Protokoll der Sitzung vom 10.10.2018

Da weder der Netzausbau noch die Entwicklung leistungsfähiger Speichertechnologien mit dieser Entwicklung Schritt halten, hat diese Verschiebung massive Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit. Verschärfen wird sich die Situation in den kommenden Jahren durch den beschlossenen Kernenergieausstieg, mit dem bis Ende 2022 weitere rund 10 GW

gesicherte Kraftwerksleistungen täglich nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Über Jahrzehnte haben wir die Netzstabilität aber als gegeben ansehen können.

Netzstabilität ist und bleibt ein unerlässlicher Faktor für den dauerhaften Erfolg unseres Wirtschaftsstandortes. Diesen Standortfaktor dürfen wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Digitalisierung liefert uns einerseits neue Antworten zur Lösung dieser Flexibilitätsanforderungen. Andererseits werden aber auch die Ansprüche an die Versorgungssicherheit und Netzstabilität durch die Digitalisierung noch einmal erheblich steigen. Vom Smart Home bis zur Smart Factory – alles wird am Strom hängen.

Es wäre fahrlässig, eine Reduzierung des Niveaus der Versorgungssicherheit hinzunehmen und gleichzeitig über die Weiterentwicklung von Industrie 4.0, vernetze Mobilität oder Cybersicherheit zu sprechen. Deutschland kann nicht digital werden wollen, aber gleichzeitig seine Stromversorgung schwächen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Um die Kohlekraftwerke schneller vom Netz nehmen zu können, wird gerne angeführt, dass Deutschland schon genügend Strom produziere und sogar exportiere. Verschwiegen wird dabei gerne, dass die Bruttostromleistung aus Wind- und Fotovoltaik zwar für einen Stromüberschuss sorgt, dieser Strom beim deutschen Verbraucher und der deutschen Industrie aber nicht verlässlich ankommt –

(Zuruf von der AfD)

erstens wegen der Wetterabhängigkeit und zweitens wegen fehlender Übertragungsnetze. Von den für 50 % Anteil der Erneuerbaren an der Energieversorgung bis 2030 bisher geplanten 7.700 km Übertragungsnetzen sind gerade einmal 13 % fertiggestellt worden. Das müssen wir uns vor Augen führen.

Die Erneuerbaren tragen zwar bruttobezogen mittlerweile ein Drittel zur Stromumwandlung bei, insgesamt aber nur 10 % der täglich gesicherten Leistung.

(Zuruf von der AfD)

Je nach Ausstiegsszenario aus der Kohleverstromung würde Deutschland als größtes Industrieland Europas zum Stromimporteur. Ihre Rolle als Mitte des nächsten Jahrzehnts einzige Nettostromexporteure in Europa würden Polen und Frankreich ausbauen. Das eine Land produziert 90 % seines Stroms aus Kohle, das andere Land 75 % seines Stroms aus Atomkraft. Wir würden in Deutschland nicht nur die Atomkraft, sondern auch die Kohle aufgeben, um beides in den Nachbarländern in schlechterer Qualität für Sicherheit und Umwelt zu fördern und dafür auch noch teuer bezahlen.

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist die Politik der Grünen!)

Wir können und wollen die Energiewende aber nicht negativ, sondern positiv und zukunftsgerecht gestalten, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dazu müssen wir die Energiewende in Deutschland vom Kopf auf die Füße stellen

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

und sie mit einem verlässlichen Plan unterlegen, wie wir bis wann aus den konventionellen Energien aussteigen können. Dieser Ausstieg ist aus Klimaschutzgründen und wegen der Endlichkeit der Ressourcen unzweifelhaft notwendig,

(Zuruf von der SPD)

aber er muss bezahlbar sein und darf die Versorgungssicherheit nicht infrage stellen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Für eine Neujustierung der Energiewende benötigen wir ein ganzes Maßnahmenbündel, das die derzeit losen Enden der Energiewende sinnvoll zusammenführt. Hierzu erarbeitet die Landesregierung derzeit gemeinsam mit der Industrie, der Energiewirtschaft, den Verbänden und den Gewerkschaften eine Energieversorgungsstrategie. Aus Sicht der Landesregierung müssen dabei unter anderem die folgenden wichtigen Aspekte berücksichtigt werden:

Erstens: schnellerer Ausbau der Strom- und Gasnetze für den Transport des Ökostroms zum Verbraucher und Synchronisation mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Dies reduziert auch die stark gestiegenen Kosten, von denen ich eben sprach.

Zweitens: Erhalt der Versorgungssicherheit durch eine Verlagerung der Energieerzeugung aus Gaskraftwerken, die unter anderem auf bestehenden Kohlekraftwerksstandorten in Nordrhein-Westfalen entstehen und längerfristig auf synthetisches Gas aus erneuerbaren Quellen umgestellt werden können.

(Zuruf von der SPD)

Drittens: stärkere Anreize für eine Sektorenkoppelung und Belebung der Sektoren, die nicht dem EUweiten Emissionshandel unterliegen, mit einem CO2Preis, der Teile der bisherigen Abgaben und Steuern ablöst.

Viertens: Förderung dezentraler urbaner Energielösungen aus Fotovoltaik, Geothermie, Kraft-WärmeKopplung und Elektromobilität. Hier hat NordrheinWestfalen aufgrund seiner Siedlungsstruktur große Potenziale.

