Die Fraktionen, die schon länger dabei sind, unterlagen hier – so selbstkritisch sollten wir sein – Fehleinschätzungen, die jetzt zu korrigieren sind.
Ministerin Gebauer hat vor drei Wochen ihren klaren Fahrplan für die Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums vorgestellt. Mit dem Schuljahr 2019/20 werden alle Gymnasien in Nordrhein-Westfalen durch Gesetz zu G9-Gymnasien – es sei denn, die Schulen, die Betroffenen vor Ort wünschen es anders. Dazu wird es eine unbürokratische Möglichkeit geben, auch für G8 zu votieren.
Die Rückkehr zu G9 gilt auch für jene Kinder, die heute schon in der dritten und vierten Klasse sind. Alles andere wäre mit einer klaren Leitentscheidung nicht zu vereinbaren. Wir wollen die Zukunft der Gymnasien. Wir wollen Ruhe für unsere Gymnasien und keine neuen Experimente.
Aber wir sagen gleichzeitig: Wir wollen die beste Bildung in Nordrhein-Westfalen. Das schließt auch die berufliche, die duale Bildung ein. Für uns gehören Berufskollegs zur Bildungslandschaft unseres Landes. Wer dort einen guten Abschluss macht, hat auch eine Aufstiegschance. Der Mensch beginnt nicht beim Abitur, wie man manchmal hört.
Die duale Ausbildung ist das deutsche Erfolgsmodell. Die niedrige Jugendarbeitslosigkeit bei uns ist ein Ergebnis dieses aus der ganzen Welt gewürdigten dualen Systems. Was die Unternehmen, insbesondere das Handwerk und ihre Verbände, aber auch die Industrie- und Handelskammern leisten, ist gewaltig. Deshalb setzen wir ein Zeichen und entfristen das IHK-Gesetz. Unser Diskurs soll partnerschaftlich geprägt sein.
Für die Fachkräftesicherung spielt die duale Ausbildung eine zentrale Rolle, gerade im Industrieland Nordrhein-Westfalen. Für alle Auszubildenden im Land wollen wir ein Azubi-Ticket einführen. Es kann doch nicht sein, dass die Ausbildungsplatzsuche junger Menschen in unserem Land an den Grenzen eines Verkehrsverbundes scheitert.
Ich habe vor Kurzem die Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen besucht, die das ganze Münsterland und die Emscher-Lippe-Region im Ruhrgebiet umfasst, Regionen mit Vollbeschäftigung und Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit.
Die IHK hat ein modernes Bildungszentrum errichtet, digital auf der Höhe der Zeit, architektonisch anspruchsvoll. Sie beschreibt gleichzeitig, wie mühevoll es ist, einen Jugendlichen aus einer Region wie Emscher-Lippe, wo nicht genügend Ausbildungsplätze vorhanden sind, nur 20 km weiter in den Kreis Borken oder in andere Regionen zu bringen.
Das muss sich ändern. Wir müssen jungen Leuten die Möglichkeit zu mehr Mobilität geben und jedes Potenzial in diesem Land nutzen. Das muss unsere Zielrichtung in den nächsten Jahren sein.
Wir werden die Förderung der beruflichen Weiterbildung auch auf die Qualifizierung der Beschäftigten für die Arbeitswelt 4.0 ausrichten. Hier stehen wir angesichts von Automatisierung und Digitalisierung – ich habe es zu Anfang angesprochen – vor gewaltigen Herausforderungen.
Nach der jüngsten Studie des McKinsey Global Institute vom Juli dieses Jahres, also ganz aktuell, könnten 48 % der deutschen Arbeitsstunden, also fast jede zweite Arbeitsstunde, nach heutigem Stand der Technik automatisiert werden. Für Tätigkeiten, die geringe Qualifikationen voraussetzen, liegt das Automatisierungspotenzial den Experten zufolge bei 67 %, also bei mehr als drei von vier Arbeitsstunden.
Die Studie spricht von Potenzial; die Betroffenen empfinden dieses Potenzial als Bedrohung. Und für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist die Frage: „Werde ich mit meiner Arbeitsleistung in Zukunft eigentlich noch gebraucht?“ längst nicht mehr Science-Fiction. Deshalb müssen wir auch hier Maß und Mitte wahren.
