Protokoll der Sitzung vom 13.09.2017

Gefährlich ist es – und das war heute schon wieder zu spüren –, wenn Selbstverständliches nicht mehr selbstverständlich ist, wenn demokratische Grundtugenden infrage gestellt, bekämpft oder mit Fake News diskreditiert werden.

(Zuruf von der AfD)

Komisch, dass Sie sich da angesprochen fühlen!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn das Ressentiment den Respekt verdrängt und die Gesellschaft in „Ihr“ und „Wir“ gespalten wird, dann müssen Demokraten zusammenstehen und denen, die das Land spalten wollen, widersprechen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der Zusammenhalt gelingt vor allem, wenn Aufstieg durch Bildung möglich ist. Ich habe es in meiner eigenen Familie erlebt: Mein Vater war Bergmann im Aachener Revier. Durch die weitsichtige Politik des Kultusministers Paul Mikat, der damals gesagt hat: „Wir brauchen Lehrer; wir haben Lehrermangel; wir ermöglichen berufserfahrenen Menschen den Seiteneinstieg in den Lehrerberuf“ – etwas Ähnliches diskutieren wir gerade wieder; wo ist die Schulministerin? –, war es möglich, einen solchen Aufstieg zu schaffen.

Was ist eigentlich aus dem Traum der 50er- und 60er-Jahre geworden? Leben nicht heute viel zu

viele Kinder in zweiter und dritter Generation ohne Aufstiegschancen, ohne Arbeit ihrer Eltern, in zementierter Perspektivlosigkeit?

Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen uns um alle unsere Landeskinder jetzt von Anfang an kümmern. Frühkindliche Bildung ist der Beginn dieser Aufstiegskette. Es ist gerechter, Kindern aus Hartz IV herauszuhelfen, als Hartz-IV-Sätze zu erhöhen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der Aufstieg heraus aus den sozialen Systemen muss gelingen.

Wie wichtig das ist, mögen Sie daran erkennen, dass der stellvertretende Ministerpräsident für dieses wichtige Ressort persönlich Verantwortung trägt. Für Kinder, für frühe Bildung, für Jugendliche, für Flüchtlinge und für Einwanderer ist in dieser Landesregierung der stellvertretende Ministerpräsident verantwortlich. Das zeigt die Priorität.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Minister Stamp hat diese große Aufgabe bereits angepackt. In vier Schritten wollen wir jetzt die Akteure zusammenführen, um die Kinderbetreuung in unserem Land nach vorne zu bringen.

Wir werden erstens mit einem Kitarettungsprogramm noch in diesem Jahr Landesmittel in Höhe von einer halben Milliarde € für die nächsten beiden Kindergartenjahre zur Verfügung stellen. Dadurch, dass wir dieses Paket als eines der ersten Projekte der Landesregierung auf den Weg bringen, senden wir das klare Signal: Wir stehen fest an der Seite der Familien in Nordrhein-Westfalen. – Die Kitas brauchen Planungssicherheit, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt, in diesen Tagen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

In einem zweiten Schritt werden wir dann für eine dauerhaft auskömmliche Finanzierung sorgen und das Kinderbildungsgesetz reformieren. Als ich 2008 als Minister das Gesetz eingeführt habe, habe ich damals – wissend, dass man nicht jede Entwicklung kennen kann – für 2011 gesetzlich vorgeschrieben, dass evaluiert werden muss, ob das Geld noch ausreicht. Das hat bis heute nicht stattgefunden. Dieser Aufgabe wird sich Joachim Stamp in einem zweiten Schritt widmen, damit die Kitas das Geld bekommen, das sie für gute Arbeit brauchen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zum Dritten müssen wir, wenn wir dann eine nachhaltige Finanzarchitektur erreicht haben, die Qualität in den Kitas erhöhen und in einem vierten Schritt flexiblere Öffnungszeiten für die Eltern möglich machen – nicht starr orientiert am jetzigen System, sondern so, wie die Lebenswirklichkeit von Familien ist.

So wollen wir allen Kindern in Nordrhein-Westfalen unabhängig von der Herkunft gute Startchancen geben.

Das muss nahtlos übergehen in die Schule, in den zweiten Abschnitt der Bildung, die möglichst von null bis zehn gedacht wird und keine Brüche kennt. Um gute Startchancen geht es auch in der Schule. Als Länder tragen wir hier extrem hohe Verantwortung.

