Früher wären Sie noch vor Scham im Boden versunken, wenn Ihnen ein Gericht einen so drastischen Vorwurf gemacht hätte. Heute scheint Sie das gar nicht mehr zu stören. Wider besseres Wissen nehmen Sie Rechtsbrüche in Kauf und setzen bewusst auf Eskalation. Das ist weder seriös noch liberal. Das muss aufhören, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierung.
Es gibt noch weitere Beispiele. Es ist ja nicht das erste Mal, dass das gestörte Verhältnis der Regierung zum Rechtsstaat hier zum Thema gemacht werden muss. Wahrscheinlich wird das auch nicht das letzte Mal der Fall gewesen sein.
Ja, meine Damen und Herren, die Bekämpfung der Coronapandemie verlangt außergewöhnliche Entscheidungen und auch außergewöhnlich schnelle Entscheidungen. Dennoch galt vom ersten Tag an: Eine Gesundheitskrise ist keine Demokratiekrise und erst recht keine Krise des Rechtsstaats.
Es gibt sogar in der Krise Regeln, an die sich jeder halten muss, auch ein Ministerpräsident, vielleicht sogar erst recht der Ministerpräsident, auch in der Pandemie. Sie wissen, wovon ich rede: Ich spreche von der van-Laack-Affäre.
Die Landesregierung hatte alle Unternehmen aufgefordert, ihre Angebote für Schutzausrüstungen, Masken und vieles mehr beim Gesundheitsministerium zentralisiert einzureichen. Im Gesundheitsministerium wurde dafür extra ein E-Mail-Postfach geschaffen. Es sind über 7.000 Angebote eingegangen, darunter auch Angebote bekannter Unternehmen wie Seidensticker aus Bielefeld oder B.M-company aus Herne. Das sind große Player auf dem Textilmarkt.
Und wer bekam schließlich den Auftrag der Landesregierung? Die Firma van Laack. Diese Firma hatte aber nie ein Angebot abgegeben, jedenfalls nicht auf dem von der Regierung vorgeschriebenen Weg. Das hatte sie offenbar auch gar nicht nötig; denn die Firma van Laack hatte einen, ich nenne es einmal, besonderen Kontakt zum Ministerpräsidenten. Und plötzlich war ein Geschäft möglich, das für andere Firmen nicht möglich war.
Es war ein Geschäft mit einem Umfang von 45 Millionen Euro – ohne Ausschreibung, ohne Angebote lästiger Konkurrenz. Zu dieser lästigen Konkurrenz gehören Firmen wie Seidensticker, Bugatti, B.Mcompany, Ahlers, also Pierre Cardin, und BRAX.
Seidensticker zum Beispiel hat der Landesregierung angeboten, pro Monat 3,5 Millionen Masken herzustellen.
Seidensticker fertigt Hemden. Dann können sie auch Kittel fertigen. Doch danach wurde nie gefragt. Bei Seidensticker hat kein Ministerpräsident, kein Gesundheitsministerium und nicht einmal ein Oberamtsrat angerufen. Dort, beim größten Textilhersteller unseres Landes, ruft niemand an. Warum nicht? Können Sie mir das bitte erklären?
Herr Laschet, Sie haben immer wieder behauptet, Sie hätten sich die Finger wundgewählt. Haben Sie denn nicht einmal bei den anderen von mir gerade genannten großen Herstellern angerufen? Wen wollen Sie denn angerufen haben? Seidensticker, Bugatti, Ahlers und BRAX waren es auf jeden Fall nicht. Wen haben Sie angerufen? Nennen Sie doch wenigstens einmal einen Namen. – Es kommt nichts. Das dachte ich mir; denn in Wahrheit hat es keine weiteren Gespräche des Ministerpräsidenten mit anderen Herstellern gegeben.
