Protokoll der Sitzung vom 16.12.2020

Die Dimension dieser Zuständigkeiten ist der Beschlussfassung aus dem Jahr 2003 selbstverständlich eingeschrieben. Das gilt auch für die erwähnte Aktion „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ als einem Bestandteil, den der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufgreift.

Beschlossen worden ist dazu folgende Selbstverpflichtung – ich zitiere auszugsweise aus dem Beschluss –:

„– Im In- und Ausland bei Gesprächen mit politi

schen Entscheidungsträgern und in Petitionsschreiben auf bedrohte und inhaftierte Menschenrechtsverteidiger hinweisen und ihren Schutz bzw. ihre Freilassung fordern;

im Ausland das Engagement von Menschen

rechtsverteidigern – so möglich – durch ein persönliches Gespräch würdigen, einen Besuch im Gefängnis machen, sich für ein faires Gerichtsverfahren einsetzen oder sich an einer Prozessbeobachtung beteiligen;

prüfen, ob bedrohte Kolleginnen und Kollegen

im Ausland durch Patenschaften unterstützt werden können.“

Der letztgenannte Punkt der seinerzeitigen Beschlussfassung, unterstützende Patenschaften mit bedrohten Kolleginnen und Kollegen im Ausland zu entwickeln, wird inzwischen schon mit außerordentlich wichtigem Erfolg umgesetzt.

Dieser Bundestagsbeschluss aus dem Jahr 2003 wirkt in unsere menschliche Mitte, zum Beispiel mit der Mandatierung der Bundesregierung, die Stiftungen, die NGOs vor Ort sowie die kirchlichen Einrichtungen zu unterstützen, die zivile gesellschaftliche Strukturen schaffen, um Menschenrechte zu schützen.

In diesem Dienst sehen wir auch die Landespolitik Nordrhein-Westfalens. Wir stehen in der demokratischen Mitte des Landtags. Dies entspricht – im Oktober hat der gemeinsame Antrag „30 Jahre Deutsche Einheit“ diesen Konsens deutlich gemacht – unserer Verantwortung als freies und weltoffenes Land und dem tiefen Bewusstsein für Menschenrechte und Demokratie. Das internationale Engagement NordrheinWestfalens, die Projektarbeit mit Jordanien und Marokko, die enge Partnerschaft mit Israel: Das ist und bleibt von diesem Bewusstsein geprägt.

Die antragstellende Fraktion würdigt das selber: die Vielzahl an internationalen Parlamentariergruppen und die enge partnerschaftliche Zusammenarbeit mit diversen Ländern und Regionen, die Heimat für viele verfolgte Regimekritiker und Verteidiger von Menschenrechten. Ihnen gilt unsere Solidarität. Mit dieser Solidarität wird auch menschenrechtliches Engagement lebendig.

Ich habe jetzt keine Bilder mitgebracht. Sehen Sie mir das bitte nach. Aber auch ohne Fotos sind wir uns hoffentlich einig: Wenn es um die Verletzung von Menschenrechten, um Diskriminierung, um Herabwürdigung und um Folter geht, kann die Grenze auch für ein Landesparlament, das grundsätzlich ja keine außenpolitische Zuständigkeit hat, nicht durch die Frage der Zuständigkeit bestimmt sein.

Wo immer wir Mittel haben, so bescheiden sie auch in der Relation ausfallen mögen, wo immer es sinnvoll zu schaffen ist, kommt es auf das Eintreten, auf die Initiative und auf das offene Wort an.

Daher danke ich für die grundsätzlich gute Absicht der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ausdrücklich.

Der umgekehrte Weg hätte aus unserer Sicht allerdings eine größere Integrität versprochen, nämlich die Anwendbarkeit des Programms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ im Vorfeld zu prüfen, anstatt die Prüfung als Antragsziel zu setzen.

