Protokoll der Sitzung vom 10.10.2018

Die von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beschlossene Leitentscheidung vom 5. Juli 2016 basierte auf der Bedeutung der Braunkohleverstromung für Ver

sorgungssicherheit und Preisstabilität und berücksichtigte bereits den künftigen Rückgang der Braunkohleverstromung. Die damalige Landesregierung hatte in der Leitentscheidung zur Verkleinerung des Tagebaus Garzweiler II unter anderem festgestellt, dass – ich zitiere – „Braunkohlenabbau in den Tagebauen Garzweiler II, Hambach und Inden in Nordrhein-Westfalen zur langfristigen Energieversorgung weiter erforderlich“ bleibe.

Im Rahmen der Erarbeitung der Leitentscheidung hat die Landesregierung ein Onlinebeteiligungsverfahren durchgeführt. In diesem Verfahren ist bereits eine Schonung des Hambacher Forstes von den Bürgern thematisiert worden. In der Abwägung hat sich die von den Grünen mitgetragene Landesregierung aber gegen diese Anregung entschieden. Der zurückgehende Bedarf an Braunkohle könne genutzt werden, um auf eine sonst noch notwendige Umsiedlung von Menschen zu verzichten. Dies sei der schwerste mit dem Braunkohleabbau verbundene Eingriff. Der mit der damaligen Leitentscheidung ausdrücklich bestätigte Bedarf für Braunkohleabbau auch nach 2030 mache aber den Tagebau Hambach, in dem keine weiteren Umsiedlungen mehr erforderlich werden, in seinen unveränderten Abbaugrenzen erforderlich.

(Heiterkeit von der CDU)

Mit Blick auf die Leitentscheidung der rot-grünen Landesregierung ist anzumerken – die Abwägung „Menschen vor Bäumen“, die Sie getroffen haben,

(Zuruf von Michael Hüber [SPD])

die aus meiner Sicht richtig war –, dass das im selben Jahr war, in dem das Pariser Klimaabkommen geschlossen wurde und der Bund mit dem Land eine Herausnahme von fünf Kohlekraftwerksblöcken vereinbarte, da die Bedrohung der nationalen Klimaziele für 2020 schon zu diesem Zeitpunkt vollumfänglich bekannt war. Sie haben also wissentlich, wie sich die Lage entwickelt, entschieden. Rückblickend war das eine rational vernunftgeleitete Entscheidung. Es wäre nur schön gewesen, Sie hätten sich in den letzten Wochen und Monaten an diese Entscheidung und Ihre Begründung erinnern können.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

In den vergangenen Wochen und Monaten haben wir eine Vermischung von Sachverhalten aus politischem Kalkül erlebt, die nicht geschehen darf. Während die WSB-Kommission über die mittel- bis langfristige Ausrichtung der Energieversorgung berät, geht es bei den Diskussionen um den Hambacher Forst um die Umsetzung von bestehenden Abbaugenehmigungen auf der Grundlage der eben zitierten Leitentscheidung.

Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht in der Hauptsache bisher nicht entschieden, sondern sich für die

Entscheidung mehr Zeit erbeten. Diese Entscheidung respektieren wir selbstverständlich.

Gleichzeitig erwarten wir aber auch, dass die Demonstranten den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 14. September 2018 zur Vollziehung der Räumungsanordnung der Baumhäuser respektieren und angesichts der im Beschluss bestätigten – ich zitiere das Gericht – „Gefahren für die Bewohner der Baumhäuser unter Gesichtspunkten des Brandschutzes und einer mangelnden Sicherung vor Stürzen in die Tiefe“ jetzt eine erneute Errichtung von Baumhäusern unterlassen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir werden Rechtsbrüche – damit das ganz klar ist – auch künftig nicht akzeptieren. Wir können den Ordnungsbehörden und Einsatzkräften aber auch nicht fortlaufend zumuten, die Bewohner der Baumhäuser vor sich selbst und das vom BUND als besonders schutzwürdig angemeldete Gebiet vor den Aktivisten zu schützen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich möchte für die Landesregierung die Gelegenheit nutzen und den Rettungskräften, den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten für ihren anspruchsvollen und besonnenen Einsatz im Zuge der Räumungsmaßnahmen großen Dank aussprechen.

(Lang anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)

Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ ist unter anderem mit dem Ziel eingesetzt worden, einen Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung einschließlich eines Abschlussdatums vorzulegen.

Die Kommission hat aber auch den Auftrag zur Schaffung einer konkreten Perspektive für neue, zukunftssichere Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen im Zusammenwirken zwischen Bund, Ländern, Kommunen und den wirtschaftlichen Akteuren.

In den letzten Monaten haben wir in enger Abstimmung mit den regionalen Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ein umfassendes Programm zur Entwicklung neuer Perspektiven für das Rheinische Revier entwickelt und der WSB-Kommission vorgelegt.

Darüber hinaus haben wir eine Prioritätenliste für das Start- und Langfristprogramm abgestimmt, das wir am Freitag mit der WSB-Kommission besprechen.

An die traditionsreichen Stärken der Energiewirtschaft in unserem Land anzuknüpfen, ist unsere größte Chance, damit wir auch an den neuen, wachsenden Geschäftsfeldern eines sich wandelnden Energiesystems teilhaben.

