Protokoll der Sitzung vom 25.11.2020

Wir haben in der Debatte immer wieder gemerkt, dass gerade SPD und Grüne ein undifferenziertes Verbot von Werkverträgen und Zeitarbeit fordern. Die Anhörungen im Bundestag und hier im Landtag haben aber wichtige Aspekte aufgegriffen und gezeigt, dass man unterscheiden muss.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist Missbrauch! Das ist eine Missbrauchssitua- tion, Herr Kollege!)

Ich habe bereits angesprochen, dass Sie beim Thema „Fleischveredelung“ alle Arbeits- bzw. Produktionsbedingungen in einen Topf werfen. Sie können Schlachthöfe aber kaum mit einem handwerklichen Wurstbetrieb bzw. einem Betrieb aus dem Fleischerhandwerk vergleichen. Auch Kleinbetriebe aus den Bereichen Zerlegung und Veredelung können Sie nicht mit großen Schlachthöfen gleichsetzen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist doch Quatsch!)

Bezüglich der Unterscheidung von handwerklichen Betrieben gibt es diese starre Grenze von 50. Ich weise, wie ich es vor zwei Wochen bereits tat, auf Folgendes hin: Was ist mit den Betrieben im Fleischerhandwerk, die mehrere Filialen betreiben, entsprechend viel Verkaufspersonal haben und diese Grenze überschreiten, aber eigentlich nicht zu denjenigen gehören, die sich nicht an die Regeln gehalten haben?

Das Thema „Einsatz von Zeitarbeit“ haben wir mit aufgenommen. Im Gesetzentwurf wird ja beides gleichgestellt. Ich finde, das muss man von diesen fragwürdigen Werkvertragskonstellationen ganz klar trennen.

Es ist richtig: Die Zeitarbeit kann man sinnvoll nutzen, etwa bei Personalbedarf aufgrund von Produktionsspitzen. Das kann in der Grillsaison der Fall sein – das haben wir gehört –, aber ein unerwarteter Ausfall von Beschäftigten lässt sich so auch auffangen.

Die Arbeitnehmerüberlassung ist in Deutschland gesetzlich eindeutig geregelt. Die Arbeitnehmer werden nach Tarifverträgen entlohnt, sie werden vom Entleiher in die Betriebsstruktur integriert, und der Entleiher ist auch für den Arbeitsschutz verantwortlich.

Somit ist ein Verbot der Zeitarbeit in der Fleischwirtschaft

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

aus unserer Sicht weder erforderlich noch angemessen.

Verehrte Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es geht doch gar nicht um das Öffnen vermeintlicher Schlupflöcher, sondern es geht doch darum, abzuwägen: Wo muss ich regulieren? Wo ist es wie verhältnismäßig?

Zum flexiblen Arbeitsmarkt gehören eben auch weiterhin Werkverträge und Zeitarbeit. Sie sind ein wichtiges Element der arbeitsteiligen Wirtschaft.

Die Bekämpfung der Missstände – das steht völlig außer Frage – muss man angehen. Aber da müssen Sie doch jetzt gezielt ansetzen.

Ich habe für die Freien Demokraten noch einmal sachlich dargelegt und auch Vorschläge unterbreitet, wie man es machen kann.

Ich bin gespannt, ob Sie in der zweiten Runde auf das Thema „Zeitarbeit“ wirklich noch einmal differenzierter eingehen und das von diesen Werkvertragskonstellationen trennen.

Ich bin gespannt, ob wir dann wieder zu einer sachlichen Debatte kommen. Der Kollege Preuß hat es getan. Meine Wenigkeit hat es gerade auch noch einmal getan. Vielleicht lassen Sie dann diese Kampfbegriffe weg wie „Marsch

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

nach Berlin“, Kollege Neumann. Vielleicht gehen Sie in der zweiten Runde ganz sachlich auf das Thema „Zeitarbeit“ ein und erklären mir, warum Sie meinen, Zeitarbeit müsste genauso verboten werden wie Werkverträge, obwohl beide völlig andere gesetzliche Grundlagen haben. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Lenzen. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Dr. Vincentz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Kompliziert und einfach scheinen manchmal WG-Mitbewohner zu sein. Warum? – Nun, die Welt ist für die SPD unweigerlich komplizierter geworden. In Zeiten des Fachkräftemangels gibt es immer weniger Arbeiter und Arbeitnehmer, für die sich die SPD tatsächlich noch einsetzen muss. Die Arbeitgeber sind nämlich zunehmend selbst gezwungen, die Stellen immer attraktiver zu gestalten, damit überhaupt noch jemand kommt und genau diese Arbeit macht. Da haben es Gewerkschaften schwer und sichtlich auch die SPD.

