Protokoll der Sitzung vom 13.07.2018

11 Einrichtung einer Enquete-Kommission „Paral

lelgesellschaften und drohende No-go-areas. Wie lässt sich die Zukunft des urbanen Raums in Nordrhein-Westfalen für alle Bürger sicherstellen?“

Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/3022 – Neudruck

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/3142

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Seifen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben alle noch das Bild vor Augen, wie die deutschen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit ihren Trikots in der Hand den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als ihren Präsidenten huldigten.

Viele waren irritiert, weil die Spieler doch scheinbar vollkommen in unserem Land angekommen sind und sogar unser Land repräsentieren. Die Menschen in Deutschland hatten diese Sportler in ihre Herzen geschlossen und freuten sich, wenn sie wieder einmal Beispiele ihrer glänzenden Fußballkunst präsentieren konnten.

Mit diesen Bildern aber zeigen sie allen, dass ihre Loyalität nicht ihrem Geburtsland Deutschland gehört, sondern dem Land ihrer Eltern, der Türkei. Diesem Land gehört ihre gesamte Loyalität, und sie fühlen sich weiter diesem Land und seiner Kultur zugehörig – und dies, obwohl sie doch in Deutschland aufgewachsen sind, das deutsche Schulsystem durchlaufen haben und Teil der deutschen Sportlerelite geworden sind.

Diese für sich – so meine Meinung – eigentlich bedeutungslose Episode ist aber deshalb so bedeutsam, weil sie als Symptom einer Entwicklung gelten kann, die wir bereits seit Langem sorgenvoll betrachten können, nämlich der Hinwendung vieler Menschen mit Migrationshintergrund zu dem Land und der Kultur ihrer Väter und Mütter, obwohl sie doch in unserem Land geboren sind und von ihrer Geburt an leben.

Deshalb kann diese Episode der Anlass sein, grundsätzlich über ein Problem zu diskutieren, das seit Langem virulent ist. Wir müssen uns endlich der dringenden, ja existenziellen Frage zuwenden, wie ein friedliches, glückliches und fruchtbares Zusammenleben von Menschen gelingen kann, die vollkommen unterschiedliche Zugehörigkeiten empfinden und sich stets über Generationen hinweg immer noch als eine eigene Volksgruppe definieren, welche der Mehrheitsgesellschaft mit innerer Distanz gegenübersteht.

Diese zelebrierte Fremdheit wird noch bewusst verfestigt durch die unterschiedlichen Lebensauffassungen, die zu Parallelgesellschaften führen können. Die Weltbilder, Gesellschaftsbilder und Menschenbilder eines westlich-aufklärerisch sozialisierten Menschen und eines orientalisch-islamisch sozialisierten Menschen können unterschiedlicher nicht sein.

Wie kann aber das Zusammenleben von Menschen gelingen, die nach den Werteordnungen unter

schiedlicher kultureller und religiöser Zeitepochen leben? Wie geht man in einer modernen, aufklärerischen, rechtsstaatlichen Gesellschaft mit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen von Vorstellung und gesellschaftlichem Regelwerk um?

Ich weiß; einige von Ihnen sehnen sich nach der multikulturellen Gesellschaft und malen sich in ihrer schwärmerischen Fantasie paradiesische Zustände darin aus. Da man nicht von der Wirklichkeit wachgerüttelt werden will, tabuisiert man alle Schwierigkeiten, die sich aus der multikulturellen Gesellschaft ergeben. Man will sich mit dem Faktum der multikulturellen Gesellschaft, die eben auch das Phänomen der Parallelgesellschaft impliziert, nicht auseinandersetzen und straft jede Fehlentwicklung mit Ignoranz.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Deshalb wirft man allen, die sich dieses Problems annehmen, Rassismus und Islamophobie vor und erstickt damit auch jeden öffentlichen Diskurs über dieses Problem.