Es hat auch keinen Mangel an Stoffmasken gegeben. Sie hätten nur Angebote der Firmen annehmen müssen, die sich ordnungsgemäß an das Land gewandt haben. Das ist aber nicht passiert. Diejenigen,
die sich an die Regeln gehalten haben und sich digital beworben haben, haben zum Großteil bis heute noch nicht einmal eine Antwort auf ihre Angebote bekommen – keine Antwort, nichts. Ist das Ihr Umgang mit der Wirtschaft, Herr Laschet? Ist das der Respekt vor den Unternehmen, die in dieser Krise helfen wollten? Nein, das ist respektlos gewesen.
Das ist ein Gebaren, das gegen alle Grundsätze der guten Regierungsführung verstößt. Es ist auch rechtswidrig. Denn selbst in der größten Not müssten mindestens drei Konkurrenzangebote eingeholt werden. Das steht im Gesetz – einem Gesetz, das übrigens auch in Nordrhein-Westfalen gilt, sogar für einen Ministerpräsidenten.
Noch einmal: Kein Unternehmen darf Nachteile erleiden, weil es sich an Gesetze und Vorschriften hält, und kein Unternehmen darf einen Wettbewerbsvorteil haben, nur weil es einen exklusiven Zugang zum Regierungschef hat.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist doch un- glaublich! – Christian Dahm [SPD]: Nein, das ist belegt! Das ist viel schlimmer!)
Das sehe nicht nur ich so. So sehen das auch viele Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich mittlerweile bei uns gemeldet haben, weil sie trotz ihrer Angebote nie eine Chance auf einen Regierungsauftrag gehabt haben.
Die liberale „WirtschaftsWoche“, bekanntlich kein Schwesterblatt des „vorwärts“, schreibt zu Ihren Vorgängen:
„Das Düsseldorfer Masken-Gate erinnert an das selbstherrliche Gebaren von Gutsherren. Das sollte eigentlich längst ausgestorben sein.“
Aber es wird noch schlimmer. Denn jetzt kommt heraus, meine Damen und Herren, dass die gesamte Begründung, warum dieser Auftrag an van Laack gehen musste, in Wahrheit gar nicht stimmt. Bisher wurde immer behauptet, dass nur van Laack die nötigen Zertifikate für die Produkte gehabt habe; die Konkurrenz hätte das nicht bieten können. Gestern nun musste das Gesundheitsministerium einräumen, dass das nicht stimmt. Denn die Kittel von van Laack entsprechen eben nicht den europäischen Normen. Daher könnten sie auch nur im Notfall während der Pandemie eingesetzt werden. van Laack hatte also kein Alleinstellungsmerkmal, sodass man unbedingt und schnell und sofort zugreifen musste.
Aber es wird noch schlimmer. Denn jetzt kommt heraus, dass diese Kittel, die Sie für 45 Millionen Euro gekauft haben, qualitativ so minderwertig sind, dass
sie zum Beispiel die Uniklinik Essen nicht einsetzt, weil sie sofort reißen. Dort liegen seit August über 40.000 Kittel der Firma van Laack. In der Uniklinik nehmen sie nur Platz weg. Die Kartons sind nicht geöffnet. Die Kittel müssen erst qualitätsüberprüft werden. Das sind sie, und sie sind bei der Qualitätsüberprüfung des Uniklinikums durchgefallen, meine Damen und Herren.
Das ist die Realität Ihres ach so genialen Deals, den Sie da telefonisch eingefädelt haben wollen, Herr Laschet.
Auch andere Hilfsorganisationen, die diese Kittel erhalten haben, benutzen sie nicht mehr. Die Qualität ist einfach zu schlecht. Auch bei den Unikliniken in Düsseldorf und Münster ist noch kein einziger dieser teuer bestellten und gekauften Kittel benutzt worden. Nicht ein Kittel! Warum auch?
