Protokoll der Sitzung vom 13.09.2017

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie herzlich zu unserer heutigen 6. Sitzung des Landtags von NordrheinWestfalen willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne, vor den Fernsehgeräten oder im Internet sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich eine Verpflichtung einer Abgeordneten gemäß § 2 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung vornehmen.

Der Landeswahlleiter hat mir mit Schreiben vom 14. Juli 2017 mitgeteilt, dass mit Wirkung vom 15. Juli 2017 Frau Wibke Brems für die ausgeschiedene Abgeordnete Sylvia Löhrmann, Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied des Landtags geworden ist.

Ich darf Frau Brems zu mir bitten, damit ich die nach § 2 unserer Geschäftsordnung vorgesehene Verpflichtung vornehmen kann, und darf Sie bitten, sich von den Plätzen zu erheben.

(Die Abgeordneten erheben sich von ihren Plätzen.)

Liebe Kollegin Brems, ich bitte Sie, die folgenden Worte der Verpflichtungserklärung anzuhören und anschließend durch Handschlag zu bekräftigen:

„Die Mitglieder des Landtags von NordrheinWestfalen bezeugen vor dem Lande, dass sie ihre ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die übernommene Pflicht und Verantwortung nach bestem Wissen und Können erfüllen und in der Gerechtigkeit gegenüber jedem Menschen dem Frieden dienen werden.“

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich heiße Sie als neue Abgeordnete in der 17. Wahlperiode herzlich willkommen und wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer täglichen Arbeit im Interesse der Bürgerinnen und Bürger des Landes Nordrhein-Westfalen. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute!

(Allgemeiner Beifall)

Vor Eintritt in die Tagesordnung teile ich noch mit, dass sich alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen zwischenzeitlich darauf verständigt haben, die Tagesordnung um den neuen Tagesordnungspunkt 27 – ohne Debatte – zu erweitern:

Haushaltsrechnung des Landes Nordrhein-Westfalen für das Rechnungsjahr 2015

Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags auf Erteilung der Entlastung nach § 114 LHO

Drucksache 16/13832

In Verbindung damit:

Jahresbericht 2017 des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen über das Ergebnis der Prüfungen im Geschäftsjahr 2016

Unterrichtung durch den Landesrechnungshof

Drucksache 17/600

Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte verschieben sich dementsprechend. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Nunmehr treten wir in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Regierungserklärung

Der Chef der Staatskanzlei hat mir mit Schreiben vom 4. September 2017 mitgeteilt, dass der Ministerpräsident beabsichtigt, heute eine Regierungserklärung abzugeben.

Ich erteile Herrn Ministerpräsident Armin Laschet das Wort zur Einbringung der Regierungserklärung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Regierungserklärungen in ruhigen Zeiten sind häufig Reden, mit denen dann noch einmal die Ziele des Koalitionsvertrages in Worten beschrieben werden. Die 120 Seiten des Koalitionsvertrages beschreiben im Detail, was die Nordrhein-WestfalenKoalition in den nächsten fünf Jahren plant.

Unsere Zeit hat aber den Rhythmus geändert. Unser Land steht vor großen Veränderungen, sodass ich die Gelegenheit nutze, um mit Ihnen hier im Landtag darüber zu debattieren, welche Umbrüche uns in den nächsten Jahren erwarten und welche Herausforderungen für unsere Gesellschaft vor uns liegen, die nicht in fünf Jahren abgeschlossen sein werden.

Im Jahre 2018 endet mit der Schließung der Steinkohlebergwerke Prosper Haniel in Bottrop und des Bergwerks Ibbenbüren die Ära der Steinkohleförderung in Nordrhein-Westfalen. Jene Branche, die die Grundlage für den wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands und Nordrhein-Westfalens schaffte, wird endgültig Teil der Industriegeschichte und der Landesgeschichte sein.

Was bedeutet eine solche Zäsur für ein Land, in dem nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die eigene Identität von der Kohle abhing? Bis vor wenigen Jahren war 15 Minuten vor den Plenarsitzungen das Bergmannslied „Glück auf, der Steiger kommt“ die Musik, die die Abgeordneten in den Plenarsaal rief. Kohlewirtschaft prägte das Bewusstsein unseres Landes. Das ist die eine große Veränderung, die uns

in ihrer historischen Dimension im nächsten Jahr erwartet.

Im Jahre 2019 wird das Vereinigte Königreich, das Land, das Nordrhein-Westfalen gegründet hat, unser Patenland, die Europäische Union verlassen.

(Beifall eines Abgeordneten der Fraktion der AfD)

Es gibt einen Einzelnen und eine Fraktion, die das toll finden. Ich glaube, die Mehrheit dieses Landes findet es nicht schön, dass die Briten NordrheinWestfalen verlassen.

(Starker Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Das bedeutet nämlich, dass die 10 % unseres gesamten Handelsvolumens, das wir heute mit Großbritannien abwickeln – einer unserer wichtigsten Handelspartner, an dem Tausende Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen hängen –, vor dramatischen Umbrüchen stehen, wenn bis zum nächsten Jahr keine Lösung gefunden wird. Das bedeutet für Studierende und Menschen aus Großbritannien, die hier leben, dass sie demnächst Aufenthaltsgenehmigungen und Visa beantragen müssen, wenn sie bei uns bleiben wollen. Deshalb brauchen wir in diesem Jahr alle Anstrengungen, damit es zu einer guten Lösung kommt.

