Protokoll der Sitzung vom 16.12.2020

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die AfD-Fraktion Herr Abgeordneter Röckemann das Wort.

(Zuruf von der SPD: Wo ist die Maske? – Thomas Röckemann [AfD] geht zurück zu sei- nem Platz und holt seine Maske.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob das, was wir jetzt und hier tun, überhaupt noch Sinn macht. Wir leben seit Kurzem in einer Zeit, die durch Verbote und massive Grundrechtseinschränkungen beherrscht wird. Kommt es überhaupt noch auf die von uns beabsichtigte Änderung zweier kommunaler Gesetze an?

Ist Opposition in Deutschland noch gefragt bzw. gewollt? Leben wir nicht längst in einer neuen Zeit, in der durch die Änderung des Infektionsschutzgesetzes eine Vielzahl von Eingriffs- und Zugriffsmöglichkeiten geschaffen wurden, die Opposition geradezu vereiteln? Ist es in dieser Zeit noch wichtig, dass Gerechtigkeit und Teilhabe an kommunalen Fraktionen durch einen Halbsatz empfindlich gestört werden?

Unser Antrag wäre bereits vor einem Jahr ein wichtiger Meilenstein auf dem Gebiet der von Ihnen so heißgeliebten Gleichstellung von politischen Fraktionen, die untereinander im politischen demokratischen Wettbewerb stehen, gewesen. Wenn ich zudem vor einem Jahr an dieser Stelle öffentlich erklärt hätte, binnen Jahresfrist würden Freizügigkeit, Meinungsfreiheit, das Recht auf Schulunterricht, das Recht auf Arbeit usw. in weiten Bereichen völlig eingeschränkt werden, so hätten Sie mich für einen Verschwörungstheoretiker gehalten und mich bestenfalls ausgelacht.

Inzwischen hat uns die Realität eingeholt. Heute lacht niemand mehr. Heute wird durch Polizei vorgeschrieben, dass Äpfel zu kauen und nicht zu lutschen sind. Busse werden angehalten und zurückgeleitet, da vermutet wird, die Insassen seien Oppositionelle und führen zu einer regierungskritischen Demonstration.

Was ist hier bloß los? Was ist mit unserer freiheitlichen Demokratie geschehen? – Meine Damen und Herren Kollegen, wie winzig erscheint dagegen

unser Gesetzesänderungsvorhaben. Das sind nur zwei Fälle von vielen.

Denken Sie an den AfD-Bundestagsabgeordneten Karsten Hilse, ein Oppositioneller, der auf dem Weg zur entscheidenden Abstimmung von Sicherheitskräften zu Boden geworfen und in Handschellen abgeführt wurde. Das bereitet nicht nur mir Sorge.

Wir alle haben die Nazizeit nicht persönlich erlebt und dürfen deswegen froh und dankbar sein. Wir müssen allerdings alles dafür tun, dass sich eine solche Schreckensherrschaft niemals wiederholt. Dazu gehört, dass wir uns zurückbesinnen. Was genau wollten die Väter des Grundgesetzes? – Die Väter des Grundgesetzes entschieden sich auch für den Föderalismus gemäß Art. 28 Grundgesetz.

Bezogen auf unser Gesetzesvorhaben in NordrheinWestfalen bedeutet das konkret: In den §§ 58 Gemeindeordnung und 41 Kreisordnung ist die Verteilung der kommunalen Ausschusssitze geregelt. Es gibt dabei zwei Möglichkeiten: Entweder alle Fraktionen einigen sich, und es erfolgt kein Widerspruch von einem Fünftel der Ratsmitglieder, oder das dʼHondtVerfahren kommt zur Anwendung, bei dem die ermittelten Werte in die entsprechende Reihenfolge gebracht und die Vorsitze entsprechend verteilt werden.

So weit, so gut, wäre da nicht der zu streichende Halbsatz. Danach können sich Fraktion zu einer sogenannten Zählgemeinschaft zusammenschließen. Das bedeutet, dass sich Fraktionen unterschiedlicher Couleur, die sich im Grunde spinnefeind sind, für eine einzige Abstimmung zusammenschließen können, um eine weitere Fraktion, die sie überhaupt nicht leiden können, für fünf Jahre von der demokratischen Teilhabe auszuschließen.