Folglich muss man im Willy-Brandt-Haus immer tiefer in die Trickkiste greifen, um sich überhaupt noch einen Platz in der politischen Realität zu erkämpfen. Alles, was man da jetzt scheinbar an dieser Stelle braucht, ist ein guter Böser, ein möglichst holzschnittartiger Antagonist, der eh schon wenig Beliebtheit in der allgemeinen Bevölkerung hat, und der wird dann schlicht zum Buhmann erklärt. Dieser Trick ist einfach – viele würden sagen: simpel, unterkomplex, beleidigend für den Intellekt –, aber auf jeden Fall populistisch und verbunden mit der Hoffnung der SPD auf ein wenig Popularität.

Es eignen sich in der Realität aber selten Leute wirklich als das pure Böse, an dem man sich dann abarbeiten kann, und so ist es auch in diesem Fall.

Sind die Schlachtbetriebe Heilige? – Mitnichten. Gab es dort in der Vergangenheit viele Verstöße gegen den Arbeitsschutz? – Absolut. Erinnert es, wenn man sich das dort anschaut und da mal ein Praktikum macht, ein bisschen vielleicht an den Chaplin-Film „Moderne Zeiten“? – Auch das ist richtig. Man muss da also reformieren.

Aber wenn Sie sich mit den Schlachtern einfach mal unterhalten, wenn Sie auf die Menschen zugehen und mit ihnen darüber sprechen – das hilft meistens sehr viel –, warum das so ist, warum man sich auch dort in Teilen zu Tricks genötigt sieht, warum man dort die Gesetze biegt und dehnt, sodass es gerade eben noch legal ist, dann stellen Sie fest, dass es auch dort erhebliche Zwänge gibt, dass es dort Gründe dafür gibt, warum man das so macht. Auch mit denen muss man sich auseinandersetzen.

Einfach kann man es sich an dieser Stelle mit einem tatsächlich politischen Problem also nicht machen. Löst man es? – Im Gegenteil. Die Schlachter unterliegen, wie gesagt, einigen Zwängen. In Deutschland teilen sich nur fünf Konzerne ca. 80 % des Lebensmittelmarktes. Steht einer deren Einkäufer bei Ihnen auf der Matte, dann nennen Sie besser einen guten Preis, denn sonst sind Sie raus und damit de facto weg vom Markt. Man kann den Laden also schließen. Dann ist nichts mehr mit schlechten Arbeitsbedingungen, denn dann können Sie einfach alle nach Hause schicken.

Schon diesen Gedankenschritt gehen Sie hier aber einfach nicht mehr mit – das ist klar. Denn dann würde sich ja der Böse nicht mehr als solcher eignen. Dann würde er vielleicht aus sich heraus ja gar nicht mehr böse handeln, und man könnte ihn nicht mehr so einfach verdammen.

Aber gehen wir weiter. Sind es jetzt also die Großeinkäufer, die böse sind? – Wenn Sie dort nachfragen, dann stoßen Sie ebenfalls wieder auf Zwänge. Dort wird man Ihnen sagen: Wenn wir das Fleisch nicht zu diesem Preis anbieten, dann gehen die Verbraucher eben zum Konkurrenten. Wir müssen das so machen. Der Verbraucher in Deutschland ist diese Preise eben gewöhnt. Der Verbraucher in Deutschland gibt eben nicht viel für Lebensmittel aus. – Stimmt. Das wissen wir alle.

Ist jetzt also der Verbraucher der Böse? – Auch das haben wir hier in abgewandelter Form schon mehrfach gehört. Im Median verdient der Deutsche rund 1.900 Euro. Ziehen Sie davon alle Fixkosten ab, dann stellen Sie sehr schnell fest, dass es sich dabei nicht um ein Luxusproblem handelt und der Deutsche halt lieber irgendwie dicke Autos fährt, aber beim Discounter Hack zum Spottpreis kauft – wie auch hier an dieser Stelle schon oft behauptet wurde –, sondern es gibt einfach kaum Geld für das Bio-Hüftsteak. Am Ende des Monats bleibt dafür eben nicht mehr viel übrig.

Fragen Sie andersherum in Deutschland, wer gerne bewusster leben würde, wer gerne Bio essen würde, wer gerne mehr fürs Fleisch zahlen würde, dann bekommen Sie Traumumfragen. Sehr viele Menschen würden das gerne wollen. Allein – es fehlt der schnöde Mammon.