Meine Skepsis im Blick auf den Radius, den der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe für die Bundestagsabgeordneten aufschlägt, habe ich schon angezeigt. Wir müssen uns aber gerade bei diesen Themen darüber im Klaren sein, dass wir verlässlich das einhalten müssen, was wir hier verabreden. Wir dürfen dann nicht die Antwort schuldig bleiben, welche Gefängnisse wir tatsächlich bei Auslandsreisen besucht haben und welche Petitionsschreiben mit Erfolg auf den Weg gebracht worden sind. Wenn das nicht passiert, werden Begriffe einfach nur inflationär in den Raum gestellt. Dem Anliegen, die Würde anderer Menschen zu verteidigen, würde dann gerade nicht geholfen.

Nicht nur am Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2020 und auch nicht nur zur Weihnachtszeit sollten wir an die Menschen denken, deren elementare Rechte missachtet werden und deren Menschenwürde verletzt wird. In diesem Sinne sehen wir einer konstruktiven Beratung im Ausschuss entgegen.

Auch ich schließe mich den guten Wünschen für ein gesegnetes Weihnachtsfest an. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren, für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Krauß. Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Weiß.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

„Bei allen Schwierigkeiten bleibt es unsere unerschütterliche Überzeugung, dass die Menschenrechte universelle Bedeutung haben und weltweit gelten müssen.“

Das sagte Johannes Rau vor 17 Jahren bei einem Besuch der Universität Nanjing in China.

Was der Bundespräsident und ehemalige Ministerpräsident damals in Bezug auf den schwierigen Spagat zwischen wirtschaftlichem Erfolg und ethischem Handeln in der aufstrebenden Volksrepublik sagte,

muss auch heute gelten, und zwar nicht nur in China, sondern immer und überall.

Eine wichtige Basis dafür stellt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen dar, auf deren Bedeutung auch im vorliegenden Antrag eingegangen wird. Diese Erklärung ist eine der zentralen Grundlagen für das Verspechen von Frieden und Wohlstand für alle.

Wir als Fraktion begrüßen es deshalb sehr, dass wir hier und heute Vorschläge diskutieren, wie wir als Parlamentarier einen stärkeren und vor allem einen direkteren Beitrag zum Schutz von Menschenrechten leisten können. Denn dass es weltweit um die universtelle Geltung von Menschenrechten bei Weitem nicht zum Besten bestellt ist, diese Erkenntnis gewinnen wir leider beinahe täglich. Staaten, die sich noch vor wenigen Jahren auf dem Weg zu einem demokratischen Rechtsstaat zu befinden schienen, agieren heute immer stärker wie autoritäre Unrechtsregime.

Laut UNHCR sind heute fast 80 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, doppelt so viele wie noch vor 30 Jahren. So gibt es politische Kräfte, die statt universellen Menschenrechten nur das Recht des Stärkeren propagieren.

Und noch schlimmer: Sie haben sich in vielen Gesellschaften festgesetzt, und sie hören nicht auf, zu diffamieren. Sie hören nicht auf, zu spalten. Sie hören auch nicht auf, zu hetzen. Bisweilen wirkt es, als würden die großen Lehren aus zwei katastrophalen Weltkriegen in Zweifel gezogen und immer weiter relativiert, als würde das „Nie wieder“, das sich die Weltgemeinschaft geschworen hat, Stück für Stück verblassen.

Gerade wir als NRW-Landtag, also als Landtag eines Bundeslandes, dessen Existenz aus diesem „Nie wieder“ hervorgegangen ist, sollten nie müde werden, nach Möglichkeiten zu suchen, wie wir einen Beitrag für die weltweite Geltung von Menschenrechten leisten können.

Ich möchte noch einmal ganz deutlich daran erinnern, dass der Schutz von Menschenrechten mitnichten ausschließlich eine externe Angelegenheit ist. Auch hier bei uns in Nordrhein-Westfalen müssen wir unseren steten Einsatz für Menschenrechte durchsetzen.