Durch solch einen Zusammenschluss wird nicht nur das vom Souverän vorgegebene Mandat ausgehöhlt, auch das Vertrauen in die Demokratie wird empfindlich gestört. Es war schließlich der Wunsch der Wähler, dass ein vielfältiger, vielschichtiger Rat entsteht. Dazu gehört insbesondere, dass sich der Wille der Wähler in der Besetzung der Ausschüsse und Gremien und der Verteilung der Ausschussvorsitze widerspiegelt.

Ermöglichen Sie der tatsächlichen Opposition hier im Lande also die Arbeit, so wie es die Väter des Grundgesetzes wollten. Respektieren Sie die Entscheidung des Souveräns. Die bisherige Regelung wird der Auslegung im Lichte der Verfassung nicht standhalten; das wird die Anhörung im Ausschuss ergeben. Stimmen Sie deshalb bitte der Überweisung zu.

Ich komme zum Schluss und wünsche allen zunächst frohe und besinnliche Weihnachten. Liebe Mitbürger, die ihr unter den Repressalien des Merkel’schen Lockdowns leidet, euch rufe ich außerdem zu: Habt Mut, tretet weiterhin entschlossen für Demo

kratie und Meinungsfreiheit ein, bleibt tapfer und verliert nicht die Hoffnung. Glück auf und Gottes Segen!

(Beifall von der AfD)

Das war für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Röckemann. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Sträßer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist ein sprödes Thema zu unbequemer Zeit an diesem Abend. Herr Kollege Röckemann, ich war schon erstaunt, was Sie aus diesem Gesetzentwurf machen. Sie hängen ihn groß am Vertrauen in die Demokratie auf; die Teilhabe sei empfindlich gestört, es sei ein wichtiger Meilenstein zur Gleichberechtigung von Parteien und Fraktionen.

Ich finde, Sie sind in Ihrer Rede zwischendurch eigentlich zu den besseren Formulierungen gekommen. Es handelt sich wirklich um ein winziges Gesetzgebungsvorhaben. Leider haben Sie die Frage, die Sie am Anfang selbst gestellt haben, ob das wirklich noch Sinn mache, falsch beantwortet. Dieser Gesetzentwurf macht nämlich keinen Sinn.

Ich will das kurz erläutern: Das, was Sie in den §§ 58 Gemeindeordnung und 41 Kreisordnung kritisieren, stellt eben keinen Verstoß gegen die Spiegelbildlichkeit der Mehrheiten dar. Das ist so auch schon durch das Bundesverfassungsgericht entschieden worden, gerade mit Bezug auf die Vergabe von Ausschussvorsitzen. Deshalb muss die Verteilung der Ausschussvorsitze eben nicht streng spiegelbildlich dem politischen Kräfteverhältnis im Rat entsprechen.

Wie gesagt, das alles ist, gerade zu einer solchen Zeit, sehr juristisch und spröde. Dass die Zählverfahren Hare-Niemeyer und dʼHondt samt ihren rechnerischen Effekten gleichermaßen zulässig sind und vom Gesetzgeber beide vorgegeben werden können, ist ebenfalls längst gerichtlich geklärt. Es ist aberwitzig, davon zu sprechen, dass es sich hier um einen Verstoß gegen die Grundsätze der Verfassung handele.

Die Möglichkeit der Fraktionen, Zugriffsgemeinschaften für den Zugriff auf die Ausschussvorsitze zu bilden und hierdurch ihr Gewicht zu steigern, können auch kleinere Fraktionen in Anspruch nehmen und somit profitieren. Auch deshalb käme eine Streichung gerade nicht den kleineren Fraktionen zugute.

Anlass für eine Gesetzesänderung sehen wir deshalb nicht – so viel schon im Rahmen dieser ersten Lesung. Es scheint mir eher ein Gesetzentwurf in eigener Sache zu sein. Nichtsdestotrotz werden wir den parlamentarischen Gepflogenheiten entsprechend einer Überweisung natürlich zustimmen.