Die bestehenden Kraftwerke in Verbindung mit den energieintensiven Unternehmen bilden gemeinsam mit unseren Innovationskompetenzen die hohe Lagegunst des Rheinlandes für das Erzeugen von Produkten, die wir nach der Energiewende mehr denn je brauchen. Ich spreche hier vom Produkt „Versorgungssicherheit“, das neu konzipiert werden muss.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Das Sie kaputt ge- macht haben!)

Denn es wird anspruchsvoller, kontinuierlich und zuverlässig Energie bereitzustellen.

Wir setzen uns daher in Berlin unter anderem dafür ein, dass als eines unserer Leitprojekte das Reallabor Wärmespeicherkraftwerk MS-Store-to-Power eingerichtet wird.

Dieses Wärmespeicherkraftwerk soll an einem ehemaligen Kraftwerkstandort als Reallabor geschaffen werden. Dabei handelt es sich um einen FlüssigsalzWärmespeicher, der bis zu 1 Gigawatt Wärme speichern soll. Er ist schwarzstartfähig und kann in einer sogenannten Dunkelflaute als Back-up-Kraftwerk dienen.

Mit einem Gesamtsystemwirkungsgrad von ca. 40 % kommt der Speicher einem modernen Braunkohlekraftwerk in seiner Wirkung nahe. Durch die Entwicklung von Hochtemperaturwärmepumpen werden in Zukunft sogar Gesamtwirkungsgrade von bis zu 70 % möglich.

Deswegen werden wir uns als weiteres Leitprojekt um die Ansiedlung eines DLR-Instituts für Hochtemperaturwärmepumpen bemühen. Sie werden zur Verbesserung des Wirkungsgrades für die Weiterentwicklung der Wärmespeicher in Zukunft dringend benötigt.

Neue Chancen brächte dem Rheinischen Revier auch die Ansiedlung einer Batteriezellproduktion. Hier arbeiten wir in der vom Ministerpräsidenten geleiteten Kommission für Elektromobilität in unserem Land zusammen mit den Akteuren in Bund und Europa intensiv daran, dass eine solche Produktion mit eigenen Unternehmen aus der Region und Europa hier in Nordrhein-Westfalen im Rheinischen Revier angesiedelt werden kann.

Vor dem Hintergrund des anstehenden Strukturwandels gewinnt der räumliche Transformationsprozess zusätzlich an Bedeutung. Hierzu planen wir eine internationale Bau- und Technologieausstellung „Rheinisches Zukunftsrevier“, die die Neuordnung des Raumes und die Weiterentwicklung der Siedlungen als Orte der Zukunft in einem Mobilitätsrevier der Zukunft mit dem Anspruch verknüpft, wegweisende Schritte in eine innovative und klimafreundliche Zukunft mit hoher Lebensqualität zu gehen.

Um diese und andere Projekte wie etwa auch die Errichtung eines Campus Rhein-Erft der TH Köln zu

fachlichen Schwerpunkten der Transformation zu realisieren, soll das Rheinische Revier als Sondergebiet ausgewiesen werden, um optimierte Flächenausweisung und schnelle Genehmigungsverfahren zu realisieren und die notwendigen Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen schnell umsetzen zu können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen in den kommenden Monaten und Jahren vor großen Herausforderungen: der Neujustierung der Energiewende, aber auch der strukturpolitischen Entwicklung der von der Reduzierung der Kohleverstromung betroffenen Regionen.

Hier benötigen wir keine Symbolpolitik, sondern brauchen vernunftgeleitetes nachhaltiges Handeln.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Emotionen können helfen, einen Politikwechsel einzuleiten. Sie allein machen ihn aber noch nicht erfolgreich. Das große Risiko einer Politik, die sich vom Pathos großer Emotionen tragen lässt, ist: Löst sie ihre Versprechen nicht ein, ist die Enttäuschung derart groß, dass das emotionale Pendel heftig zur anderen Seite ausschlägt.

(Zuruf von der SPD: Das kennt die FDP ja gut!)

Dies wäre ein Desaster für den Klimaschutz, meine Damen und Herren. Das wollen wir nicht. Deshalb wollen wir den Erfolg für die Energiewende hier in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Ich eröffne nun die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD Herrn Abgeordneten Herter das Wort.

Ich darf Sie darüber informieren, dass wir – Sie haben es gemerkt – in einem Bauteil der Plenarsaalanlage einen technischen Defekt haben. Daher bitte ich um Ihr Verständnis dafür, dass wir bis auf Weiteres auf die Handmikrofone, die normalerweise für den Besucherdienst genutzt werden, zurückgreifen müssen. Danke für Ihr Verständnis.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Herr Pinkwart, Sie sind sehr ambitioniert gestartet und haben gesagt, es gehe der Koalition um die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie.

Dann haben Sie hier 15 Minuten lang einen Statusbericht geliefert – einen Statusbericht darüber, was in der Energiewirtschaft so vor sich geht, einen Statusbericht darüber, wo Ihre Sorgen sind, die ich übrigens in großen Teilen teile, und einen Statusbericht

darüber, was der eine oder andere Akteur machen müsste.

Herr Minister, Folgendes habe ich vermisst: Was will denn die Landesregierung machen? Was will denn die NRW-Koalition machen?

(Beifall von der SPD)

Herr Pinkwart, das war doch alles rheinische Mystik nach dem Motto „Man müsste mal“: Man müsste mal dies tun; man müsste mal das tun – und immer andere müssten mal was tun.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Das war auf ganzer Linie enttäuschend – ein ganz und gar nicht entfesselter Wirtschaftsminister.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Dietmar Bro- ckes [FDP])