In der jetzigen Weihnachtszeit rücken wieder die Menschen in den Fokus, deren Menschenrechte nicht geachtet oder gar verletzt werden. Hier in diesem Hause gibt es – wie jetzt, kurz vor Weihnachten – die richtigen und wichtigen Bekenntnisse zum Schutz der Menschenrechte. Doch wahre Worte können und dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch bei uns in NRW vor allem Taten nötig sind, um Menschenrechte zu schützen.

Im Kleinen und ganz im Konkreten: Wer sich wirklich für den Schutz von Menschenrechten einsetzen will, der kommt nicht an starken Impulsen für nachhaltigen Konsum vorbei, der kommt nicht an einer verbindlichen Regelung für faire und nachhaltige Beschaffung vorbei, und der kommt auch nicht an einem ambitionierten Lieferkettengesetz vorbei,

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir es ernst meinen mit unseren Bekenntnissen zur Allgemeingültigkeit von Grund- und Menschenrechten, dann müssen wir endlich damit aufhören, wirtschaftlichen Erfolg und ethisches Handeln als Gegensätze darzustellen. In der nordrhein-westfälischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft haben das schon viele verstanden. Wir arbeiten darauf hin, dass auch in der nordrheinwestfälischen Politik wieder häufiger Mehrheiten für innovative und nachhaltige Impulse zustande kommen.

Die Idee der Grünen, das Patenprogramm des Bundestages für Parlamentarier in NRW einzuführen, kann aus unserer Sicht dazu einen Beitrag leisten. Wir freuen uns deshalb darauf, auch diese Idee im Ausschuss noch etwas zu konkretisieren. Einer Überweisung stimmen wir deshalb gerne zu.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen allen den Umständen entsprechend ein friedvolles Weihnachtsfest. Kommen Sie gut ins neue Jahr. Vor allen Dingen: Bleiben Sie gesund! – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und Berivan Aymaz [GRÜNE])

Vielen Dank, Herr Kollege Weiß. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Nückel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, die gegenwärtige Diagnose macht wütend. 75 Jahre nach Gründung der UN und auch mehr als 70 Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 hat sich nicht viel geändert.

Das hatten sich die Autoren sicherlich anders gewünscht. Dass auch noch im folgenden Jahrhundert massive Menschenrechtsverletzungen weltweit ein Thema sind, war nicht die Utopie, die sie sich vorstellten. Das Gegenteil ist Realität. Die perfiden Repressionen sind höchstwahrscheinlich noch viel heimtückischer geworden.

Vor 30 Jahren, nach dem Fall der Mauer, nahm die Zahl der demokratischen Staaten und der Staaten, die die Menschenrechte hochhielten, zunächst zu. Immer mehr Länder begaben sich auf den politischen Pfad der Freiheit. Aber das hat sich leider auch schon wieder umgedreht. Morgen vor zehn Jahren begann

zwar der Arabische Frühling, aber der Geruch von Jasmin und die Träume, die damit verbunden waren, wurden – ich glaube, bis auf eine Ausnahme – enttäuscht.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Aber ob Putin, Erdogan oder Orbán, Bolsonaro in Brasilien oder Modi in Indien, wir haben auch das Phänomen, dass viele Länder dabei sind, den demokratischen Weg zu verlassen,

(Dr. Christian Blex [AfD]: Merkel in Deutsch- land!)

und dass Diktaturen wie China umso unerbittlicher auftreten, so unerbittlich, wie sie es schon lange nicht mehr getan haben.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Kritische Stimmen werden zu Feinden und Agenten finsterer Mächte erklärt. Klar, für alle Demokraten muss der Schutz von Menschenrechten eine Priorität haben, eine vorrangige Aufgabe sein. Es gilt, den Verfolgten – Politikern und auch Parlamentskollegen – beizustehen.

In dem vorliegenden Antrag ist vieles inhaltlich richtig. Demokraten haben da eine menschenrechtliche Verantwortung.

Entschuldigung, Herr Kollege Nückel, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Blex von der AfD würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.