Der Entschließungsantrag der CDU zeigt, vor allem im letzten Teil, dass man unserem Antrag wieder hetzerischen Impetus vorwirft. Ich bitte Sie, meine Herrschaften: Schauen Sie doch einmal auf die vielen Fußnoten, die in unserem Antrag stehen. Sind das denn alles Hetzer? Wir haben sie lediglich zitiert.

(Beifall von der AfD)

Dieser Diskurs ist aber bitter notwendig, und zwar ein leidenschaftsloser Diskurs – nüchtern, heuristisch angelegt, sine ira et studio. Denn wir müssen uns Klarheit über die mentale Verfasstheit unseres Gemeinwesens in Deutschland verschaffen.

Die Motive dieser Ignoranz – zum Teil von Ihnen, aber auch außerhalb des Parlaments – mögen unterschiedlich gelagert sein. Damit drücken sich die Ignoranten und die Apologeten der Diversität aber um die entscheidende Antwort auf die Frage – und das ist eine existenzielle Frage –: Was hält eine Gesellschaft als Gemeinschaft zusammen?

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie nicht!)

Es geht in der Enquetekommission also nicht nur um die Betrachtung und Einordnung von Missständen, wie Sie das in Ihrem Entschließungsantrag behaupten. Darum geht es uns überhaupt nicht in erster Linie. Sie haben eine Menge aufgezählt, was Sie alles tun, um Gefahren zu beseitigen und Kriminalität zu bekämpfen. Das ist aber gar nicht das Herzstück unseres Antrags. Wenn Sie den Antrag richtig und vorurteilsfrei gelesen hätten, hätten Sie gesehen, dass es hier um ein heuristisches Problem geht, um ein Erkenntnisproblem, das diese Enquetekommission herausarbeiten soll.

Denn man muss wissen, dass eine Nation durch die Loyalität ihrer Angehörigen zu den gemeinsamen In

stitutionen und durch die Solidarität mit den Menschen eines gemeinsamen Lebensraums gebildet und erhalten wird. Diese Loyalität muss vorhanden sein.

Wir wollen in einer Enquetekommission untersuchen, inwiefern man es schafft, in den verschiedenen multikulturellen Gesellschaften diese Loyalität zu entdecken. Die Enquetekommission könnte durch ihre Untersuchungen die Grundlage dafür liefern. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Seifen. – Für die Fraktion der CDU hat nun Herr Kollege Kerkhoff das Wort. Bitte schön, Herr Kerkhoff.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Themen „Parallelgesellschaften“ und „No-go-Areas“ auf diese Art und Weise derart oberflächlich behandelt, einen Antrag aus Versatzstücken zusammenbaut, Zitate aus dem Zusammenhang gerissen aneinanderreiht und einen Antrag vorlegt, der in Duktus und Sprache diffamiert und stigmatisiert sowie durch vereinfachende und hetzerische Wertungen einzelne gesellschaftliche und religiöse Gruppen stigmatisiert, der kann nicht nur keine Zustimmung erwarten, sondern dem war von Anfang an bewusst, dass er sie nicht bekommt.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Schauen Sie sich einmal an, wie in diesem Haus Enquetekommissionen zustande kommen. Lesen Sie sich einmal die Einsetzungsanträge der Enquetekommissionen der letzten Wahlperioden durch. Dann werden Sie feststellen, dass sie allesamt vom Duktus her in eine ganz andere Richtung gehen. In einer Enquetekommission sollen nämlich Dinge, die Sie hier heute schon als gegeben darstellen, erst untersucht werden.

(Beifall von der CDU)

Deshalb ist dieser Antrag auf Einrichtung einer Enquetekommission letztlich nur der Versuch einer Provokation. Denn in Wahrheit haben Sie überhaupt kein Interesse an der sachlichen Arbeit in einer Enquetekommission über den Zeitraum von zwei Jahren hinter verschlossenen Türen und unter Hinzuziehung von Sachverständigen, weil dies all Ihren eingeübten Empörungsritualen diametral widerspricht.

(Helmut Seifen [AfD]: Sie empören sich!)