Natürlich müssen wir uns mit Digitalisierung beschäftigen. Das werden wir mit dem ersten Digitalisierungsminister, den dieses Land jetzt hat, voranbringen.
Aber wir müssen gleichzeitig die Worte im Ohr haben, die ich selbst – wie viele andere – 2014 in der Frankfurter Paulskirche gehört habe. Jaron Lanier,
ein amerikanischer Informatiker und Autor führte in seiner Dankesrede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels aus – Zitat –:
„Die digitale Technik wird in unserer Zeit als maßgeblicher Kanal des Optimismus überfrachtet. Und das, nachdem vor ihr so viele Götter versagt haben. Was für ein sonderbares Schicksal für ein Phänomen, das als sterile Ecke der Mathematik begonnen hatte. … Ohne Menschen sind Computer Raumwärmer, die Muster erzeugen.“
Hier Maß und Mitte zu wahren, die soziale Dimension auch dieser Fragen im Blick zu haben und trotzdem zu sagen: „Wir wollen ins Zeitalter der Digitalisierung“, das müssen wir leisten.
Zu den ganz großen Zukunftshoffnungen der technologischen Entwicklungen unserer Zeit zählt die künstliche Intelligenz, AI, Artificial Intelligence, wie manche es in bestimmten Salons amerikanisch aussprechen.
Ich sage: Der Entwicklung selbst lernender Menschen und Maschinen können wir uns nicht verschließen. Auf der ganzen Welt investieren Firmen gewaltige Summen in diese Technologie. Auch in Nordrhein-Westfalen haben wir exzellente Hochschulen, die genau daran arbeiten und das als ihr Zukunftsfeld definieren. Die menschliche Dimension muss man dabei aber trotzdem im Blick haben. Selbst Elon Musk von Tesla oder Stephen Hawking warnen auch vor den Gefahren der Künstlichen Intelligenz.
Deshalb will ich, dass wir in Nordrhein-Westfalen ein Institut gründen, das sich mit den ethischen Rahmenbedingungen und der gesellschaftlichen Dimension von Künstlicher Intelligenz auseinandersetzt. Wir wollen die Digitalisierung vorantreiben, aber wir wollen eine Technologie, die den Menschen dient und nicht umgekehrt. Dies beides im Blick zu haben, ist die Verantwortung, vor der wir heute stehen.
Als offene Gesellschaft in der Mitte Europas mit einer starken Exportwirtschaft werden wir uns von weltweiten Megatrends nicht abschotten können. Wer den Menschen das Gegenteil verspricht, sollte das Ende bedenken. Ein solcher Ansatz hätte verheerende Folgen, im Übrigen besonders für diejenigen, die man damit vermeintlich vertreten oder schützen will. Wir müssen in den offenkundigen Umbrüchen die Chancen erkennen, benennen und gemeinsam ergreifen.
Die Erfolgsprinzipien unserer sozialen Marktwirtschaft – Teilhabe, Mitbestimmung und Leistungsgerechtigkeit – müssen wir jetzt in die digitale Arbeitswelt übersetzen und übertragen. Das ist eine Frage nationaler Politik, das ist aber auch eine Frage internationaler Politik. So wie Nordrhein-Westfalen diese Diskussionen 1946 von Anfang an beeinflusst hat, so muss es auch unser Anspruch sein, sie heute in dem bundesweiten Diskurs anzustoßen.
Ich will das bestehende Forum „Wirtschaft und Arbeit 4.0“, das gut gearbeitet hat, dafür nutzen, gemeinsam mit Gewerkschaften und Unternehmerverbänden Lösungen für die neue soziale Frage der digitalen Arbeitswelt zu finden und unsere Überlegungen einzubringen.
Nicht nur die Bildung der jungen Menschen ist gefordert, sondern wir brauchen das gleiche Engagement bei der Weiterbildung. Sie wissen, dass es Staatspraxis ist, nur einen Parlamentarischen Staatssekretär zu benennen. Den kann man irgendwo in einem Ministerium ansiedeln und setzt damit gleichzeitig einen Schwerpunkt. Unser Parlamentarischer Staatssekretär, Klaus Kaiser, wird sich mit ganzer Kraft der Weiterbildung widmen.
