Protokoll der Sitzung vom 12.07.2017

Meine Damen und Herren, im Übrigen ist es durchaus zu hinterfragen, wenn Sie auf der einen Seite rhetorisch darlegen, dass Sie zwischen ökologischer Nachhaltigkeit, sozialem Zusammenhalt und wirtschaftlicher Entwicklung einen Ausgleich schaffen wollen, auf der anderen Seite zugleich sagen, dass Sie diesen Ausgleich schaffen wollen, indem Sie allein die wirtschafts- und wachstumsfreundliche Ausrichtung des LEP in den Vordergrund stellen.

Es stellt sich somit die Frage nach dem eigentlichen Motiv Ihres Handels. Das eigentliche Motiv – Sie verschleiern es hinter „Bürokratieabbau“ und „Entfesselung“ – besteht doch darin, dass Sie die Prioritäten schlicht und ergreifend so verändern wollen, dass Sie keinen Ausgleich schaffen. Sie wollen deregulieren.

(Zuruf von der CDU: Oh Gott!)

Es ist wieder da, das alte Bild der FDP von der Deregulierung. Wer diesen Koalitionsvertrag aufmerksam liest, findet es zum Beispiel auch im Zusammenhang

mit der Kommunalwirtschaft wieder. Sie haben zwar den § 107 Gemeindeordnung nicht ausdrücklich genannt, aber Sie haben beispielweise ausgeführt, dass die kommunalen Unternehmen weniger Chancen haben sollen, sich am Markt zu behaupten, und zwar zugunsten der privaten Unternehmen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Wo haben Sie das denn gelesen?)

Sie können den Koalitionsvertrag, den Sie geschlossen haben, ja noch einmal lesen.

(Zuruf von der CDU)

Wenn Sie sich weiter fragen, ob Sie Ihren eigenen Bürokratieabbau überhaupt ernst meinen, dann möchte ich Sie gerne noch einmal auf Ihre Einschränkungen bei der Energieform „Wind“ hinweisen. Bei der Windenergie bauen Sie Bürokratie auf, und zwar eine Verhinderungsbürokratie, die Wachstum behindert, die eine vernünftige Energieform behindert und die aus rein ideologischen Gründen wieder genau dort ansetzt, wo Sie 2010 aufhören mussten, nämlich bei der Bekämpfung der Windkraft, deren Ausbau hier in Nordrhein-Westfalen eigentlich nach wie vor von erheblicher Wichtigkeit wäre.

Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel nennen, an dem man sehr deutlich erkennt, dass vernünftige Rahmensetzungen seitens der Politik den Markt durchaus auch befruchten können und sogar nötig für ihn sind. Wer ernsthaft von Selbstverpflichtungen spricht, der hat bis heute nicht das Desaster begriffen, das sich bei VW und anderen Firmen im Zusammenhang mit Dieselmotoren ereignet hat. Dazu konnte es nämlich kommen, weil es zu wenig Regulierung, zu wenige Kontrollen und zu wenige Prüfungen gegeben hat.

Das spricht keineswegs dafür, dass die Wirtschaft sich selber am besten reguliert, so wie Sie das meinen. Insofern bin ich gespannt, ob der heißen Luft dieses erneuten Antrags etwas mehr Substanz vonseiten der Landesregierung folgt. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Becker. – Nun hat für die Landesregierung Herr Minister Prof. Pinkwart das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung begrüßt den Antrag der Koalitionsfraktionen und freut sich, dass wir auf dieser Grundlage dem Parlament zeitnah entsprechende Initiativen vorlegen können. Wir halten es seitens der Landesregierung für dringend geboten, dass Nordrhein

Westfalen die Möglichkeiten, die das Land hat, im Interesse von Wachstum, Beschäftigung und damit auch Nachhaltigkeit nutzt.

Eine Debatte hat es natürlich an sich, dass die einen das Glas halbvoll sehen und die anderen halbleer. Hier gibt es auch noch einen gewissen Diskussionsbedarf im Nachgang des Regierungswechsels. Das ist sicherlich nachvollziehbar. Ich glaube jedoch, dass sich die ehemaligen Koalitionsfraktionen noch einmal mit den Sachverhalten befassen müssen, die erst jüngst vor der Wahl diskutiert worden sind. Ich erinnere an den im Mai vorgelegten RWI-Bericht, der deutlich macht – ich zitiere aus der Studie –:

„Im Vergleich mit anderen westdeutschen Flächenländern bildet Nordrhein-Westfalen meist das Schlusslicht.“

Ich möchte auch aus einem Artikel der „Rheinischen Post“ vom 11. Mai 2017 zitieren, worin mein Amtsvorgänger zur RWI-Studie gefragt worden ist und er sich bemüht hat, für Nordrhein-Westfalen zu erklären, warum sich das Land in einer derart schwierigen Situation befindet. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich die „Rheinische Post“:

„Den schwarzen Peter weist Minister Duin von sich. Er habe den Koalitionsvertrag mit den Grünen 2012 nicht mitverhandelt. Die Stärkung des Standorts Nordrhein-Westfalen habe offenbar damals nicht im Mittelpunkt gestanden.“

So weit die Ausführungen meines Amtsvorgängers. Das ist genau das, was wir beobachten können: Die letzte Landesregierung hat sich sehr stark mit sich selbst beschäftigt, aber viel zu wenig mit der Zukunft des Landes Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Man wollte durchaus gute Initiativen ergreifen, aber diese haben letztlich nicht die Zustimmung in der Koalition oder bei der Regierung gefunden, sodass sie nicht oder nur halbherzig umgesetzt werden konnten; manchmal gingen sie auch in die falsche Richtung.