Dieser Vorgehensweise von Ihnen setzt die NRWKoalition eine Strategie des entschlossenen Han

delns entgegen. Wir haben im Wahlkampf angekündigt, mit einer Null-Toleranz-Strategie gegen No-goAreas, Parallelgesellschaften, Clanstrukturen, Rockerbanden und organisierte Kriminalität vorzugehen. Unser Ziel ist es, die Sicherheit – auch die gefühlte – in unserem Land für alle Menschen zu verbessern, und zwar an jedem Ort und zu jeder Zeit.

Mit Übernahme der Regierungsverantwortung vor gut einem Jahr hat die NRW-Koalition diesen angekündigten Richtungswechsel mit allen Konsequenzen auch begonnen.

(Beifall von der CDU)

Es beginnt natürlich mit mehr Polizei, mehr Richtern, mehr Staatsanwälten, besserer Ausrüstung, mehr Befugnissen und vielen anderen Dingen.

Jetzt will ich noch etwas zu dem Antrag sagen. Es ist die Frage, wie man mit einem solchen Antrag umgeht, weil wir natürlich das gelebte Parlamentsverständnis haben, dass wir allen Fraktionen diese Dinge zubilligen und das auch in Form der Auseinandersetzung im Rahmen einer Enquetekommission tun. Diesem Geist fühlen sich CDU und FDP verpflichtet.

Deshalb werden wir uns gleich bei der Abstimmung zu dieser Enquetekommission enthalten. Das ist für uns der einzig gangbare Weg. Denn diese Enthaltung entspricht auf der einen Seite unserer Haltung zu den parlamentarischen Gepflogenheiten und signalisiert auf der anderen Seite auch klar unsere ausdrückliche Distanzierung von diesem Antrag aus den von mir genannten Gründen. Das ist keine gute Basis für den Beginn einer gemeinsamen Arbeit in einer Enquetekommission.

(Beifall von der CDU)

Jetzt leuchtet hier ein Lämpchen.

Es leuchtet ein Lämpchen. Herr Kollege Kerkhoff, dieser Bemerkung entnehme ich, dass Sie mit Ihrer eigentlichen Rede fertig sind. – Der Abgeordnete Seifen von der Fraktion der AfD hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Herr Kollege Seifen, Sie haben für 90 Sekunden das Wort.

Herr Kollege Kerkhoff, Sie enttäuschen mich ein bisschen. Sie machen so einen seriösen Eindruck. Daher bin ich jetzt verwundert, dass Sie den Antragstext nicht richtig gelesen haben, denn das sind alles Fußnoten. Vielleicht sind Sie es gewohnt, mit Fußnoten zu arbeiten und diese zu lesen.

Die Fußnoten weisen nicht darauf hin, dass wir irgendetwas zusammengeschrieben haben, sondern es ist ein konsistenter Gedankengang, auf den wir uns

mit der Wiedergabe von Autoritäten in diesem Sachverhalt beziehen. Ich bitte doch, da zu unterscheiden.

Ein zweiter Punkt. Ich denke, jeder, der Ihr Papier liest und die Schmähungen, die wieder über den Antrag gebracht werden, wird feststellen, dass es keine Konsistenz zwischen Ihren Schmähungen und dem Antrag gibt. Ich bitte also zu bedenken, dass da weder gehetzt noch ausgegrenzt noch irgendetwas anderes gemacht wird.

Im Gegenteil: Ihr Entschließungsantrag geht sofort einfach nur auf Kriminalität aus. Das wollen wir gerade nicht, sondern wir respektieren, dass die Menschen aus anderen Ländern ihre Kultur haben.

Die Frage, die wir aber stellen, lautet: Wie können Menschen aus völlig unterschiedlichen Kulturen zusammenleben? Wir haben nämlich – das ist jetzt der Schluss – eine Ideologie des Multikulturalismus. Er wird heute favorisiert. Die Enquetekommission soll untersuchen, ob so etwas überhaupt funktioniert. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Wir kümmern uns mit praktischer Politik darum, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft in unseren Städten friedlich miteinander leben können. Das ist das eine.