Man könnte auch sagen, die SPD gönnt den untersten 30 % der Bevölkerung ihr Sonntagsschnitzel nicht. Das wäre auch eine schöne Überschrift für Ihren Antrag, würde sich aber nicht so gut verkaufen.

Denn das wäre kurzfristig genau die Folge Ihres Gesetzentwurfs. Sie könnten die Arbeitsbedingungen gegebenenfalls kurzfristig verbessern, die Löhne in der Branche erhöhen und damit direkt das Fleisch verteuern oder zumindest kleinere Anbieter zugunsten der Kapitalstarken einfach aus dem Markt verdrängen.

Schon mittelfristig würde der Markt das Problem dann wiederum von alleine regeln: Die Schlachter verlegen ihre Betriebe einfach direkt nach Rumänien – weniger Anfahrt für die Arbeiter, weniger Tierschutzstandards, weniger rote Pharisäer, und schon ist das Schnitzel wieder günstig auf dem Tisch.

Jetzt könnten Sie sagen: Das ist doch ein klassisches SPD-Win-win – quasi die Probleme aus den Augen und trotzdem billige Würste. Aber so einfach ist es eben dann doch nicht.

Denken Sie allein an die langen Tiertransportwege quer durch Europa und das damit verbundene Leid. Mir fällt noch eine ganze Reihe von anderen Problemen ein, die das alles mit sich bringen würde, würden Sie das einfach in dieser Art und Weise regeln, wie Sie es hier vorschlagen.

Es ist also vielleicht doch nicht so einfach, wie Sie es gerne hätten. Aber Ihnen geht es ja hier offensichtlich nicht um die Lösung. Ihnen geht es ziemlich offensichtlich um Sozialpopulismus, weil der ja bislang immer gezogen hat.

Ansonsten müssten Sie ja zwei Schritte weiter denken, dorthin, wo es langsam ungemütlich wird, und dann wären Sie schnell bei Themen wie der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU, die solche Arbeitsbedingungen aufgrund von immensen Lohn- und Lebensqualitätsunterschieden überhaupt erst möglich machen. Aber das wäre dann schon sehr nah an Ihrem goldenen Kalb des grenzenlosen Europas, und daran wollen wir wirklich nicht rütteln – Gott bewahre.

Von daher muss es wohl heute einfach sein. Aber einfach wird der Lage einfach nicht gerecht. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Dr. Vincentz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Laumann.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst einmal in dieser Aktuellen Stunde sagen, dass mein ganzes Bestreben ist, dass dieses Gesetz vor Weihnachten durch den Deutschen Bundestag beschlossen wird – um das ganz klar zu sagen.

Ich glaube auch nicht, dass ich mich jetzt hier rechtfertigen muss. Zumindest alle Arbeits- und Sozialpolitiker dieses Hauses wissen seit Jahren, dass die Arbeitsbedingungen in der deutschen Fleischwirtschaft schlecht sind und nicht akzeptabel sind. Das ist nichts Neues. Ich frage mich immer, warum das dann jahrelang in der politischen Debatte in Nordrhein

Westfalen keinen besonders großen Stellenwert hatte.

Eines nehme ich schon für mich in Anspruch, nämlich dass ich dieses Thema ziemlich weit in die Öffentlichkeit getragen habe.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das nehme ich schon für mich in Anspruch.

Wir haben ja nicht nur die Schlachthöfe kontrolliert. Das Entscheidende war, dass wir die Ergebnisse der Kontrollen durch vernünftige Dokumentationen aufgearbeitet haben für die Medien, für die Parlamente in ganz Deutschland, damit diese Debatte überhaupt wieder in Gang kam.

Wahr ist doch, dass viele weggeguckt haben. Jeder, der sich mal mit Statistiken beschäftigt, der weiß, dass die Sachen auf der Hand liegen.

In Dänemark liegen die Arbeitskosten in der Fleischwirtschaft pro Beschäftigtem bei 69.000 Euro, in Belgien bei 53.000, in den Niederlanden bei 52.000, in Frankreich bei 46.000 und in Deutschland bei 31.000.

Liebe Leute, das muss man doch sehen. Dann weiß man doch, was da los ist. Deswegen sind Aussagen wie, in der Fleischindustrie sei die Sozialpartnerschaft unterprivilegiert, und so, das sind alles noch liebe Erklärungen für das, was da abgeht. Von daher ist es schon seltsam, dass ich jetzt hier kritisiert werde, wo ich doch das Thema zum Thema gemacht habe. Ich glaube, ohne meinen Brief an das Coronakabinett wäre gar nichts in Gang gekommen.