Wenn Nordrhein-Westfalen als mit Abstand größtes Bundesland in vielen Wachstumsfaktoren nur Mittelmaß oder sogar unterdurchschnittlich ist, dann kann man doch nicht allen Ernstes sein Regierungshandeln darauf aufbauen, zusätzliche Regelungen auf das aufsetzen, was Bund und Europa vorgeben, sondern dann sollte man doch überlegen, wie man das Gebilde verschlanken kann.

(Beifall von der FDP)

Statt zu überlegen, wo man es den Menschen einfacher machen kann, wo man die Wirtschaft und den Mittelstand entlasten kann und wie man Unternehmensgründungen vereinfachen kann, war die Kreati

vität darin erschöpft, sich neue Regulierungen auszudenken und für zusätzliche Erlasse und Verordnungen zu sorgen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn man neu beginnen will, wenn man einen Neustart machen will – und das hat das Land verdient –, finde ich es nur richtig, dass man sich von den unnötigen Regulierungen befreit. Wir wollen aber noch darüber hinausgehen – das steht auch in dem Antrag; wir greifen das sehr gerne auf –, indem wir das, was Sie zuvor verschlimmbessert haben, abschaffen und darüber nachdenken, was wir verbessern können. – Diesen Punkten gehen wir nach, meine Damen und Herren.

Schon am Montag haben wir eine Initiative gestartet, mit der wir Gründerinnen und Gründer in NordrheinWestfalen aufrufen, uns ihre Anregungen zukommen zu lassen und ihre Beschwernisse mitzuteilen. Wir arbeiten das dann auf, indem wir den Dingen Schritt für Schritt nachgehen und uns fragen: Was kann der Landesgesetzgeber tun? Was können die Kommunalbehörden und der Bund tun, damit junge Leute, die jetzt einsteigen wollen, die mit eigenem Engagement und auf eigenes Risiko an den Start gehen wollen, nicht den Eindruck haben, dass der Staat sie daran hindern will? Das werden wir Ihnen in den nächsten Monaten Punkt für Punkt vorlegen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Hierzu lade ich auch die Oppositionsfraktionen ein, denn das geht uns alle an. Sie kommen doch auch in Ihren Wahlkreisen herum. Sie hören doch auch das Feedback aus der Wirtschaft, wo der Schuh drückt, wenn ich das mal so pragmatisch ausdrücken darf.

Wenn Sie die Start-up-Center in Ihren Wahlkreisen besuchen – das werden Sie sicherlich tun –, dann fragen Sie doch die Gründer nach ihren Anregungen, damit wir gemeinsam daran arbeiten können, Nordrhein-Westfalen wieder schneller und besser zu machen. Mit diesem Eindruck werden auch die Menschen wieder motiviert; denn eines haben Ludwig Erhard und Karl Schiller sehr gut schon mal festgestellt: 50 % in der Wirtschaft ist Psychologie. – Und wenn aufgrund der Psychologie die Wirtschaft mitnimmt, dass wir sie fördern und nicht behindern wollen, ist schon viel erreicht. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Prof. Pinkwart. – Weitere Wortmeldungen haben wir nicht.

Wir können also abstimmen. Die antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP haben direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen also ab über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/74. Wer stimmt dem so zu? – CDU und FDP. Wer stimmt dagegen? – SPD,

Grüne und die AfD. Gibt es Enthaltungen? – Ich sehe keine Enthaltungen. Die Mehrheit war eindeutig. Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich rufe auf:

8 Kein Kahlschlag beim Schutz der Mieter*innen

in NRW – gutes und bezahlbares Wohnen muss in Fokus der Landesregierung gerückt werden!

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/69

In Verbindung mit:

Mit der Abrissbirne durch das Mieterrecht – schwarz-gelber Marktradikalismus in der Wohnungspolitik muss gestoppt werden!

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/81

Die Aussprache wird hiermit eröffnet. Zunächst hat Herr Kollege Klocke, der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wohnungsmarkt in NordrheinWestfalen ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass es in diesem Land ein sehr differenziertes Bild gibt. Wir haben stark wachsende Kommunen mit Düsseldorf, Köln, Bonn, Münster, Aachen und auch Bielefeld. Gleichzeitig kommt es in vielen ländlichen Bereichen aufgrund des demografischen Wandels zu hohen Leerstandsquoten, und die Kommunen bemühen sich, die Einwohnerinnen und Einwohner auch in den nächsten Jahren zu halten.

Die vorherige Landesregierung hat viel unternommen, um Schwung in die Wohnungswirtschaft in Nordrhein-Westfalen zu bringen.

(Zuruf von der CDU: Sie hat sich stets be- müht!)

Wir haben mit der Wohnraumförderung ein Instrument auf den Weg gebracht, das im letzten Jahr dazu geführt hat, dass 40 % der in der Bundesrepublik neu gebauten Wohnungen in Nordrhein-Westfalen gebaut worden sind. Es gibt kein Bundesland, in dem im Verhältnis zwischen Größe und Einwohnerzahl auch nur ansatzweise mehr Wohnungen gebaut worden sind als in Nordrhein-Westfalen in 2015 und 2016.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben aber auch die Situation, dass Mieterinnen und Mieterinnen vielfachen Problematiken ausgesetzt sind, weil Wohnungsunternehmen oder Vermieter nicht fair mit ihnen umgehen. Zwar bin ich davon überzeugt, dass 80 % bis 90 %der Vermieterinnen und Vermieter sowie der Wohnungsunternehmen fair und sachlich mit ihren Mietern umgehen, aber es gibt auch Problemfälle.