Wir haben viele Diskussionen über die Frage, ob der Bund und die Länder kooperieren sollten oder nicht. Ich finde, solche Debatten sollte man führen, um am Ende das Beste zu erreichen. Aber eines ist klar: Landespolitik besteht nicht darin, immer dann, wenn es schlecht ist, nach Geld beim Bund zu rufen. Landespolitik bedeutet, auch der eigenen Verantwortung gerecht zu werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Norbert Lammert hat von diesem Pult aus beim Festakt „70 Jahre Demokratie, Frieden und Freiheit“ gesagt – ich zitiere –:

„Es wäre hilfreich, wenn Landesregierungen und Landtage noch tapferer der Versuchung widerständen, die Aussicht auf eine finanzielle Beteiligung des Bundes für noch interessanter zu halten als die Wahrnehmung eigener Zuständigkeiten.“

Ja, wir erwarten bei manchem Hilfe des Bundes. Aber wir sind zuständig. Wir müssen die Schulen besser machen. Wir können nicht immer, wenn etwas schiefläuft, nach Berlin rufen und die Schuld auf Berlin schieben. Wir stellen uns dieser Verantwortung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deshalb wird die Nordrhein-Westfalen-Koalition schon bei den Grundschulen ansetzen. Sie sind ein Ort, an dem über mehr entschieden wird als über die Schönschrift. Hier werden die Grundlagen für die gemeinsame und gesamte Bildungskarriere gelegt. Hier sind noch alle Kinder zusammen – unabhängig von ihren späteren Lebenswegen. Wenn der Unterricht dort ausfällt, trifft es genau die Kinder am heftigsten, denen die Eltern nicht helfen können. Deshalb wird der Kampf gegen Unterrichtsausfall Priorität haben für die Nordrhein-Westfalen-Koalition.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Um den Unterrichtsausfall in Nordrhein-Westfalen nachhaltig zu bekämpfen, braucht es zweierlei: eine schonungslose Bestandsaufnahme und einen realistischen Plan dafür, jede Stunde Unterricht auch geben zu können. Wer gegensteuern will, muss wissen, wie die Lage vor Ort ist. Deshalb werden wir eine digitale schulscharfe Erfassung des Unterrichtsausfalls einführen. Wir können den Kindern nicht mehr erklären, dass sie zwar mit dem Smartphone messen können, wie viele Schritte sie am Tag gegangen sind,

aber eine Schulverwaltung nicht messen kann, wo in diesem Land der Unterricht ausfällt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Um das Problem zu lösen, werden wir alles dafür tun, dass Lehrerstellen nicht weiter, wie heute so oft, Leerstellen bleiben. Gerade an den Grundschulen ist die Lage bedrückend. Hier müssen wir dringend umsteuern. Wir brauchen eine Kombination aus kurzfristig und langfristig wirkenden Maßnahmen:

Bereits ausgebildete Lehrkräfte für die Sekundarstufen I und II werden auch an den Grundschulen eingestellt.

Der Seiteneinstieg an den Grundschulen wird um das Fach Englisch ausgeweitet.

Um langfristig mehr junge Menschen für den Lehrerberuf zu gewinnen, bringen wir eine breit angelegte Werbekampagne auf den Weg.

Schulverwaltungsassistenten sollen unseren Lehrerinnen und Lehrern Büroarbeiten abnehmen, damit diese mehr Unterricht übernehmen können.

Für gute Bildung einzutreten, heißt aber auch, den Schulen nicht immer neue Aufgaben und Pflichten zu übertragen, ohne dafür zu sorgen, dass sie ausreichend mit Personal und Finanzmitteln ausgestattet sind. Das gilt besonders für die schulische Inklusion.

Wichtig ist mir an dieser Stelle: Die neue Landesregierung hält am Ziel der Inklusion fest. Viele Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderung wurden bei unzureichender personeller und sächlicher Ausstattung aber zu schnell in ein System gebracht, das Lehrer, Eltern und Schüler gleichermaßen überforderte.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Zahl der Förderschulen ist deutlich reduziert worden, sodass Eltern und Kinder immer seltener die Wahl hatten. So kann Inklusion nicht gelingen. Der Ausstieg aus der Förderschule hat nicht zu mehr Qualität und individueller Förderung beigetragen. Deshalb sagen wir:

Erstens. Die Mindestgrößenverordnung für Förderschulen wird für zwei Jahre ausgesetzt, damit die Kommunen in der Lage sind, Familien Wahlmöglichkeiten zu erhalten.

Zweitens. Langfristig wollen wir Rahmenbedingungen schaffen, unter denen schulische Inklusion gelingen kann. Deshalb müssen wir insbesondere bei den weiterführenden Schulen an vielen Orten das Angebot auf weniger Schulen konzentrieren. Die Schwerpunktschulen wollen wir so ausstatten, dass sie gute Inklusionsarbeit leisten können.

Wir wissen: Diese Neuausrichtung der Inklusionspolitik wird nicht leicht, aber es ist Teil des menschli

chen Antlitzes unserer Gesellschaft, den individuellen Erfolg für jedes einzelne Kind im Auge zu haben. Dabei sind Schulaufsicht, Kommunen, Eltern und Lehrkräfte gemeinsam gefordert.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ein ebenso wichtiger Punkt ist die Leitentscheidung zu G9. Dabei geht es um die Befriedung eines langjährigen Konflikts, an dessen Entstehung die Politik aller Fraktionen in diesem Hause, Regierung und Opposition …

(Widerspruch von der AfD)

Ja, Sie waren nicht dabei. Sie sind auch bald nicht mehr dabei.

(Beifall von der CDU und der FDP)