste zu erleiden haben, zu helfen, über diese schwierigen Wochen zu kommen. Das ist das Minimum dessen, was wir an Solidarität leisten können.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Gespräche waren intensiv. Ich habe das erwähnt. Das Infektionsgeschehen ist inzwischen regional wieder sehr unterschiedlich in Deutschland. Deshalb erwarten wir von den Ländern, in denen das Geschehen besser ist als in Hotspots – bei uns sind die Zahlen noch sehr hoch –, dass sie trotzdem bei einem nationalen Konsens mit dabei sind. Ich nenne ein Beispiel: Schleswig-Holstein liegt in der SiebenTages-Inzidenz unter 50. Mecklenburg-Vorpommern liegt ebenfalls unter 50. Berlin liegt über 200.

Daran erkennt man sehr unterschiedliche Entwicklungen in Deutschland. Eines ist erfreulich – das RKI veröffentlicht ja täglich seine Zahlen –: Zu den 15 Hotspot-Kreisen und -Städten in Deutschland gehört am heutigen Tag kein Kreis und keine Stadt mehr aus Nordrhein-Westfalen. Das war auch schon anders. Das kann auch wieder anders werden. Aber in der momentanen Entwicklung ist bei uns das Bemühen aller Gesundheitsämter erkennbar, für die jeweils eigene Stadt und den jeweils eigenen Kreis die Zahlen herunterzubringen. Dennoch werden wir heute in diese bundesweite gemeinsame Verantwortung gehen. Alles, was heute beschlossen wird, wollen wir dann auch möglichst eins zu eins in Nordrhein-Westfalen umsetzen.

Das, was heute in der Schaltkonferenz zur Debatte steht, sind Anregungen – zum Teil aus NordrheinWestfalen. Die Frage der Kontaktbeschränkungen haben wir im März hier entwickelt. Andere haben gesagt, wir brauchen Ausgangssperren. Unsere Position war immer: Nicht der Ausgang ist das Problem. Man soll aus der Wohnung gehen, man soll im Wald spazieren gehen, man soll an der frischen Luft sein. Das Problem ist der Kontakt. Deshalb sind die Kontaktbeschränkungen das zielgerichtetere Mittel. Das wird sich, hoffe ich, auch heute in den Beschlüssen wiederfinden.

Das Helmholtz-Institut hat für die letzten Wochen festgestellt, dass die Kontakte durch die Maßnahmen um 40 % gesunken sind. Leider sind die Infektionszahlen nicht in der gleichen Größenordnung gesunken. Deshalb hat das Mittel zwar geholfen, aber nicht in der Deutlichkeit, wie wir uns das selbst erhofft hatten.

Zweitens. Alle 16 Ministerpräsidenten sagen: Wir wollen Präsenzunterricht erhalten. Das ist ein ganz wichtiges Bekenntnis zum Recht der Kinder auf Bildung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das tragen Sozialdemokraten in dieser Ministerpräsidentenkonferenz genauso wie Christdemokraten mit Leidenschaft vor. Der Küchentisch zu Hause in einer Zwei- oder Dreizimmerwohnung ist nicht der bessere Lernort. Der beste Lernort ist die Schule, und den wollen wir aufrechterhalten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deshalb haben sich da alle angeschlossen. Das ist in diesem Moment keine parteipolitische Frage. Ich habe das hier schon mal gesagt: In den 16 Ländern regieren CDU, CSU, FDP, Grüne, Linke, Freie Wähler. Ich glaube, ich habe keinen vergessen. Alle demokratischen Parteikonstellationen regieren irgendwo mit. Die sagen das alle gemeinsam.

Die sagen übrigens auch alle inzwischen gemeinsam: Wir müssen den Ferienbeginn um zwei Tage auf den 18. Dezember vorziehen. Ich sage hier noch mal: Ähnlich wie beim Präsenzunterricht hat unsere Schulministerin, Yvonne Gebauer, in Ruhe und Besonnenheit das entwickelt, was heute ganz Deutschland macht. Vielen Dank für diesen klaren Kurs, den wir hier haben!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ein Land nach dem anderen – Niedersachsen, Baden-Württemberg – sagen, das ist eine kluge Idee: 18. Dezember Ferienbeginn, sechs Tage Zeit bis zum Heiligen Abend. – So muss man solche Probleme angehen, nämlich pragmatisch. Wir hatten den Vorteil, dass wir die ersten waren und sich die Schulen bei uns länger darauf vorbereiten konnten als in anderen Ländern. Nordrhein-Westfalen war hier Vorreiter.

Deshalb werden diese Weihnachtsfeiertage anders sein, als wir sie kennen. Wir haben Kontaktbeschränkungen, die wir auch für diese Weihnachtstage empfehlen. Jede Familie wird aber für sich allein entscheiden müssen, wie man das in diesen Tagen mit dem besten Schutz auch für die Älteren macht. Wir wollen von uns aus den Schutz der Vulnerablen über die Weihnachtstage hinaus verstärken: durch Schnelltests, durch FFP2-Masken, übrigens auch durch eine bessere Digitalisierung bei der Kontaktnachverfolgung und eine Verbesserung der CoronaWarn-App.

Auch da haben wir die große Chance, jetzt etwas zu verändern. Nordrhein-Westfalen hat einige Vorschläge gemacht, wie die App attraktiver wird. Das war, wie so oft, ein Ringen zwischen Sicherheit und Datenschutz. Das haben wir auch bei anderen Themen in der Koalition mit der FDP erörtern müssen. Der Datenschutz und die individuellen Rechte sind ein hohes Gut, und das Sicherheitsbedürfnis ist auf der anderen Seite ebenfalls wichtig.

Dass es uns gelungen ist, hier einen Vorschlag zu machen, ist gut. Wer das Gleiche in der Ministerpräsidentenkonferenz tut, ist der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, der sagt: Wir müssen bei der App in der Abwägung von Grundrechten auch beim Datenschutz etwas verändern. Wenn wir einen so großen parteiübergreifenden Konsens auch der Parteien hinkriegen, denen diese Bürgerrechte und individuellen Rechte besonders wichtig sind, dann können wir einen Beitrag zu mehr Sicherheit leisten. Wenn die App mehr Funktionen hat, wenn man sich im Restaurant mit der App registrieren kann und vieles andere mehr, ermöglicht das, an anderer Stelle Grundrechtseingriffe zurückzunehmen. Das genau ist das Ziel unseres Vorstoßes.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deshalb hoffe ich heute auf diesen großen Konsens. Ich hoffe, dass auch der Bund diesen Konsens mitgeht. Diesmal ist der Weg ja umgekehrt: Die 16 Länder haben etwas erarbeitet, und der Bund wird dazu Stellung nehmen. Je stärker und je gemeinsamer das auf der Bundesebene gelingt, desto klarer ist das Signal an die Menschen im Land.