Ich darf uns allen wünschen, dass wir uns im kommenden Jahr mit wichtigeren Themen beschäftigen können und dass diese auch positiv ausgehen. Ich wünsche uns allen für 2021 viel Glauben, viel Liebe und viel Hoffnung. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und Christian Mangen [FDP])

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Sträßer. – Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Körfges.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich werde die durch einige Vorredner zu Recht betonte vorweihnachtliche Stimmung leider ein wenig eintrüben müssen.

Inhaltlich hat der verehrte Kollege Sträßer schon viel Richtiges gesagt.

Der Wortbeitrag von Herrn Röckemann war aus meiner Sicht insbesondere wegen der Bezugnahme auf die aktuelle Pandemiegesetzgebung unerträglich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- ruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Das war zwar am Thema vorbei, aber total entlarvend. Herr Röckemann, ich verdächtige Sie nicht, ein Verschwörungstheoretiker zu sein. Sie sind ein Verschwörungstheoretiker, wie Sie eben eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Man kann tatsächlich unterschiedlicher Meinung sein über die Methoden der proportionalen Repräsentation, um Wählerstimmen in Abgeordnetenmandate umzurechnen.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Wir haben uns verschiedentlich – und zwar im Fachausschuss für Kommunales, im Rechtsausschuss und in Kommissionen – mit der Frage unterschiedlicher Berechnungsverfahren auseinandergesetzt. Die Arbeiten an der Gemeindeordnung, die zum großen Teil in großer Einmütigkeit vonstattengegangen sind, haben gezeigt, dass wir uns über Fraktionsgrenzen hinweg immer darum bemüht haben, gerechte und praktikable Verfahren in der Kommunalverfassung zur Anwendung zu bringen, wenn es um die Zuordnung von Mandaten und um Wahlergebnisse geht.

Herr Kollege Körfges, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Kollege Blex würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

(Zurufe: Nein!)

Ja, selbstverständlich, Herr Blex.

Vielen Dank, Herr Körfges, dass Sie das zulassen. Ihre Fraktion ist ja nicht so erfreut darüber.

Sie haben eben gesagt, Herr Röckemann sei ein Verschwörungstheoretiker. Ich frage nach: Ist es nicht so, dass Oppositionspolitiker Hilse, MdB, auf dem Weg zu einer Abstimmung von Sicherheitskräften niedergerungen wurde? Ist es nicht so, dass am gleichen Tag die Staatsgewalt auf einer friedlichen Demo mit Wasserwerfern gegen frei für Freiheitsrechte demonstrierende Menschen vorgegangen ist? Ist dem nicht so?

Herr Blex, ich überlege tatsächlich, ob es sinnvoll war, diese Zwischenfrage zuzulassen,

(Beifall von der SPD – Christian Dahm [SPD]: Ich könnte das beantworten!)

will Ihnen aber in aller Deutlichkeit sagen: Menschen, die sich in dieser Zeit nicht an die Regeln zum Schutz der Allgemeinheit vor der Pandemie halten,

(Dr. Christian Blex [AfD]: Unterdrückung der Opposition ist das!)

Menschen, die solche Einsätze ganz bewusst provozieren, sind nicht geeignet, in einem deutschen Parlament als Märtyrer dargestellt zu werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ver- einzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Ich darf an der Stelle zum Thema zurückkommen. Das zeigt, dass demokratische Oppositionsrechte – ich bin auch Oppositionsabgeordneter – in keiner Weise beschnitten sind: Es ist nämlich sogar zulässig, unlogische und leicht durchschaubare taktische Spielchen in Gesetzesinitiativen zu tarnen und uns dann hier damit zu beschäftigen.

Ich darf Sie allerdings fragen: Was soll der Unfug, meine Damen und Herren von der AfD? Denn sachlich gibt es keinerlei Hintergrund, der da vernünftigerweise eine Gesetzesänderung in der Gemeinde- oder der Kreisordnung implizieren würde.

Rechtlich gibt es – darauf ist der Kollege Sträßer schon eingegangen – dieses sogenannte TönisvorstUrteil. Das stellt klar, welche Voraussetzungen das Bundesverwaltungsgericht an die Spiegelbildlichkeit in kommunalen Ausschüssen legt. Das ist so in Ordnung. Es gibt da allerdings keinen Handlungsbedarf.