Protokoll der Sitzung vom 30.10.2018

Ausschusses für Gleichstellung und Frauen am vergangenen Mittwoch wieder die Fahne von TERRE DES FEMMES auf dem Vorplatz.

Physische und psychische Gewalt gegen Mädchen und Frauen ist leider kein Einzelfall; sie tritt sehr häufig auf. Mitten unter uns wird jeden Tag quer durch alle Gesellschaftsschichten hindurch das Leben vieler Mädchen und Frauen enorm belastet. Aber auch Jungen und Männer werden Opfer von Gewalt. Beide Themen werden in der Öffentlichkeit weitgehend tabuisiert. Somit werden die Opfer von Gewalt aller Geschlechter ignoriert. Dieses Schweigen muss gebrochen werden, um allen Opfern von Gewalt zu zeigen, dass sie nicht alleine sind.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Polizeiliche Kriminalstatistik von 2017 für Nordrhein-Westfalen nennt 38.500 Opfer von Gewalt. In 83 % dieser Fälle sind Frauen die Opfer männlicher Gewalt. Diese Zahl ist erschreckend hoch und traurig zugleich. Noch trauriger sind die 72 Todesfälle infolge von Partnerschaftsgewalt: 56 weibliche und 16 männliche Opfer. Registriert wurden 600 Vergewaltigungen in der Partnerschaft; die Dunkelziffer liegt vermutlich wesentlich höher. Das sind keine bundesweiten Zahlen, sondern nur die Zahlen für NordrheinWestfalen.

In der vergangenen Legislaturperiode haben wir uns mit neuen Formen für Frauenhäuser, Opferschutz und Täterarbeit befasst. Ebenso näherten wir uns dem sehr schwierigen Thema „Gewalt gegen behinderte sowie chronisch kranke Mädchen und Frauen“. Die Ergebnisse des Projekts „Mädchen sicher inklusiv“ sind erschreckend. Ein Viertel der Mädchen mit Behinderungen hat in ihrem Leben bereits Gewalt erfahren müssen.

Eine weitere sehr verletzliche Gruppe sind unsere Kinder. Digitale Angriffe, Diffamierungen, Beleidigungen oder Rufschädigungen, machen vor den Schulpforten nicht halt, sie finden unter Schülerinnen und Schülern statt. Von den schweren Formen Cybergewalt, Cybersexismus und Cyberstalking sind besonders Mädchen betroffen. Hier müssen wir auch weiterhin aktiv werden und durch Sensibilisierung und Aufklärung intensiv vor den Gefahren warnen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die Vorgängerregierung hat im Jahr 2016 einen ersten Landesaktionsplan „NRW schützt Frauen und Mädchen vor Gewalt“ aufgestellt. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass es sich hierbei eher um eine Sammlung verschiedener Handlungsmaßnahmen bezüglich Schutz und Hilfe für die Opfer handelt.

Dennoch halte ich diesen Landesaktionsplan für hilfreich, weil er zum einen die verschiedenen Formen von Gewalt gegen Mädchen und Frauen definiert, zum anderen aber auch Opferschutzmaßnahmen

und Präventionsmaßnahmen des Landes aufzeigt. Der daraus folgende Maßnahmenkatalog ist groß.

Die NRW-Koalition aus Christdemokraten und FDP schreibt dieses Maßnahmenbündel seit Regierungsübernahme fort und verbessert es bis zur Erstellung unseres Aktionsplans 2.0 kontinuierlich. Dazu gehören folgende drei Maßnahmen:

Erstens haben wir die Frauenhausfinanzierung, also den Akutschutz, mit rund 1 Million Euro erheblich aufgestockt. Außerdem haben wir die Zuschüsse an die Träger von Zufluchtsstätten für misshandelte Frauen flexibler und unbürokratischer gestaltet.

Zweitens ist seit Sommer 2018 eine Landeskoordinierungsstelle zur Bekämpfung von Gewalt gegen Mädchen, Frauen, Jungen und Männer eingerichtet, deren Aufgabe es unter anderem ist, behörden- und institutionsübergreifend einen Erfahrungs- und Informationsaustausch vorzunehmen. Best-Practice-Beispiele können so landesweit schneller verbreitet werden und anderen die Arbeit vor Ort erleichtern.