Wer ist bei Ihnen eigentlich für die Überprüfung der Qualität zuständig? 45 Millionen Euro wurden in den Sand gesetzt. Jetzt verstehe ich auch, warum Sie immer so aggressiv auf unsere Fragen reagiert haben. Sie hatten Angst, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Doch das wird sie. Dafür werden wir sorgen. Darauf können Sie sich verlassen, meine Damen und Herren.
van Laack hat auch zwei weitere Aufträge von Herrn Reul für insgesamt 2,1 Millionen Masken bekommen. Natürlich geschah auch dies ohne Ausschreibung. Die letzte Vergabe erfolgte am 6. November 2020. Da begründet die Landesregierung ihre Entscheidung, ohne Ausschreibung vergeben zu haben, mit dem entlarvenden Satz, dass man von der Heftigkeit der zweiten Welle im Herbst überrascht worden sei. Im Ernst? Sie haben im Herbst nicht bemerkt, dass wir eine zweite Welle bekommen?
Diese Vergabe wird jetzt rechtlich überprüft. Es liegt eine Beschwerde vor, die bei der Vergabekammer Rheinland geprüft wird. Die Vergabekammer hat vollständige Akteneinsicht angeordnet. Das wird bestimmt erkenntnisreich. Wir werden das heute in der Fragestunde wieder thematisieren. Herr Laschet, nehmen Sie diese Fragen bitte sehr ernst. Wir werden das auf jeden Fall tun. Wir werden diesen Skandal hier im Hause aufklären, meine Damen und Herren.
Die van-Laack-Affäre ist ja nicht der erste Verstoß gegen die Gebote guter Regierungsführung durch Mitglieder dieses Kabinetts. So gab es den Versuch der Schulministerin, einen 600.000-Euro-Auftrag an eine FDP-Parteispenderin zu vergeben, direkt und ohne Ausschreibung wohlgemerkt.
Schon im Juni 2017 wurde ein leitender Angestellter des Baukonzerns PORR Staatssekretär im NRWVerkehrsministerium. Sein Aufgabenbereich blieb allerdings der gleiche. Der Neubau …
(Henning Höne [FDP]: Wir hätten besser eine gewisse gescheiterte Geschäftsführerin ge- nommen! Die hätte das bestimmt besser ge- macht!)
Was werden Sie denn so unruhig, wenn ich hier die Wahrheit sage? Bleiben Sie mal ganz gelassen, Herr Höne. Das müssen Sie sich jetzt mal anhören.
wird Staatssekretär im Verkehrsministerium und beschäftigt sich mit demselben Projekt. Sein Aufgabenbereich ist der Neubau der Leverkusener Brücke. Der Auftragnehmer wurde über Nacht buchstäblich zum Auftraggeber – ein klarer Rechtsverstoß gegen § 21 Verwaltungsverfahrensgesetz, der nicht weniger verlangt als, dass schon der Anschein der Befangenheit zu vermeiden ist. Wir sprechen also noch nicht einmal von einer Befangenheit, die gegeben sein muss. Vielmehr reicht der Anschein der Befangenheit dafür aus, dass sich ein leitender Mitarbeiter des Ministeriums – und das ist ein Staatssekretär – in diesem Bereich zurückhalten muss.
Rechtsexperten waren fassungslos, als sie diese Berufung in der parlamentarischen Anhörung bewerten mussten. Doch das war dem Minister egal.
„Wie in den Achtzigerjahren wickeln einige von ihnen private oder öffentliche Geschäfte ab, ohne einen Gedanken an die Risiken oder ihre Verantwortung gegenüber den Steuerzahlern zu verschwenden.“
Jetzt haben die Recherchen des Westdeutschen Rundfunks ergeben, dass der Neubau der Leverkusener Brücke wieder akut gefährdet ist, weil bei der Auftragsvergabe schon wieder nicht der Anschein von privaten Interessenkonflikten vermieden wurde. Schon wieder wurde gegen Compliance-Regeln und sehr wahrscheinlich auch gegen das Vergabegesetz verstoßen, und zwar grob und fahrlässig.