Akteure und Partner in der Weiterbildung haben die Zeichen der Zeit erkannt. Wir wollen eine verlässliche Finanzierung der Weiterbildung ermöglichen, wir wollen Digitalisierung auch in der Weiterbildung zum Thema machen, und wir wollen Weiterbildung aus dem Schattendasein herausholen.
Wir wollen dem Wissenschafts- und Hochschulstandort Nordrhein-Westfalen zum Aufbruch verhelfen. Mit zusätzlichen Investitionen werden wir den Erhalt und die Modernisierung der Bausubstanz an unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen sichern.
Wir müssen auch für bessere Studienbedingungen an unseren Hochschulen sorgen. Unser Ziel ist es, dass Nordrhein-Westfalen nicht nur über die höchste Dichte an Hochschulen verfügt, sondern auch über eine der höchsten Dichten an Professoren in Relation zu den Studierenden.
Deshalb wird ein neues Hochschulgesetz die partnerschaftliche Augenhöhe mit den Hochschulen wiederherstellen. Mehr Hochschulfreiheit heißt auch, dass unsere Hochschulen eigenverantwortlich über Kooperationen und Forschungsschwerpunkte entscheiden können. Wir wollen die Dynamik der Jahre 2005 bis 2010 im Jahr 2017 wieder aufnehmen, damit unsere Hochschulen Luft zum Atmen haben.
Ich habe vor einigen Jahren eine Reise zum Thema „Digitalisierung und Freihandel“ in die USA gemacht und zunächst sauerländische Automobilzulieferer in Kentucky und dann die Firma Tesla im Silicon Valley besucht. Lebhaft in Erinnerung ist mir eine Begegnung mit den dortigen Studierenden geblieben, unter anderem an der Stanford University. Ich habe sie gefragt: Was können wir eigentlich von den USA lernen? Die Antwort lautete meist: Freiheit für die Universität, Vertrauen in die Kreativität der Forscher und
Studierenden, eine Kultur der Selbstständigkeit und die effektive Verbindung von universitärer Forschung, Risikokapital und Gründungsgeist.
Ich habe dann von unserem Hochschulfreiheitsgesetz erzählt, allerdings verschwiegen, dass die damals amtierende Landesregierung es soeben abgeschafft hatte. Aber ich sage heute: Wir werden diesen Fehler korrigieren.
Wir brauchen auf keinen Fall dieses Von-oben-nachUnten, bei dem das Ministerium den Universitäten sagt, was sie zu tun haben. Die wissen das doch genau. Das haben damals selbst sozialdemokratische Rektoren beklagt. Es waren doch sozialdemokratische und grüne Rektoren, die gebeten haben: Lasst uns bitte die Freiheit, die wir gerade haben. Wir haben sie doch verantwortlich genutzt.
(Arndt Klocke [GRÜNE]: Fragen Sie einmal Herrn Freimuth in Köln, was der zu den Stu- diengebühren sagt!)
Im German Accelerator, einer staatlich geförderten Einrichtung zur Unterstützung deutscher Start-ups im Silicon Valley, erzählte mir ein junger Start-up-Unternehmer, er käme aus Aachen. Er hätte exzellente Forschung, es wäre alles gut, aber er wolle einmal sehen, ob er denn Geld für seine Start-up-Idee finde. Wir wollen, dass es nicht mehr nötig ist, dass die exzellenten jungen Leute in die USA gehen. Wir wollen Bedingungen dafür schaffen, damit sie hier selbstständig werden und ihre Ideen umsetzen können.
Ein wesentliches Hemmnis für Gründungen ist das enorme finanzielle Risiko für die Gründerinnen und Gründer. Staatliche Förderangebote werden häufig wegen des hohen bürokratischen Aufwands nicht in Anspruch genommen, oder es fehlen Angebote für innovative Geschäftsmodelle.
Mit einem Förderprogramm „1.000 mal 1.000“ wollen wir das ändern. Wir werden das Gründerstipendium so unbürokratisch wie möglich schaffen. Ich bin froh, dass mit Prof. Pinkwart, der sieben Jahre an der Handelshochschule in Leipzig tätig war und mit Start-ups zusammengearbeitet hat, jemand seine Erfahrungen aus Wissenschaft und Politik jetzt wieder in politisches Handeln umsetzt. So funktioniert der Austausch zwischen Wissenschaft und Politik.