Drittens werden wir im kommenden Jahr auch die anonyme Spurensicherung verbessern. So sichern wir das Telematikprojekt „Intelligentes Gewaltopfer-Beweissicherungs- und Informationssystem“, kurz: iGOBSIS-live, des Instituts für Rechtsmedizin in Düsseldorf ab, welches eine gerichtsfeste Dokumentation und Spurensicherung gewährleistet.

Gleichzeitig folgen wir den Empfehlungen der temporär eingerichteten Landeskoordinierungsstelle Anonyme Spurensicherung NRW vom März, indem die Zusammenstellung, Belieferung und Annahme der Spurensicherungssets standardisiert werden und die Finanzierung der Spurensicherungssets zum Zwecke der Vereinheitlichung ab kommendem Jahr gesichert ist.

(Beifall von der FDP und der CDU)

So erreichen wir, dass erlebte Gewalt diagnostiziert und dokumentiert werden kann und die Spuren somit korrekt und gerichtsfest gesichert werden können.

Dem Thema „Gewalt an Frauen und Mädchen“, aber auch dem Thema „Gewalt an Männern und Jungen“ muss mit klugen Ansätzen für ein friedliches und somit freiheitliches Miteinander in unserer Gesellschaft begegnet werden.

Die Adventszeit und Weihnachten stehen vor der Tür. Traurigerweise ist diese für viele von uns so wunderschöne Jahreszeit eine Hochzeit für häusliche Gewalt. Schauen Sie daher nicht weg, wenn dies in Ihrem Umfeld passiert, sondern bieten Sie bitte Ihre Hilfe an. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die SPD erteile ich der Abgeordneten Frau Butschkau das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der letzten Woche stellte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey der Öffentlichkeit die aktuelle Kriminalstatistik zu Gewalt in Partnerschaften vor.

Demnach wurden 115.000 Frauen und 25.000 Männer im Jahr 2017 Opfer von häuslicher Gewalt. Dies ist nur die Zahl der Straftaten, die zur Anzeige gebracht wurden. Expertinnen und Experten gehen von einem Dunkelfeld von rund 80 % aus. Für uns alle wohl am schockierendsten dürfte sein, dass alle zwei bis drei Tage eine Frau von ihrem Partner oder ExPartner getötet wird.

Familienministerin Franziska Giffey hat reagiert und wird ein Aktionsprogramm gegen Gewalt an Frauen bis zum Jahr 2020 mit 35 Millionen Euro fördern. Das ist gut und das ist richtig. Das ist sozialdemokratische Politik, die Probleme in Angriff nimmt und sie nicht aussitzt.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU- und der FDP-Fraktion, ich danke Ihnen, dass Sie diesem wichtigen Thema heute einen prominenten Platz in der Tagesordnung eingeräumt haben.

Seit fast zwei Jahren hören wir immer und immer wieder, dass die Frauenhäuser in Nordrhein-Westfalen voll sind. Wir können hier von einem chronischen Problem sprechen. Daher war ich schon überrascht, dass Sie diesem Thema eine Aktuelle Stunde widmen; denn im Ausschuss für Gleichstellung und Frauen ist es bereits in beinahe jeder Sitzung auf der Tagesordnung. Ich bin beruhigt, dass die Dringlichkeit dieses Themas nach immerhin fast zwei Jahren nun auch bei Ihnen angekommen ist.

(Zuruf von der CDU)

Ich hätte mir allerdings eher gewünscht, Sie hätten dieses Thema mit einem Antrag aufgegriffen, in dem Sie konkret die Verbesserung der Situation der von Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen einfordern und Maßnahmen hierzu benennen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wenn Sie schon keinen eigenen Antrag formulieren möchten, dann schließen Sie sich doch einfach dem gemeinsamen Antrag der Grünen und von uns an, der genau dieses Thema aufgreift.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das, meine Damen und Herren, wäre eine konstruktive Gestaltung des politischen Prozesses durch die

Regierungsfraktionen; denn dass wir hier einmal darüber geredet haben und danach nichts tun, das bringt den betroffenen Frauen und Mädchen auch nichts.