Nächster Punkt: Im Jahre 2022 werden die letzten drei deutschen Kernkraftwerke vom Netz gehen. Was bedeutet dieser Meilenstein in der Energiewende für das Land Nordrhein-Westfalen? Was bedeutet das für die gesamtdeutsche Energiesicherheit? Wer sättigt den steigenden Energiebedarf unseres Industrielandes? Das sind Umbrüche, die jetzt schon deutlich werden und zu denen die Daten feststehen – klar, absehbar, kalkulierbar.

Wir haben aber gleichzeitig Umbrüche, die sich nicht an solchen Daten festmachen lassen: einen politischen und gesellschaftlichen Wandel, eine schnellere Veränderung mit großen Unsicherheiten und internationalen Konflikten.

Die Digitalisierung stellt viele Gewohnheiten des alltäglichen Lebens und Wirtschaftens infrage. Aber das Verschlafen der Digitalisierung gefährdet unseren Wohlstand. Mit Sicherheit ist der Digitalisierungsstand im Jahre 2022 am Ende der Amtszeit von uns allen Abgeordneten ein völlig, dramatisch anderer als heute im Jahre 2017.

Die Globalisierung schreitet voran und hat die Skepsis gegenüber Freihandel und Marktwirtschaft weltweit befördert. Die Fronten sind verändert. Während plötzlich der amerikanische Präsident gegen Freihandel spricht, sagt der kommunistische Staatspräsident in China: Wir brauchen mehr Freihandel. – Nichts stimmt mehr an Gewissheiten, die wir alle kannten.

Internationale Konflikte an den Rändern der Europäischen Union, die Kriege in der Ukraine und jenseits des Mittelmeers in Syrien und Libyen, sind nicht mehr fern weg, sondern berühren jede unserer Kommunen, weil die Menschen, die aus diesen Kriegen fliehen, zu uns nach Nordrhein-Westfalen kommen.

Darüber hinaus haben wir Energiekonflikte mit Russland. Wenn alle sagen: „Ja, schnell aussteigen aus allem; möglichst mehr Gas“, bedeutet das auch, dass dieses Gas aus einem Land kommt, das im Moment außenpolitisch schwierig im Verhältnis zu uns ist.

Die weltweiten Migrationsströme haben zugenommen. Europa ist dabei das Hauptziel vieler Flüchtlinge aus den Kriegen, aber auch aus dem Elend in Afrika. Die Menschen in tiefster Not sehen auf dem Smartphone unsere Art zu leben, und ihr Weg führt aus Aleppo nach Ahlen, aus Rakka nach Recklinghausen, aus Libyen ins Lipperland.

Außenpolitik ist nicht, wie man einmal sagte, Teil der Innenpolitik. Nein, sie ist Teil unserer Kommunalpolitik geworden, weil das Leben in jeder Kommune von diesen Fragen heute betroffen ist.

In einer solchen Zeit ist die Politik gefragt, den Menschen Orientierung anzubieten und entschlossen zu handeln.

Dafür braucht man das richtige Maß. Dieses droht aber verloren zu gehen, wenn Ideologie oder Verklärung die Vernunft verdrängen. Maß und Mitte zu halten ist, von den griechischen Philosophen angefangen, seit 2.500 Jahren eine Menschheitsweisheit, die in jeder Lebenssituation angewandt werden muss.

Wenn man das nicht macht, kann man in der Gegenwart oder in der Vergangenheit erstarren; man kann in Tradition versteinern, um das auf Nordrhein-Westfalen zu übersetzen; man kann, berauscht durch Herzkammerrhetorik, aus dem Land ein Museum machen – und gleichzeitig den Blick für die Zukunft verlieren und wichtige Weichenstellungen im Strukturwandel verpassen, weil man das Alte mit vielen Milliarden möglichst erhalten will, obwohl der Wandel längst eingesetzt hat.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Darunter leidet das Land bis heute.

Das andere ist, eine Zukunft mit Ausstiegsszenarien zu erfinden, die die Realität der Gegenwart nicht mehr im Blick hat. Wir haben im gesamtgesellschaftlichen Konsens als Bundesrepublik Deutschland den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen – dies allerdings mit der Folge steigender CO2-Werte. Es war in der Abwägung damals wichtiger, aus der Kernenergie auszusteigen, was zu mehr Kohle- und Braunkohleproduktion und entsprechenden Werten geführt hat.

Wer aber in einer solchen Situation nach dem einen Ausstieg gleichzeitig sagt: „Ich will raus aus der

Steinkohle; ich will schnell raus aus der Braunkohle; ich will eigentlich auch raus aus dem Gas“ – möglichst bis auf den Kalendertag politisch planerisch festgelegt; 15 Jahre im Voraus wird für einen bestimmten Tag eine bestimmte Technologie vorgeschrieben –, der hat auf der anderen Seite Maß und Mitte verloren.

(Beifall von der CDU und der FDP)