Fünftens: Schaffung von angemessenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für gesicherte Leistungen und Förderung einer marktorientierten Flexibilisierung bei Angebot und Nachfrage.

Last, not least, meine Damen und Herren: Reduzierung von Steuern und Abgaben auf Strom sowie anteilige Finanzierung der EEG-Umlage aus dem Bundeshaushalt, nicht zuletzt – das füge ich hinzu – im Interesse einer sozial gerechteren Kostenverteilung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Diese wichtigen Maßnahmen sind entscheidende Voraussetzungen für eine schnellere Reduzierung der Kohleverstromung und könnten das Fundament für einen Neustart der Energiewende bilden, der Deutschland wieder zu einem Vorbild in der Welt werden lässt. Das waren wir einmal. Inzwischen schaut das Ausland aber kopfschüttelnd auf die Ineffizienz der deutschen Energiepolitik. Das müssen wir ändern.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die rot-grüne Vorgängerregierung hat den Ausstieg aus der Braunkohle für nach 2045 vorgesehen. Das ginge schneller, aber nur, wenn die zuvor beschriebenen Maßnahmen zur Neujustierung der Energiewende schneller und verlässlich umgesetzt werden und die Frage des Strukturwandels in der Region konkret und nachhaltig beantwortet wird.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Nur wenn Deutschland es schafft, die Energiewende so weiterzuentwickeln, dass sie den Wohlstand sichert und der Umwelt dient, wird es weltweit Nachahmer geben. Zu dieser Aufgabe gehören die Förderung der Transformation in der Industrie, die Forschung und Entwicklung und der in die Zukunft gerichtete Strukturwandel in den Regionen.

Die Landesregierung arbeitet daran, diese Voraussetzungen zu schaffen, und setzt gezielte Maßnahmen und Initiativen um. Der Schlüssel dafür sind Innovationen und Investitionen. Für beides schaffen wir in Nordrhein-Westfalen wieder bessere Rahmenbedingungen, indem wir den Zeitraum bis zur Genehmigung von modernen und klimafreundlichen Anlagen halbieren und dafür sorgen, dass die neuen umweltfreundlichen Anlagen in Nordrhein-Westfalen schneller errichtet werden können.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Menschen in Nordrhein-Westfalen sind bereit, den Weg der Energiewende mitzugehen. Diese Akzeptanz gilt es aber zu erhalten. Der aktuelle Bericht des Bundesrechnungshofes belegt, was jeder Bundesbürger leistet, um den Atomstrom und konventionelle Energieträger durch Erneuerbare zu ersetzen. Bislang hat die Energiewende 160 Milliarden Euro gekostet. Einen Großteil haben die Verbraucher direkt bezahlt. Allein im vergangenen Jahr waren es 24 Milliarden Euro über die EEG-Umlage, hinzu kamen weitere Umlagen über den Strompreis.

Im Ergebnis attestiert der Bundesrechnungshof der Energiewende aber, dass zwei der drei Grundpfeiler

einer verantwortungsvollen Energiepolitik brüchig sind: Bezahlbarkeit und Klimaschutz.

Einerseits hat Deutschland die höchsten Strompreise, was zunehmend zu einer sozialen Frage wird. Gerade die einkommensschwachen Haushalte und der Mittelstand leiden am meisten unter der Verteuerung. Andererseits – das muss uns zu denken geben – verbessert sich die CO2-Bilanz bei Weitem nicht so stark, wie es eigentlich notwendig wäre.

Doch damit nicht genug, meine Damen und Herren. Mit der Forderung nach einem übereilten Kohleausstieg gerät nun auch der dritte Grundpfeiler einer klugen Energiepolitik ins Wanken: die Versorgungssicherheit.

In seinem Bericht vom 28. September 2018 stellt der Bundesrechnungshof fest – ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren –:

„Trotz des erheblichen Einsatzes von Personal und Finanzmitteln erreicht Deutschland die Ziele bei der Umsetzung der Energiewende bisher überwiegend nicht …“

Weiter heißt es:

„Aus Sicht des Bundesrechnungshofes sind entscheidende Verbesserungen bei der Koordination und Steuerung der Energiewende unumgänglich. Die Bundesregierung bleibt zum Handeln aufgefordert. Anderenfalls könnte in der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, Deutschland sei nicht imstande, die gesamtgesellschaftlich und langfristig angelegte Energiewende erfolgreich zu gestalten und umzusetzen …“

So weit der Bundesrechnungshof, ich denke, eine neutrale Instanz.

Genau an dieser Kritik des Bundesrechnungshofs setzt unsere Politik für Nordrhein-Westfalen an, die ich eben in Eckpunkten beschrieben habe. Wir müssen alles tun, um die Energiewende vom Kopf auf die Füße zu stellen, ein breites Fundament zu legen. Genau das erwarten wir auch von der Arbeit in der Kommission „Wachstum, Struktur und Beschäftigung“.

(Beifall von der CDU und der FDP)

In den vergangenen Monaten ist immer wieder die Leitentscheidung der rot-grünen Landesregierung zur Zukunft des Rheinischen Reviers aus dem Jahr 2016 angesprochen worden. Man muss anerkennen, dass die gerade einmal zwei Jahre zurückliegende Leitentscheidung von einem energiewirtschaftlichen Realismus geprägt war.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beschlossene Leitentscheidung vom 5. Juli 2016 basierte auf der Bedeutung der Braunkohleverstromung für Ver