Als Oppositionspolitikerin frage ich mich natürlich, warum Sie die Aktuelle Stunde eigentlich einberufen haben. Da drängt sich erst einmal die Vermutung auf, dass Sie der Landesregierung ein Forum bieten wollen, zum Beispiel um Ihre bisher zurückhaltende Politik bei dem Thema zu korrigieren oder um Maßnahmen zu verkünden, die Sie umsetzen wollen. Daher sind wir sehr gespannt auf die Rede der Gleichstellungsministerin.

(Sarah Philipp [SPD]: Sehr gespannt!)

Die Erwartungen der betroffenen Frauen sind nicht zu hoch. Sie fordern schlicht stichhaltige und bedarfsgerechte Lösungen. Korrekturkosmetik, wie sie mit den 50 zusätzlichen Frauenhausplätzen verfolgt wird, reicht nicht aus. Die zusätzlichen Plätze sind zwar wichtig, lösen das Problem aber bei Weitem nicht.

Die SPD-Fraktion hat das Thema „Gewalt gegen Frauen und Mädchen“ längst angepackt. Wir nutzen weiter jede Möglichkeit, um auf die unbefriedigende Situation der Frauenhäuser aufmerksam zu machen.

Wir haben Gespräche mit der LAG, den Wohlfahrtsverbänden und den Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern geführt, haben uns die Einrichtungen angeschaut und uns die Schwierigkeiten erklären lassen.

Wir stehen zu der Istanbul-Konvention des Europarates, welche auch die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet hat. Wir stehen zu den Zielen und Richtwerten, die darin stehen.

Ein Richtwert betrifft die Zahl der Frauenhausplätze. 571 landesgeförderte Plätze gibt es in NordrheinWestfalen. Die Landesregierung will diese Platzzahl, wie gesagt, aufstocken. Dadurch ist der Bedarf nach der Istanbul-Konvention aber bei Weitem noch nicht gedeckt. Ein Frauenhausplatz auf 10.000 Einwohnerinnen wird empfohlen. Das wären insgesamt 1.789 Plätze in Nordrhein-Westfalen. Demnach fehlen über 1.200 Plätze.

Als wäre das zögerliche Verhalten der Landesregierung in dieser Angelegenheit nicht schon ärgerlich genug, versucht Ministerin Scharrenbach auch noch auf absurde Weise, die ganze Sache schönzurechnen. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage zieht sie die Empfehlung des Europarates in Zweifel und definiert ohne jegliche fachliche Begründung eine eigene Regel: ein Frauenhausplatz je 10.000 Einwohnerinnen zwischen 19 und 65 Jahren. – Demnach läge der Bedarf an Frauenhausplätzen bei 546, und neue Frauenhausplätze wären gar nicht mehr notwendig.

So kann man es sich leicht machen, Frau Ministerin. Doch die Realität zeigt leider, dass die Welt nicht so einfach ist, wie Sie sie sich manchmal vorstellen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Aber eines müssen Sie mir noch erklären: Warum haben Sie denn überhaupt diese rund 50 neuen Plätze im Haushaltsplan für 2019 eingeplant, wenn Sie gar keine neuen Frauenhausplätze für nötig halten?

(Zuruf von der CDU: Wollen Sie das kritisieren?)

Eine flächendeckende Hilfeinfrastruktur für von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen ist für uns ein wichtiges Anliegen. Das war es bereits in den letzten Legislaturperioden, das bleibt es auch in dieser. Jede Frau, die Hilfe in der Not sucht, muss unkompliziert ein Obdach in einer Hilfeeinrichtung finden können.

(Beifall von der SPD)

Wir stehen jedoch nicht nur vor der Herausforderung, zusätzliche Plätze zu schaffen, auch qualitativ müssen wir das Hilfesystem verbessern. Das betrifft zum einen das Thema „sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen“, zum anderen aber auch die Betreuung der Kinder von Gewaltopfern.

Schließlich haben wir das Problem, dass Frauen ohne ein Anrecht auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch ihren Frauenhausaufenthalt selbst finanzieren müssen. Das ist gerade bei Studentinnen und bei Opfern aus Flüchtlingsfamilien ein sehr großes Problem.